Das wilde Leben - Achim Bornhak (2007)

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Maulwurf
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Das wilde Leben - Achim Bornhak (2007)

Beitrag von Maulwurf »

Das wilde Leben
Deutschland 2007
Regie: Achim Bornhak
Natalia Avelon, Matthias Schweighöfer, David Scheller, Friederike Kempter, Alexander Scheer, Victor Norén, Milan Peschel, Georg Friedrich, Inga Busch, Heike Warmuth, Sebastian Maschat, Julia Valet


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Uschi Obermaier. Ikone der ‘68er-Bewegung, Revolutionärin, Fotomodell, Kommunardin. Auch im Alter noch eine schöne Frau mit dem großen Wunsch nach persönlicher Freiheit und dem Hang, sich nichts vorschreiben zu lassen. In DAS WILDE LEBEN werfen wir einen kleinen verschmitzten Blick hinter die Kulissen. Lernen Rainer Langhans und Keith Richards kennen. Ziehen durch die Welt. Erfahren wir, wie es ist, wild zu leben?

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In Paris haben die Studenten in diesem Sommer ‚Fantasie an die Macht‘ an die Häuserwände geschrieben. In San Francisco haben sie auf den Straßen getanzt und für ihren Lebenstraum gekämpft. Und ich saß zuhause in Sendling, einem Vorort von München. Ich hatte das Gefühl zu sterben. Dieser ewige Totensonntag.

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Die Schlüsselszenen des Films kommen gleich zu Beginn, wenn die Jugend in einer typischen Familie dieser Zeit gezeigt wird. Aus Dir soll doch mal was werden, heißt es. Wo es selbstverständlich ist, dass die Eltern den Inhalt des persönlichen Schatzkästleins inspizieren, und hinterher heftige Vorwürfe vom Stapel lassen. Aus ihr soll mal was Anständiges werden! Eine Dame soll aus ihr werden, so sagt es die Mutter.

Wer aus so einer Umgebung kommt kann sich nur nach Freiheit sehnen. Und in einer Zeit, die sich bereits durch den Wunsch nach Aufbruch und Veränderung definierte, ist dieser Wunsch nach Freiheit geradezu immanent. Spannenderweise setzen wir aus der heutigen Sicht diese Suche automatisch gleich mit dem Kampf um politische Veränderung, was Ende der 60er-Jahre sicher das große Thema schlechthin war. DAS WILDE LEBEN zeigt uns aber einen Menschen, der ausschließlich die persönliche und unpolitische Freiheit sucht. So wie seit dem Fall der Mauer der Begriff Freiheit gleichgesetzt wird mit ungehemmten Konsum, so setzt die Uschi Obermaier des Films Freiheit gleich mit Promiskuität und Hedonismus, was für den damaligen Zeitgeist sicher nicht ungewöhnlich war. Uschi Obermaier war halt nun mal keine Revolutionärin, nicht mal politisch interessiert war sie. Aber sich gut in Szene setzen und verkaufen, das konnte sie.

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Diese Sehnsucht nach persönlicher Integrität und Selbstverwirklichung, auch wenn alle anderen sagen man solle das besser lassen. Der Traum, frei zu sein. Wobei frei sein bedeuten kann, am Strand zu leben und Feste zu feiern, genauso wie es bedeuten kann, sich für viel Geld fotografieren zu lassen. Sich nicht von den Einschränkungen der spießbürgerlichen Gesellschaft gängeln zu lassen, und von den Vorstellungen der ach so alternativen Gegengesellschaft noch gleich viel weniger, sondern das zu tun, was man selber für richtig hält. Träume nicht Dein Leben, lebe Deinen Traum.

Und wenn Uschi dann am Ende des Films auf das Meer schaut, ihr Leben Revue passieren lässt, und feststellt, dass sie nichts anders machen würde, dann überträgt sich diese Sehnsucht auch auf den Zuschauer, der sich automatisch fragt, ob er denn in seinem Leben alles richtig gemacht hat. Und was aus den eigenen Träumen geworden ist. Wollte man nicht immer mal …? War da nicht immer der Wunsch nach …? DAS WILDE LEBEN lässt den Zuschauer nachdenklich und etwas traurig zurück, was vielleicht auch ein Grund sein mag, warum die Rezeption des Films oft so schlecht ist. Es ist leichter, sich über Filmfehler auszulassen, und über fehlende Charakterisierungen (wirklich?) und eine sprunghafte Inszenierung zu schimpfen, als sich selber die schlussendliche Frage des Films zu stellen: Wo warst Du, als Du gelebt hast?

Und so reisen wir mit Uschi Obermaier durch die Welt der 70er-Jahre des 20. Jahrhunderts. Von Sendling nach London und Hamburg, nach Asien und nach Amerika. Nicht die Welt des Terrorismus und des Ölschocks wird gezeigt, sondern durch die Welt hinter den Nachrichten. Die Welt derjenigen Menschen, die keine Geschichte schreiben wollten, die aber auch nicht im Einheitsbrei versinken und dem bürgerlichen Leben anheim fallen wollten. Sondern dem alten Sponti-Spruch Gibt es ein Leben vor dem Tod? folgten und versuchten, ihr Leben mit einem anderen Sinn als dem des größtmöglichen Konsum zu füllen. Sex, Drogen, Party – Alles Dinge, die man in einem ganz bestimmten Alter unglaublich cool findet, und in einem ganz bestimmten anderen Alter rundweg ablehnt. Das erste erwähnte Alter ist das der Protagonisten, das andere dürfte das der Kritiker sein …
Uschi Obermeier hat sich irgendwann mal für den einen Weg entschieden, und ich bin sicher, dass sie, wenn sie vor dem Tod auf ihr Leben zurückblickt, sehr glücklich sein wird. Aber es ist natürlich auch klar, dass alle, denen diese Lebenseinstellung fremd ist, oder denen die Konsequenz zum Leben ihres eigenen Traumes verwehrt blieb, dass diese den Stab über ihr brechen. Oder könnte da nicht vielleicht auch ein klein wenig Neid im Spiel sein …?

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Die Handlung dieses Films ist den Erinnerungen von Uschi Obermaier frei nachempfunden, er stellt dieses Leben nicht nach. Das Drehbuch orientiert sich an den Marksteinen des Lebenslaufs, und was dazwischen passiert, nun … Wer weiß? Ein etwas melancholisch klingender Artikel von Claudius Seidl (1) führt diese Strategie des Mutes zur Erinnerungslücke weiter aus, übersieht dabei aber, dass Biopics, die sich nur grob an die Realität halten, per Definition nichts taugen. Zumindest in den Augen der bürgerlichen Filmkritik …

Mit persönlich hat DAS WILDE LEBEN gut gefallen. Er hat seine Längen und seine Fehler, aber eines macht er perfekt: Er erzeugt Stimmung. Und Sehnsucht. Einmal in Mexiko am Strand Musik machen. Einmal mit den Stones eine Party feiern. Einmal dem bürgerlichen Alltagswahn Einhalt gebieten und seine Träume zulassen …

Einmal so tun, als ob das Leben wild wäre …

(1) https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/ ... 08101.html

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