Snowpiercer - Joon-ho Bong (2013)

Moderator: jogiwan

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horror1966
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Snowpiercer - Joon-ho Bong (2013)

Beitrag von horror1966 »

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Snowpiercer
(Snowpiercer)
mit Chris Evans, Kang-ho Song, Ed Harris, John Hurt, Tilda Swinton, Jamie Bell, Octavia Spencer, Ewen Bremner, Ah-sung Ko, Alison Pill, Luke Pasqualino, Vlad Ivanov, Adnan Haskovic, Emma Levie, Steve Park
Regie: Joon-ho Bong
Drehbuch: Joon-ho Bong / Kelly Masterson
Kamera: Kyung-pyo Hong
Musik: Marco Beltrami
FSK 16
Frankreich / Südkorea / USA / 2013

Die Erde in naher Zukunft: Ewiges Eis und Schnee bedecken den einst so grünen Planeten. Kein Leben rührt sich. Nur ein Zug, der einsam durch die verlassene Schneelandschaft fährt, bietet den überlebenden Menschen noch Schutz vor der tödlichen Kälte. Hier haben sie ihre letzte Zuflucht gefunden. Doch die Masse der verbliebenen Menschheit fristet im hinteren Teil des Zuges ein Leben in ewiger Dunkelheit, während vorne die wenigen reichen Passagiere im Luxus schwelgen. Aber die Zeichen stehen auf Veränderung. Eine Revolution steht kurz bevor …


Schon längst gilt ]Joon-ho Bong in Fachkreisen als bester Regisseur Südkoreas, doch spätestens mit "Snowpiercer" dürfte jedem klar werden, das der gute Mann ohne Frage ganz generell zu den Besten seiner Zunft zu zählen ist. Werke wie "The Host", "Memories of Murder" und "Mother" haben schon in der Vergangenheit eindrucksvoll unter Beweis gestellt, das Bong jederzeit dazu in der Lage ist, hochklassige Filme zu kreieren, doch mit vorliegendem Beitrag dürfte wohl sein bisheriges Meisterstück vorliegen das in allen Belangen gänzlich zu überzeugen weiß. Dabei könnte man aufgrund der Inhaltsangabe davon ausgehen, das hier lediglich eine weitere Verfilmung einer altbekannten Thematik stattfindet, die unter dem Mantel einer düsteren Zukunftsvision lediglich den brutalen Machtkampf einer 2-Klassen-Gesellschaft in den Vordergrund rückt. Im Grunde genommen ist dies auch sicherlich ein wesentlicher Gesichtspunkt einer Geschichte, die aber letztendlich doch so viel mehr zu bieten hat wie man mit zunehmender Laufzeit immer wieder feststellen muss. Das gesamte Geschehen ist räumlich begrenzt und spielt sich einzig und allein im sogenannten "Snowpiercer" ab, einem scheinbar endlos langen Zug, in dem die letzten Überlebenden einer eingefrorenen Welt ihr Dasein fristen. Wie nicht anders zu erwarten herrscht auch in dieser beklemmenden Lage ein gravierender Unterschied zwischen den Passagieren, denn während sich die Elite im vorderen Teil des Zuges ein herrliches Leben macht, muss sich ein Großteil der Menschen wie Vieh in den letzten Waggons einpferchen lassen und lebt dort unter den unwürdigsten Verhältnissen.

Obwohl sich das jetzt alles relativ banal anhört ist es dann aber die Umsetzung des Ganzen, die beim Zuschauer für einen extrem nachhaltigen Eindruck und größtenteils zur wahren Begeisterung führt, denn was sich im ersten Moment wie ein normaler SCI/FI-Actioner anhört ist in Wahrheit ein grandioser Genre-Mix, der neben den erwähnten Zutaten auch höchst dramatische Züge erkennen lässt. Mit zunehmender Laufzeit lässt das Szenario eine immer mehr ansteigende Intensität erkennen, die sich keineswegs nur durch die gelungenen Action-Passagen, sondern vielmehr in visueller Hinsicht zu erkennen gibt. Dabei lässt der Regisseur den Betrachter zunächst eine ganze Weile im düsteren grau der letzten Waggons verweilen, bevor er danach mit einer visuellen Rausch-Palette aufwartet, je näher die "Revolutionäre" dem Vorderteil des Zuges kommen. Dies gelingt auch nur unter etlichen Verlusten auf beiden Seiten und nur einige Ausgewählte gehen dann das letzte Stück des Weges zusammen, um in den vordersten Waggon zu gelangen, in dem sich "die heilige Maschine" befindet die den Zug antreibt. Auf diesem Weg wird der Zuschauer dann mit etlichen visuellen Reizen konfrontiert, die ihn streckenweise in einen regelrechten Rauschzustand versetzen. Man versinkt fast in einer hypnotisch anmutenden Bilderflut und kann so wenigstens teilweise die von Haus aus bedrückende Grundstimmung abstreifen, die einen ansonsten die ganze Zeit über begleitet.

Neben diesen Stärken setzt Joon-ho Bong desweiteren auf phasenweise erstklassige Dialoge, aus denen sich gerade zum Ende hin fast schon philosophische Ansätze erkennen lassen. So lässt sich dann auch die Klassifizierung der Menschen in einem ganz anderen Licht betrachten und das Szenario sendet so manchen Denkanstoß aus, mit denen man sich auch lange nach Beendigung des Filmes noch intensiv auseinandersetzt. In dieser außergewöhnlichen Kombination lässt sich dann auch die ganze Klasse von "Snowpiercer" erkennen der viel mehr ist als ein banaler SCI/FI-Actioner und dabei Fragen aufwirft, die man sich nicht ohne Weiteres sofort beantworten kann. In dieses herausragende Gesamtbild werden aber auch immer wieder recht skurrile Momente eingebaut und in erster Linie möchte ich an dieser Stelle auf die Passage verweisen, die sich in dem Teil des Zuges abspielen, in dem mehrere Kinder ganz normalen Schulunterricht über sich ergehen lassen müssen. Die Szenen erscheinen dabei irgendwie bizarr und scheinen auf den ersten Blick so gar nicht in die Abläufe hinein zu passen, bei genauerer Betrachtung kann man aber sehr wohl erkennen, das es hier auch um das Einbrennen einer gewissen Ideologie dreht, in deren Mittelpunkt immer der Zugbauer Wilford steht, der anscheinend nicht nur über "die heilige Maschine" wacht, sondern gleichzeitig auch für die Einteilung der Menschengruppen verantwortlich ist. Im Bild sieht man den guten mann dann auch erst in den letzten Minuten und auch wenn die Spielanteile von Ed Harris in dieser Rolle zeitlich sehr begrenzt sind, ist in den letzten Phasen des Filmes meiner Meinung nach die größte Stärke zu erkennen. Das Gespräch zwischen Wilford und dem Anführer der Revolutionäre (Curtis) ist unglaublich hochklassig und beantwortet auch sämtliche Fragen, die sich bis dahin noch unbeantwortet im Kopf des Zuschauers eingenistet hatten.

Die ganze Chose bekommt eine ziemlich überraschende Wendung und man sieht sämtliche Abläufe aus einem vollkommen anderen Blickwinkel. An dieser Stelle kommt dann auch der schon kurz erwähnte philosophische Ansatz zum tragen und wenn man zuvor schon bei etlichen Szenen immens am Grübeln war, so stellt sich nun erst wirklich der Aspekt ein, das man die gesamte Geschichte äußerst nachdenklich-und durchaus auch emotional aufgewühlt betrachtet. Sicherlich wird "Snowpiercer" nicht bei jedem die gleiche Wirkung hinterlassen und eventuell wird die Geschichte auch die Meinungen spalten, doch für mich persönlich hat Regisseur Joon-ho Bong hier ein filmisches Meisterwerk abgeliefert das von der ersten bis zur letzten Minute restlos begeistert. Auch die Darsteller-Riege liefert durch die Bank erstklassige Leistungen ab und ist ein wesentlicher Bestandteil des überragenden Gesamteindrucks der sich hier letztendlich ergibt. In meinen Augen gibt es wirklich absolut keinen Grund zur negativen Kritik und so dürfte dieses Werk ganz bestimmt zu den größten Highligths zählen, die 2014 auf DVD erscheinen. Man kann sich im Prinzip nur ehrfurchtsvoll vor diesem Film verneigen, der einerseits bedrückend-und beklemmend daher kommt, andererseits jedoch auch mit gelungener Action, skurrilem Humor und grandiosen Dialogen aufwarten kann und nicht zuletzt mit einer tollen Darsteller-Riege besetzt ist, so das im Endeffekt ein brillantes Gesamtergebnis entsteht.


Fazit:


Wow, "Snowpiercer" ist einer dieser Filme, die meine schon nicht geringen Erwartungen noch einmal überflügelt hat. Ein herausragender Genre-Mix mit grandiosen Bildern, der von einem der besten Regisseure unserer Zeit brillant in Szene gesetzt wurde. Hier kann man nur eine unbedingte-und völlig uneingeschränkte Empfehlung aussprechen und wer sich dieses Werk entgehen lässt, hat es letztendlich nicht besser verdient.


10/10
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karlAbundzu
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Re: Snowpiercer - Joon-ho Bong

Beitrag von karlAbundzu »

Lage: Die Menschen haben eine Idee, die globale Erwärmung zu stoppen, die geht aber gründlich schief und es wird eisekalt auf dem Planeten und alles liegt in Schnee und Eis. Die letzten Überlebenden der Menschheit sitzen in einem langen dahinrasenden Zug rund um die Welt, der niemals stoppt.
Story: Im Zug herrscht ein Klassensystem, diktatorisch regiert vom Zugerfinder und - führer. Einige der hinten lebenden Menschen reicht es und sie wollen revoltieren und sich nach vorne kämpfen, im Film folgen wir diesen Bemühungen des sich nach vorne Bewegens.
Revoltenführer ist Curtis, dargestellt von Chris Evans, mir bisher nur bekannt als Cpt. Amerika und der menschlichen Flamme, beides schlechte Superhelden-Flix, bei denen er auch nicht besonders positiv auffiel. Hier hingegen meistert er seine Sache hervorragend. Wie er sich von einem Zweifelnden, dann Überzeugten, dann Wütenden und dann Enttäuschten und gleichzeitig Entschlossenen verändert mit allen Zwischentönen, ist sehr überzeugend. Und da wir als Zuschauer meist auf seiner Höhe im Zug sind, trägt das schon Mal den Film. Begleitet wird er vom drogensüchtigen Türenöffner, gespielt von Song Kang-Ho, der mich schon in THE GOOD THE BAD THE WEIRD als eben the Weird begeisterte. Der spielt körperlich, überzeugend in seiner Reduktion, sein Minenspiel sehr minimal und doch spürt man, dass hinter jedem seinen Blick mehr steckt. Der nimmt natürlich seine Tochter mit, Ko Ah-Seong spielt diese, auch aufregend und überzeugend zwischen Drogen, Klar- und Hellsicht.
Die andern supporting actors haben ihre Rolle und spielen sie gewohnt gut. Besonders hervorzuheben Tilda Swinton, die ihre groteske Ministerin so herrlich am Rande des Surrealen spielt, ist herrlich und sorgt für weitere unglaubliche Momente im Film.
Wo wir gerade beim Lobhudeln sind: Marco Beltrami interessiert mich immer mehr, tolle Musik mal wieder.
Kamera, Bauten , Farben, die Dystopische Eisfeld um den Zug, der unglaublich ausgestattete Zug zwischen Steampunk, Märchenfilm und Enterprise ist allein schon eine lange Betrachtung wert. Jedes einzelne Abteil fast ein eigener Kurzfilm. Und alles so detailreich und genau.
Denn im Prinzip befinden wir uns hier in einem leicht zu entschlüsselnden polit-kritischen Film (oder gar nicht verschlüsselten). Doch trotzdem vernachlässigt er nicht die Ansprüche an allem möglichen anderen: Die Sci Fi Freunde werden sich über die Genauigkeit der steampunkischen Technik erfreuen, es gibt heftige und blutige Kämpfe und Actionszenen, es gibt fast Gilliam-mäßige Märchenszenen, die aber auch jederzeit in Gewalt umschlagen können, es gibt philosophische Dialoge, gespielt in dunklen, fast schwarzen Umgebungen, es gibt eine weiße kalte Welt draussen, die sich aber immer wieder in Bezug zum Zug setzt. Hier wird erstaunlicherweise nichts falsch gemacht.
Auch die Erzählweise im Lauf der Revolte ist schön, man erfährt nach und nach von den Innereien und Funktionsweisen des Zuges und der Geschichte der Gesellschaft in dieser. (Vielleicht könnten manche modernen Zuschauer monieren, dass nicht alles en detail erklärt wird, aber ich bin da ja kein Freund von).
Und man wird leichthin zu der Moral geführt, der ich mich ja tatsächlich auch anfreunden kann. Gerade nach manchen antidemokratischen bzw (fast) faschistoiden aus Hollywood einfach ein Gutes Gefühl. Es nutzt halt nichts, nur Personen zu ersetzen, wenn das System faulig, menschenungerecht ist, nutzt auch ein netter Führer nichts, und dann muß man das System ändern oder halt selbst aussteigen, und wenn man nicht weiß wie, einfach mal System zum Erliegen bringen und sehen, was kommt. Ein menschenverachtendes System hat keine Existenzberechtigung.
OK, ich bringe mal noch eine kleine negative Kritik. Das Schlußbild könnte man fast zu kitschig nennen (aber ehrlich gesagt: Ich finde das nicht.).
Bisher Film des Jahres und nach dem tollen sozialkritischen Monsterfilm THE HOST wieder ein großartiges Werk Bong Joon-Hos, dass zum Glück nicht vom Weinstein verschnippelt wurde. Produziert wurde aber ja auch vom Park Chan-Wook, der ja selbt tolle Filme inszenierte.
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
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Arkadin
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Re: Snowpiercer - Joon-ho Bong

Beitrag von Arkadin »

karlAbundzu hat geschrieben: OK, ich bringe mal noch eine kleine negative Kritik. Das Schlußbild könnte man fast zu kitschig nennen (aber ehrlich gesagt: Ich finde das nicht.).
Kitschig nicht unbedingt,
► Text zeigen
aber diese Nachlässigkeit, was Details angeht, hat dem Film bei mir glatt einen Punkt gekostet.
► Text zeigen
Wahrscheinlich reagiere ich da so empfindlich, weil ich den Rest es Filmes großartig fand und diese kleinen Schlampereien nicht hätten sein müssen.
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horror1966
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Re: Snowpiercer - Joon-ho Bong (2013)

Beitrag von horror1966 »

Man kann sich natürlich auch über Dinge aufregen die meiner Meinung nach eher unbedeutend sind. :kicher:
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Arkadin
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Re: Snowpiercer - Joon-ho Bong (2013)

Beitrag von Arkadin »

horror1966 hat geschrieben:Man kann sich natürlich auch über Dinge aufregen die meiner Meinung nach eher unbedeutend sind. :kicher:
Deiner Meinung nach. Ich finde es gar nicht unbedeutend, wenn man einen Film wie ein perfektes Uhrwerk aufbaut und dieses dann durch solche Dämmlichkeiten selbst sabotiert.
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Re: Snowpiercer - Joon-ho Bong (2013)

Beitrag von jogiwan »

aus der Abteilung "unerwartete Drehorte" in US-koreanischen Co-Produktionen: die Zillertaler Gletscherbahn inkl. Hintertuxer Gletscher in "Snowpiercer"... :shock:

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Re: Snowpiercer - Joon-ho Bong (2013)

Beitrag von Arkadin »

jogiwan hat geschrieben:aus der Abteilung "unerwartete Drehorte" in US-koreanischen Co-Produktionen: die Zillertaler Gletscherbahn inkl. Hintertuxer Gletscher in "Snowpiercer"... :shock:
Jetzt habe ich doch glatt "Hinterbuxter" gelesen...
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italostrikesback
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Re: Snowpiercer - Joon-ho Bong

Beitrag von italostrikesback »

Gestern gesehen.
Bei diesem Film trennt sich unter den Zuschauern die Spreu vom Weizen.
Das ist eine einzige Satire/Groteske/Parabel und hier muss der unvorbereitete Zuschauer, speziell bei diesem Genre erstmal drauf kommen. Ich kann mir vorstellen, dass den manche Leute komplett scheiße finden.
Die Thematik mit dem Zug ist sicherlich totaler Unfug und die verschiedenen Zugwagons entbehren selbst für einen Endzeitfilm jeglicher Logik. Der Film funktioniert aber nicht mit der beliebten Hirn aus Methode,
sondern man muß ausnahmsweise mal nachdenken und auf einem ganz anderen Niveau, als bei solchen Filmen üblich, beurteilen.

Meine persönliche Note liegt sehr weit oben, wo genau kann ich aber erst nach der zweiten Sichtung sagen.
Zuletzt geändert von italostrikesback am Sa 4. Okt 2014, 09:35, insgesamt 3-mal geändert.
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Re: Snowpiercer - Joon-ho Bong (2013)

Beitrag von jogiwan »

„Snowpiercer“ ist schon eine ziemliche Überraschung im positiven Sinn und ich hätte mir nach den ersten Minuten und dem seltsamen Auftritt von Tilda Swinton ja nicht gedacht, dass sich der Streifen danach noch so derart packend entwickeln würde. Kein weiterer Big-Budget-Sci-Fi-Actionfilm mit Hollywood-Cast, sondern vielmehr ein bitterböses Statement zur Lage der Welt und unschöne Wahrheiten darüber verpackt in einem düsteren und sehr dramatischen Film, der bis zur letzten Minute größtenteils unvorhersehbar bleibt und dass der Streifen dabei teils groteske Momente abliefert, die zuallererst irritierend wirken um danach Sinn zu ergeben ist nur eine Stärke des ungewöhnlichen Films. Die beiden von Arkschi angeführten Punkte der Kritik sind aber auch uns bei unserer Sichtung aufgefallen, aber die haben mich ehrlich gesagt nicht weiter gestört und einer tieferen Logik-Prüfung würde der Streifen ohnehin nicht standhalten. Ansonsten gibt es aber weder an den Darstellern, noch am Look oder Regie bei diesem durchaus ungewöhnlichenen und vor allem ziemlich originellen Genre-Mix etwas auszusetzen. Ein Film, der am Ende des Jahres dann wohl auch weit oben auf meiner Liste der besten Filme des Jahres zu finden sein wird. Ansehen!
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Re: Snowpiercer - Joon-ho Bong (2013)

Beitrag von Arkadin »

Der Versuch die globale Erwärmung zu stoppen, war ein folgenschweren Fehler. Durch die versuchte Manipulation des Menschen ist nun die ganze Welt zugefroren. Die wenigen Überlebenden dieser globalen Katastrophe rasen in einem riesigen Zug, dem „Snowpiercer“, durch die Eishölle, die einst die Erde war. Während ein Teil der verbliebenen Menschheit in hinteren Zugende vor sich hin vegetiert und von den Soldaten der Mächtigen geknechtet wird, leben der Teil in den vorderen Abteilen in Saus und Braus. Curtis (Chris Evans), der in hinteren Teil des Zuges lebt, werden geheimnisvolle nachrichten zugespielt, die ihm Hoffnung geben, etwas an den unwürdigen Verhältnissen ändern zu können. Zusammen mit dem alten Gilliam (John Hurt) und den jungen Edgar (Jamie Bell) plant er einen Aufstand. Er will versuchen sich mit einer Gruppe Rebellen bis an die Zugspitze vorzukämpfen. Bis zu Mr. Wilford (Ed Harris), der Schöpfer und Herrscher des „Snowpiercer“…

„Snowpiercer“ ist eine internationale Co-Produktion par excellence. Der Film beruht auf einem französischem Comic, und wurde von einem koreanischen Regisseur, mit amerikanischen, britischen und koreanischen Schauspielern in den Hauptrollen, in Tschechien gedreht. Vielleicht ist es diese vitale Mixtur, die „Snowpiercer“ weit über die groß-budgetierten Hollywood-Blockbuster erhebt, welche sich ebenfalls mit dem Ende der Welt befassen. „Snowpiercer“ ist intelligent, konzentriert sich auf seine Charaktere und ist visuell ebenso einfallsreich, wie beeindruckend. Er erzählt in einer Allegorie viel über die Missstände in unsere Gesellschaft, ohne dabei zu deutlich den Zeigefinger zu erheben, oder predigend zu wirken. Der Produzent Harvy Weinstein, der die Veröffentlichungsrechte für die USA besitzt, war dies allerdings schon zu viel – er wollte den Film nur in einer um 20 Minuten gekürzten Fassung herausbringen, die den Action-Gehalt betont und „langweilige Charakterisierung“ eliminierte. In Europa aber konnte von vornherein der vollständige Film erscheinen. Hier hatte wohl niemand Angst, das Publikum könnte überfordert werden.

Wobei diese Angst nicht unbegründet ist, denn was auf den Zuschauer an Wendungen, Grausamkeiten und schierer Hoffnungslosigkeit entgegenschlägt, sucht selbst in einem Film mit dieser Thematik, durchaus seines gleichen. Nein, ein fröhlicher Film ist „Snowpiercer“ ganz gewiss nicht, trotz der überspitzten Darstellung Tilda Swintons, die manchmal zum Grinsen anregt. Doch Swintons Charakter Mason ist trotz aller unterhaltsamen Affektiertheit eine finstere Seele. Ebenso wie die einzige andere Szene, die einen gewisse ironischen Wert hat: In einem der Zugabteile werden Kinder von einer fröhlichen Lehrerin mit lächerlichen Propaganda-Liedern indoktriniert. Wer denke hier nicht an das Bruderland des südkoreanischen Regisseurs Bong Joon-ho? „Snowpiercer“ steckt voller solcher Metaphern. Da sind die Drogen, die der explosive Zündstoff sind, der die Welt im wahrsten Sinne des Wortes aus den Angeln hebt. Und natürlich der Zug selber. Eine hermetische Welt, in der die da oben, die da unten knechten und ausbeuten. In der es unterschiedliche Klassen gibt, und die Einen alles und die Anderen nichts haben. Hier Sushi, dort Kakerlaken. Die Kunst Bong Joon-hos liegt darin, das diese Zusammenhänge dem Zuschauer natürlich sofort klar sind, sie aber nie aufgezwungen wirken.

Neben der visuell atemberaubenden Gestaltung, die einen stets im Zustand der Klaustrophobie hält, und bei der jedem der Wagen ein individueller Charakter gegeben wird, brillieren auch die Schauspieler. An erster Stelle sei hier Chris Evans genannt. „Captain America“ ist hier nicht wiederzuerkennen. Evans spielt den Helden wider Willen mit einer beinahe physisch spürbaren Traurigkeit, aber auch einer unbändigen Stärke, die aus der Wut über die ungerechten Verhältnisse im Zug geboren wurde. Den erschütternden Monolog, den er am Ende hält, hätten dem schönen Evans nach seiner Karriere als eher blasser Marvel-Held kaum jemand zugetraut. Doch Evans schafft es in dieser Schlüsselszene eindrucksvoll, dem Zuschauer das Blut in den Adern gefrieren zu lassen. Aber auch die anderen Darsteller können mithalten, voran Bong Joon-hos Lieblingsdarsteller, der südkoreanische Megastar Song Kang-ho, der wieder einmal beweist, dass großes Schauspiel, nicht unbedingt gleich große Gesten bedeutet. Hervorzuheben ist auch Ko Ah-seong, die seine Tochter Yona spielt. Ein genialer Schachzug ist das Casting von Ed Harris, der hier eine ganz ähnliche Rolle wie in „The Truman Show“ spielt. Ein Film, mit dem „Snowpiercer“ weit mehr gemein hat, auch auf den ersten Blick zu erkennen ist.

Heimlicher Star des Filmes ist jedoch Tilda Swinton als Ministerin Mason. In entstellender Maske gibt die Swinton mit viel Mut zur Hässlichkeit eine ihrer exzentrischen Darstellungen. Womit sie sich stark vom Rest der Besetzung abhebt. Swinton gibt dem Film zwar ein parodistisches Element, ihre Mason wirkt dadurch allerdings wie ein Fremdkörper. Ein bunter Cartoon-Charakter in einer rauen, schwarz-weiß-Welt. Mason kennt zwar weder Skrupel, noch Gnade, aber wenn sie in hündischer Unterwürfigkeit ihr Mäntelchen in dem Wind hängt, macht sie dies zu einer ebenso hassenswerten, wie unterhaltsamen Figur. Ebenfalls wie im falschen Film wirkt zunächst Masons Helfershelfer Franco, der im Stile einer unbesiegbaren Killermaschine agiert. Im Kontext des Filmes stören diese beide Figuren aber nicht. Beide lockern das düster-verzweifelte Geschehen etwas auf, und geben der permanenten Gefahr, in der sich die Gruppe der Aufständischen befindet, ein einprägsames Gesicht.

Auch das von Bong Joon-ho und Kelly Masterson verfasste Drehbuch befindet sich auf höchstem Niveau. Von den offensichtlichen Allegorien abgesehen, gelingt es den Autoren, den Zuschauer beständig aus der Bahn zu werfen und mit scheinbar offensichtlichen Klischees, die das Publikum zunächst in Sicherheit wiegen, zu spielen und diese dann lustvoll zu zertrümmern. In „Snowpiercer“ gibt es keine strahlenden Helden, nur Opfer, die sich gegen ihr herzloses Schicksal auflehnen und nicht erkennen, dass sie doch nur Marionetten in einem perfiden Spiel sind. Liebgewonnene Figuren werden unpathetisch im Vorbeigehen eliminiert, andere vollziehen eine vollkommen unerwartete Wandlung, und selbst der grausame Plan des Zugführers Wilford klingt am Ende dann doch irgendwie ganz vernünftig – zumindest für jemanden, der im Controllingwesen oder als Firmenberater arbeitet.

Gerade weil „Snowpiercer“ über weite Strecken alles richtig macht, ärgern kleine Schlampigkeiten umso mehr. Wobei ich hier nicht auf die Special Effects, welche die Außenwelt und den Zug kreieren, eingehen will. Diese sind sicherlich nicht state-of-the-art und sehen so extrem künstlich aus, dass dies durchaus in der Intention des Regisseurs gelegenen haben mag. So wirkt die Außenwelt wie der unwirklichen Traum der Passagiere, und das Innere des Zuges wie eine sehr reale Hölle. Vielmehr sind es einige Unachtsamkeiten und Logikbrüche, die das großartige Gemälde verunzieren. So als ob jemand mit Edding eine krakelige Figur auf ein Gemälde von Rembrandt geschmiert hätte. Dies ist umso ärgerlicher, als diese Schludrigkeiten völlig überflüssig und vermeidbar gewesen wären.

Gestalterisch befindet sich der überaus talentierte Bong Joon-ho auf der Höhe seine Kunst. Es gelingen ihm ebenso spielerisch, atemlose Spannung zu erzeugen, wie ein einen Kampf als grausames, artifizielles Ballett zu inszenieren, indem er die Geschwindigkeit herausnimmt und ihn mit getragener Musik untermalt. Dabei wirkt das Gezeigte nicht heroisch überhöht, wie z.B. in Zack Snyders „300“ und Konsorten. Bong Joon-ho zeigt die brutale Schlacht als das, was sie ist: Ein gnadenloser Tanz mit dem Tod, bei dem es um das nackte Überleben geht. An dieser Stelle muss auch auf Marco Beltramis Musik hingewiesen werden, die die Bilder kongenial begleiten und das Gefühl der Klaustrophobie und der permanenten Gefahr noch verstärkt.

„Snowpiercer“ ist ein intelligenter SF-Film, der auf allen Ebenen funktioniert. Klar als Allegorie angelegt, besticht er aber auch durch atemlose Spannung, vielschichtige Charaktere, ein beeindruckendes visuelles Design und unvorhersehbare Wendungen. Dabei werden ganz nebenbei kritische Kommentare zum Zustand unserer Gesellschaft abgegeben und ein paranoides Gedankenspiel inszeniert. Lediglich einige ärgerliche Schlampigkeiten mindern den insgesamt hervorragenden Eindruck eines der besten Science-Fiction-Filme der letzten drei Jahrzehnte.

Screenshots: http://www.filmforum-bremen.de/2014/09/ ... owpiercer/
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