The Story of Our Home - Ri Yun-Ho (2016)

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Salvatore Baccaro
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The Story of Our Home - Ri Yun-Ho (2016)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

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Originaltitel: Uli Jib Iyagi

Produktionsland: Nordkorea 2016

Regie: Ri Yun-Ho

Darsteller: Paek Sol Mi et. al.


Abt. Salvatores kleine Nordkorea-Reise


Nach einer Dokumentation über das nordkoreanische Eisenbahnwesen, nach einem nordkoreanischen Partisanen-Propagandafilm, nach nordkoreanischer Monster-Action nun also einmal ein richtig schönes herzerweichendes Melodrama: Auf einem Turm von Taschentüchern sitzend werfe ich mich mit THE STORY OF OUR HOME einem Streifen in die Arme, der auf diversen pro-nordkoreanischen Netzseiten als zeitgenössischer Gipfel nordkoreanischer Filmkunst bezeichnet wird…

Die 18jährige Ri Jong A hat soeben erfolgreich ihre Schullaufbahn abgeschlossen, als sie von ihrer Mutter vom Tod einer Arbeitskollegin erfährt: Nachdem auch ihr Vater bereits früh verstorben ist, sind deren Kinder nunmehr Vollwaisen und, da sie sich weigern, in staatlichen Erziehungsheimen untergebracht werden, völlig auf sich alleingestellt. Zwar versucht die älteste Tochter Un Jong ihren beiden jüngeren Geschwistern, Schwesterchen Un Hyang und Brüderchen Un Chol, die Eltern zu ersetzen, doch wächst dem halbwüchsigen Mädchen die Verantwortung alsbald derart über den Kopf, dass das Haus einem Schlachtfeld gleicht und auch die Schulleistungen der ehemaligen Musterschülerin rapide in den Keller sausen. Dass Ri Jong A dazu übergeht, den drei Waisen Unterstützung zu leisten, für sie Haushaltstätigkeiten zu erledigen, ihnen beim Einkauf und bei den Schulaufgaben zu helfen, sieht Un Jong mindestens skeptisch: Auf keinen Fall möchte sie, dass Ri Jong A an die Stelle der unersetzbaren Mutter rückt, auch wenn Un Hyang und Un Chol die junge Frau bedingungslos anhimmeln und am liebsten möchten, dass sie gleich bei ihnen einzieht. Es ist ein langer Weg für Ri Jong A, das Vertrauten Un Jongs zu gewinnen: Missverständnisse hagelt es, andauernde Streitigkeiten, Tränen im Überfluss, doch irgendwann begreift auch Un Jong, dass Ri Jong A nur das Beste für sie und ihre Geschwister möchte – dass die junge Frau mehr noch dazu bereit ist, ihre eigenen Träume für diejenigen der drei Waisenkinder aufzuopfern…

Weshalb Ri Jong A, wie sie in einer Szene selbst sagt, es zu ihrem erklärten Lebensziel werden lässt, das Erreichen der Lebensziele von Un Jong, Un Hyang und Un Chol zu ermöglichen, ist zumindest mir in der kompletten einhundertminütigen Laufzeit von THE STORY OF OUR HOME nicht klargeworden: Zu Beginn wirkt die Schulabgängerin beinahe wie eine Stalkerin, die sich ohne nachvollziehbare Motivation in die Leben der ihr eigentlich völlig fremden Kinder hineinschiebt und gerade Un Jong mit ihrer ständig fröhlichen, dauergrinsenden, herzlich-naiven und harmoniesüchtigen Art ähnlich zur Weißglut bringt wie den Teil meines Herzens, der allergisch auf solche kitschigen Zerrbilder der Realität reagiert. Obwohl Ri Jong A ihre Eltern noch besitzt, obwohl es ihr an Verehrern nicht mangelt, obwohl sie mit ihren Voraussetzungen eigentlich einen lukrativen Job ergreifen könnte, stellt sie all die eigenen Bedürfnisse hinten an, um dafür zu sorgen, dass Un Jong bei einem renommierten Mathematikwettbewerb teilnehmen kann, dass Un Chol seinem Traum, Profifußballer zu werden, näher rückt, und dass Un Hyang ungestört die Weichen für ihr Studium an einem Musikkonservatorium stellen kann – das alles, wohlgemerkt, ohne von den Kindern mehr zu verlangen, als dass sie sie in ihrer Mitte akzeptieren. Vampirgleich scheint sich Ri Jong A von dem Lachen ihrer Schützlinge zu ernähren, wenn sie ihre gesamte Existenz allein nach dem Begehren der Adoptivkinder strukturiert: Sie wirkt wie der glücklichste Mensch der Welt, wenn sie mit Un Jong, Un Hyang und Un Chol die Wäsche machen, wenn sie für sie kochen, wenn sie sie abends ins Bett bringen darf – und als sie eines Tages ihre eigene diabeteskranke Mutter im Hospital besuchen muss, und darüber vergisst, den Kindern angesichts anhaltender Unwetter einen Regenschirm zur Schule zu bringen, bedeutet das einen halben Weltuntergang. Dabei ist THE STORY OF OUR HOME wirklich großartig darin, im Grunde banale Alltagskatastrophen zu Apokalypsen aufzubauschen: Etwa in der Mitte des Films gewinnt Ri Jong A einen Kochcontest – (ja, in diesem Film, und möglicherweise in der gesamten nordkoreanischen Gesellschaft?, wimmelt es nur so von Wettbewerben, bei denen man beweisen kann, dass man die Nummer Eins ist) -, worauf ihr als erster Preis das Make-Up-Set eines luxuriösen Kosmetikkonzerns winkt – (geschickt platziertes Product Placement, btw). Freiwillig verzichtet Ri Jong A jedoch auf diesen Gewinn, und verlangt, auf den dritten Platz zurückgestuft zu werden, - denn als Lohn erhält man dort ein Paket Schulsachen, das unsere Heldin natürlich ihren drei Schützlingen schenken möchte. Man möge mich nicht falsch verstehen: Es ist doch schön, wenn Menschen Empathie besitzen und sich um fremde Kinder kümmern, als seien es die eigenen – aber wie vorliegender Film einem dieses altruistische Verhalten präsentiert, nämlich eingehüllt in eine genüsslich zelebrierte Opferbereitschaft und meterdicke Salzkrusten vergossener Tränen, wirkt das Verhalten unserer Protagonisten nahezu pathologisch.

Das alles ist jedoch noch nichts im Vergleich zu den propagandistischen Obertönen, die gerade in der zweiten Hälfte mehr und mehr zu regelrechten Fanfaren werden, gegen die auch die halbwegs kompetente, an Hollywood geschulte Mise en Scene – (kompetent und sinnvoll eingesetzte POV-Shots; Slow-Motion-Sequenzen; durchaus ansprechende, wenn auch postkartenartige Landschaftsaufnahmen) – nicht mehr ankommen: Angeblich soll THE STORY OF OUR HOME auf einer wahren Begebenheit beruhen, dem Leben einer tatsächlich staatlich honorierten und als Propagandatool instrumentalisierten „Girl Mother“, die sich ganz in den Dienst der Pflege verwaister Kinder gestellt hat, und dafür, unter anderem, so etwas wie das nordkoreanische Äquivalent zum reichsdeutschen Mutterkreuz umgehängt bekommen hat. Dass Ri Jong As Nächstenliebe kein Selbstzweck ist, sondern primär dazu gedacht, der Volksrepublik den Rücken zu stärken, indem sie die Waisen zu staatstreuen Sozialisten erzieht, daran lässt der Film gerade in seiner letzten halbe Stunde nicht die geringsten Zweifel mehr: Zusammen hissen Un Jong, Un Hyang, Un Chol und die inzwischen als Mutter akzeptierte Ri Jong A am nordkoreanischen Nationalfeiertag die rote Fahne über ihrem Haus, wobei ihnen literweise die Tränen über die Wangen kullern; ein weiterer Bruder, den man den kompletten Film über nie zu Gesicht bekommen hat, weil er an der Grenze zu Südkorea seinen Militärdienst als Grenzsoldat ableistet, erscheint plötzlich auf der Bildfläche, und mit ihm eine komplette Armeedelegation, deren Oberen Ri Jong A für ihre Verdienste Blumen überreichen und sie frenetisch bejubeln, (dass man besagtem Bruder monatelang den Tod der Mutter verschwiegen und ihm sogar in ihrem Namen Briefe geschrieben hat, um ihm nicht die Wahrheit sagen zu müssen, problematisiert der Streifen im Übrigen kein bisschen); ebenfalls mit Tränen in den Augen berichtet Ri Jong A, wie ihr Kim Jong-un höchstpersönlich die Hand geschüttelt und ihr für den heroischen Akt gedankt habe, ihr eigenes Ego zu überwinden, um alles daran zu setzen, Un Jong, Un Hyang und Un Choi zu vollwertigen Mitgliedern der Gesellschaft hochzuzüchten. Überhaupt dient keine Handlung, die unsere Protagonisten in THE STORY OF OUR HOME unternehmen, selbstsüchtigen Motiven: Wenn Un Choi davon träumt, Profifußballer zu werden, dann vor allem deshalb, weil er mit seinen Künsten auf dem Spielfeld den Ruhm der Volksrepublik vermehren kann. Folgerichtig trichtert einem der leitmotivisch verwendete Popsong, der in allen möglichen und unmöglichen Situationen erklingt, dann auch ein, dass der wahre Vater aller Nordkoreaner Kim Jong-un sei und die eine große Familie der Schoß der Partei. Dass Szenen wie die, in der Ri Jong A mit den Kindern andächtig vor einem gigantischen Kim-Jong-un-Schrein steht oder am Ende vor gigantischen, den Arbeiter- und Bauernstand symbolisierenden Statuen die höchsten Staatsweihen empfängt, in einem Film des Jahres 2016 überhaupt noch völlig ohne Selbstironie, völlig ohne Augenzwinkern gedreht werden können, hätte ich mir jedenfalls nicht denken lassen. Apropos Parteischoß: Immer mal wieder schaut bei den Waisenkindern ein freundlicher älterer Herr vorbei, der sich selbst als Handwerker ausgibt, und kleinere Reparaturen im elternlosen Haus vornimmt. Wie Un Jong später erstaunt feststellt, handelt es sich bei diesem um einen hohen Parteifunktionär, der offenbar genügend Freizeit hat, um sich immer mal wieder inkognito unters Volk zu mischen und den Ärmsten der Armen seine Hilfe anzubieten. Ich wüsste ja nicht, ob ich mich eher darüber freuen oder es eher mit der Angst zu tun bekommen sollte, wenn ich wüsste, dass jeder noch so arglos ausschauende Nachbar in Wirklichkeit an oberster Spitze des Parteiapparats sitzen könnte, und mir eben nicht nur unter die Arme greift, wenn es nottut, sondern gegebenenfalls jedes meiner Worte auf die Goldwaage legen und mich im Zweifelsfall für regimekritische Äußerungen vor den Kadi zerren könnte…

Von der Handvoll nordkoreanischer Filme, die ich mir in letzter Zeit angesehen habe, ist THE STORY OF OUR HOME sicherlich der mit Abstand bedenklichste in der Weise, wie hier die Emotionen der Zuschauerschaft kanalisiert werden, um letztendlich in einer euphorischen Woge auf ein haushohes Monument Kim Jong-uns zuzulaufen. Der Kriegsfilm SO NJUN BBAL JJIN SAN mit seinen minderjährigen Protagonisten mag zwar plakativer sein, jedoch schreit der einem seine anti-US-amerikanische Botschaft in jeder Sekunde unverhohlen ins Gesicht, während THE STORY OF OUR HOME in diesem Sinne ungleich perfider, (und, zugebenermaßen: für mich auch wesentlich unfreiwillig komischer) agiert. Anders gesagt: In jeder einzelnen Träne, die in diesem Melodrama den Weg auf die Wange findet, spiegelt sich eine flatternde rote Fahne, zu der ich entweder meine geballte Faust recken kann oder eben damit rechnen muss, dass mir, wenn ich mich dem Faustballen verweigere, im übertragenen Sinne, die Hand abgeschnitten wird…
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