The Man Who Wasn’t There - Joel & Ethan Coen (2001)

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Maulwurf
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The Man Who Wasn’t There - Joel & Ethan Coen (2001)

Beitrag von Maulwurf »

 
The Man Who Wasn’t There
The man who wasn’t there
USA 2001
Regie: Joel Coen
Billy Bob Thornton, Frances McDormand, Michael Badalucco, James Gandolfini, Katherine Borowitz, Jon Polito,
Scarlett Johansson, Richard Jenkins, Tony Shalhoub, Christopher Kriesa, Brian Haley, Jack McGee


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OFDB

Die Coen-Brüder haben schon seit vielen Jahren einen Kult-Status unter Filmfans. Die beiden werden es in ihrem Leben wahrscheinlich niemals schaffen, einen Film an die Wand zu fahren, zu groß ist ihre Fangemeinde, zu ergeben sind die Zuschauer, sobald die beiden auch nur ein kleines Stückchen Zelluloid belichten bzw. Disk bespielen. Und zugegeben, Arbeiten wie FARGO, THE BIG LEBOWSKI oder BARTON FINK sind überragend, und haben das Kino in den Zeiten von STIRB LANGSAM-Klonen und Arnie-Vehikeln spürbar belebt.

Aber muss denn wirklich jeder, Verzeihung, Furz der beiden Ausnahmeregisseure beklatscht werden? Ist BURN AFTER READING wirklich ein großes Kunstwerk? (Antwort: Nein, sondern eine skurrile Komödie mit schwerem Hang zur Absurdität und einigen Längen, die Michel Gondry möglicherweise besser hinbekommen hätte.) Ist LADYKILLERS die ultimative Gaunerkomödie? (Antwort: Nur, wenn man das Original nicht kennt.) Oder eben THE MAN WHO WASN’T THERE. Ein Friseur in einer US-amerikanischen Kleinstadt der sehr späten 40er-Jahre. Ein unauffälliger Mann in einem unauffälligen Leben. Ein doofer kleiner Job, ein kleines Haus, eine trinkende Frau, die ihr völlig eigenes Leben führt und ihren Menne dabei ab und zu einbindet, ohne ihn aber wirklich zu integrieren. Ed Crane ist ein Beobachter: Er steht auf den Partys der Familie seiner Frau Doris und beobachtet die Absurdität der Menschen. Er steht im Friseursalon und beobachtet die Idiotie seines Schwagers und Kollegen. Und er schweigt. Er schweigt und er raucht.

Doch eines Tages begegnet er einem Mann, der eine vermeintlich tolle Geschäftsidee präsentiert: Trockenreinigung! Creighton Tolliver ist dick, kurzatmig, homosexuell, und könnte problemlos ein Schwindler sein, verlangt er von seinem stillen Partner doch immerhin 10.000 Dollar. Aber Ed sieht die Windigkeit dieses Mannes nicht, er sieht nur die Chance aus einem Leben herauszukommen, das ihn vollkommen unterfordert. Und da er weiß, dass Doris und ihr Chef, Big Dave, ein Verhältnis miteinander haben, erpresst er Big Dave um 10.000 Dollar. Eigentlich ein perfekter Plan, und Big Dave zahlt auch anstandslos, hat er doch keinerlei Ahnung dass sein guter Freund Ed dahinter steckt. Ed gibt das Geld an Tolliver, der verschwindet spurlos – Und Big Dave ist pleite, weil er für die geplante Geschäftserweiterung kein Geld mehr hat. Doris, die Geschäftsführerin hätte werden sollen, wird arbeitslos. Und Big Dave bekommt irgendwie heraus, dass Ed hinter der Erpressung steckt. Er will Ed zusammenschlagen, ja sogar töten, aber im Reflex wehrt Ed sich – und bringt Big Dave um. Ins Gefängnis kommt dafür aber nicht er – sondern Doris!

Soweit der gute Teil der Story. Ein geschickt und tiefgründig aufgebautes Psychogramm einer Kleinstadt in einer puritanischen Zeit, in der die Menschen ihre Gefühle nicht so freimütig ausleben konnten wie heute, und in der Wahnsinn und Kriminalität oft Hand in Hand gingen, zumindest wenn man den Filmen der damaligen Zeit glauben will. THE MAN.. spielt in Santa Rosa, und die Filmkenner wissen, dass 1943 genau in diesem Ort Joseph Cotton in einer schwarzen Rauchwolke in die Stadt kam und teuflische Dinge trieb, die der verliebten Teresa Wright einen Schatten des Zweifels auf die Seele zauberten. Auch jetzt geht wieder das Böse in Santa Rosa um, und die Verzahnung der Ereignisse, der Ablauf des Räderwerks, ist fast so unnachgiebig und stark wie in dem Klassiker vor über 70 Jahren. Nicht so mitreißend, auf keinen Fall, dafür ist THE MAN.. zu ruhig und überlegt inszeniert. Der Schrecken kommt hier auf sehr leisen Sohlen, und man muss schon gewaltig aufpassen dass man ihn nicht aus Versehen verpasst. Aber er ist da, und die ersten rund 60 bis 70 Minuten sind eine durchaus gelungene Hommage an die Noir-Klassiker der späten 40er. Da sitzt Big Dave im Halbschatten hinter seinem Schreibtisch und verbreitet das gleiche böse Flair wie Kirk Douglas in GOLDENES GIFT, und Freddy Riedenschneider badet in einem Dom aus Licht, der dem aus ADDRESS UNKNOWN in nichts nachsteht.

So weit, so gut. Diese rund 70 Minuten sind gutes und nicht unspannendes, wenngleich auch sehr ruhiges, Krimikino mit hohem Unterhaltungswert. Aber dann bricht sich urplötzlich die Idee Bahn, dass ein Film der Coen-Brüder ja bitte schön auch skurril zu sein hat. Dass ungewöhnliche Charaktere und verdrehte Ideen aufzutauchen haben, und den Film mit dieser speziellen Coen-Note bereichern müssen. Wie zum Beispiel eine hochschwangere Polizistin die dauernd Babykleidung strickt. Oder ein Toter der nicht sterben will. Oder Nihilisten. Im vorliegenden Film ist es eine vollkommen uninteressante Nebenhandlung um die junge Birdy, in der Ed eine kommende Klaviervirtuosin sieht, und die er unbedingt in Richtung einer vielversprechenden Karriere protegieren will, was allerdings nach dem Vorspielen bei einem berühmten Musiklehrer erstens in die Brüche, und zweitens Birdy an Eds Hose geht. Den Zusammenhang zu der eigentlichen Handlung muss mir allerdings erstmal jemand erklären, dafür bin ich zu doof. Ich hatte eher den Eindruck, dass die Laufzeit gestreckt werden soll …

So ist mir etwa auch die Gestalt des Anwalts Freddy Riedenschneider aufgestoßen, eine Verneigung an den von Sam Jaffe gespielten Doc Erwin Riedenschneider aus John Hustons ASPHALT-DSCHUNGEL. Die Figur ist eine so typische Coen-Figur, die kann nur in einem Kosmos existieren, der im Hirn dieser beiden entstanden ist. Realistisch ist Riedenschneider nicht einmal ansatzweise, im Gegensatz zu den besagten ersten 70 Minuten des Films. Was ja nichts Verkehrtes ist, doch mit Riedenschneider dreht sich der Grundton, und zusammen mit der Geschichte um Birdy plus dem Auftauchen von UFOs (Ein Verweis auf Roswell durfte in einem Film, der Ende der 40er spielt, halt einfach nicht fehlen - Hach wie skurril!) passt das einfach nicht mehr mit dem Anfang der Erzählung zusammen. Es mag sein, dass es ein Fehler war, aus Gründen der Müdigkeit THE MAN.. aufgeteilt auf zwei Stücke gesehen zu haben, aber ich hatte allen Ernstes das Gefühl, zwei völlig verschiedene Filme gesehen zu haben. Einen vernünftigen Krimi, der ordentlich dunkel und einigermaßen spannend rüberkam, und eine moderne Parodie auf alles, was in den späten 40ern und den frühen 50ern im amerikanischen Kino schief gelaufen ist. Weswegen möglicherweise genau dies der Unterschied ist zwischen einem harten Krimi von damals, in dem der Protagonist ein Leben voller Gewalt und Härte geführt hat, und der modernen Verballhornung desgleichen, in dem die Hauptfigur die anderen Menschen beobachtet, und dabei immer mehr aus der eigenen Existenz verschwindet. Wie Poes Der Mann in der Menge geht er gegen den Strom der Menschen und bezeichnet sich dabei selber als Geist, der von niemandem mehr wahrgenommen wird. Eine sehr starke und eindrückliche Szene, die so gar nichts mit dem albernen Getue der Coens zu tun hat, und zeigt, das die beiden richtig gute Filme machen könnten, wenn sie denn wollen. Was mich dann zu dem Gedanken bringt, dass ich THE MAN.. in seiner Mehrschichtigkeit vielleicht auch einfach nur nicht verstanden habe. Oder schlicht und einfach zu puritanisch bin …

Letzten Endes ist THE MAN WHO WASNT’T THERE über weite Strecken ein ordentlicher und ruhiger Krimi, das habe ich bereits geschrieben, und dabei bleib ich auch. Aber leider krankt der Film unter einem vollkommen unpassenden Schluss genauso wie unter dem Unwillen seines Regisseurs, ein ernsthaftes Sujet auch ernsthaft bis zum Ende durchzuhalten, und zwar ohne Ausfallschritte zur Burleske meinen machen zu müssen. Schade drum …

5/10
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Jack Grimaldi
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