Produktionsland: USA 1928
Regie: James Sibley Watson, Melville Webber
Darsteller: Melville Webber, Herbert Stern, Hildegarde Watson
Im Jahre 1928 entstanden völlig unabhängig voneinander auf zwei unterschiedlichen Kontinenten zwei Verfilmungen der in Buchform erstmals 1840 erschienenen Kurzgeschichte THE FALL OF THE HOUSE OF USHER des US-amerikanischen Schriftstellers Edgar Allan Poe (1809-1849). Was die Filme, zum einen ein Gemeinschaftsprojekt des Künstler-Duos James Sibley Watson und Melville Webber, zum andern die wohl wesentlich bekanntere und selbst heute ab und zu einmal zu sehenden Adaption Jean Epsteins, indes eint, ist, dass sie beide mehr oder minder einem Avantgarde-Kontext entspringen. Dennoch sind die Unterschiede freilich signifikant, was man allein schon daran sieht, dass die Version von Watson und Webber sich gerade mal bei dreizehn Minuten einpendelt, während Epsteins Fassung eine Laufzeit von über einer Stunde erreicht.
Im direkten Vergleich ist die Version Watsons und Webbers dann wohl auch die, die mit dem breitesten Rücken zu ihren Zuschauern steht. Die beiden Amerikaner operierten zeitlebens am äußersten Rand der Filmindustrie und haben mit keinem ihrer Werke eines vorgelegt, das aussieht, als sei es primär für ein Mainstream-Publikum gedacht. Für Experimente jedoch bieten sich die Kurzgeschichte Poes wahrscheinlich besser an als viele andere Schätze der Weltliteratur und gerade THE FALL OF THE HOUSE OF USHER ist ein Paradebeispiel für den eigenwilligen, ständig zwischen Äußerlichkeit und Innerlichkeit oszillierenden Stil des Dichters. Poes Geschichten sind, um einmal zu versuchen, ein generelles Regelwerk für sie zu erstellen, im Normalfall arm an eigentlichen Plots, ihre Handlungen können demnach meist problemlos in drei, vier Sätzen zusammengefasst werden, was bei seiner Erzählung vom tragischen Ende des degenerierten Usher-Adelsgeschlechts nicht anders ist. Auf der reinen Handlungsebene passiert nicht mehr als dass der namenloser Ich-Erzähler seinem alten Freund Roderick Usher, des letzten männlichen Familiensprosses, der mit seiner Zwillingsschwester Madeleine ein abgeschiedenes Dasein in seinem Schloss fernab der Zivilisation führt, in der Einöde seiner Einsamkeit einen Besuch abstattet. Beide, Roderick wie Madeleine, befinden sich in einem Zustand der absoluten Überreizung, wirken physisch und psychisch völlig derangiert, sodass es kaum verwundert, dass Madeleine kurz nach der Ankunft unseres Erzählers an einer sie von innen her zerfressenden Krankheit zu verscheiden scheint. Roderick und der Erzähler setzen sie in der Familiengruft bei, und natürlich hat ihr Ableben einen alles anderen als positiven Effekt auf ihren Bruder, der sukzessive von Wahnsinn übermannt wird. In einer Gewitternacht versucht der Erzähler seine sich überschlagende Phantasie dadurch besänftigen, dass er ihm eine Rittergeschichte vorliest, worauf Literatur und Leben eine eigentümliche Verbindung eingehen, die im kompletten Chaos mündet: Madeleine, offenbar bloß scheintot, steht auf einmal blutüberströmt in der Tür, Roderick verliert die letzten Reste seines Verstandes und dem Ich-Erzähler gelingt es mit letzter Not aus dem Schloss zu flüchten, das, auseinanderbrechend, in den nahegelegenen Sumpf stürzt.
Rein inhaltlich könnte man THE FALL OF THE HOUSE OF USHER damit als allzu typisches Produkt einer Schauerliteratur abtun, deren Erzeugnisse in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts im Dutzend billiger zu bekommen waren. Was den Text indes auszeichnet, ist seine sprachliche Ausgestaltung. Poe ist ein Meister darin, eine bedrückende, melancholische, unheimliche Stimmung selbst dann heraufzubeschwören, wenn die pure Story aus wenig mehr als drei, vier eindrucksvollen Szenen besteht. Das, was ich oben als ständigen Wechsel zwischen Draußen und Drinnen bezeichnet habe, wird bei THE FALL OF THE HOUSE OF USHER besonders sinnfällig. Das Draußen, sprich: das verfallene Schloss, der nebelverhangene Sumpf, die morbiden Gegenständen, mit denen Roderick Usher seine Wohnräume ausstaffiert hat, und das Innen, sprich: die seelischen Ausnahmezustände, in denen Poes Protagonisten eben nicht agieren, sondern denen ausgeliefert sie mehr tot als lebendig dahinhämmern, die sinnliche Übersensibilität seiner Helden, für die das Ticken einer Uhr zu einem Grund zum Amoklauf werden kann, ergeben eine schwer voneinander zu trennende Einheit ein, die für Filmemacher, meine ich, von einem wenig versteckten Reiz sein muss. Das Kino bedient sich meiner Meinung nach ähnlicher Katzensprünge zwischen einer vermeintlich objektiv bebilderbaren Wirklichkeit und neuen Möglichkeiten, unsere Psychen effektiv zu illustrieren. Dass Poe nicht nur im frühen Film ein Autor gewesen ist, den man immer gerne als Stofflieferant heranzog, unterstreicht nur, wie sehr in seinen Texten bereits der grundlegende Mechanismus des Kinos angelegt ist, ohne dass er davon freilich etwas hätte ahnen können.
Wie springen Watson und Webber jetzt aber mit der oben skizzierten Vorlage um? Mit einem Wort beschrieben: sie wählen den Weg der Abstraktion. Für jemanden, der seine Nase noch nie in die Originalgeschichte Poes gesteckt hat, wird es sicherlich eine so gut wie unüberwindliche Hürde darstellen, aus der Filmversion von THE FALL OF THE HOUSE OF USHER eine irgendwie sinnvolle Handlung zu extrahieren. Watson und Webber verzichten komplett auf Zwischentitel und tun auch sonst nichts, ihr Publikum bei der Hand zu nehmen und durch die Geschichte zu führen. Stillschweigend scheinen sie die Kenntnis der literarischen Vorlage vorauszusetzen und liefern mit ihrem Film im Grunde keine Nacherzählung derselben, sondern eine Illustration – so wie beispielweis ein Buchillustrator einer bestimmten Szene aus dem Werk, das er bebildert, zu einem bestimmten Ausdruck verhilft ohne dass er ihren inhaltlichen Kern nachzeichnen müsste. Bei THE FALL OF THE HOUSE OF USHER kommt es allerdings, und das teilt der Film mit seiner Vorlage, sowieso nicht auf narrative Elemente an, sondern vielmehr auf die Atmosphäre, die auf deren Grundlage in die Höhe geblasen werden soll.
Die meistern Watson und Webber mit einem Stil, der derart knietief im Stummfilmexpressionismus watet, das man mir THE FALL OF THE HOUSE OF USHER gut und gerne auch als Fragment eines verschollenen Werks irgendeines deutschen Regisseurs hätte verkaufen können. In dem Film hängt nicht nur der Haussegen schief, die vielen schrägen Winkel und Treppen tun ihren Teil, den Zuschauer nach ein, zwei Minuten sowieso nicht mehr nach einer den Bildern immanenten Kohärenz oder Logik fragen, sondern sich stattdessen ganz der fieberhaften Montage hingeben zu lassen, die nichts erklärt und viel empfinden lässt. Kaleidoskopartig werden die Bilder übereinandergelegt, sodass ein und dieselbe Szene sich gespenstisch in sich selbst spiegelt, Schattenspiele nutzt man bis zum Exzess, wobei mir vor allem die Silhouette eines Hammers im Gedächtnis bleiben wird, der dabei ist, Nägel in einen Sarg zu schlagen, und Texttafeln fehlen, wie bereits angemerkt, zwar im klassischen Sinne, dennoch hat man in bester CALIGARI-Manier zuweilen einzelne Worte in ausdrucksstarken Lettern mitten ins Bild hineinkopiert, darunter beat, was sich wohl auf das noch blutpumpende Herz der nur mutmaßlich verblichenen Madeleine bezieht, oder cry, was dem Entsetzensschreie der im Sarg zu sich kommenden Scheintoten entspricht.
Was auffällt, ist, dass der namenlose Reisende, bei Poe jene Instanz, über die wir die grausigen Vorgänge im Usher-Schlösschen überhaupt erst vermittelt bekommen, in der Filmfassung von Webber und Watson ziemlich unbeteiligt daherkommt und eine fast schon überflüssige Figur darstellt, deren Zylinder dann einmal auch sinnträchtig ohne zugehörigen Kopf durchs Bild rollt. Was noch auffällt, ist, wie sehr Watson und Webber die Sicht Madeleines einnehmen, um deren Emotionslage bezüglich ihres Lebendig-Begraben-Werdens zu verbildlichen. Wenn man den Quellen glauben darf, wurde THE FALL OF THE HOUSE OF USHER, was meine Bewunderung für diesen kleinen, feinen Film noch steigert, offenbar mit Laiendarstellern in einem leerstehenden Stall inszeniert, aus dem Webber und Watson dann allerdings tatsächlich herausholen, was man aus einem solchen leerstehenden Stall herausholen kann. Minimalitisch ist die Ausstattung und dennoch liebevoll, detailreich. Vor allem die endlos anmutende Treppe, die geradewegs in die Hölle zu führen scheint, ist ein Bild zum Niederknien.
Was indes noch viel stärker bei mir nachwirkt, ist eine der letzten Szenen des Films, nämlich die, in der Madeleine, von den Toten erwacht, auf ihren bereits völlig verstörten Bruder zuläuft, ihn förmlich anspringt, ihn mit sich von seinem Stuhl zu Boden reißt. Manche Bilder vergisst man vielleicht nie und mir ist schon bei meiner Sichtung des Films vor Jahren gerade dieses in dem Körperbereich verblieben, wo die Gänsehäute hergestellt werden. In Zeitlupe und Überblendung nähert sich Madeleine dem Bruder in einer Mischung aus geisterhaftem Schweben und furienhaften Rasen und sieht dabei ungelogen aus wie eine Frau, die schon die eine oder andere Nacht in einem Sarg verbracht hat: die Augen schwarz geschminkt, die Arme wie ein Raubvogel ausgebreitet, um sich das Totengewand flatternd wie mottenzerbissene Flügel. Für mich ist diese Szene, neben einigen in NOSFERATU und VAMPYR, eine derjenigen des frühen Kinos, bei denen ich schon zu schwitzen anfange, wenn man sie in meiner Gegenwart bloß erwähnt. Sie adelt einen Film nur noch mehr, der sowieso durch seine kühn-experimentelle Machart bereits genügend geadelt ist.