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Auf der Reeperbahn nachts um halb eins
„Cowboystiefel trägt jeder zweite Halbstarke...“
Die gleichnamige Neuinterpretation des St.-Pauli-Film-Klassikers „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ aus dem Jahre 1954 als durch den österreichischen Autor und Regisseur Rolf Olsen modernisiertes Milieukriminaldrama wurde, nachdem dieser bereits mit „In Frankfurt sind die Nächte heiß“ Milieufilmerfahrung gesammelt hatte, im Jahre 1969 Olsens dritter St.-Pauli-Film und sein zweiter des dadurch zur Filmreihe anwachsenden Kanons um Curd Jürgens in unterschiedlichen Hauptrollen auf Hamburgs sündiger Meile. Ausschlaggebend war der Erfolg des vorausgegangenen „Der Arzt von St. Pauli“.
„Das Leben ist beschissen.“
Hannes Teversen (Curd Jürgens, „Spione am Werk“), ein ehemaliger Seemann und Reederei-Mitinhaber, saß acht Jahre lang unschuldig hinter Gitter. Angeblich hatte er die Frau seines Geschäftspartner Lauritz (Fritz Tillmann, „In Frankfurt sind die Nächte heiß“) im Alkoholrausch totgeschlagen. Aus der Haft entlassen steht er vor dem Nichts: kein Job und keine Bleibe. Glücklicherweise kommt er bei seinem alten Freund Pitter (Heinz Reincke, „Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn“) und dessen Schwester Martha (Heidi Kabel, „Otto und die nackte Welle“) unter. Diese betreiben zusammen das Hippodrom, werden jedoch von Schutzgelderpressern bedroht. Überhaupt hat sich einiges auf dem Kiez verändert, wie Hannes feststellen muss: Banden treiben ihr Unwesen, Kriminalität grassiert, Einbrüche und Raubüberfälle sind an der Tagesordnung. Auch der junge Bäcker Karl (Klaus Hagen Latwesen, „Todesschüsse am Broadway“), liiert mit Pitters Stieftochter Antje (Jutta D’Arcy, „Leitfaden für Seitensprünge“), rutscht ins kriminelle Milieu ab. Hannes ist nicht bereit, diejenigen, die ihn einst in den Knast brachten, ungeschoren davonkommen zu lassen – und will außerdem Pitter helfen, sich gegen die Schutzgelderpresser zu verteidigen. Derweil verliebt sich Antje in Hannes und lässt sich von ihm zu einer Helgoland-Reise einladen Doch nach einer feuchtfröhlichen Kieztour schenkt Pitter Hannes reinen Wein ein: Antje ist Hannes‘ Tochter! Und auch die Ganoven und Mörder sind nicht untätig, haben Hannes längst wieder auf dem Kieker. Wird sich der gestandene Seemann noch einmal auf St. Pauli behaupten können?
„Was willst du?“ – „Erst mal 'nen Schnaps!“
Olsen lässt „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ bereits im Prolog mit Einbruch und Totschlag beginnen und gibt damit die Marschrichtung vor: Skrupellosigkeit beherrscht St. Pauli. Wer sich ihr nicht anpasst, wird durch sie umkommen. Das alte, ehrbare Seefahrermilieu wiederum verkörpert Hannes Teversen, mit der gewohnten und doch immer wieder so einnehmenden Inbrunst von Lebemann Curd Jürgens verkörpert. Olsen versucht sich an einer Mischung aus Kiezfolklore und krimigerechtem Spannungsaufbau, was ihm – für einen Ösi – einmal mehr erstaunlich gut gelingt. Neben Jürgens hat vor allem Heinz Reincke großen Anteil daran, verkörpert er doch wie kaum ein Zweiter den zugleich herzlichen und ruppigen Hamburger. Zu den stärksten Szenen zählt folgerichtig deren gemeinsamer Sturz ins Nachtleben inklusive ausgiebiger Gesangseinlagen und sogar einem Trompetensolo Jürgens‘. Ein paar Abstriche muss man jedoch im Dramaturgischen machen, denn ganz so spannend und unvorhersehbar, wie der Krimianteil hätte sein können, ist er nun wirklich nicht. Dafür erwartet einen zum Ende aber ein ordentlicher Showdown mit Keile, Schießereien und Explosionen.
„Ich bin fast mehr als doppelt so alt wie Antje!“
Jutta D’Arcy gibt überzeugend eine zuckersüße Antje und ist der Hingucker des bis auf eine kurze Nacktbadeszene am Elbstrand relativ züchtig inszenierten Films mit seinem bisweilen etwas holprigen Schnitt. Die authentischen Kiezkulissen stehen natürlich für sich selbst, die Hafenstraßen-Punkrock-Kneipe „Onkel Otto“ war noch das „Onkel Max“, die großen Glaspaläste von heute waren noch längst nicht errichtet und – na klar: das Anfang der 1970er geschlossene Hippodrom existierte noch. Einen Film wie diesen ohne ein gehöriges Maß an Nostalgie zu betrachten, ist insbesondere für Norddeutsche nur schwer möglich. Am besten, man versucht’s gar nicht erst, sondern lässt Jürgens und Reincke unter Olsens Regie über den Kiez tanzen und stößt symbolisch mit ihnen an. Dass Olsen hier letztlich auch nur einen touristischen Blick aufsetzt und uns eine Räuberpistole auftischt, gerät da zur Nebensache.