Ein Kaktus ist kein Lutschbonbon
Deutschland, 1981
Regie: Rolf Olsen
Darsteller: Jürgen Drews, Barbara May, Heinz Eckner, Corinna Gillwald, u.v.a.
Der junge Werbegrafiker Axel (Jürgen Drews) arbeitet für das Erwachsenmagazin „Play-me“ und zeichnet sich dort für eine frivole Comic-Serie namens „Als die Bayern noch Schwänze hatten“ verantwortlich, bei der sein Kumpel Bruno (Tobias Meister) als Vorlage der männlichen Hauptfigur dient. Da die Serie jedoch schlecht läuft, muss Axel auch noch andere Jobs annehmen und lernt im Zuge eines Auftrages die sympathische Reisebüroangestellte Gaby (Barbara May) kennen, die gerade mit dem Lottogewinn ihres Chefs auf dem Weg zur Arbeit ist. Als Axel kurzfristig erfährt, dass seine Serie gänzlich eingestellt werden soll, bittet er Gaby ihm bei einer Werbeaktion zu helfen. Gaby soll das Erwachsenmagazin in einer Telefonzelle deponieren, während Axel die Reaktionen von ahnungslosen Passanten mittels Kamera dokumentiert. Diese lassen auch nicht lange auf sich warten und die ersten beiden Opfer erleben durch die visuelle Kraft des Magazins erotische Höhepunkte. Kurze Zeit später betritt jedoch ein Pfarrer (Heinz Eckner) die Telefonzelle, schnappt sich kurzerhand das Magazin und steigt damit in den nächstbesten Bus nach Bad Tölz.
Wenig später bemerkt die mittlerweile völlig verzweifelte Gaby, dass sie den Umschlag mit dem Lottogewinn ihres Bosses verloren hat und ist den Tränen und Nervenzusammenbruch nahe. Sie vermutet, dass ihr das Kuvert mit den 6.500 D-Mark in das Magazin gerutscht sein müsste, mit welchem sich Hochwürden aus dem Staub gemacht hat. Axel möchte der sympathischen Blondine natürlich helfen und die beiden machen sich mit Axels Wagen auf dem Weg um den Geistlichen in der bayrischen Provinz zu suchen. Doch das betreffende Heft landet durch eine Verkettung von unglücklichen Umständen in der Tasche einer Lehrerin bzw. schon kurze Zeit in deren Klassenzimmer, wo dieses im Rahmen des Aufklärungsunterrichts immense Auswirkungen auf die Moral der Schüler hat.
Gaby und Axel immer noch auf der Suche nach dem Pfarrer, was sich jedoch als durchaus problematisch herausstellt, da der kleine Ort anscheinend nur von Gastarbeitern bevölkert scheint, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Währenddessen wechselt das Magazin weiter seine Besitzer und der dadurch ausgelöste moralische Verfall zieht weiter seine Kreise. Als es schlussendlich in der Gastarbeitersiedlung landet, legen die entrüsteten Bewohner kurzerhand die Arbeit nieder und treten in den Streik. Gaby hat in der Zwischenzeit trotz aller Verwicklungen den Pfarrer gefunden, der jedoch nichts über den Verbleib des Kuverts zu wissen scheint. Als die beiden daraufhin enttäuscht nach München zurückfahren wollen, wird Gaby jedoch von zwei verhinderten Bankräubern entführt und weiteres Chaos nimmt unweigerlich seinen Lauf...
Eine halbwegs vernünftige Inhaltsangabe zu Rolf Olsen „Ein Kaktus ist kein Lutschbonbon“ zu schreiben ist ja eigentlich gar nicht so einfach. Was hier dem geneigten Zuschauer zugemutet ist, spottet eigentlich jeglicher Beschreibung und ist selbst für den geeichten Trashologen mit Hang zum audiovisuellen Masochismus eine ziemliche Herausforderung. Die mehr als dürftige Rahmenhandlung über den Grafiker Axel und dessen schusselige Kurzzeitbekannte Gaby, die als Susi Sorglos mit mehreren Tausend Mark spazieren geht um dieses danach frisch und fröhlich in einer Fernsprechzelle auszustreuen ist ja auch nur der Aufhänger für allerlei groteske Filmmomente. Diese sind von stark unterschiedlicher Natur und mit veränderlichem Humoranteil und scheinbar willkürlich aneinandergereiht wurden um den Zuschauer bei Laune zu halten.
Schon der Auftakt des Filmes verheißt nichts Gutes, wenn der verkleidete Bruno wie auf LSD als Urzweitmensch vor der Polaroid-Kamera seines Freundes Axel posiert und dabei grunzende Laute von sich gibt. Schon kurze Zeit später bekommt er jedoch die Rechnung für sein ungebührliches Verhalten präsentiert, köpfelt kopfüber auf den wohl titelgebenden Kaktus und bekommt durch dessen Stacheln unfreiwillig einen Dreitagesbart verpasst. Bei humorvollen Slapstick-Szenen dieser Qualität bleibt natürlich kein Schenkel ungeklopft und kein Zwerchfell unberührt. Doch das ist ja auch nur der Auftakt für ein gigantisch-infantiles Humorfeuerwerk voller subversiver Untertöne und fern jeglicher Geschmacksgrenzen, deren detaillierte Beschreibung hier leider vollkommen jeglichen Rahmen sprengen würde.
Die bayrische Bevölkerung in den frühen Achtzigern scheint ja sexuellen Dingen gar nicht aufgeschlossen und wird durch das Auftauchen eines Erwachsenen-Magazins vollkommen aus der geruhsamen Bahn geworfen. Durch das unbedachte Handeln eines Geistlichen gerät das „Corpus delicti“ zu allem Unglück auch noch in die Hände von Heranwachsenden, die sich daraufhin vermehrt für sexuelle Aktivitäten interessieren. Schon nach kurzer Zeit ist der Dorffrieden vollkommen erschüttert und selbst die örtlichen Gastarbeiter sind durch die plakative Zurschaustellung von weiblichen und männlichen Geschlechtsorganen derart in ihren moralischen Grundfesten erschüttert, dass Streik, Anarchie, Mord und Totschlag unvermeidlich scheinen.
Doch gar so wild kommt es dann natürlich nicht, obwohl die Nerven des aufgeschlossenen Zuschauers bis zum obligatorischen Happy-End leider kaum geschont wird. Bis dahin dauert es auch gefühlte drei Stunden und von derben Gags, subversiven Momenten, billigen Zoten bis hin zu Ausflügen in erotischere Gefilde und nervenstrapazierende Action eines Stock-Car-Rennens bleibt einem eigentlich nichts erspart. Rolf Olsen hat in dem Tiefpunkt seines künstlerischen Schaffens auch nicht wirklich viel ausgelassen und vermengt schrullige Komödie mit bissiger Gesellschaftssatire, Schulmädchen-Report mit bayrischen Road-Movie und schreckt selbst vor politischen Aussagen nicht zurück. Trotzdem wirkt „Ein Kaktus ist kein Lutschbonbon“ schon irgendwie sehr zusammengestückelt und bietet seine Schauwerte eher aus der skurrilen Zusammenhanglosigkeit unterschiedlichster Elemente, als aus einer durchgehenden Geschichte.
Darstellerisch darf man sich bei diesem Streifen aus den Untiefen der achtziger Jahre wohl ebenfalls nicht sonderlich viel erwarten. Jürgen Drews, der apokalyptische Reiter vom Ballermann, ist wider Erwarten gar nicht mal so schlecht und agiert ganz passabel als kumpelhaftes Grinseferkel. Der hatte Anfang der Achtziger seinen ersten Karrierehöhepunkt auch bereits Jahre hinter sich und seine Versuche international durchzustarten sind leider gescheitert. Herr Drews hantelt sich aber scheinbar mühelos von einer Szene solide zur nächsten und das Drehbuch verlangt außer chronisch-guter Laune und Miene zum bösen Spiel auch keine vielschichtigeren Darstellungen. Unser Schlager-Chuck-Norris und König von Malle kommt daher bei der ganzen Sache auch ganz gut weg.
Auch die in Österreich geborene Schauspielerin Barbara May, die sich damals noch Babsi nannte agiert ganz passabel und bietet wenig Anlass zur Kritik. Der Hang ihrer Filmrolle zu ihrem männlichen Gegenpart blieb leider unerwidert, da sich Jürgen Drews eine andere Darstellerin – nämlich Corinna Gillwald – geschnappt hat um mit ihr ein paar Kinder zeugen. Ob dieses Erlebnis so traumatisierend war, dass sie sich danach im Jahre 1983 für den deutschen Playboy ausziehen musste, ist jedoch nicht überliefert. Die bekannteste Rolle der werten Dame dürfte wohl die der etwas naiven Lehrerin Frauke in dem deutschen Blockbuster „Otto – der Außerfriesische“ sein, obwohl die Dame auch in seriöseren Filmen, wie der von mir dringend gesuchte „Der Fluch“ von Ralf Hüttner mitwirkte.
Bei den restlichen Darstellern, vorwiegend aus dem Lisa-Film-Stall sticht dann außer Jesus (!) mit seiner hölzernen Darstellung und ein Ratzinger-Bildnis an der Wand, eigentlich niemand mehr sonderlich hervor. Tobias Meister als Bruno ist hat mittlerweile seine wahre Berufung gefunden, ist ein vielseitig-begabter Synchronsprecher geworden und unter anderem auch die deutsche Stimme von Brad Pitt und Sean Penn. Der unvermeidliche, aber sympahtische Otto Retzer ist dank Perücke in seiner kleinen Rolle auch fast nicht zu erkennen und bei den zahlreichen Nebendarstellern ist das ein oder andere bekannte Gesicht zu sehen, dass man aus anderen Serien und Fernsehfilmen kennt. Auch Regisseur Rolf Olsen ist in einer kleinen Rolle als bürokratischer Bankbeamter zu sehen, der mit seiner umständlichen Art einen Banküberfall zu verhindern vermag.
Wen man sich „Ein Kaktus ist kein Lutschbonbon“ aber so ansieht, mag man es eigentlich gar nicht glauben, dass uns der werte Herr Olsen Jahr(zehnt)e so absolute Perlen wie den Gangster-Kracher „Blutiger Freitag“ und die Hamburger Milieu-Studien „Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn“ und „Der Arzt von St. Pauli“ beschert hat. Aber bei 50 Filmen unterschiedlichster Genres muss wohl zwangsläufig auch mal ein gröberer Ausfall dabei sein und der späte Ausflug ins Komödienfach ist für den Otto Normalzuschauer sicherlich ein gröberer Griff ins Klo. Mit seinen früheren Kinoerfolgen hat „Ein Kaktus ist kein Lutschbonbon“ jedenfalls meines Erachtens nicht mehr wirklich viel zu tun und es wäre interessant, wie der Streifen bei damaligem Kinostart von der Kritik und Publikum aufgenommen wurde.
Als erfahrener Rezensent mit entsprechender Vorbildung sieht man die Sache natürlich etwas differenzierter und ich muss ja ehrlich gestehen, dass ich mich trotz aller Dummheiten doch irgendwie gut unterhalten habe. Zwischen all den billigen Kalauern, Nonsens-Dialogen mit Hang zum blumigen Sprachgebrauch und abgedroschenen Witzen hat Rolf Olsen auch jede Menge Szenen eingebaut, die zweifelsfrei großartig geworden sind. Allen voran natürlich der Aufmarsch der „Liga der Leistungsverweigerer“ („Wir brauchen Geld für Schnaps auf Bier – auf Arbeitsplätze scheißen wir“), der öffentliche Verkauf von Drogen vor den Augen der Exekutive, sowie der progressive Terrorist, der öffentlich nach einem willigen und wohlhabenden Opfer sucht. Auch das mitunter schwierige Verhältnis zu Gastarbeitern mit Migrationshintergrund und der Angst vor dem eigenen Identitätsverlust wird kritisch bis bissig hinterleuchtet. Und gerade in diesen Momenten ist der Streifen einfach grandios und sorgt reihenweise für heruntergeklappte Kinnladen und ungläubige Blicke.
Und so bleibt unterm Strich ein mehr als seltsamer und ungewöhnlicher Film, der Komödie mit brachialer Satire vermischt und neben der obligatorischen Love-Story auch noch ein paar herrlich subversive und konsumkritische Momente zu bieten hat. „Ein Kaktus ist kein Lutschbonbon“ ist sicherlich ein absolutes Unikat am deutschen Komödienhimmel und daher auch nur für hartgesottene und aufgeschlossene Zuseher empfehlenswert. Alle anderen seinen dringend gewarnt: Rolf Olsens Tour-de-Force durch tief-deutsche Befindlichkeiten ist definitiv kein einfacher Film, sondern wahrlich ein „unterschätztes Meisterwerk der deutschen psychotronischen Filmkultur“ (Zitat: Ugo-Piazza), das sich als Lustfilm verkleidet hat und bei unbedarften Zusehern traumatische Eindrücke hinterlassen könnte. Prädikat: besonders unpackbar!