The Vigil - Die Totenwache - Keith Thomas (2019)

Moderator: jogiwan

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Maulwurf
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The Vigil - Die Totenwache - Keith Thomas (2019)

Beitrag von Maulwurf »

 
The Vigil - Die Totenwache
The vigil
USA 2019
Regie: Keith Thomas
Dave Davis, Menashe Lustig, Malky Goldman, Lynn Cohen, Fred Melamed, Ronald Cohen, Nati Rabinowitz,
Moshe Lobel, Hershy Fishman, Lea Kalisch, Dun Laskey, Efraim Miller


The Vigil - Die Totenwache.jpg
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Die Grundidee ist gut und zugleich unheimlich: Durch eine schreckliche und böse Tat in seinem Leben hat Rubin Litvak, Überlebender aus Buchenwald, irgendwo in Osteuropa einen Dämon geweckt, der ihn sein ganzes Leben nicht mehr losgelassen hat. Der ihn immer begleitet und sein Leben zur Hölle gemacht hat. Nun ist Rubin Litvak tot, und der junge Yakov wird für 400 Dollar angeheuert, die Totenwache zu halten. Yakov war eigentlich ein lebensfroher und orthodoxer Jude, aber durch eine schreckliche Tat sind auch seine Erinnerungen vergiftet, ist seine Seele zerrissen, so wie es auch Rubin Litvak erging. Also findet sich Yakov, anstatt in den Armen der attraktiven Sarah, in einem düsteren Haus in Brooklyn mit einem aufgebahrten Toten wieder. Die demenzkranke Mrs. Litvak spukt durch die kaum beleuchteten Räume, und Yakov merkt schnell, dass da noch etwas ist. Etwas, was lebt. Und was hinter seiner eigenen, schreckliche Erinnerungen beherbergenden, Seele her ist.

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Die Grundidee ist gut und unheimlich. Ein Dämon, der sich bei Menschen, die an grauenhaften Dingen zu tragen haben, einnistet, und sich von deren Qualen ernährt. Und mir gefällt auch, dass man diesen Dämon nie wirklich sieht, eigentlich nur einmal richtig, und dass er dann aussieht wie Yakov. Denn es ist wohl so, dass das eigene Gewissen der grausamste Dämon aller ist. Ebenfalls gefällt mir, dass THE VIGIL sehr sehr ruhig aufgebaut ist, und das Böse nur ganz allmählich in den Film einsickert. Ein paar abgedroschene Schockeffekte können schnell als Reminiszenz an den gängigen Publikumsgeschmack der 20-Jahre des neuen Jahrtausends abgetan werden, und eigentlich wird die wenige Handlung in starken und dunkeln Bildern ruhig und gleichzeitig druckvoll vorangebracht. Eigentlich.

Denn irgendwie … hat es nicht richtig gezogen. Meine Gedanken sind oft abgeschweift, haben Subplots selbständig weitererzählt, haben mir erklärt dass heute noch das Abendessen vorbereitet werden muss und draußen die Sonne scheint. Der Film hat mich einfach nicht gepackt, ohne dass ich auf Anhieb sagen könnte woran es gelegen haben mag. Die Schauspieler sind in Ordnung, die Atmosphäre wunderbar gedrückt, der industrielle Klangteppich auf der Tonspur untermalt das minimalistische Geschehen erstklassig … aber irgendetwas fehlt. Die Aufregung vielleicht, welche die weit im Voraus angekündigten Schockmomente ein wenig ausmalen könnte? Eine explizite politische Komponente möglicherweise, die das Thema ein wenig vertiefen könnte? Nein, das wäre zu billig. Wahrscheinlich ist es einfach zu wenig, was Drehbuchautor und Regisseur in Personalunion Keith Thomas hier verkaufen möchte. Ein Toter unter einem Leichentuch in einem Wohnzimmer, argwöhnisch bewacht von einem Nervenbündel im Halbdunkel. Mehr hat es nicht (außer einer wundervoll sinnfreien aber liebevollen Szene die RAMBO perfekt hommagiert), und letzten Endes schaut man eigentlich immer nur auf das Leichentuch in der festen Erwartung, dass da irgendwann mal was zuckt. Und wenn es dann endlich soweit ist, dann kann man sich beruhigt zurücklehnen, man hat es ja schon lange vorher gewusst. Es gelingt Keith Thomas einfach nicht, die Klaustrophobie des Kammerspiels in adäquaten Druck und damit einhergehenden Horror umzusetzen. Einige Tage später habe ich dann GRETEL & HÄNSEL von Oz Perkins gesehen, und der hat eine ähnlich langsame Geschichte, die ebenfalls nicht mit Schocks sondern mit Atmosphäre arbeitet, erheblich stimmiger aufgebaut. Bei GRETEL & HÄNSEL sind Narration, Schnitt und Stimmung untrennbar miteinander verwoben und ergeben ein stimmiges Ganzes, das den Zuschauer zwangsläufig tief in den Film hineinzieht. Keith Thomas schafft das nicht – Zu betulich sind Grundaufbau und Durchführung der Geschichte, zu wenig magisch die Umsetzung.

Somit ist THE VIGIL ein netter Zeitvertreib für Nebenbei, aber ehrlich gesagt fehlt dem cineastischen Universum nichts, wenn man ihn nicht gesehen hat.

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5/10
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