Orlacs Hände - Karl Freund (1935)

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Maulwurf
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Orlacs Hände - Karl Freund (1935)

Beitrag von Maulwurf »

 
Orlacs Hände
Mad love
USA 1935
Regie: Karl Freund
Peter Lorre, Frances Drake, Colin Clive, Ted Healy, Sara Haden, Edward Brophy, Henry Kolker, Keye Luke,
May Beatty, Sam Ash, Hooper Atchley, Agostino Borgato


Mad love.jpg
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OFDB

In der griechischen Sage erschafft Pygmalion eine Statue aus Marmor und nennt diese Galatea. Enttäuscht von den Menschen liebt er diese Statue über alles, und eines Tages erwacht sie in seinen Armen tatsächlich zum Leben und schenkt ihm einen Sohn.
MAD LOVE, das US-amerikanische Remake von Robert Wienes ORLACS HÄNDE, basiert auf diesem Stoff. Dr. Gogol, der geniale Chirurg, ist in die Schauspielerin Yvonne verliebt, doch als er erfährt, dass sie ihre letzte Vorstellung gibt, und danach mit ihrem Ehemann auf Flitterwochen fahren will, zerbricht etwas in ihm. Er organisiert sich die Wachsstatue aus dem Theater in dem Yvonne auftrat, lässt jeden Tag ihr Haar kämmen, und spielt abends im trauten Heim Orgel für seine geliebte Galatea.
Yvonne wartet derweil vergeblich am Bahnhof auf ihren Gatten Stephen Orlac, der von einem Auftritt zurückkommen wollte. Orlac ist ein gefeierter Pianist, doch in dieser Nacht trifft ihn das Schicksal: Der Zug in dem er sitzt verunglückt, und seine Hände werden zerstört. Ausgerechnet Dr. Gogol sieht eine Möglichkeit: Er könnte die Hände des jüngst hingerichteten Messermörders Rollo verwenden, damit Orlac auch weiterhin Klavier spielen kann. Auf Bitten seiner geliebten Yvonne ist er bereit dies zu tun, und die Operation wird auch ein voller Erfolg. Doch wird sie das wirklich? Gogols Wunsch, dass Yvonne sich ihm damit annähert, wird durch ihre freundliche aber bestimmte Abwehr grausam zerstört, und gleichzeitig hat Orlac kein musikalisches Gefühl mehr in seinen Händen. Doch Messer werfen, dass kann er gut. Genauso gut wie Rollo! Orlac, der nicht weiß, dass seine Hände gar nicht seine eigenen Hände sind, beginnt bereits dem Wahnsinn anheim zufallen, als er ein Treffen hat. Mit Rollo …

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MAD LOVE ist ein schönes Beispiel dafür, was man aus einem großartigen Film, der viele existenzielle Fragen aufwirft, und mit einer wunderbar düsteren und unheimlichen Atmosphäre aufwartet, in einem Remake machen kann: Ein Zauberwerk an pulpiger Action, an kitschigen Dialogen und an lächerlichen Nebenfiguren. Einen Groschenroman, der gerne große Literatur wäre. Tatsächlich ist bis zu einem bestimmten Punkt das einzige positive, was man über MAD LOVE sagen kann, der Umstand, dass der Film, trotzdem er ein amerikanischer Film ist, in Frankreich spielt. Dadurch konnte Regisseur Karl Freund eine altertümlich und geradezu gotisch anmutende Architektur einsetzen, die dem Film sehr viel Flair gibt und ihn fortbringt von einer modernen und hektischen Stimmung, die er in der Art-Deco-Hölle der USA im Jahre 1935 unweigerlich bekommen hätte. So aber sehen wir dunkle Säulenhallen, Pferdekutschen, und alles wirkt einfach ein wenig … altertümlich. Fast an Richard Oswalds ALRAUNE erinnernd. Oder an eine Geschichte von H.P. Lovecraft …

Aber ich schreibe Bis zu einem bestimmten Punkt, und das meine ich auch so. Die ersten 45 Minuten sind oft schnell und oberflächlich (zumindest im Vergleich zum Original), und der rasende Reporter zieht die Geschichte mit seiner idiotischen Komik und seinem Yankee-Slang mindestens genauso nach unten wie der Journalist in DAS ZWEITE LEBEN DES DR. X. Eine Figur, die in den damaligen (Horror-) Filmen gern und oft eingesetzt wurde um durch das Comic Relief den Schrecken zu mildern, die aber aus heutiger Sicht viel grauenhafter wirkt als die Monster und Unholde. Genauso wie die ständig betrunkene Haushälterin von Dr. Gogol, die mit ihrem Papageien auf der Schulter wie eine Hommage an W.C. Fields wirkt, und merkwürdigerweise kommt es, wenn die beiden dummen und überflüssigen Figuren zusammentreffen, tatsächlich zu einer funktionierenden und komischen Szene, die den Rhythmus des Films nicht zerstört …

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Aber so etwa nach 45 Minuten kommt eben dieser Punkt - Die Lichter gehen aus und das Grauen beginnt. Auftritt Rollo in seiner bizarren Verkleidung (und natürlich ist jedem klar wer in Wirklichkeit dahintersteckt, aber darum geht es ja gar nicht – Die Wirkung dieser Figur ist phänomenal!). Orlac verliert sich immer mehr in seinen Wahnvorstellungen, und spätestens wenn Yvonne sich selbst begegnet verlässt MAD LOVE die Pfade des normalen Grusels und wird zu etwas psychotronischem. Peter Lorre begeistert als Dr. Gogol, mit Glatze und Glubschaugen, fast emotionslos, außer wenn er der schönen und mit einem verführerischen Augenaufschlag gesegneten Yvonne huldigen darf, und dabei ist er so ausgehungert nach Liebe und Berührung. Lorre agiert hier in seinem ersten amerikanischen Film, und angeblich hat er den Text phonetisch gelernt, weil er fast kein Englisch sprach. Vielleicht lag es auch daran, dass er zu Beginn des Films so steif wirkt in seiner Darstellung, aber irgendwie passt es zu diesem, vom Leben enttäuschten und unattraktiven kleinen Mann, der seine überbordende Liebe an eine Wachsfigur verschenkt, weil er sich anders nicht ausdrücken kann.
Und immerhin wird der Name Lorres im Vorspann vor dem Titel genannt. Zu Recht, denn was Lorre hier liefert ist eigentlich oscarreif. Lorre gibt dem Wahn ein Gesicht, das bei aller Obszönität unser Mitleid erhält, denn wir wohnen der Metamorphose des Menschen zum Monster bei, und selbst am Ende, wenn Dr. Gogol vollkommen den Verstand verloren zu haben scheint, erkennen wir dank der Kunst Lorres den einsamen und verlorenen Menschen. Während also Dr. Gogol nach und nach seinen Visionen erliegt, und gleichzeitig sein Assistent ihn selber medizinisch überflügelt (was er, im Liebesrausch gefangen, nicht einmal mehr merkt), steigert sich das Fiebrige und Wahnhafte des Films zu einem wahren Rausch und kulminiert letzten Endes in einem frühen Psychothriller. Die gute Handwerkskunst Karl Freunds, das grandiose Spiel Peter Lorres und die mächtigen Dekorationen ergänzen sich zu einem gotisch-überwältigenden Ganzen, das den viel zu redseligen und zerfasernden ersten Teil vollkommen auslöscht. Und es ist beileibe nicht die Polizei, die das Verbrechen am Ende aufhält, sondern Orlac, der kunstvoll ein Messer auf das Böse wirft und es tötet, nachdem Gogol lange Zeit seiner inneren Stimme lauschte, die da flüsterte „Jeder Mann tötet was er liebt“. Ob Orlac das auch so sieht, jetzt, wo er zwar nicht mehr Klavier spielen, dafür aber perfekt mit Messern umgehen kann …?

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