Die Höhle der Spinnenfrauen - Dan Duyu (1927)

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Salvatore Baccaro
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Die Höhle der Spinnenfrauen - Dan Duyu (1927)

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Originaltitel: Pan si dong

Produktionsland: China 1927

Regie: Dan Duyu

Cast: Yin Mingzhu, Xia Peizhen, Jiang Meikang, Wu Wenchao, Zhou Hongquan, Zhan Jiali, Dan Erchun, He Rongzhu, Chen Baoqi


Abt. Bonner Stummfilmtage 2023

Einer der obskursten (und für Genre-Aficionados am interessantesten) Filme der diesjährigen Bonner Stummfilmtage dürfte sicherlich die Shanghai-Produktion PAN SI DONG aus dem Jahre 1927 gewesen sein. Die Regiearbeit des per Pin-Up-Malerei und Photographie zur siebten Kunst gelangten Dan Duyu galt lange Jahre als verschollen, bis 2011 in Norwegen eine Kopie auftauchte, bei der lediglich der Anfang und eine Sequenz im Mittelteil fehlt, und die sich bei knapp einer Stunde Laufzeit einpendelt.

PAN SI DONG stellt damit eines der wenigen erhalten gebliebenen Beispiele einer genuin chinesischen Spielart des Fantasysfilms dar, die in den 20ern virulent gewesen ist, und auf den Namen „magisch-geistiger Film“ getauft wurde: Zumeist beziehen sich die Geschichten auf Klassiker der chinesischen Folklore und Literatur, sind in volkstümlichem Tonfall erzählt, sparen aber auch nicht mit Szenen, die gerade Freunde des Gruselkinos ansprechend finden dürften. PAN SI DONG bildet hier keine Ausnahme: Seine Story rekrutiert sich aus einer Episode des im 16. Jahrhundert verfassten Romans „Die Reise in den Westen“, die als einer der großen Klassiker der chinesischen Literatur gilt, und etliche spätere Filme inspirierte; allgemein hat die komplette, sich primär in Studiokulissen entrollende Inszenierung etwas dezidiert Märchen- und Theaterhaftes, inklusive überzeichneter Gesten des Schauspielensembles, archaischer Spezialeffekte, die stets klar als solche zu erkennen sind, Kostüme und Garderoben, die das Artifizielle des Ganzen mehr herausstreichen als zu verschleiern versuchen; und dazwischen gibt es doch den einen oder anderen Moment, den man (aus westlicher Sicht und nahezu ein Jahrhundert nach Uraufführung des Werks) als wahlweise verspielt-bizarr oder klaustrophobisch-creepy finden kann.

Inhaltlich rankt sich alles um den buddhistischen Pilgermönch Tang Hiuen Tsiang, der sich mit drei Gefährten – einem aufbrausenden Äffchen, einem eher gemütlichen Hybridwesen aus Mensch und Schwein sowie einem furchterregenden Wasserdämon - auf die titelgebende Reise gen Westen aka Indien begibt, von wo er die Heiligen Schriften Buddhas nach China transportieren soll. Einem der Abenteuer, die dem Mönch und seinen Freunden im erwähnten voluminösen Raum auf ihrer Quest begegnen, widmet sich PAN SI DONG in aller Ausführlichkeit, nämlich dem Zusammentreffen mit sogenannten „Spinnenfrauen“, das den Trip beinahe in einem Fiasko enden lässt:

Zunächst scheint es sich bloß um sechs freundliche Grazien zu handeln, die Tang, als er um Almosen bettelt, in eine Höhle locken, wo sie offenbar fernab menschlicher Gesellschaft hausen; kaum aber ist der Mönch von seinen Begleitern getrennt, stellt sich zumindest für uns heraus, dass die Frauen wahrlich Böses im Schilde führen: Tang soll mit reichlich Speis und Trank, mit Tanz und Gesang, mit allem, was weibliche Verführungskunst aufzubieten hat, eingelullt und dazu gebracht werden, die Spinnenkönigin zu ehelichen, auf dass diese mit ihm eine eigene Dynastie begründe - wobei auf den Gatten, wie bei den Gottesanbeterinnen, der Tod durch Verspeisen wartet. Tang, bald völlig hypnotisiert von den kulinarischen und erotischen Reizen, ahnt kein bisschen, worauf die vorbildliche und vorzügliche Bewirtung hinauslaufen soll, seine Freunde Affe, Schwein und Dämon, die vergeblich auf seine Rückkunft warten, realisieren indes bald, welche Gefahr ihrem Meister droht, und sie blasen zum Angriff auf die Spinnenhöhle, um ihn aus den Fängen der achtbeinigen Sirenen zu befreien…

Auch wenn mir als jemandem, der mit der chinesischen Mythenwelt, wenn überhaupt, höchstens marginal vertraut ist, beim Betrachten von PAN SI DONG zahllose Fragezeichen um den Kopf schwirrten, da ich schlicht mit gewissen Figuren, Ereignissen und Referenzen, die jedes chinesische Schulkind quasi mit der Muttermilch aufsaugen dürfte, rein gar nichts anzufangen weiß, bereitete mir die Sichtung dieser Kuriosität doch erhebliches Vergnügen, was vor allem an der, wie gesagt, herrlich naiven Mise en Scène liegt: Da trägt der Schweinemönch eine eher grobschlächtige Tiermaske, während man dem Darsteller des Äffchens eine animalische Nase und etwas Backenhaare ins Gesicht pinselte; da verwandelt sich die Spinnenkönigin per Stop-Effekt, wie ihn auch Méliès drei Dekaden zuvor hätte darbieten können, in ein wundervolles Plastikmonstrum, das wild, jedoch ohne sich von der Stelle zu bewegen, mit den acht Extremitäten herumwedelt; da zerfasert die recht simple Geschichte in teilweise minutenlangen Kampfszenen zwischen Gut und Böse, die mir eindeutig den Stempel grotesker Körperkomik und Slapstick-Späßen zu tragen scheinen, wenn vor allem Affe und Schwein sowie ein dämonischer Helfer der Spinnendamen wie Flummis durch die Gegend purzeln. Selbst sexuelle Untertöne lassen sich ausmachen, die ihren Höhepunkt in einer Sequenz gefunden haben sollen, von der in der heute vorliegenden Fassung leider jede Spur fehlt: Eine Badeszene, bei der die Kamera die leicht bekleideten Spinnenfrauen unter Wasser beim Herumplantschen filmt – und die den für die norwegische Version zuständigen Zensoren möglicherweise zu viel des Sleaze gewesen ist, weswegen sie im Schnittraum verbleiben musste. Die Kulissen sind liebevoll gestaltet, das Schauspiel erinnert im besten Sinne an Operetten und Volkstheater, immer wieder verliert der Film sich in Schauwerten um ihrer selbst willen, beispielweise, wenn er über Gebühr das Hochzeitsmahl bebildert, das aufgefahren wird, um die anstehende Verehelichung zwischen Tang und der Spinnenkönigin zu zelebrieren. Ja, und unheimlich wird es auch, vor allem dann, wenn die Antagonistinnen geisterhafte Netze in jeden Höhlenausgang zu spinnen beginnen, und sich das Setting zunehmend in etwas verwandelt, das in keinem Gothic-Horror negativ auffallen würde.

1930 schob Dan Duyu gar ein Sequel zu seinem Erfolgsfilm hinterher, genannt XU PAN SI DONG, erneut in der weiblichen Hauptrolle als Spinnenkönigin mit seiner eigenen Ehefrau Yin Minghzu besetzt, und leider, im Gegensatz zum ersten Teil, noch immer darauf wartend, dass man ihn auf irgendeinem Dachboden oder in irgendeinem Keller wiederentdeckt. In diesem Garn verfange ich mich gerne!
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