Cadaverous - Jan Reiff (1991)

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Salvatore Baccaro
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Cadaverous - Jan Reiff (1991)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

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Originaltitel: Cadaverous

Produktionsland: Deutschland 1991

Regie: Jan Reiff

Cast: Andrea Leukel, Jan Reiff, Roger Siegloch, Matthias Uhl


Nach meiner Kurzkritik zum eher obskuren deutschen Amateur-Horror-Streifen REQUIEM DER TEUFEL muss ich nun noch ein paar flüchtige Worte über CADAVEROUS verlieren, den Jan Reiff zwei Jahre zuvor quasi als Fingerübung für seinen zweiten (und auch schon letzten) Streich gedreht hat. Im Netz kann man lesen, dass CADAVEROUS eigentlich gar nicht für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen sein soll; angeblich hätten sich seinerzeit einzig sechs VHS-Kassetten von dem Freizeitprojekt in Umlauf befunden. Falls dies nicht bloß ein Gerücht sein sollte, um den arkanen Nimbus des Werks zu potenzieren, hat offenbar im Laufe der Zeit irgendwer eins dieser Tapes digitalisiert und irgendwer anders hat dieses mir anonymerweise direktemang zusammen mit dem Teufelsrequiem ins Postkasterl befördert…

CADAVEROUS pendelt sich bei einer Laufzeit von knapp unterhalb einer Stunde ein, und erzählt weniger eine zusammenhängende Geschichte, sondern bebildert Ereignisse, die man vielleicht wie folgt ansatzweise kohärent zusammenfassen könnte: Michelle fährt mit ihrem PKW durch den Wald und bleibt im Morast stecken. Ein wenig vertrauenswürdig anmutender Kapuzenträger erscheint, brabbelt pseudo-poetischen Nonsens („Pssst…störe nicht die Kinder des Waldes!“), bietet Michelle dann aber doch an, dass er einen „Seilzug“ holen gehen würde, um ihr und ihrer Karre aus der Patsche zu helfen. In Wirklichkeit aber beschwört der Vermummte, kaum befindet er sich außer Sichtweite, anscheinend irgendwelche Dämonen, die sodann auf Michelles Auto im EVIL-DEAD-POV-Style zurasen. Gerade noch rechtzeitig kann Michelle ihre Reifen aus dem sumpfigen Grund befreien und in ihre Wohnung heimkehren, wo es indes noch in derselben Nacht mit Poltergeistphänomen zugeht. Der per Telefon alarmierte Freund Steve eilt natürlich sofort zur Rettung – und findet Michelle verängstigt unter der Spüle vor, von wo aus sie ihm mutmaßlich im Glauben, er sei einer ihrer übernatürlichen Belästiger, ein Messer in den Hals rammt. Steve ist wider Erwarten nur leicht verletzt und heckt nunmehr folgenden für mich kaum nachvollziehbaren Plan aus, um den rätselhaften Vorkommnissen auf den Grund zu gehen: Die völlig traumatisierte Michelle wird nicht etwa ins nächste Krankenhaus gebracht, sondern bei Steves Bruder Ted deponiert; Steve selbst richtet sich in Michelles Wohnung ein, vermutlich, um selbst Zeuge der gänsehautinduzierenden Dinge zu werden, die sich in ihr vollziehen sollen.

Längst ist zu diesem Zeitpunkt klar, dass es nicht Reiffs oberste Priorität gewesen sein kann, ein in sich schlüssiges Drehbuch zu schreiben. Vielmehr wirkt CADAVEROUS storytechnisch wie eine reichlich improvisierte Angelegenheit, was nicht zuletzt die Tatsache unterstreicht, dass wir über manche Plot-Progression mittels Texttafeln informiert werden, so, als hätten Reiff und sein Team beim End-Cut festgestellt, dass ihre Chose nur dann wenigstens einen hauchzarten Sinn ergibt, wenn sie sie nachträglich mit noch etwas Exposition aus dem Off unterfüttern. Worin CADAVEROUS jedoch glänzt, (wohlgemerkt stets im Kontext eines Films, der über kein Budget verfügt haben dürfte, mit dem man einen normalgewichtigen Braunbären in einem Pub betrunken bekommen könnte), das ist seine durchaus vorhandene Atmosphäre, die Mühen, die Reiff in Aspekte wie abwechslungsreiche Kameraperspektiven, einen flotten Schnitt, ein ansprechendes Sounddesign steckt: Einmal filmt er Michelle beispielweise aus dem Fenster eines Hochhauses, und zoomt dabei stetig zurück, sodass sich der wahre Standpunkt der Kamera viele Meter über der durch die Straßen laufenden jungen Frau erst schrittweise enthüllt; jedwede Zähflüssigkeit, wie sie dem Amateur-Horrorfilm oft und gerne eigen ist, vermeidet CADAVEROUS durch eine weitgehend rhythmische Montage; und viele der Darkwave/Industrial-Sounds, die uns auf die Ohren gelegt werden, finden sich zwar 1:1 auch später in REQUIEM DER TEUFEL wieder, was sie aber natürlich nicht weniger stimmungsvoll macht. Nicht zuletzt ist die Beleuchtung in den Innenraumszenen hervorzuheben: Wo viele der Zunftgenossen Reiffs einfach im Dunkeln oder Halbdunkeln drehen, dass man Mühe hat, überhaupt die agierenden Figuren auseinanderzuhalten, merkt man CADAVEROUS an, dass man sich im Vorfeld sichtbar Gedanken darüber gemacht hat, wie man die vorhandenen Lichtquellen am besten nutzt, wo man zusätzliche Lichtquellen anbringt usw. Die Schauspieler sind stets bemüht und wohl allesamt Bekannte von Reiff, die dann auch zumeist in REQUIEM DER TEUFEL reüssieren dürfen. (Erneut gesagt: All dieses Lob immer eingedenk des Umstands, dass wir es mit einer komplett unabhängigen Super8-Produktion zu tun haben, die mir als VHS-Rip vorliegt, dessen Bildqualität jedes mainstream-verwöhnte Auge zum Bluten bringen würde.)

Inzwischen muss Ted, (den übrigens Jan Reiff höchstselbst verkörpert), feststellen, dass die Einfälle seines Bruderherzens nicht immer die besten sind: Kaum lässt er Michelle aus den Augen, schlitzt diese sich die Pulsadern mit einer Rasierklinge auf. Glücklicherweise findet Ted sie gerade noch rechtzeitig und kann ihr mit einem Notfallverband das Leben retten. Daran, sie in ärztliche Obhut zu übergeben, denkt der Gute allerdings immer noch nicht, sondern zeigt sich vielmehr fasziniert von dem Schriftzug, den Michelle mit ihrem eigenen Blut an den Wandspiegel geschmiert hat: The Man in the Woods. Und weil es in der Welt, in der CADAVEROUS spielt, nur einen einzigen Wald zu geben scheint und der auch bloß die Größe einer Erdnuss hat, fährt Ted, (die suizidgefährdete Michelle erneut alleinlassend!), in besagten Wald, wo er auch bald dem besagten Mann gegenübersteht, der immer noch pseudo-philosophischen Phrasen drischt, Ted seinen eigenen Doppelgänger auf den Hals hetzt und ihn schließlich mit dämonischer Besessenheit erfüllt, damit er nunmehr Steve in Michelles Wohnung überraschen und attackieren darf. Steve entledigt sich Ted, indem er ihn kopfüber in die Kloschlüssel tunkt und diesem Ensemble einen Föhn hinzufügt, (eine Tötungsmethode, die ebenfalls in REQUIEM DER TEUFEL rekapituliert werden wird.) In Sorge um Michelle entert Steve nun Teds Wohnung, wo schon der „Mann aus dem Wald“ axtschwingend auf ihn wartet. Gemeinsam können Steve und Michelle zwar fliehen, (und zwar zurück in den Wald!), doch unterwegs verliert Steve Leben und Bein, und es kommt zum Showdown zwischen Michelle und dem Möchtegern-Lyriker auf einem Turm, (wo letzterer auf ganz klassische Art bezwungen wird: Ein Kruzifix, mehr braucht es nicht, um einen Dämon oder Magier oder was auch immer das für eine Gestalt sein soll, in die Knie zu zwingen.)

Die Fragen, die man an die Handlung von CADAVEROUS stellen könnte, würden dieses Forum sprengen, und sind auch gänzlich obsolet, denn Jan Reiff denkt gar nicht daran, irgendwelche der Vorgänge zu erklären, zu kontextualisieren, in jedwede Sichtweite mit menschlicher Logik zu bringen. Woran er stattdessen denkt, das ist mit der Kamera umherzuwirbeln, als wolle er Gaspar Noé Konkurrenz machen, bevor dieser überhaupt das Kamerawirbeln für sich entdeckt hat: In den letzten Szenen nämlich hat Michelle sich in eine Waldhütte geflüchtet. Draußen wimmelt es plötzlich von unheimlichen Geräuschen, Stimmen. Die dämonische Präsenz ist förmlich spürbar, greift letztlich sogar auf die Inszenierung über. Die Kamera dreht sich hektisch um Michelles Kopf, zoomt wie wild vor und zurück, fuchtelt umher, dass das Bild zu grobkörnigen Schlieren verkommt, sucht immer wieder ein Christusbild an der Hüttenwand, scheint ihr Objekt einmal gar mitten in Michelles Mund zu stecken – ein Außer-Rand-Und-Band-Geraten der Mise en Scene, dem unsere Heldin nur dadurch Einhalt gebieten kann, dass sie sich mittels eines Pistolenschusses tötet. Ich sage: Impressive!, (und zwar ganz ohne Ironie.)

Während die Credits auf Englisch abrollen, bin ich dementsprechend dann doch ein bisschen verzückt von diesem entgleisenden, düsteren, nahezu nihilistischen Finale, das ziemlich konträr zum eher schwarzhumorigen Ton von REQUIEM DER TEUFEL steht. Während Reiffs Zweitling eher die komödiantischen Seiten von Raimis EVIL DEAD betont, sich anfühlt wie eine augenzwinkernde Hommage an eine beliebige CREEPSHOW-Episode und dadurch ausgesprochen unterhaltsam gerät, ist CADAVEROUS für mich der künstlerisch eindeutig interessantere Streifen, weil dieser eher die klaustrophobischen Seiten von EVIL DEAD betont, sich anfühlt wie eine ernstgemeinte Hommage an die surrealistisch-blutigen Exzesse eines Lucio Fulci und dadurch ausgesprochen beklemmend gerät. Zusammengenommen ergeben beide Filme jedenfalls eines der schönsten, wenn auch schmalsten Oeuvres der mir bekannten bundesdeutschen Amateur-Horror-Historie.
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