Am Ende der Worte - Nina Vukovic (2021)

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Salvatore Baccaro
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Am Ende der Worte - Nina Vukovic (2021)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

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Originaltitel: Am Ende der Worte

Produktionsland: Deutschland 2021

Regie: Nina Vukovic

Cast: Lisa Vicari, Ludwig Trepte, Meryem Ebru Öz, Pascal Houdus, Nathalie Thiede, Daniel Michel


Am 16. November veröffentlich die Gewerkschaft der Polizei Hamburg auf ihrer Netzpräsenz ein Statement, das Züge einer Filmrezension trägt. Angeschaut haben sich Vertreter der GdP Hamburg einen „hochkarätig besetzten NDR-Spielfilm“, der es sich zur Aufgabe gemacht habe, „den harten Alltag der jungen Beamten und dessen Folgen“ zu zeigen. Konkret handelt es sich um den Fernsehfilm AM ENDE DER WORTE, der 2021 bereits auf dem Filmfest Braunschweig seine Premiere feiert, und ab dem 15. November in der NDR-Mediathek besehen werden kann: In seinem Mittelpunkt steht Laura, die gerade erfolgreich die Polizeischule beendet hat, und nunmehr ins kalte Wasser der Hamburger Bereitschaftspolizei geworfen wird – und wie man sich vorstellen kann, sind es nicht nur positive Dinge, die alsbald ihren Arbeitsalltag bestimmen. Die Personen der GdP Hamburg, die sich den Streifen im Vorfeld, wie es heißt, aus Interesse angesehen haben, sind alles andere als begeistert von Nina Vukovics Film. GdP-Sprecher Lars Osburg verlautet in einem auf Facebook veröffentlichten Video-Statement beispielweise, er sei „enttäuscht und entsetzt! Lediglich die Hauptdarstellerin des Films ist zu Beginn realitätsnah, zeigt sie doch, was für tolle junge Menschen zur Polizei kommen und mit welchen Idealen sie sich dem Dienst an der Gesellschaft verschreiben. Dann endet die Realitätsnähe des Films.“ Im oben zitierten Statement tritt die GdP gar in die Fußstapfen des Katholischen Filmdiensts, wenn sie davon abraten, sich das Werk zu Gemüte zu führen: „Allerdings gibt es ausdrücklich keine Empfehlung der GdP Hamburg, sich diesen Film anzusehen.“ Meine Güte, könnte man denken, was wird den unbedarften Zuschauer denn wohl in AM ENDE DER WORTE erwarten? Eine junge Polizistin den Krallen von Killer Cops? Eine Parade an Szenarien, die hooliganartig auf alles und jeden eindreschende Beamten am Rande der Tollwut zeigen? Polizisten, die mit Drogen und Waffen handeln, die in radikale Netzwerke verstrickt sind, die sich über jedwedes Gesetz hinwegsetzen, Autos zu Schrott fahren, mutmaßliche Kriminelle umnieten, selbst Waisen und Witwen wegpusten, wenn sie ihnen im Weg stehen? Mitnichten, mitnichten, - wobei ich den Vorwurf der Realitätsferne, den die GdP Hamburg so prominent platziert, gar nicht von der Hand weisen möchte, jedoch wahrscheinlich auf andere Art als die, die die norddeutschen Beamten im Sinn hatten.

Stilistisch vertraut AM ENDE DER WORTE vollkommen auf inzwischen auch im TV-Kontext sattsam bekannte semi-dokumentarischen Inszenierungsstrategien: Größtmögliche Authentizität soll hervorgerufen werden, indem man vermehrt auf Handkameras setzt, indem größtenteils auf extradiegetische Musik verzichtet wird, indem die soghafte Montage uns immer ganz dicht an Hauptfigur Laura heranrückt. Mit ihren Augen erleben wir mit, wie sich ihre anfängliche Euphorie, nun endlich offiziell eine Uniform im Namen von Recht und Ordnung tragen zu dürfen, schnell zu Ernüchterung und schließlich zu waschechter Verzweiflung wandelt. Durchaus realistisch generiert sich AM ENDE DER WORTE bei allem, was den Background seiner Protagonistin betrifft: Ohne zu sehr auf die Dramadrüse zu drücken, bekommen wir quasi beiläufig die schwierige Familienkonstellation vorgeführt, in der sie sich befindet – eine eiskalte Mutter, die sich kaum für ihre Belange interessiert; ein absenter Vater, den sie mutmaßlich nie kennengelernt hat; ein abgöttisch geliebter Opa, selbst früherer Hauptmann, der nicht nur unter Demenz leidet, sondern vor den Augen Lauras Tag für Tag dem Tod entgegengleitet –; ihre ambivalenten Gefühle dem Polizeibetrieb gegenüber weiß der Film ebenso anschaulich zu vermitteln: Wie sie vor ihren Kollegen auf dicke Hose zu machen versucht, sich nicht anmerken lassen will, wie sehr sie mancher Einsatz mitnimmt; wie sie beim Anblick eines Mannes, der sich per Strick suizidiert hat, beinahe zusammenklappt; wie sie sich anfänglich von allzu exzessiven Alkoholexzessen nach Feierabend fernzuhalten versucht, schließlich aber doch immer wieder zur Flasche greift; wie sie vor gewissen Radikalisierungstendenzen innerhalb ihres Teams bewusst die Augen verschließt, vor der Außenwelt und vor sich selbst eine lächelnde Fassade aufrechterhält, in Wirklichkeit aber an der Härte ihres Jobs, an den zunehmenden Entgleisungen vor allem ihres Kollegen Lupus, mit dem sie zwischendurch auch schon mal in die Kiste hüpft, mehr und mehr zerbricht. Ohne selbst jemals in einer Polizeiuniform gesteckt zu haben, kann ich die Bedenken der GdP Hamburg, AM ENDE DER WORTE würde ein völlig verzerrtes Bild des Bereitschaftspolizistenalltags zeichnen, kaum nachvollziehen, bemüht sich Vukovics Film doch stets um eine durchaus differenzierte Darstellung: Einmal abzüglich des teilweise gar psychopathische Züge aufweisenden Lupus sind die übrigen Protagonisten nuancenreich gezeichnet, Menschen aus Fleisch und Blut, keine stumpfen Kampfmaschinen. Themen wie Racial Profiling, Drogenmissbrauch, brutale Übergriffe durch Polizisten werden zwar gezeigt, allerdings niemals als gängige Praxis, sondern stets betont als Ausnahme von der Regel. In manchen Fällen kann man AM ENDE DER WORTE gar vorwerfen, sich feige vor den eigenen veristischen Ansprüchen zu verstecken: Dann beispielweise, wenn Laura und ihre Truppe bei einer eskalierenden linken Demo aufräumen sollen, für die offenkundig Vorkommnisse rund um den G20-Gipfel in Hamburg 2007 Pate standen. Eben noch haben wir gesehen, wie unsere Helden in ihre Schutzanzüge steigen, sich mit Knüppeln bewaffnen, sich ins Geschehen stürzen – und einen Schritt später ist die Demo bereits über die Bühne gegangen und Laura & Co. ziehen sich ermattet in den Mannschaftswagen zurück. Was genau die Schwarzblende uns vorenthalten hat, werden wir zu keinem Zeitpunkt erfahren: Das, was außerhalb des kleinen Kreises von Laura und ihrem Team stattfindet, ist dem Film meist nicht mal einen Zaunblick wert. Von Anfang bis Ende verbleibt AM ENDE DER WORTE in seiner selbsterwählten Bubble: Es geht nie um die (Hamburger) Polizei an sich; es geht nie um grundlegende Fragen nach Missständen innerhalb des staatlichen Exekutivorgans ganz im Allgemeinen; stets und ausschließlich dreht sich der Film um die rein persönlichen Eindrücke Lauras in ihrer eigenen Einheit, die, - das schwingt im Subtext implizit mit -, einen eindeutigen Sonderfall darstellt: Schlimm geht’s hier zu, keine Frage, aber das ist nicht überall so, beileibe! Damit wird AM ENDE DER WORTE zu einer allgemeinen Parabel über Korrumpierung von Menschen durch Macht, über die Schadhaftigkeit hierarchischer Systeme, darüber, was mit einem passieren kann, sobald man eine Waffe im Halfter stecken hat und selbst in einer Uniform steckt. Jedwede Bezüge – und damit endet der Realismus einmal mehr – zur Tagesaktualität scheinen ein Eisen viel zu heiß, als dass es angefasst werden könnte.

Darüber hinaus steht der dokumentarische Anstrich, den sich AM ENDE DER WORTE gibt, in fundamentaler Differenz zur Konstruiertheit der Story, die mit zunehmender Laufzeit immer stärker zutage tritt. So vergleichsweise vielschichtig die meisten übrigen Charaktere modelliert werden, so sehr bündelt sich in Antagonist Lupus all das Böse der Menschheit: Sexist, Rassist, Gewalttäter, Drogenwrack, Manipulator – kaum ein unschöner Begriff, mit dem die Figur nicht belegt werden könnte. Demgegenüber steht als Engelsfigur eine Geflüchtete namens Amalia, die Laura zu Beginn des Films kennenlernt, und mit der sie anfängt, eine Freundschaft zu knüpfen. Anhand dieser Figur wird Lauras eigener moralischer Verfall exemplarisch und ziemlich holzschnittartig geschildert. Nicht nur aber, dass Laura Amalia alle paar Minuten durch die komischsten Zufälle, so, als ob Hamburg ein Dorf sei, in dem man sich zwangsläufig ständig über den Weg läuft, wiedertrifft, die ganze Chose wird noch viel hanebüchener, wenn Amalias Bruder, eine unrechtmäßig gezückte Schusswaffe in Lauras Händen sowie Lupus‘ Versuch ins Spiel kommen, Amalias Bruder eine Straftat anzulasten, die eigentlich er selbst begangen hat – womit sich AM ENDE DER WORTE endgültig den Boden der Realität unter den Füßen wegzieht und spätestens ab der Hälfte zu einem reichlich unglaubwürdigen Thriller wird, der jede vorherige fragwürdige Plot-Volte mit einer neuen seltsamen Wendung zu toppen weiß. Es ist, als sei ich auf einmal mit dem Röntgenblick à la Corman gesegnet: Während sich die Handlung vor meinen Augen immer weiter verheddert, kommt es mir vor, als würde ich das zugrundeliegende Drehbuch mehr und mehr als zusammengeschustertes, zwanghaft zurechtgebogenes, sprich, absolut konstruiertes Gerippe aufscheinen sehen. Dadurch entwickelt sich der Film vollends zur reinen Fiktion, deren Berührungspunkte zur wirklichen Welt äußerst marginal ausfallen: Schlimm geht’s hier zu, keine Frage!, aber das ist doch bloß ein Fernsehspiel! Dass sich die Gewerkschaft der Polizei Hamburg nichtsdestotrotz derart auf den Schlips getreten fühlt, lässt natürlich anderweitig tief blicken, und somit leistet AM ENDE DER WORTE vielleicht doch etwas, was er als Film nicht leisten kann: Zu offenbaren, was irgendwo im Argen liegt.
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