Audition - Takashi Miike (1999)

Moderator: jogiwan

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Audition - Takashi Miike (1999)

Beitrag von buxtebrawler »

Audition.jpg
Audition.jpg (70.26 KiB) 138 mal betrachtet

Originaltitel: Ôdishon

Herstellungsland: Japan / Südkorea (1999)

Regie: Takashi Miike

Darsteller: Ryô Ishibashi, Eihi Shiina, Tetsu Sawaki, Kunimura Jun, Renji Ishibashi, Miyuki Matsuda, Toshie Negishi, Ren Ôsugi, Shigeru Saiki, Ken Mitsuishi, Yuriko Hirooka, Fumiyo Kohinata u. A.
Aoyama, ein reicher Geschäftsmann, sucht eine neue Freundin. Unter dem Vorwand, ein Casting zu veranstalten, lockt sein Freund, ein Fernsehproduzent, allerlei attraktive Kandidatinnen an, darunter die schöne Asami, die Aoyama wie die perfekte Verkörperung seiner Vorstellungen erscheint. Schon bald aber muß er erkennen, daß er sich mit der Beziehung zu der jungen Frau etwas zugemutet hat, was ihm über den Kopf wächst...
Quelle: www.ofdb.de
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Audition - Takashi Miike

Beitrag von buxtebrawler »

„In Japan sind alle einsam, nicht wahr?“

(Achtung, enthält Spoiler!)

„Audition“ ist ein nachhaltig erschütterndes Horrordrama des japanischen Regisseurs Takashi Miike („Ichi the Killer“) aus dem Jahre 1999, das in japan-südkoreanischer Koproduktion entstand. Jahre nach dem Tod seiner Frau beschließt der gutsituierte Witwer und souverän alleinerziehende Vater Aoyama (Ryô Ishibashi, „The Grudge – Der Fluch“), sich nach einer neuen Beziehung umzusehen. Ein befreundeter Filmproduzent veranstaltet zu diesem Zwecke ein fingiertes Casting, im Rahmen dessen Aoyama die junge, attraktive, fragile Asami (Eihi Shiina, „Tokyo Gore Police“) kennenlernt, die ihn mit ihrer nachdenklichen, leicht morbiden Art fasziniert. Doch welches Geheimnis verbirgt sie vor ihm? Wer ist sie wirklich? Aoyama ignoriert die Warnungen seiner Freunde und Bekannten und lässt sich auf Asami ein.

Zumindest diejenigen Zuschauer, die von „Audition“ knallharten Genrehorror erwarten, stellt Miike auf eine längere Geduldsprobe. Extrem ruhig und auch in seiner visuellen Umsetzung nüchtern, ohne jegliche nennenswerte Dynamik oder gar Hektik, lässt er Aoyama in seinem Alltag beobachten, fängt dessen gewohnte Einsamkeit und Introvertiertheit ein und überträgt diese auf sein Publikum. Diese lässt Aoyama und seinen Sohn sympathisch und seriös erscheinen, Aoyama bietet sich als Idenfifikationsfigur an – so bizarr es bei genauerer Überlegung auch erscheinen mag, dass er im Rahmen eines Pseudocastings zur Brautschau rief, um sich letztlich eine wesentlich Jüngere auszugucken. Stattdessen keimt die trügerische Hoffnung auf, dass sich tatsächlich zwei verletzte Seelen finden, um sich gegenseitig Kraft, Vertrauen und Glück zu schenken. Typisches Verhalten verunsicherter Verliebter wie banges Warten auf den erlösenden Anruf des/der Angebeteten fanden ebenfalls ihren Weg in den Film und sorgen bei sensibleren Gemütern gewiss für Wiedererkennungseffekte, die die Identifikationsmöglichkeiten mit dem Gezeigten erhöhen.

Der Zuschauer ahnt natürlich, dass mit Asami ganz gehörig etwas nicht stimmt und als sie plötzlich verschwindet, nachdem es intim wurde, stellt Aoyama auf eigene Faust Nachforschungen an. Er erfährt zusammenhanglos erscheinende Fragmente, die wenig Sinn ergeben, sich aber in grausigen Bildern in seinem Geist festsetzen. Die bisher vorherrschende Ruhe des Films wird durchbrochen, die Neugierde des Zuschauers steigt.

Mit einem Mal präsentiert sich „Audition“ wie ein japanischer Sicko und verstört mit entsetzlichen Folterszenen. Ein besonders hinterhältiger Kniff des Regisseurs ist es, die Ereignisse zwischenzeitlich lediglich der Alptraumwelt Aoyamas zuzuschreiben und das Publikum durchatmen zu lassen, nur um diese Illusion dann doch wieder einzureißen und mit der unerträglichen Gewaltorgie fortzufahren, die weniger durch ihre visuelle Umsetzung als vielmehr ihren psychologischen Wahnsinn schockiert. Diesen Wahnsinn unterstreicht Miike, indem er Asami am Ende einen poetischen Monolog in den Mund legt, der in seinem Kontext die Liebe wie etwas Perverses, Krankes erscheinen lässt.

Puh, ja, „Audition“ präsentiert sich – übrigens handwerklich tadellos – auf den ersten Blick wie ein desillusionierender Anti-Liebesfilm, ist vor allem aber ein Psychodrama, das Einblicke in angeschlagene, verletzte Seelen erlaubt, um diese übertrieben und exzessiv wiederzugeben. Aber Übertreibung veranschaulicht bekanntermaßen, in diesem Falle wie Kindheitstraumata das spätere Liebes- und Sexualleben beeinflussen bzw. zerstören können. Aber auch, wie sich die eigene Biographie auf die Partnerwahl auswirkt: Der eigentlich recht bieder wirkende Aoyama scheint unterbewusst Asami mit ihrer düsteren Gedankenwelt dazu zu benötigen, über den Tod seiner Frau hinwegzukommen. Möglicherweise erfährt er erst durch die Begegnung mit ihr, dass er ihn noch gar nicht verarbeitet, sondern lediglich verdrängt hat. In anderen Einschüben bekommt man Einblicke in entweder Aoyamas Erinnerungen oder Phantasiewelt – es ist mir nicht ganz klar – sexuelle Kontakte betreffend, die jeweils unbefriedigend für ihn ausfallen. Nicht nur Asamis Verhalten, auch wie Aoyama sich auf Asami fixiert hat etwas Manisches – wie eigentlich jeder Zustand des Verliebtseins. Ach ja, etwas zu schmunzeln gab es zwischenzeitlich auch, nämlich beim Casting. Aber daran wird sich nach Filmende vermutlich zunächst niemand mehr erinnern.

Dass der Film suggeriert, die Einsamkeit der beiden wäre in Japan keine Ausnahmeerscheinung, macht ihn umso erschreckender und animiert zu Vergleichen mit unserer westlichen, technologisierten und peudoindividualisierten Wohlstandsgesellschaft, in der Einsamkeit ebenfalls alles andere als ein Fremdwort ist. „Audition“ zeigt die dunkle Seite der Liebe zwischen zwei einsamen Menschen, statt sie romantisch zu verklären und bewegt damit vermutlich näher an der Realität als „Romantic Comedy“ und Konsorten. Liebe ist Schmerz.
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dr. freudstein
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Re: Audition - Takashi Miike

Beitrag von dr. freudstein »

Wie schon vom Peter Bark Fan angesprochen, mir dauerte das alles zu lange. Klar ist das beabsichtigt gewesen und macht das alles vielleicht auch ein bißchen unheimlicher, wenn man nach und nach erst den Charakter des Mädchen da kennenlernt und daraus sich ausmalen kann, was wohl noch passieren könnte.
Sicherlich sehr gut und kunstvoll umgesetzt, Psychjologen haben wohl auch ihre Freude dran, aber ich fand den ersten Abschnitt, den ruhigen Part zu lang. Das Finale entschädigt für alles und so kann ich immerhin
5/10 geben
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jogiwan
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Re: Audition - Takashi Miike

Beitrag von jogiwan »

Ich hab vor Jahren mal folgendes geschrieben:
der junge jogiwan hat geschrieben: Meiner Meinung nach wird hier keine "normale, lineare" Geschichte erzählt wird, sondern vielmehr der Film in 3 Teile zerlegt werden muss, was sich auch in der Farbgebung des Filmes bemerkbar macht:

Teil 1 ist die Einleitung - hier ist die Farbgebung "normal". Danach teilt sich jedoch der Film und zwar in 2 Visionen von Shigeharu: Einerseits die (für westliche Verhältnisse ebenfalls sehr seltsam und schockierend anmutende) perfekte Wunschvorstellung des Witwers an eine weibliche Gefährtin. Dieser Part ist in Blautönen gehalten und findet seinen Höhepunkt als die Frau unterwürfig und gefügig bittet von Shigeharu geliebt zu werden und mit dem Witwer schläft.

Danach ist Asami verschwunden und der Film kippt in das genaue Gegenteil, sozusagen das "worst case scenario" in punkto Erwartung an eine Beziehung. In Brauntönen bebildert stellt sich heraus, dass Asami nicht das schüchterne Mädchen ist, sondern eine eiskalte Psychopatin. Wobei die in Rückblenden erzählte Geschichte des missbrauchten Kindes die Erklärung des Mannes darstellen könnte. Gewalt "muss" in der heutigen Zeit immer eine Ursache haben und man sucht solange danach, bis man eine rationale Erklärung dafür hat...

Auch der Schluss ist seltsam und unterstützt (meiner Meinung nach) die Vermutung, dass es sich um eine Traumsequenz handelt. Asami liegt mit gebrochenen Halswirbel am Boden und spricht, was ebenfalls nicht möglich ist

Das war aber im Jahr 2005, die Sichtung noch ein paar Jahre zuvor und ich seh schon, dass der Film mal wieder im Player landen sollte...
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Re: Audition - Takashi Miike

Beitrag von buxtebrawler »

jogiwan hat geschrieben:Ich hab vor Jahren mal folgendes geschrieben:
Immer ganz schön, mal so alten Kram zu lesen :)
der junge jogiwan hat geschrieben: Auch der Schluss ist seltsam und unterstützt (meiner Meinung nach) die Vermutung, dass es sich um eine Traumsequenz handelt. Asami liegt mit gebrochenen Halswirbel am Boden und spricht, was ebenfalls nicht möglich ist
Hugh, der Doktor der Anatomie hat gesprochen! :lol:
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Re: Audition - Takashi Miike

Beitrag von jogiwan »

Unser Dr. Love a.k.a Pleasurestone kennt sich mit weiblicher Anatomie ja sicher besser aus, aber diese Szene schien mir schon eindeutig surrealistischer Natur... ;)
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Il Grande Silenzio
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Re: Audition - Takashi Miike

Beitrag von Il Grande Silenzio »

Nah am Meisterwerk und imho mit Abstand der beste Film von Vielfilmer Takashi Miike.

Geschickt wird man auf ein falsche Fährte gelockt, sorgsam werden die Charakter eingeführt, bevor Miike seine drastische Sichtweise zu Einsamkeit, aber auch von Abhängigkeit offenbart.

9/10
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jogiwan
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Re: Audition - Takashi Miike (1999)

Beitrag von jogiwan »

"Audition" ist ja schon ein sehr krasser Film, der einen Witwer mit den besten Absichten zeigt, der an die falsche Frau gerät, oder so ähnlich. Der Inhalt des delirierenden Streifens, der ruhig beginnt und infernalisch endet, lässt sich ja nicht wirklich festlegen und Miikes Streifen ist auch einer der Filme, der mich und mein Interesse für Filme seinerzeit nach dem Kinobesuch maßgeblich beeinflusst hat. „Audition“ knallt dem Zuschauer so ordentlich einen vor den Latz, das man hinterher wirklich nicht mehr weiß, wie einem geschehen ist und was als Film über die Liebe beginnt, lässt den Zuschauer direkt in die Abgründe der menschlichen Seele blicken und Regisseur Miike steht mit einem Grinsen hinter einem und verpasst uns genüsslich den letzten Stoß. Killekillekille!
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Re: Audition - Takashi Miike (1999)

Beitrag von buxtebrawler »

Erscheint voraussichtlich am 01.07.2016 bei Rapid Eye Movies noch einmal auf DVD:

Bild
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Re: Audition - Takashi Miike (1999)

Beitrag von buxtebrawler »

Erscheint voraussichtlich am 10.02.2023 bei Capelight Pictures noch eimal als Blu-ray/DVD-Kombination im Mediabook sowie auf separater DVD:

Bild Bild

Extras:
- 24-seitiges Booklet [Mediabook-exklusiv]
- Interview mit Takshi Miike
- Damaged Romance - Japankino-Experte Tony Rayns über AUDITION
- Audiokommentar von Miike-Biograf Tom Mes
- Kinotrailer

Quelle: OFDb-Shop
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