Ich bin neugierig - gelb - Vilgot Sjöman (1967)

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Ich bin neugierig - gelb - Vilgot Sjöman (1967)

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Originaltitel: Jag är nyfiken - en film i gult

Herstellungsland: Schweden / 1967

Regie: Vilgot Sjöman

Darsteller: Lena Nyman, Vilgot Sjöman, Börje Ahlstedt, Peter Lindgren, Chris Wahlström, Marie Göranzon, Magnus Nilsson, Ulla Lyttkens u. A.
Lena, ein junges, blondes Mädchen aus Schweden, emanzipiert sich! Sie ist es leid, Nachrichten einfach nur hinzunehmen und stellt Fragen. Bewaffnet mit einem Mikrofon stellt sie berühmten und unbekannten Menschen unangenehme Fragen. Zeitgleich ist sie auf der Suche nach ihrer Sexualität und geht so den Weg ihrer persönlichen Emanzipation!
Quelle: www.ofdb.de
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
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Re: Ich bin neugierig - gelb - Vilgot Sjöman (1967)

Beitrag von buxtebrawler »

„Ich wollte zu Lena, wo ist sie denn?“ – „In Småland!“ (die kleine Lena möchte aus dem Bällebad abgeholt werden)

Nach „491“ und „Geschwisterbett“ gelang dem schwedischen Filmemacher und ehemaligen Ingmar-Bergman-Schüler Vilgot Sjöman im Jahre 1967 mit „Ich bin neugierig – gelb“ sein vielleicht größter Coup. Der für seine aufgrund ihrer für die damalige Zeit sexuellen Freizügigkeit provokanten Filme bekannte Regisseur drehte zusammen mit seiner Hauptdarstellerin Lena Nyman (mit der er erstmals für „491“ zusammenarbeitete) einen semidokumentarischen Film, der sich schwerlich einem konkreten Genre zuordnen lässt, aber sowohl in politischer als auch in sexueller Hinsicht schweres Konfliktpotential barg.

Die junge Studentin Lena Nyman unterhält eine übers Platonische hinausgehende Beziehung zum Filmemacher Vilgot Sjöman und sammelt in ihrem Zimmer der gemeinsamen Wohnung mit ihrem Vater, das sie selbst „Nymans Institut“ nennt, in alphabetisch sortierten Kisten jede Menge Presseartikel, Fotos, Flugblätter etc. sowie Tondokumente, die sie mit Mikrofon und Rekorder ausgestattet auf der Straße, in Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen aufzeichnet, wenn sie ihrer Neugierde und ihrer Unzufriedenheit mit der politischen Situation ihres Landes Ausdruck verleihen möchte, indem sie den unterschiedlichsten Menschen die verschiedensten unbequemen Fragen stellt. Zu ihrem Vater hat sie ein gespaltenes Verhältnis, da dieser im spanischen Bürgerkrieg als Kämpfer gegen den Faschismus desertierte. Um ihn zu verhöhnen, hat sie sich ein Porträtfoto Francos sowie eine Tafel ins Zimmer gehängt, auf der sie die Tage seit der Desertation ihres Vaters zählt. Lena beteiligt sich an Demonstrationen und Agitationen für ihre politischen Überzeugungen. Als sie den Boutique-Angestellten Börje (Börje Ahlstedt) kennenlernt, beginnt sie eine Affäre mit ihm, ohne zu wissen, dass er mit ihr seine Frau betrügt, mit der er ein Kind hat. Lena reagiert verärgert, sucht die Abgeschiedenheit, wird jedoch von Börje eingeholt. Sie erfährt, dass sie nicht die einzige ist, mit der er seine Frau betrügt…

Sjömans erneut noch in Schwarzweiß gedrehter Film lässt mit etwas gutem Willen zwar durchaus so etwas wie einen roten Faden erkennen, pfeift aber ansonsten auf narrative Konvention, was u.a. zugunsten einer anfänglich irritierenden Meta-Ebene geschieht – denn „Ich bin neugierig – gelb“ (i.d.R. im Doppelpack mit „Ich bin neugierig – blau“ anzutreffen, wobei die Farbangaben Bezug auf die schwedische Flagge nehmen) verwischt nicht nur bewusst die Grenzen zwischen dokumentarischem, gespieltem und rein fiktivem Material, sondern handelt auch vom Filmdrehen selbst, entrückt sowohl seine Schauspieler als auch das Filmteam inkl. Sjöman höchstselbst und somit auch den Zuschauer der Handlung, indem vermeintliches Hinter-den-Kulissen-Material einfließt. De facto wurde viel improvisiert, lediglich mit groben Skizzen gearbeitet und Sjömans Faszination für seinerzeit neues Kino gerade auch anderer europäischer Herkunft ungezügelten Lauf gelassen. So stellen zu Beginn Stimmen aus dem Off Lena und Sjöman vor. Eine andere Stimme aus dem Off entpuppt sich als die Sjömans, der von seiner Zusammenarbeit mit Lena berichtet, Bergman zitiert und „491“ erwähnt.

Im ersten Interview-Abschnitt konfrontiert Lena ihre Mitmenschen mit Fragen nach einer schwedischen Klassengesellschaft und es ist erschreckend, wie viele deren Existenz nicht erkennen oder leugnen. Nachdem man ihr ein Interview mit Martin Luther King zeigte, geht es um die Themen Gewaltfreiheit und die damals neue Option der Kriegsdienstverweigerung. Im Gespräch mit einer Freundin schwenkt das Gespräch urplötzlich um zum Thema Selbstbefriedigung. Im Anschluss wird die konservative und bürgerliche Presse aufs Korn genommen. Spanien-Touristen werden von Lena damit konfrontiert, in eine Diktatur zu reisen. Unterbrochen werden diese Szenen von privaten Momenten Lenas, die das Verhältnis zu ihrem Vater verdeutlichen. Dieser ist es auch, der Börje mit in die gemeinsame Wohnung bringt, den sich Lena sehr bald schnappt und provokant-offensichtlich mit auf ihr Zimmer nimmt – was nach rund 40 Minuten den eigentlich Startschuss für die sexuelle Komponente des Films bedeutet. Die mit damals schon schwedischer Selbstverständlichkeit integrierten, natürlichen Nacktszenen werden verquickt mit umso skandalträchtigerem spontanem Sex zwischen zwei Menschen, die sich kaum kennen. Sjöman setzt noch einen drauf und lässt die beiden in der Öffentlichkeit vor den Augen eines Bewachers des Parlaments kopulieren. Nicht minder skandalös dürfte aufgefasst worden sein, dass sich Lena mit Börjes Opa auf respektlose Weise unterhält, der für das Gespräch in die Rolle des schwedischen Königs geschlüpft ist. Vergleichsweise harmlos muten die Dialoge mit dem späteren Ministerpräsidenten und Attentatsopfer Olof Palme an. Kurz widmet sich Sjöman auch Börjes Familie, verleiht dieser somit ein Gesicht. Lena beteiligt sich derweil an Anti-Vietnam-Kriegs-Demonstrationen und spricht kritisch mit russischen Kommunisten über Stalin. Kurz darauf erfährt der Zuschauer, dass Lenas Mutter weg ist und Lena von Börjes Familie, was sie in helle Aufregung versetzt. Sie beobachtet Übungen zur Gewaltfreiheit und flieht nach Småland, wo sie oben ohne auf einer Wiese meditiert, gefolgt von reichlich selbstzweckhaften Nacktszenen im Garten. Dem Auftauchen Börjes folgen Szenen des „ganz normalen“ Liebeswahnsinns, Momente voller Zärtlichkeit treffen auf weitere freizügige und abenteuerliche Sexszenen (im Baumwipfel einer Eiche…), wiederum dicht gefolgt von Enttäuschung, Wut und Hass, Rache- und Exekutionsphantasien. Und zwischendurch gibt’s ‘ne Umweltsauerei, wenn Börje sein Auto im Fluss wäscht, doch weitaus kontroverser wurden die Bilder aufgefasst, in denen Lena vorsichtig das Geschlechtsorgan ihres Freunds zu liebkosen andeutet, woraus moralistische und sexualfeindliche Kreise Fellatio zu erkennen dachten, als die eigene schmutzige Phantasie mit ihnen durchging. Schließlich möchte Martin Luther King mit ihr reden (mehr oder weniger geschickt eingeschnittenes Archivmaterial) und beteiligt sie sich an der herrlich zynischen Agit-Prop-Aktion einer Spendensammlung für die Atombombe. Ein Streit am Filmset zerstört die Illusion von Authentizität in Bezug auf Lena und Börje, sie beschimpft ihren Vater als Feigling und verwüstet ihr Zimmer und da sie sich die Krätze eingefangen hat, muss sie für die Behandlung noch einmal blankziehen. Am Ende macht sich dann Sjöman an eine neue Schauspielschülerin heran…

Soweit in ungewohnter Ausführlich- und trotzdem Unvollständigkeit zur sprunghaften Handlung des dadurch nicht unbedingt leicht konsumierbaren Films, dem es gelang, dank seiner aus heutiger Sicht unspektakulären Nackt- und Sexszenen und seiner daraus resultierenden Zensurgeschichte Unmengen an Zuschauern ins Kino zu locken und mit soziokulturellen und politischen Fragen zu konfrontieren. Die Verzahnung von gesellschaftlichen und politischen Fragen mit Sexualität ist ein typisches Kind ihrer Zeit, als die sog. ‘68er die sexuelle Befreiung vorantrieben und ebenso zum Politikum machten wie moralische Instanzen jeden Vorfall vermeintlicher Unzucht, Obszönität etc. Doch ebenso wie es heutzutage befremdlich wirkt, Polit-Magazine jener Ära mit nackten Tatsachen auf dem Titelblatt zu erblicken, die jedem Softporno-Blättchen zur Ehre gereichen, so inkohärent erscheint ein Film wie „Ich bin neugierig – gelb“ vor allem sicherlich für jene, die die damalige Zeit nicht miterlebt haben. Zweifelsohne ist Sjömans Film ein wertvolles Zeitdokument, das nicht nur davon zeugt, wie die persönliche sexuelle Befreiung nicht selten einherging mit der Infragestellung gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Konventionen und einem allgemeinen Freiheitsdrang. Der Film irritiert gerade auch deshalb, weil viele der angesprochenen Themen noch immer hochaktuell scheinen, während die sexuelle Revolution zu großen Teilen abgeschlossen scheint. Vor diesem Hintergrund wirken die politisch relevanten Themen neben Lenas exemplarischen Körperlichkeitserkundungen beinahe stiefmütterlich behandelt, nur oberflächlich angerissen, von teils erfrischender, teils entlarvender Naivität. Dies mag exakt so gewollt gewesen sein, schließlich war Sjöman trotz seiner überlieferten Identifikation mit dem revolutionären Geist jener Ära durchaus der Selbstreflektion und -ironie fähig, doch dürfen sowohl die Brisanz als auch der Unterhaltungsfaktor dieser Herangehensweise angezweifelt werden – was bleibt ist ein absichtlich tendenziös und verfälscht zusammengeschnittenes semidokumentarisches Dokument von kaum empirischem Wert. Und wie sich im Anschluss an die sexuelle Revolution herausstellte, wurde diese auch gern als Deckmantel für knallharten Sexismus, Missbrauch Schutzbefohlener etc. missbraucht, woran unschöne Erinnerungen wach werden, wenn man Sjöman sich hier an seine Schauspielerinnen heranmachen sieht – womit ich ihm allerdings keinesfalls etwas unterstellen möchte.

Dass er sich seiner – interessanterweise je nach Staat unterschiedlich gewichtet in Bezug auf den sexuellen oder politischen Zündstoff des Films – Skandale provozierenden Wirkung seines Films sehr bewusst war, darauf deuten bereits Verulkungen der Filmzensur hin, die Bestandteil des fertigen Films sind. Ob er allerdings geahnt hatte, mit seinem Werk die sexuelle Revolution auf der Leinwand derart voranzutreiben, sei einmal dahingestellt. Fakt ist, dass die behördliche Auseinandersetzung mit „Ich bin neugierig – gelb“ dazu zwang, vorhandene Regularien und Gesetze infrage zu stellen und Präzedenzfälle schuf, Exempel statuierte – und die Tür für zahlreiche folgende Filmschaffende weit aufstieß. Die filmhistorische Bedeutung ist also gar nicht hoch genug einzuschätzen. Alles andere als alltäglich dürfte auch der Mut zur unbeschwerten Nacktheit seiner Hauptdarsteller gewesen sein (Börjes Freizügigkeit als Mann war übrigens ein schwedisches Novum und dort ein weit größerer Skandal als Lenas Treiben), die durch ihre Natürlichkeit trotz mitunter voyeuristischer Kameraführung tatsächlich und absichtlich nur bedingt für einen Erotikfaktor sorgen – wobei dieser natürlich überaus subjektiv empfunden wird. Von der gewohnten Ästhetik auf Sex und Erotik gebürsteter Filme und der damit oft einhergehenden Künstlichkeit sind sie jedenfalls meilenweit entfernt.

Nun würde es aber schlicht an Selbstverleugnung grenzen, würde ich behaupten, „Ich bin neugierig – gelb“ genossen zu haben wie einen gut gealterten Klassiker, denn das ist er nicht. Er ist alles andere als zeitlos, sondern seiner Machart und seinen Inhalten geschuldet eng mit seiner Entstehungszeit verknüpft und trotz eines gewissen spitzbübischen Charmes kein Stück für Liebhaber des Kinos, sondern vielmehr als soziokulturelles Dokument zu filmhistorischen und gesellschaftlichen Forschungszwecken o.ä. interessant. Von dieser Warte habe ich den Film betrachtet und freue mich, mit meiner chronologischen Aufarbeitung der spannenden Geschichte des erotischen Kinos mittlerweile im Jahre 1967 angelangt, auf die ersten Versuche, bewusst erotisches Kino unter Auslotung der von schwedischen Freizügigkeitspionieren wie Bergman, Sjöman & Co. sowie Genre-Regisseuren wie Jess Franco gesprengten Grenzen zu schaffen, dem es gelingt, einen inhaltlichen und/oder ästhetischen Anspruch zu wahren und prächtig als Unterhaltungsfilm zu funktionieren – ahne aber, dass es bis dahin noch ein weiterer Weg sein wird.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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