Auge in Auge – Eine deutsche Filmgeschichte - Michael Althen / Hans Helmut Prinzler (2008) [Doku]

Moderator: jogiwan

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buxtebrawler
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Auge in Auge – Eine deutsche Filmgeschichte - Michael Althen / Hans Helmut Prinzler (2008) [Doku]

Beitrag von buxtebrawler »

auge_in_auge.jpg
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Originaltitel: Auge in Auge - Eine deutsche Filmgeschichte

Herstellungsland: Deutschland / 2008

Regie: Michael Althen / Hans Helmut Prinzler

Mitwirkende: Michael Ballhaus, Andreas Dresen, Doris Dörrie, Dominik Graf, Wolfgang Kohlhaase, Caroline Link, Christian Petzold, Tom Tykwer, Wim Wenders, Hanns Zischler
Michael Althen und Hans Helmut Prinzler unternehmen einen umfassenden Streifzug durch hundert Jahre deutscher Filmgeschichte und befragen dazu prominente Vertreter des deutschen Kinos wie Tom Tykwer und Doris Dörrie. Der Film versucht die wichtigsten Strömungen und Filmemacher zu untersuchen und wie in regelmäßig auftretenden Generationskonflikten das Kino immer wieder erneuert wird als Abkehr von den geistigen Vätern. Auch die Propagandafilmindustrie der nationalsozialistischen Diktatur und der vorübergehende Zusammenbruch der deutschen Filmindustrie werden thematisiert, ebenfalls findet der Neue Deutsche Autorenfilm Erwähnung. Als Dokumentation versucht der Film den Glanz des deutschen Films aufblitzen zu lassen und zeigt an Beispielen ungewöhnliche Lesearten zu den jeweiligen Filmen...
Quelle: www.ofdb.de

Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Auge in Auge – Eine deutsche Filmgeschichte - Michael Althen / Hans Helmut Prinzler (2008) [Doku]

Beitrag von buxtebrawler »

Unter der Regie des Journalisten und Dokumentarfilmers Michael Althen („München – Geheimnisse einer Stadt“) und des Filmhistorikers Hans Helmut Prinzler entstand der abendfüllende Essayfilm „Auge in Auge – Eine deutsche Filmgeschichte“, der im Jahre 2008 in die deutschen Kinos kam – und sich mit eben diesem auseinandersetzt.

Zehn deutsche Filmschaffende begleiten Althen und Prinzler auf einer Zeitreise durch die deutsche Kinofilmgeschichte und stellen jeweils einen für sie persönlich bedeutsamen Film vor. Zunächst aber führt Althen sehr wortgewandt als Voice-over-Erzähler ein, indem er collagiert bebildert bereits vorwegnimmt, was der deutsche Film eigentlich alles ist. Regisseur Tom Tykwer („Das Parfum“) eröffnet dann den Reigen, indem er die gruseligen Qualitäten Nosferatus, also Murnaus Stummfilmoriginal, herauskehrt. Bevor Tykwer den Staffelstab weitergibt, stellt Althen zu einer neuen Bildcollage die Frage nach Eigenarten des deutschen Films in den Raum, dazu ertönt (etwas irritierend) feierliche Orchestermusik. Das Plenum versucht, die Frage zu beantworten, im Anschluss feiert Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase „Menschen am Sonntag“ ab. Mit etlichen Filmausschnitten bebildert geht es daraufhin um Berlin-Filme, auch während des Kriegs und danach, um DEFA-Produktionen und die Nachwendezeit.

Wim Wenders („Der Himmel über Berlin“) übernimmt und schwärmt von Fritz Langs „M“, gefolgt von einem (ganz großartigen!) Zusammenschnitt rauchender Menschen in deutschen Filmen. Es folgt die Zeit der NS-Terrorherrschaft, die folgerichtig als Einschnitt in der deutschen Kinolandschaft betrachtet wird. In aller Kürze beschäftigt man sich in diesem Kontext mit Filmen Veit Harlans. Regisseur Christian Petzold stellt Helmut Käutner als Beispiel für einen Regisseur heraus, der sich nicht von den Nazis vereinnahmen ließ, und spricht über dessen Film „Unter den Brücken“. Auf einen Zusammenschnitt von Filmküssen folgt Alexander Kluges „Abschied von gestern“, der als Beginn des Neuen deutschen Films genannt wird, kommentiert von Schauspieler Hanns Zischler („Im Lauf der Zeit“). Ein Abriss zum Film in der DDR nennt zunächst „Spur der Steine“ und andere dort damals zensierte Filme, bevor Regisseur Andreas Dresen („Sommer vorm Balkon“) beschreibt, wie sehr und weshalb ihn der Film „Solo Sunny“ beeindruckt habe.

Der nächste Zusammenschnitt beinhaltet Frauenblicke, anschließend erweist der international gefragte Kameramann Michael Ballhaus Fassbinders „Die Ehre der Maria Braun“ und „Martha“ die Ehre. Ein Zusammenschnitt von Filmschreien geht über zu Filmemacher Dominik Graf, der anhand Klaus Lemkes „Rocker“ zum Fürsprecher des kultigen deutschen Independent-Films und von Genre-Produktionen wird. Ein in liebevoller Kleinarbeit kompilierter Zusammenschnitt von Telefongeklingel und -gesprächen ergibt sogar einen scheinbar sinnvollen Dialog, und dann kommt auch eine der wenigen Frauen des Ensembles zu Wort: Regisseurin Doris Dörrie („Männer“) gefällt Wim Wenders‘ „Alice in der Stadt“. Ein leider nur ultraknapper Exkurs führt zu außerhalb Deutschlands spielenden deutschen Filmen; doch rasch kehrt man zu deutschen Drehorten zurück, was den Übergang zu Edgar Reitz‘ „Heimat“-Trilogie bildet, die Regisseurin Caroline Link („Nirgendwo in Afrika“) kuratiert. Abschließende Worte Althens führen zurück den Anfängen des Bewegtbilds, als wolle man damit gewissermaßen den Kreis schließen.

Neben den collagenartigen Zusammenschnitten, Kurzexkursen und Off-Narrationen wird zwischendurch immer wieder Namedropping betrieben, indem von den Beteiligten genannte Filmtitel und Personennamen kurzgeschnitten aneinandergereiht werden, sodass sie wie Brainstorming-Assoziationsketten wirken. In den Schnitt dieses Films muss eine Heidenarbeit geflossen sein. Ein schönes Detail auch, dass die Filme, um die es dann jeweils etwas ausführlicher geht, als Buchstabenanschläge verschiedener Lichtspielhäuser visualisiert werden. Ein wenig schade ist es, dass nicht eingeblendet wird, wie die Talking Heads jeweils heißen, dies erschließt sich jedoch nach und nach aus dem Off-Kommentar. Und diese Filmschaffenden einmal über Filme anderer sprechen zu hören, ist wahrlich interessant, da sie in der Regel eine etwas andere Perspektive einnehmen können, als es Filmkritikern für gewöhnlich möglich ist. Was genau sie jeweils zu sagen haben, habe ich hier bewusst größtenteils ausgespart und gilt es, bei Interesse selbst zu rezipieren.

Die behandelten Filme sind chronologisch geordnet, werden mit vielen Filmausschnitten zitiert, stellen aber natürlich nur einen winzig kleinen und zudem sehr subjektiven Einblick in die deutsche Filmgeschichte dar. „Auge in Auge“ setzt nur einzelne Schlaglichter und spart viel aus. Alles andere wäre für einen einzelnen Dokumentarfilm auch überambitioniert und zum Scheitern verurteilt. Mit ihrem sich aus dem Titel bereits erahnen lassenden Konzept, nicht die, sondern lediglich eine deutsche Filmgeschichte zu erzählen, begegnen Althen und Prinzler dem ebenso wie mit ihren Collagen und ähnlich Stilmitteln. Ein Stilmittel ist eben auch das einer Oral History, ohne dass vollumfänglich eine daraus würde. Auch aus den behandelten Filmen heben die Protagonist(inn)en dieser Doku in erster Linie einzelne Szenen, die es ihnen besonders angetan haben, hervor, statt den gesamten Film analytisch zusammenzufassen.

Für die knappe Laufzeit ist das ziemlich ansprechend gemacht. Je nach persönlicher Zu- und Abneigung macht es mehr oder weniger Spaß, Dörrie, Wenders, Tykwer & Co. zuzuhören oder Lust, sich für die von ihnen abgehandelten Filme zu interessieren zu beginnen. Ein aufgeschlossenes Publikum könnte „Auge in Auge“ aber dazu bringen, sein bisheriges Bild vom deutschen Film zu überdenken oder zu erweitern und es im Idealfalls dazu animieren, selbst auf Entdeckungsreise zu gehen und zu erörtern, welche Klassiker nach eigenem subjektiven Empfinden hier sträflicherweise gefehlt haben.
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Arkadin
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Re: Auge in Auge – Eine deutsche Filmgeschichte - Michael Althen / Hans Helmut Prinzler (2008) [Doku]

Beitrag von Arkadin »

Die Doku habe ich am 8. Februar 2009 - also vor fast auf dem Tag 15 Jahren! - bei uns im Kommunalkino (damals noch in bei uns im Stadtteil) gesehen und schrieb am folgenden Tag dieses in meinem Blog:

Am gestrigen Sonntag wurde im Kino 46 der Film „Auge in Auge – eine deutsche Filmgeschichte“ gezeigt. Hans Helmut Prinzler, 16 Jahre Vorsitzender der Stiftung Deutsche Kinemathek und 6 Jahre Leiter des Filmmuseums in Berlin, sowie Co-Regisseur von „Auge in Auge“, war anwesend, führte kurz in den Film ein und stand danach dem Publikum noch für Fragen zur Verfügung.

Der Film „Auge in Auge“ möchte eine deutsche Kinogeschichte erzählen. Die Betonung liegt hier auf „eine“, denn natürlich kann man nicht 120 Jahre Deutsches Kino in 105 Minuten pressen. Diesen Anspruch, das betonen die Filmemacher gleich zu Beginn des Filmes, hat man auch gar nicht. Durch das selektiv-subjektive Vorgehen der Macher findet das geneigte Publikum nun natürlich überall Lücken und Auslassungen. So fand ich es z.B. sehr schade, dass der deutsche Unterhaltungsfilme mit seinen Karl-May und Edgar-Wallace-Verfilmungen oder der deutsche Exploitationfilm gerade einmal in sekundenschnellen Ausschnitten abgehandelt wurden, obwohl sie drei Jahrzehnte lang prägend und höchst erfolgreich waren. Der „Neue Deutsche Film“ verstand sich ja auch als Gegenbewegung zu „Opas Kino“.

Die beiden Filmemacher konzentrieren sich in Ihrer Vorangehensweise auf die Filme, die sie selber für unbedingt wichtig für den Deutschen Film halten. Sie erzählen also wirklich nur eine, nämlich ihre, Geschichte des Deutschen Filmes. Somit ist die Auswahl der vorgestellten Filme für den Interessierten relativ überraschungsfrei. Murnau („Nosferatu„), Lang („M„), Käutner stehen für das Kino bis 1945, Wenders, Fassbinder für das „Neue Deutsche Kino“, stellvertretend für den Film aus der DDR wird „Solo Sunny“ vorgestellt.

Zum Konzept des Filmes gehört es, zehn bedeutende Persönlichkeiten des Deutschen Filmes (u.a. Michael Ballhaus, Tom Tykwer, Andreas Dresen, Christian Petzold und der unvermeidliche Wim Wenders) ihren „Lieblingsfilm“ vorstellen, wodurch auch gleichzeitig ein chronologischer Abriss herausragende Beispiele für den Deutschen Film der letzten 120 (eigentlich 85, da der erste – „Nosferatu“ – von 1922 stammt) darstellen. Dabei ist die Qualität der prominenten Beiträge allerdings recht unterschiedlich. Wim Wenders klingt als ob er Alexander Kluge parodieren möchte, Christian Petzold erzählt recht umständlich (ganz im Gegensatz zu der präzisen Sprache seiner eigenen Filme) über „Unter den Brücken“ und Michael Ballhaus erklärt zum x-ten Mal, wie es zu der berühmten 360 Grad Kamerafahrt in „Martha“ kam. Erfrischend dagegen die Beiträge von Dresen, Graf und Kohlhaase.

Zwischen diesen Hauptblöcke eingestreut sind Kapitel zu einigen zentralen Themen, wie z.b. dem Film unter der nationalsozialistischen Herrschaft, in der DDR oder auch nur „Blicke im Deutschen Film“, Schreie oder Küsse. Gerade diese Zusammenschnitte kurzer Szenen machen viel Spaß, da sich die „Experten“ hier freuen können, wenn sie erkennen, welche Filme hier und dort reingeschnipselt wurden.

Ausgesprochen charmant ist die Idee, die Kapitelüberschriften des Filmes als Werbung an alten Kinos in ganz Deutschland zu zeigen. Das Spektrum reicht vom Berliner Kinopalast am Zoo bis hin zu einem baufälligen Schuppen, irgendwo auf einer Alm.

Auch positiv anzumerken ist, dass zumindest Käutner mit einem eher unbekannteren Film („Unter den Brücken“) repräsentiert wird und Dominik Graf über Klaus Lemkes Kultfilm „Rocker“ referiert. Wie der Co-Regisseur in der Diskussionsrunde nach dem Film mitteilte, war dies ursprünglich nicht geplant gewesen, aber Graf hätte sich vehement für diesen Film eingesetzt.

Insgesamt ein netter, wenn auch recht konservativ gemachter Film, welcher natürlich nicht die gesamte Deutsche Filmgeschichte ausführlich abhandeln kann, aber auch gar nicht mit diesem Anspruch angetreten ist. Für diejenigen, die sich mit der Deutschen Filmgeschichte noch gar nicht oder nur ein bisschen beschäftigt haben ein gelungener Einstieg. Denjenigen, die sich schon näher mit der Materie auseinandergesetzt haben, erzählt er nichts Neues, macht aber großen Appetit darauf, mal wieder auf der großen Leinwand oder im Puschenkino einen Deutschen Film zu genießen.

Zwei Anmerkungen noch zum Schluss:

Wie der Prinzler erzählte, war das Projekt erst als 10-teilige TV-Serie geplant. Leider fand sich bei keiner Sendeanstalt jemand, der dafür Sendezeit zur Verfügung gestellt hätte. So traurig ist es mittlerweile um den „Bildungsauftrag“ der öffentlich-rechtlichen Sender bestellt. Ich finde dies sehr beschämend.


Anmerkung heute: Sowohl Althen (2011) als auch auch Prinzler (überraschend letztes Jahr) sind mittlerweile verstorben. Sie fehlen beide.
Früher war mehr Lametta
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Re: Auge in Auge – Eine deutsche Filmgeschichte - Michael Althen / Hans Helmut Prinzler (2008) [Doku]

Beitrag von buxtebrawler »

Arkadin hat geschrieben: Do 15. Feb 2024, 15:46 Anmerkung heute: Sowohl Althen (2011) als auch auch Prinzler (überraschend letztes Jahr) sind mittlerweile verstorben. Sie fehlen beide.
Das ist wirklich sehr traurig :(
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