At Midnight I'll Take Your Soul - José Mojica Maris (1964)

Moderator: jogiwan

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jogiwan
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At Midnight I'll Take Your Soul - José Mojica Maris (1964)

Beitrag von jogiwan »

At Midnight I'll Take Your Soul

Bild

Originaltitel: À Meia-Noite Levarei Sua Alma

Herstellungsland: Brasilien / 1964

Regie: José Mojica Marins

Darsteller: José Mojica Marins, Nivaldo Lima, Magda Mei, Valéria Vasquez, Ilídio Martins Simões

Story:

Der sadistische Leichenbestatter Zé ist ein höchst unangenehmer Zeitgenosse, der mit seiner gewaltbereiten Art und ungewöhnlichen Ansichten, Angst und Schrecken unter seinen erzkonservativen Mitbürgern verbreitet. Als ihn seine eigene Frau keinen Nachkommen schenken kann, beschließt er diese zu ermorden, um sich an die hübsche Terezinha heranzumachen. Diese ist jedoch schon Antonio versprochen, der ebenfalls von Zé aus dem Weg geräumt wird. Der Leichenbestatter vergewaltigt das junge Mädchen, das vor ihrem Selbstmord grausame Rache schwört und tatsächlich scheint es für den Sadisten schon bald das letzte Stündlein geschlagen zu haben...

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jogiwan
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Re: At Midnight I'll Take Your Soul - José Mojica Maris (196

Beitrag von jogiwan »

Erster Teil der hierzulande als "Coffin Joe" bekannten Filmreihe mit einem sadistischen Leichenbestatter namens Zé Do Caixão, der von Regisseur José Mojica Marins auch herrlich böse verkörpert wird. Der Film selbst ist recht originell, in Schwarzweiß und überrascht durch einige Härten. So eine abgrundtief böse Figur kommt einem ja nicht alle Tage unter und so ist es wenig verwunderlich, dass die Figur trotz vermeintlichen Ableben am Ende einige Jahre später für "This Night I´ll possess your Corpse" wieder reaktiviert wurde. Der 1964 entstandene Streifen macht durchaus Laune und erinnert wohl nicht von ungefähr an klassische Horrorfilme der Universal Monsters. Was dem Ganzen vielleicht technisch fehlt, macht Maris durch seine Performance locker wett. Ein guter Auftakt!
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Salvatore Baccaro
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Re: At Midnight I'll Take Your Soul - José Mojica Maris (1964)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Müsste ich eine Liste von all den Filmen anfertigen, die ich mir seit Anfang des Jahres besah, und sozusagen die Rosinen herauspicken, wäre À Meia-Noite Levarei Sua Alma wohl mit Sicherheit unter denen, die ich am meisten anpreisen würde. Dieser Film ist eine wahre Offenbarung und womöglich hat er mich gerade deshalb, dass ich ihn mir völlig unvorbereitet und unvoreingenommen zu Gemüte führte, nämlich mit nichts weiter als dem Wissen, dass es sich um einen brasilianischen Kultfilm der 60er handeln soll, zutiefst überrascht, verstört und nicht zuletzt entzückt. Allein wenn ich mir vergegenwärtige, dass dieses Schauerstück im Jahre 1964 in Brasilien produziert worden ist, d.h. noch Jahre bevor im gleichen Staate solche politisch wie künstlerisch progressiven Künstler wie Caetano Veloso oder Gilberto Gil ins Exil oder ins Gefängnis geschickt wurden, in einer durch und durch katholischen Militärdiktatur, voller Zensureingriffe in die Bürgerrechte und großangelegter Säuberungsaktionen, kann ich es kaum für möglich halten, dass es Marins überhaupt fertibrachte, ein solches gewagtes, nahezu avantgardistisches Projekt auf die Beine zu stellen - und damit sogar nicht nur durchzukommen, sondern sich in der Folge als Medienpersönlichkeit zu etablieren, die alsbald einen derartigen Status in der Popkultur des Landes genoss, dass Marins mit einer eigenen Fernsehshow, einem eigenen Coffin-Joe-Song sowie bspw. einer namentlichen Erwähnung auf dem ersten Os-Mutantes-Album beschenkt wurde.

Coffin Joe, oder Zé do Caixao, was für den im Portugiesischen Bewanderten letztlich in etwa auf das Gleiche hinausläuft, ist jene Figur eines sadistischen, nihilistischen Totengräbers, von der Marins sich zeitlebens nicht mehr wirklich trennen sollte - selbst wenn er in Filmen wie FINIS HOMINIS von dem altbekannten Pfad ausscherte, ist seine Person doch bis in das neue Jahrtausend hinein eng mit jenem Charakter verbunden, dem er 1964 das erste Mal Leben einhauchte. Schon der Auftakt des Films macht dabei unmissverständlich klar, was einen erwartet: nach einem kurzen, aber ausdrucksstarken Monolog Marins, der, direkt in die Kamera blickend, eine seiner nihilistischen Weisheiten von sich gibt, findet man sich in einer Hexenküche wieder, die zu gleichen Teilen aus europäischen wie südamerikanischen Mythenversatzstücken vollgepfropft scheint. In ihr: eine klassische Voodoo-Hexe, die uns, die Zuschauer, eindringlich vor dem Film warnt, der auf uns zukommt. Das Witzige dabei ist, dass diese Dame letztlich Recht behalten wird. Untermalt mit gar schauderhaften Soundeffekten, die auf einen einschlagen wie eine Peitsche, dazu die grobe, den gesamten Film durchziehende Schwarzweißästhetik und die ruppigen, harten Schnitte, die dem Werk eine zusätzliche formale Härte verleihen, ist diese Eröffnungsszene schon einmal ein guter Vorgeschmack auf die kommenden siebzig Minuten, in denen Marins ein Gewaltspektatkel lostritt, das sowohl in seinen physischen wie auch psychischen Grausamkeiten im zeitgenössischen Kino seinesgleichen sucht.

Ich meine, wer denn könnte Marins das Wasser reichen, wenn der Frauen aufs Blutigste verprügelt und vergewaltigt, Ärzten, die zu viele Fragen stellen, mit seinen langen, hier wohl noch künstlichen, sptäer echten Fingernägeln die Augen aus den Höhlen sticht oder seinen besten Freund, um in den Besitz von dessen Eheweib zu gelangen, in einer quäelnd langen Sequenz in der Badewanne ertränkt? Nicht nur dass solche Szenen technisch nicht mal sonderlich trashig umgesetzt wurden, hinzukommt ihre unglaubliche Kompromisslosigkeit. Marins blendet nicht weg, verschweigt nichts, zeigt alle Gräuel so realistisch wie möglich, ohne die comichaften Verzerrungen eines Gordon Lewis oder die verhältnismäßige Zahmheit bzw. Überstilisierung der frühen Hammer-Filme. Gemeinsam mit der schon erwähnten Ästhetik und Atmosphäre, die kaum Rundungen, weiche Stellen kennen, sondern ausschließlich Ecken und Kanten, an denen man sich schmerzhaft stößt, ergeben das Attacken auf die Belastbarkeit der Zartbesaitesten, wie sie die Greisin des Vorspanns vollmundig versprochen hat.

Freilich ist À Meia-Noite Levarei Sua Alma nicht einfach bloß eine stumpfe Splatterorgie ohne Sinn und Verstand. Marins packt seine Grand-Guignol-inspirierten Todesszenen in eine durchweg unterhaltsame, ziemlich schräge Story, die ihre Einflüsse im Grunde überallher nimmt. In manchen, gotisch anmutenden Szenen scheint Marins geradezu auf die klassischen Horrorfilme der Universal Studios der 30er verweisen zu wollen. Unterstützt wird er darin von der Tatsache, dass, soweit ich richtig zählte, lediglich zwei Szenen NICHT in einem winzigen Studio aufgenommen worden sind, dessen Beengtheit eine klaustrophobische Grundstimmung nur noch fördert. Marins versteht es geschickt, die dürftigen Produktionsbedingungen für sich zu nutzen und nicht zum Hindernis werden zu lassen. Ähnlich wie Jahre später Romero in NIGHT OF THE LIVING DEAD ist die vermeintliche "Billigkeit" des Films einer der Aspekte, die ihm schlussendlich zugutekommen. Andererseits, und das gilt vor allem für die Kneipenszenen, in denen Zé seinen Sadismus und Elitarismus an den unschuldigen Dörflern seines Heimatorts auslässt, komme ich nicht umhin, Spuren von (Italo-)Western auszumachen, was nur so lange verwundert bis man festgestellt hat, dass zu Marins Frühwerken tatsächlich einige Genre-Filme gehören - und zuletzt darf Lokalfolklore genauso wenig fehlen wie Versatzstücke des Christentums, die, ob nun vom Zensor gefordert oder nicht, mit den Traditionen der integren Bevölkerung Brasiliens verbunden beinahe so etwas wie einen Kommentar zu der spirituellen Verfasstheit des Provinzlebens der frühen 70er abgeben.

Da À Meia-Noite Levarei Sua Alma ein Film ist, der sich bewusst zwischen alle Stühle setzt und nichts wirklich und alles ein bisschen, darin aber unfassbar großartig ist, und eben nicht zu einem bloßen Flickenteppich an Ideen wird, verträgt er es auch, in der Figur Zés eine philosophische Seite einverleibt zu bekommen, die für manchen Zuschauer vielleicht noch schwerer zu ertragen sein wird als die reinen Gewaltdarstellungen. Zé stellt sich gegen jegliche Tradition, gegen jegliche überlieferten Werte. In einer Konsequenz, die sowohl an Stirner, Cioran wie an de Sade und den modernen Satanismus eines La Vey erinnert, setzt er sich über alles hinweg, was die Gesellschaft ihren Individuuen normalerweise von Geburt an sorgfältig einimpft. Das Christentum ist ein bloßes Symbol, sagt er, und er verlacht den gekreuzigten Christus im Hause seines besten Freundes ebenso wie die fromme Osterzeremonie, zu deren Provokation er am Heiligen Sonntag ein Lamm verzehrt - gerade in einem Land wie Brasilien, das sich Anfang der 60er noch nicht ansatzweise so von religiösen Empfindsamkeiten entfernt hatte wie die westliche Welt, muss das ein unfassbarer Affront gewesen zu sein. Ansonsten legitimiert Zé alles, sofern es ihm selbst dient. In gewisser Weise verwirklicht er sich darin nicht, er ist einfach der, der er ist, einzig der Doktrin folgend, dass sein persönlicher Egoismus das Maß aller Dinge sein muss. Nur einen Glauben hat er - und damit fällt er dann doch aus Stirners Denk-Rahmen -, nämlich den an die Macht des Blutes. Sein Blut, das er als heilig empfindet, soll es sein, das in seinem Sohn weiterpulsieren soll, um dort den Grundstein zu legen für eine neue Menschenrasse: Nietzsches Übermenschentheorie lässt grüßen, jedoch eindeutig gekoppelt mit einer biologistischen Komponente, die es nicht schwer macht, Zés Ideologie im (proto-)faschistischen Lager zu verorten. Für ihn ist die Aristokratie des Geistes, zu der er sich unmissverständlich zählt, eng verknüpft mit einer Aristokratie des Blutes. So wie der italienische Vordenker des Faschismus, Julius Evola, scheint er von der Existenz einer metaphysischen Rassenseele überzeugt zu sein. Er kann nicht wildfremden Menschen als Lehrmeister dienen und sie in seinen Nihilismus einweihen: es muss sein eigenes Fleisch und Blut sein, das sein Wirken fortsetzt. Das wahre Wunder des Films: Zé ist zugleich sympathisch und unsympathisch dargestellt, sowohl "cool" wie auch "abstoßend", eine Figur voller Ambivalenzen, vielschichtig und - eben - menschlich.

Herzstück des Films ist indes Marins minutenlanger, schnittloser Monolog, wenn er sich in seinem Eigenheim zu dem dröhnenden Sound eines Gewitters regelrecht in Ekstase agiert. In gnadenlosem Overacting, theatralisch bis an den Rande des Erträglichen, liefert Marins hier eine schauspielerische - und filmische - Höchstleistung ab, in der seine Figur zwischen Überheblichkeit, Wahnsinn, tiefer Verzweiflung und unstillbarem Trotz hin und her pendelt. Marins Filme sind, das wird in diesem Finale klar, welche, die an bestimmten, schwer zugänglichen Schnittstellen liegen, was ihre Rezeption für jemanden, der in Genres, Stilen oder ähnlichen einschränkenden Kategorien denkt, wohl eher erschwert. Ähnlich wie Jean Rollin, der Poesie und Porno verbindet, oder Argento, bei dem das Gleiche für Splatter und Arthouse gilt, ist À Meia-Noite Levarei Sua Alma vieles zeitgleich und nie nur etwas Bestimmtes: ein politischer Kommentar, eine Umwertung aller Werte, ein spannender Horrorschocker, ein amüsanter Genre-Mix, der erste ernstzunehmende Splatterfilm, die One-Man-Show einer der faszinierendsten Gestalten des Horrorfilms, eines Totengräbers, in dem sich Nietzsche, Dracula, de-Sadescher-Libertinismus und Comic-Figur zu einer explosiven Mischung vereinen.
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jogiwan
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Re: At Midnight I'll Take Your Soul - José Mojica Maris (196

Beitrag von jogiwan »

jogiwan hat geschrieben: So 1. Jul 2012, 09:58 Erster Teil der hierzulande als "Coffin Joe" bekannten Filmreihe mit einem sadistischen Leichenbestatter namens Zé Do Caixão, der von Regisseur José Mojica Marins auch herrlich böse verkörpert wird. Der Film selbst ist recht originell, in Schwarzweiß und überrascht durch einige Härten. So eine abgrundtief böse Figur kommt einem ja nicht alle Tage unter und so ist es wenig verwunderlich, dass die Figur trotz vermeintlichen Ableben am Ende einige Jahre später für "This Night I´ll possess your Corpse" wieder reaktiviert wurde. Der 1964 entstandene Streifen macht durchaus Laune und erinnert wohl nicht von ungefähr an klassische Horrorfilme der Universal Monsters. Was dem Ganzen vielleicht technisch fehlt, macht Maris durch seine Performance locker wett. Ein guter Auftakt!
Gestern die Scheibe aus der neuen Arrow-Box geguckt und "At Midnight I'll take your soul" ist wirklich überraschend kompromisslos und unser sadistischer Sarg-Josef macht hier im Verlauf einer sehr wilden Handlung auch wirklich keine Gefangenen. Auf der Suche nach einer weiblichen Brutstätte für seinen männlichen Nachkommen sind ja nicht einmal die engsten Freunde safe und Frauen haben diesbezüglich sowieso gleich noch weniger zu melden. Doch jedes Mal, wenn man meint, dass es der Film mit seiner nihilstischen Botschaft hemmungslos übertreibt, kommt wieder einer, der doch etwas Menschlichkeit des bärtigen Sargtischlers durchblitzen lässt. Hübsch auch die Anti-klerikale Botschaft und das infernalische Ende, in dem dann wieder etwas Gerechtigkeit hergestellt wird. Eine knallbunte Wuntertüte in Schwarzweiß mit einem der wohl bösesten, wildesten, wilden Bösewichter aller Zeiten.
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