Der letzte Wagen - Delmer Daves (1956)

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Maulwurf
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Der letzte Wagen - Delmer Daves (1956)

Beitrag von Maulwurf »

 
Der letzte Wagen
The last wagon
USA 1956
Regie: Delmer Daves
Richard Widmark, Felicia Farr, Susan Kohner, Tommy Rettig, Strephanie Griffin, Ray Stricklyn, Nick Adams, Carl Benton Reid, Douglas Kennedy, James Drury, Ken Clark


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DER LETZTE WAGEN beginnt mit einer Totalen auf eine überwältigende Fluss- und Gebirgslandschaft. Ein Mann steht im Vordergrund und erschießt einen anderen, der durch die Szenerie reitet. Und er geht auf Nummer Sicher, es wird ein zweites Mal geschossen, und sogar kontrolliert ob der andere tot ist. Wir sehen Richard Widmark als Schützen und ahnen bereits das große seelische Leid hinter dem Knautschgesicht. Andere Männer kommen und jagen Widmark, der aber erschießt einen von denen und schaut mitleidlos zu, wie der Tote von einer hohen Klippe herunterstürzt. Leider geht bei dem Aufprall das Gewehr des Toten kaputt, und Widmark hat keine Munition mehr, also ist Flucht angesagt. Flucht, bis sich eine bessere Gelegenheit ergibt. Einen der Verfolger wird Widmark noch töten, im Zweikampf Mann gegen Mann, mit dem Messer immer wieder rein in den Körper, und noch mal, und noch mal, bis sicher ist, dass da kein Quäntchen Leben mehr vorhanden ist. Der letzte Verfolger kann Widmark dann gefangen nehmen. Er bindet ihn an ein Lasso und schleift ihn durch die Gegend bis er einen Siedlertreck in der Ferne sieht. Widmark wird an einen Baum gebunden, wir wissen mittlerweile, dass Widmark seit drei Tagen nichts mehr gegessen und getrunken hat, und der Mann, wäscht sich vor Widmarks vertrockneter Zunge die Haare mit seiner Wasserreserve.

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Was mir an DER LETZTE WAGEN so gefällt ist die Wucht, mit der er auf den Zuschauer einprügelt. Hier wird nicht vorsichtig erkundet oder zart angedeutet, Worte und Aktionen sind wie Hiebe. Männer werden zu Killern, selbst harmloseste Dinge werden unbarmherzig mit Faustschlägen geahndet, ja sogar Kinder und Frauen werden geschlagen. Das Gesetz des Stärkeren bricht sich Bahn und wird rücksichtlos und hemmungslos ausgelebt und durchgesetzt. Der Mann, der Widmark gefangen hat, Sheriff Bull Harper, behandelt diesen mit ausgesuchter Brutalität, weswegen die Siedler gegenüber Bull Harper ebenfalls keine Rücksicht kennen, denn der arme Mann, den Harper an ein Wagenrad gefesselt hat, dauert sie. Als nach einem Stelldichein im Mondenschein ein paar Männer und Frauen zurückkommen zum Treck stehen sie vor einem Massaker. Indianer waren da und haben jeden Lebenden getötet und alles zerstört. Comanchen-Todd, Widmarks Charakter, lebt noch, und wird nun befreit. Aber er ist doch ein dreckiger Indianer? Tötet ihn! Nein, er ist ein Mensch, er bleibt am Leben. Ich will ihn aber töten - Das hier haben uns die verdammten Rothäute angetan, und Todd muss dafür sterben! Das Gesetz der Rache als Triebfeder der amerikanischen Besiedlung …
Todd will raus aus dem Apachengebiet, und er ist bereit, jeden dort zurückzulassen der nicht auf seiner Seite ist. Er hat das Wissen und die Fähigkeiten aus der Sache rauszukommen, und wer nicht für ihn ist, ist gegen ihn - Bis heute ein Leitsatz US-amerikanischer Politik. Denn nur darum geht es in diesem Film: Comanchen-Todd, der als einziger die Erfahrung und die Härte besitzt um lebend aus dem Indianergebiet herauszukommen, muss ein paar Siedler auf diesem steinigen Weg mitnehmen, die ihm größtenteils nicht wohlgesonnen sind. Ist er doch ein Weißer der die Seinen verraten hat, so heißt es. Ein halber oder vielleicht sogar ganzer Indianer. Ein Roter. Ein Wilder. Und die sind tot immer noch am ehesten zu ertragen. Um seine selbstgewählte Aufgabe zu erfüllen opfert Widmark sich sogar selber und liefert sich der US-Kavallerie aus, die zwar sehr wohl als Retter in der Not auftritt, aber gleichzeitig eben auch als Henker agiert, und den Kampf mit den Indianern aus guten Gründen sogar scheut. Keine Demonstration der Stärke im Sinne von John Ford, sondern ein Verstecken und Überleben im Sinne des gesunden Menschenverstandes. Und auch hier ist der Rote, der Wilde, wieder der rettende Anker in der Situation, und er lebt seine Stärke bedingungslos aus. Ein wildes Land, das nur mit Gewalt gezähmt werden kann.

Die Charaktere sind kompromisslos bis zur Selbstopferung, und bereits in harmlosen Dialogen werden Wahrheiten erklärt, die anderswo lieber unter dem Tischtuch bleiben. „Er hat mehr Menschen umgebracht als Du Sommersprossen hast“ heißt es über Widmarks Charakter, und die Antwort folgt auf den Fuß: „Ich habe keine Sommersprossen.“ Hier ahnen wir bereits, dass die Wahrheit hinter den Faustschlägen eine andere ist als die, die uns in den ersten Minuten in voller Breitseite entgegengebrüllt wird. Und „Es hat schon immer zwei Apachen gebraucht, um einen Komantschen zu töten“ leitet einen Kampf zwischen Widmark und zwei Apachen ein, der in Brutalität und Gnadenlosigkeit einem sehr späten Italo-Western in Nichts nachsteht. Die wenigen Momente, in denen Gefühle zugelassen werden, werden sofort bestraft: Der kleine Billy, der bei der Kaninchenjagd nicht aufpasst, landet fast unter dem Messer eines Apachen, und das zumindest als Romanze geplante Baden im Mondschein endet in einem entsetzlichen Blutbad. Ganz zum Ende erst, in den letzten Minuten des Films, erzählt Comanchen-Todd was ihm von den Männern, die ihn zu Beginn gejagt haben, angetan wurde Er schildert es in drastischen und realistischen Worten, und dem Zuschauer könnte bei der Schilderung schlecht werden, wenn Widmark erzählt, wie die Köpfe seiner Söhne unter den Absätzen der Männer zerstört wurden. Brutalität als Lebenszweck, Grausamkeit als vorherrschendes Momentum eines ganzen Films, ja einer ganzen sogenannten „Zivilisation“.

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Dazu die Cinemascope-Landschaft des Oak Creek Canyon in Arizona, welche die Unbarmherzigkeit der Umgebung in fast jeder Sekunde in lodernden Flammen vor die Augen des Zuschauers hält: Wenn Du in dieser Landschaft verweilst wirst Du sterben. Dies ist der Garten des Todes, und seine Schönheit ist die Schönheit des Untergangs. Die Musik bläst diesen Untergang in schmetternden Blechtönen, die immer nur voran voran voran schreien. Greif an, gib nicht auf, töte, sagen die Bläser, und die Figuren werden von der kriegslüsternen Musik unerbittlich vorangetrieben.

DER LETZTE WAGEN ist ein-druck-svoll und beein-druck-end. Die durchschnittliche Länge einer Einstellung beträgt 6,7 Sekunden, und mit diesem Tempo prügelt er seine zutiefst menschliche Botschaft auch dem letzten Rassisten um die Ohren, auf dass es alle begreifen: Es gibt keine unterschiedliche Rassen, nur gute und böse Menschen. Und die bösen Menschen, die können lernen und begreifen. Sie können zu guten Menschen werden, wenn sie nicht vorher sterben. Die oft flachen und stereotypen Charaktere sind Staffage für einen Richard Widmark, der zwischen Gut und Böse, zwischen Yin und Yang, zwischen Rot und Weiß pendelt wie ein Gummiball, und der den Film fast im Alleingang stemmt. DER LETZTE WAGEN ist ein B-Movie aus der silbernen Zeit der Hollywood-Western, und er bläst einem das Gehirn weg als ob Sergio Leone persönlich produziert hätte. Großes (B-) Kino mit Botschaft. Ein Film wie ein Faustschlag ins Gesicht, der die Sicht öffnet für Neues.

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Der Text ist einem früheren Forenkollegen aus dem Raum Frankfurt gewidmet, der mir mühsam und über einen längeren Zeitraum hinweg beigebracht hat, dass der US-amerikanische Western mitnichten immer nur sauber und harmlos war, sondern dass Grausamkeit und Hinterlist auch hier bereits ausgiebig dargestellt wurden. Und dass der von mir so geliebte Italo-Western weder den Schmutz noch die Brutalität erfunden hat. Lange hat es gedauert, aber mittlerweile habe ich es begriffen. Danke!

8/10
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Jack Grimaldi
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