Das Attentat – The Man Standing Next - Woo Min-ho (2020)

Moderator: jogiwan

Antworten
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 2790
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Das Attentat – The Man Standing Next - Woo Min-ho (2020)

Beitrag von Maulwurf »

 
Das Attentat – The Man Standing Next
Namsanui bujangdeul
Südkorea 2020
Regie: Woo Min-ho
Lee Byung-hun, Lee Sung-min, Kwak Do-won, Lee Hee-joon, Kim So-jin, Seo Hyun-woo, Ji Hyun-joon,
Park Seong-geun, Park Ji-il, Lee Tae-hyung, Joo Suk-tae, Lee Do-guk


Das Attentat - The Man Standing Next.jpg
Das Attentat - The Man Standing Next.jpg (48.71 KiB) 79 mal betrachtet
OFDB

Aus der deutschen Wikipedia zur Geschichte Südkoreas im 20. Jahrhundert:

Als auch eine parlamentarisch basierte Regierung die Probleme [Südkoreas] nicht in den Griff bekam, putschte sich am 16. Mai 1961 das Militär unter der Führung von General Park Chung-hee an die Macht. Man ließ in der Folgezeit zwar Wahlen zu, diese blieben aber praktisch folgenlos. Wesentliche demokratische Rechte wie Meinungs- und Pressefreiheit blieben den Südkoreanern versagt. Unter Park Chung-hee entwickelte sich eine Militärdiktatur, Oppositionelle (meist Kommunisten) wurden gefoltert und ermordet.

Währenddessen machte Südkorea wesentliche wirtschaftliche Fortschritte. Eine enge Verbindung zwischen Politik und Wirtschaft ließ Großindustrien entstehen. Südkorea wandelte sich in dieser Zeit zu einem modernen, exportorientierten Industriestaat. Dadurch verbesserte sich auch der Lebensstandard der Südkoreaner. Das Bildungswesen wurde verbessert und breiteren Bevölkerungsschichten zugänglich gemacht, die sogenannte Saemaeul Undong (Neues Dorf Kampagne) verbesserte die Lage der Landbevölkerung. Park gilt daher gemeinhin als Architekt des wirtschaftlichen Aufschwungs. [..]

1968 und 1975 versuchten nordkoreanische Agenten, Park zu ermorden; dem zweiten Attentat fiel seine Frau zum Opfer. Sein Ende kam unerwartet am 26. Oktober 1979, als Park vom eigenen Geheimdienstchef Kim Jae-gyu erschossen wurde.
(1)

DAS ATTENTAT konzentriert sich auf die 40 Tage vor Kims Anschlag und seinen Wandel vom frisch gekürten Chef des Geheimdienstes mit Sendungsbewusstsein, hin zum politischen Mörder mit dem Gedanken, dass sein Befehlshaber, dem er seit 18 Jahren dient, einfach nur noch weg muss. Und sei es, weil er selber sonst bald sterben wird. Der Trigger für diese Wandlung ist sein Vorgänger Park, der in die USA gegangen ist um dort seine Memoiren als Buch zu veröffentlichen. Schonungslose Memoiren, ohne Geheimnisse. Das südkoreanische Regime ist empört und fordert, dass Park zurückkommt, bereut, Buße tut, und überhaupt am Besten ganz schnell stirbt. Kim schafft es immerhin, die Memoiren an sich zu bringen und damit eine Veröffentlichung zu vermeiden, aber sein eigener Stand innerhalb des Regimes leidet im Lauf dieser Affäre zunehmend, während sein Konkurrent, der Sicherheitschef Kwak, Oberwasser bekommt und ihn, Kim, zunehmend an den Rand drängt. Kwak ist ein großspuriger und aggressiver Mann, der auch mal eben ein oder zwei Millionen Aufständische in Busan mit Panzern plattmachen will, da sei doch nichts dabei brüllt er, und Park vertraut immer mehr diesem bäuerischen Henker anstatt dem intellektuellen Kim. Der daraufhin versucht mit Ruhe und Vernunft gegenzusteuern …

Kim wird also Chef des Geheimdienstes, des sogenannten KCIA. In dieser Position sollte er ja eigentlich erfahren sein in Dingen wie Intrigen und Verschwörungen, sollte wissen wie er Macht und Einfluss behalten, ja sogar steigern, und andere ausbooten kann. Stattdessen wirkt er wie ein müder Bürokrat und lässt sich wie eine Pappfigur auf einem Schachbrett herumschubsen, während andere, lauter schreiende Menschen, ihn übertönen. Seine Versuche, zu verhindern, dass Aufständische in Busan nicht von Flugzeugen der Luftwaffe zusammengeschossen werden, sind leise und einer modernen westlich orientierten Vernunft geschuldet – Vollkommen zwecklos, einem Militärmachthaber und seinem begeisterten Exekutor so etwas ausreden zu wollen, und natürlich auch kein Wunder, dass er mit solch einem Vorgehen seine eigene Stellung unterminiert. Die Figur des Kim wird damit irgendwann unglaubwürdig und unrealistisch, was dann zu der betont nüchternen und technokratischen Atmosphäre passt. Bloß, lässt sich damit Stimmung aufbauen?

Irgendwie erinnert mich die Handlung von DAS ATTENTAT oft an die letzten Jahre der DDR. Ein abgehobener Machthaber mit dem Rücken zur Wand, der an das militaristische Auftreten seiner Kumpels aus der Staatssicherheit glaubt, in einem Ambiente wie – Ja, wie DDR 1985. Die Einrichtungen, die Büros, das gesamte Interieur hat diesen Damals vor dem Krieg war alles besser-Touch, dieses bürokratische etwas, das aus Behörden vom Zeitgeist überholter Regime so gut bekannt ist.

Und genauso dröge und trocken, genauso verstaubt wie dieses Ambiente, so wirken auch Handlung und der größere Teil der Figuren. Park (der Präsident) ist ein macht- und geldgeiler alter Mann, der nach 18 Jahren Herrschaft plötzlich Angst hat abgesägt zu werden, und Kim (der KCIA-Chef) entdeckt nach 18 Jahren genauso plötzlich sein Gewissen und versucht den alten Mann abzusägen. Dagegen stehen fast comichaft überzeichnete Charaktere wie Kwak (der Sicherheitschef), der Treppen hinaufläuft als ob er dringend aufs Klo müsste, und jede halbwegs vernünftige Frage mit Gewalt beantwortet (bis hin zu der grotesken Szene, dass KCIA-Chef und Sicherheitschef gegenseitig versuchen die aufeinander gerichteten Pistolen aus der Hand zu schlagen, und sich gleichzeitig dabei zu verprügeln), oder Park (der Ex-KCIA-Chef), dessen Phantasie nicht dazu ausreicht sich auszumalen, dass die geplante Buchveröffentlichung gleichzeitig seinen Tod bedeutet, der aber viele Szenen mit einem überheblichen Machogehabe absolviert und nur selten einmal zeigen kann, dass er auch nachdenken kann. Was er als Geheimdienstchef eigentlich ganz gut draufhaben sollte …

Dazu kommt, dass die historischen Figuren leider oftmals die gleichen Namen haben, was aus Sicht des westlichen Zuschauers schnell zu Verwirrung führen kann: Es gibt zwei Parks, und neben der Hauptfigur Kim gibt es noch den Gouverneur Kim, in dessen Provinz Busan gerade Aufständische versuchen auszuprobieren, wie sich Panzer anfühlen die über Menschen hinwegfahren.
Von diesen Aufständen ist allerdings nichts zu sehen, und als Kim (der KCIA-Mann) in einem Hubschrauber über Busan fliegt brennen zwar ein paar (mutmaßliche) Barrikaden, aber von Unruhen oder gar Straßenschlachten, von bewaffneten Soldaten oder randalierenden Studenten ist rein gar nichts zu sehen. Die Straßen sind genauso leer und sauber wie Niederkaltenkirchen bei Nacht. Ein Umstand, der sämtliche Außenaufnahmen betrifft: Die Place Vendôme in Paris dürfte das letzte Mal im frühen 5. Jahrhundert so leer gewesen sein, doch im Jahr 1979 war dort bereits ein veritables Verkehrschaos, das weiß ich aus eigener Anschauung. Aber hier? Nichts. Vier Autos fahren im Hintergrund auf und ab. Kleinigkeiten nur, sicher, aber Kleinigkeiten die die Stimmung des Films beeinflussen, und zwar im negativen Sinne. Die altmodische Sterilität der Vordergründe, also der Kulissen und der handelnden Figuren, setzt sich im filmisch kaum vorhandenen Hintergrund fort, was zu einem ständigen Gefühl der Künstlichkeit führt. Sollten die Kulissen CGIs sein sind sie optisch gut gemacht, aber ihre Wirkung ist gleich Null.

Der Kreis schließt sich bei den Handlungen der Hauptpersonen. Dass der Präsident sein geraubtes Geld behalten will ist nachvollziehbar, und dass Kwak noch viel mehr Macht will ebenfalls. Aber alle anderen Figuren entbehren eines rationalen Hintergrundes. Oder will mir wirklich jemand allen Ernstes glaubhaft versichern, dass der Chef des Geheimdienstes innerhalb von 40 Tagen vom Gläubigen zum Judas wird? Nach 18 Jahren überzeugt gelebter Revolution? Die dramaturgisch erfolgte Straffung von Handlungen ist an dieser Stelle nur noch teilweise glaubwürdig, was dazu führt, dass der geheime Geheimchef, der Protegé Parks (des Präsidenten), dessen Identität am Ende des Films für den Zuschauer aufgedeckt wird, überhaupt nicht interessant ist, und den Film einfach noch mal ein paar Minuten länger macht, ohne dass wirklich ein Nutzen aus diesen Szenen gezogen werden kann.

Und gerade dieser Nutzen fehlt über fast die gesamte Laufzeit des Films. Spannende Szenen wie die Prügelei der beiden Geheimdienstchefs oder die Vorbereitung und Durchführung der Attentate auf Park (den Präsidenten) und Park (den Ex-KCIA-Chef) sind wirklich gut gemacht und ziehen den Zuschauer unweigerlich in die Szenerie, aber dem stehen dann scheinbar endlose Sitzungen mit den immergleichen Dialogen gegenüber, in denen die vorhandenen Stellungnahmen der Protagonisten immer und immer wieder durchgekaut werden. Es wird viel von A nach B gefahren, es wird viel gesprochen, und letzten Endes schauen wir verknöcherten Bürokraten zu, wie sie nach 18 Jahren Herrschaft urplötzlich auf andere Gedanken kommen, sich aber dabei offiziell keinen Millimeter bewegen dürfen. Man stelle sich vor, Erich Mielke hätte im Herbst 1989 Lust bekommen die Mauer abzureißen, und Erich Honecker (Hah, da haben wir wieder das Spiel mit den verwechselbaren Namen …) würde stattdessen lieber Panzer einsetzen um die aufkommenden Demonstrationen zu unterdrücken. Genauso ist das Szenario hier, und mit dieser Analogie kann man sich als Mitteleuropäer auch besser vorstellen, dass zumindest Mielke nichts von seinen Gedanken oder Wünschen hätte offenlegen dürfen. Bloß, ist dies dann spannend? Wenn wir einem Mann zusehen, wie er in sein Verderben rennt, ohne an seiner Gefühlswelt wirklich teilhaben zu dürfen? DAS ATTENTAT zeigt uns, dass dies nicht immer spannend sein muss, sondern auch viel mit trockenem Staub und Langeweile zu tun haben kann …

(1) https://de.wikipedia.org/wiki/S%C3%BCdk ... egierungen

4/10
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Antworten