Der Student von Prag - Arthur Robison (1935)

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Salvatore Baccaro
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Der Student von Prag - Arthur Robison (1935)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

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Originaltitel: Der Student von Prag

Produktionsland: Deutschland 1935

Regie: Arthur Robison

Cast: Adolf Wohlbrück, Dorothea Wieck, Theodor Loos, Erich Fiedler, Edna Greyff, Fritz Genschow, Karl Hellmer


Nachdem sich bereits Paul Wegener in der 1913er Fassung als Prags bester Fechter und wildester Studiosus Balduin in Szene setzen durfte, und nachdem dieselbe Rolle von Conrad Veidt im 1926er Remake verkörpert worden ist, gießt man die ursprünglich aus der Feder von Skandalautor Hanns Heinz Ewers stammende Geschichte 1935 zum dritten und letzten Mal auf, - womit DER STUDENT IN PRAG unter der Regie des kurz nach Ende der Dreharbeiten verstorbenen Arthur Robisons einer der wenigen Vertreter des phantastischen Films sein dürfte, die während des Dritten Reichs in die Lichtspielhäuser gelangen. Obwohl das von Robison mitverfasste Drehbuch kaum am Grundkern der Story rührt, - erneut gerät ein bettelarmer Student im Prag um die Jahrhundertwende an einen zwielichtigen Schwarzmagier, der ihm Taschen voller Geld und das Herz seiner Angebeteten verspricht, wenn er ihm bloß sein Spiegelbild verkaufe, worauf unser Held nach diesem unüberlegten Seelenhandel von einer Katastrophe in die nächste schlittert, bis er sich am Ende, auf seinen ihn inzwischen heimsuchenden Doppelgänger schießend, selbst entleibt -, sind die Änderungen stellenweise doch gravierend, mit der der Film dem Original ganz neue Akzente abgewinnt: Wo sich Henrik Galeens Remake noch dicht am Ursprungsfilm orientierte, haben sich im 1935er STUDENTEN VON PRAG nicht nur die Namen einiger Figuren gewandelt – der dämonische Scapinelli beispielweise firmiert nun als „Doktor Capris“ –, sondern auch die Profession von Balduins Augenstern Julia Stella wurde durch den Fleischwolf gedreht: In den beiden Vorgängerfilmen ist diese eine recht passiv bleibende Adlige, zu der Balduin eine regelrechte Obsession entwickelt; in Robisons Fassung wiederum hat man die Dame zu einer Operndiva gemacht, - was dem Film wiederum freilich genügend Gelegenheit gibt, in ausgewalzten Gesangseinlagen zu schwelgen, die ihn vor allem in seiner ersten Hälfte, wo er auch nicht mit feucht-fröhlichem Geträller im Studentenkeller geizt, nahezu zu einem Musical werden lässt.

Gespielt wird Balduin von Adolf Wohlbrück, der direkt im Anschluss als homosexueller Halbjude gen Hollywood emigrieren sollte, - auch Wohlbrück ist, wie schon Wegener und Veidt vor ihm, mit seinen knapp vierzig Lenzen eigentlich schon zu betagt für die Rolle des aufbrausenden Jungspunds, der seinen Kontrahenten reihenweise die Degen aus den Händen schlägt, und wirkt – gerade im Vergleich mit den beiden großen Mimen, die vor ihm in der Balduin-Rolle brillierten – einerseits etwas blass, und beweist andererseits im Finale, wenn ihm sein Spiegelbild auf Schritt und Tritt folgt und er zunehmend dem Wahnsinn verfällt, eine gewisse Tendenz zum Overacting: Da wird irre gegackert und da werden die Augen weit aufgerissen und gerollt, dass es eine wahre Freude ist! Der Doppelgänger wiederum hat in dieser Version der Geschichte wenig mehr zu tun, als stumm im Bildhintergrund herumzustehen: Wo er sowohl 1913 wie 1926 aktiv ins Geschehen eingreift und beispielweise an Balduins Stelle ein letal ausgehendes Duell bestreitet, ist es in der 1935er Fassung Balduin selbst, der durch die Einflüsterungen des sich ständig aus dem Nichts materialisierenden Capris dazu getrieben wird, entgegen einer getroffenen Abmachung mit Julia zum Degen zu greifen und durch sein Mitwirken an einem illegalen Duell seinen Ausschluss aus der Studentenschaft zu besiegeln.

Besonders unangenehm ist mir der Score aufgefallen, der nichts unversucht lässt, die Bilder derart zuzukleistern und einzuschnüren, dass sie kaum noch atmen können, - dabei sind die erwähnten Sauflieder und die Operettenarien noch Gold für die Ohren, hält man sie dem gnadenlos pathetischen Orchestersoundtrack entgegen, der vor allem in den Spannungsszenen so tut, als würden wir gerade mindestens dem Untergang der Welt beiwohnen. Positiv zur Kenntnis genommen habe ich die Spurenelemente expressionistischer Ästhetik, die sich ebenfalls vor allem in den Spannungs- und Schauerszenen finden lassen: Ein bisschen klingt es wirklich wie ein Echo der Lichtchoreographie und der artifiziellen Architektur solcher Weimarer Meisterwerke wie DAS CABINET DES DR. CALIGARI oder Robisons eigenem SCHATTEN – EINE NÄCHTLICHE HALLUZINATION, wenn Balduin kreidebleich mitternachts durch die engen Gassen Prags stolpert und ihm von überall her entweder das sardonische Grinsen Capris entgegenblickt oder das wächserne Angesicht des lebendig gewordenen eigenen Spiegelbilds. Ergänzt (oder besser gesagt: künstlich in die Länge gestreckt) wird der Film von einer (für die Handlung im Grunde obsolete) Maskenballsequenz, durch die originäre Idee, dass Doktor Capris ein Verehrer beziehungsweise ein ehemaliger Liebhaber Julia Stellas ist, und einer Szene, in der der vom Engel des Glücksspiels geküsste Balduin ein Casino aufmischt.

Unterm Strich wirkt DER STUDENT VON PRAG aus dem Jahre 1935 weitaus weniger modern als seine beiden Vorgänger, (von denen ja gerade der 1913er Film Maßstäbe in der Entwicklung des neuen Medium Kinos zur eigenständigen und ernstzunehmenden Kunstform setzen konnte). Die Grundstimmung ist eher betucht und bieder, die Horror-Elemente, die vor allem der 1926er Film in seinem Finale konsequent ausspielt, sind auf ein Minimum herabgestutzt, allein in der Darstellung, wie Balduin zum Ende hin noch die letzten Funken Vernunft abschüttelt, schlägt der Streifen ein bisschen über die Stränge, - was man sicherlich auch als symptomatisch für die Situation des Genre-Kinos im nationalsozialistischen Deutschland empfinden kann: Wozu noch schauerromantische Filme über umherspukende Gespenster, diabolische Doppelgänger, teuflische Unterhändler aus dem Jenseits, wenn das wahre Grausen nur einen Steinwurf entfernt vor der eigenen Haustür lauert?
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