Der Totenhügel - Andreas Bethmann (1994)

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Salvatore Baccaro
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Der Totenhügel - Andreas Bethmann (1994)

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Originaltitel: Der Totenhügel

Produktionsland: Deutschland 1994

Regie: Andreas Bethmann

Darsteller: Andreas Bethmann, Nina de Rouck, Stephan Ahrens, Andre Quast, Bettina Hubrich, Gesine Eggelsmann, Thorsten Kracht


Abt. Salvatore Baccaro in den Fängen bundesdeutschen Wald-und-Wiesen-Splatters

Den lautesten Paukenschlag gleich vorweg: Das Frühwerk DER TOTENHÜGEL aus dem Jahre 1994 ist derjenige Baustein aus Andreas Bethmanns Filmographie, der meinen Geschmack von dem, was ich bislang von dem berüchtigten Bilderstürmer gesehen habe, am ehesten trifft. Die Gründe kann ich an einer Hand abzählen: DER TOTENHÜGEL bietet keine widerlichen Chauvinismen, wie sie anscheinend ab DER TODESENGEL zum festen Bestandteil des Bethmann’schen Kosmos gehören; DER TOTENHÜGEL suhlt sich nicht in plakativen, teilweise minutenlang ausgewalzten Gore-Effekten, (offenkundig, weil das Minimalbudget, das Bethmann zu diesem Zeitpunkt zur Verfügung steht, es nötig macht, nahezu sämtliche körperdestruktiven Maßnahmen ins Off zu verbannen); DER TOTENHÜGEL geilt sich außerdem nicht an unerotischen, ebenfalls minutenlang aufgeblasenen (Soft-)Sexszenen auf, (tatsächlich findet sich im kompletten Film keine einzige Kopulation, lediglich der Versuch einer solchen, der jedoch jäh unterbunden wird.) Fernab von den misogynen Vergewaltigungsphantasien, den schmierigen Hardcore-Sequenzen, den pubertären Proll-Effekten, mit denen Bethmann sein Klientel ab den späten 90ern verwöhnen wird, erzählt DER TOTENHÜGEL stattdessen beinahe so etwas wie eine klassische Gothic-Horror-Mär, die inhaltlich wesentlich näher bei den Filmen der britischen Hammer-Studios oder italienischen Gotik-Baumeistern à la Mario Bava siedelt, als bei Jess Franco und Joe D’Amato, die als frenetisch verehrte (und kopierte) Ikonen (im Falle Francos ja sogar physisch!) hinter Bethmanns Hauptwerken wie ROSSA VENEZIA oder EXITUS INTERRUPTUS stehen. Was alles nicht bedeuten soll, dass es sich bei DER TOTENHÜGEL, selbst wenn man noch so sehr den Umstand, dass der Streifen faktisch ohne Geldmittel mit Freunden und Bekannten an freien Wochenenden in den VHS-Kasten gebracht worden ist, in die Waagschale wirft, um einen besonders gelungenen Film handeln würde. Nur bin ich eben bass erstaunt, dass mich ein Werk, bei dem Bethmann, einmal mehr, in Personalunion als Regisseur, Drehbuchautor, Cutter, Kameramann, Komponist, Darsteller und was weiß ich noch alles fungiert, nicht mit argen Bauchkrämpfen in den wohlverdienten Abspann entlassen hat, sondern vielmehr mit dem Gefühl, dass Bertucci, hätte er den hier noch sehr unbeholfen eingeschlagenen Weg konsequent weitergeführt, sprich, wäre er nicht so sehr in Richtung Ekel- und Porno-Kiste abgebogen, vielleicht doch über die Jahre hinweg als Filmemacher zu einem Format hätte finden können, das über dasjenige sperma- und blutverkrusteter Briefmarke hinausgeht. Aber genug der Hypothesen, - schauen wir uns das Schmuckstück doch einmal gemeinsam näher an:

„Zu einer Zeit, als die Sitten rau waren, und die Leute noch mehr Angst vor den Mächten der Finsternis als vorm eigenen Tod hatten, stand auf diesem Hügel die Burg des Grafen Zoltan. Er verbreitete Angst und Schrecken über das Land, indem er Frauen und Kinder aus ihren Dörfern raubte, um sie für seine Beschwörungen zu missbrauchen. Nach Jahren des Unheils holte man 1794 von weit her einen Hexenjäger ins Dorf, um den Grafen zu stürzen. Eines Nachts stürmte er mit seiner Gefolgschaft die Burg, um den Grafen zu richten.“ Das alles weiß ein Off-Sprecher zu berichten, (der nie anders klingt, als würde er einen Text vorlesen, den man ihm gerade eben zum ersten Mal vor die Nase gelegt hat), während die Handkamera durch einen nebelschwangeren Wald in das Innere eines Gebäudes fährt, bei dem es sich scheinbar um die erwähnte Zoltan’sche Burg handeln soll, das aufgrund der schlechten Lichtverhältnisse und der noch viel schlechteren Bildqualität des mir vorliegenden VHS-Digitalisats im Grunde auch ein verlassenes Bahnwärterhäuschen, ein ehemaliger Luftschutzbunker oder ein Funkturm sein könnte. Auf der Tonspur ertönen unheilvolle Moll-Akkorde, die Bethmann höchstselbst einem verstimmten Klavier entlockt. Mein Ironie-Modus ist komplett ausgeschaltet, wenn ich schreibe, dass Bethmann eine außerordentlich atmosphärische Exposition geglückt ist, denn tatsächlich versprüht die Gefangennahme des Grafen durch den Hexenjäger, der ihn mitten in der Nacht im Schlaf überrumpelt und gefesselt in irgendeine Kammer seiner Burg verfrachtet, zumindest hauchzart das Flair altbackender Witchhunter-Exploiter, (wobei man natürlich in Rechnung stellen muss, dass der Prolog von DER TOTENHÜGEL in nahezu vollständiger Dunkelheit gefilmt worden ist, meist eine einzelne Kerze mühsam die tristen Räumlichkeiten erhellt, wahrscheinlich vor allem deshalb, damit es nicht allzu offensichtlich wird, dass wir uns eben nicht in einer wirklichen Burg befinden, sondern in irgendeinem Kartoffel- oder Billardkeller.) Bevor es Zoltan an den Kragen geht, verliest der Hexenjäger (mehrmals stockend und sich verhaspelnd) die Anklageschrift: „Graf Zoltan, Ihr werdet angeklagt, Euch mit dunklen Mächten eingelassen, Hexerei betrieben und braven Bürgern böses Leid zugefügt zu haben. Im Namen Christi und der Heiligen Kirche werdet Ihr durchbohrt von einem Pfahl, bis Euer Herz nicht mehr schlägt. Begraben werdet Ihr in ungeweihter Erde auf Eurer Burg. Nachdem die Burg den Flammen übergeben wurde, wird der Ort durch die Göttliche Kraft der Heiligen Inquisition mit einem Bann belegt, der ihn für alle Zeiten versiegelt.“ Anfangs stöhnt der bereits verletzte Graf noch herzerweichend im Hintergrund, wo er sich auf dem Bodenpflaster herumwälzt. Als der Hexenjäger allerdings zur Tat schreiten und ihm den Pfahl in die Brust pflanzen möchte, sammelt er die letzten Kräfte, um noch einmal seinen bockshörnigen Brotherren anzurufen: „Ich verfluche euch! Euch alle! Luzifer, erhöre mich! Erhöre mich und gib mir die Kraft, aus dem Totenreich zurückzukehren, und mich an euren Kindern und euren Kindeskindern für eure Taten zu rächen!“ Sardonisch lächelnd gibt der Hexenjäger seinen vermummt am Bildrand herumstehenden Getreuen den Befehl, das Gezeter zu unterbinden: Zoltans Brust wird von einem Pflock durchstoßen, das Blut spritzt an die Mauern, noch mehr monotone Moll-Akkorde untermalen den Vorspann.

Sprung in die Gegenwart: Andreas Bethmann steht in seiner Küche, brät sich Spiegeleier und wird von einem Kameramann dabei beäugt, der relativ unmotiviert immer wieder von lins nach rechts schwenkt. Falls sich jemand von euch noch nie in seinem Leben an Spiegeleiern versucht hat und schon immer mal wissen wollte, wie das geht, liefert DER TOTENHÜGEL in den folgenden Minuten anschauliches Bildmaterial dafür, (wenn ich mich auch frage, ob das Olivenöl oder Wodka ist, was Bethmann da abwechselnd aus einer Flasche trinkt und über das brutzelnde Ei schüttet.) Die Kochshow wäre perfekt, würde sich nicht plötzlich ein Poltergeist in der Küche von Martin, wie Bethmanns Charakter heißt, regen: Andauernd knallt die Wandschranktür mit Schwung zu; Küchengeschirr flattert herum; dann versagt auch noch der Fernsehapparat seinen Dienst, dass Martin sich bereits fragt: „Fängt es hier etwa an zu spuken, oder was!?“ Seine Vermutung bewahrheitet sich, denn statt der Tagesthemen erscheint im Fernsehschirm eine monströse Fratze, die ihm den Befehl erteilt, zur „Ruine“ zu fahren, (womit gewiss die Überreste der niedergefackelten Zoltan-Burg gemeint sind.) Wie hypnotisiert begibt sich Martin zu seinem PKW und rast in das entlegene Waldstück, in welchem der Prolog gespielt hat, (was wir übrigens quasi in Echtzeit miterleben dürfen), und wo die dämonische Stimme ihn auffordert, im Geröll der Mauerreste nach einer bestimmten Schriftrolle zu suchen und diese zu verbrennen, damit er, Graf Zoltan, wieder auferstehen könne. Im Bann des Unheimlichen tut Martin, wie ihm geheißen – und erwacht schlagartig aus seiner Trance: Wie ist er hierhergekommen? Er kann sich an nichts erinnern; das Letzte ist, dass er Eier gekauft hat. Lange währt seine Verwirrung nicht, denn schon kündigen die Moll-Akkorde den Grafen Zoltan an, der als zombiehaftes Monstrum auf Martin zustürmt und ihm den Garaus macht, indem er ihm ein Messer kerzengrade in die Schädeldecke rammt. Schade eigentlich, hätte ich es doch begrüßt, wenn Bethmann in DER TOTENHÜGEL genauso die Hauptrolle übernommen hätte wie Olaf Ittenbach in seinem wundervollen Erstling BLACK PAST. Was das, ehm, Monster-Make-Up betrifft, kann ich der Einfachheit halber das Urteil zitieren, das Jogi in seiner Kritik zu Tauberts ICH PISS‘ AUF DEINEN KADAVER über dessen Spezialeffekte fällt: Die Maske, die der Graf-Zoltan-Darsteller trägt, dürfte aus der Halloween-Abteilung der örtlichen Müller-Filiale stammen – (und das ist noch wohlwollend ausgedrückt.)

Zwanzig Minuten befinden wir uns nun schon im Film, und es wird angesichts Martins Tod Zeit, neue Charaktere einzuführen. Wie der Abspann mir verraten hat, hört das nun auftretende Pärchen auf die Namen Katja und Frank. Man trifft sich in einer tristen Vorortsiedlung (ist das etwa die Braunschweiger Weststadt, wo Bethmann in seinen vorherigen Filmen dreimal zum Massaker geblasen hat?) zu einem Ausflug ins Grüne. Frank: „Ach Maus, ab und zu brauche ich diese entspannenden Spaziergänge mit Dir.“ Katja: „Jaja, ich kenn Dich doch, Du willst mich doch nur wieder in der freien Natur verführen.“ Frank: „Wie hast Du das nur erraten!?“ Beide lachen, knutschen, sinken ins Laub – und natürlich haben wir uns längst zusammengereimt, dass es die Turteltäubchen zu ihrem romantischen Abenteuer ausgerechnet in den Umkreis des Hügels geführt hat, auf dem einst die Burg Zoltans thronte. Der revitalisierte Graf lässt nicht lange auf sich warten. Während Katja rittlings, (allerdings noch vollkommen bekleidet!), auf ihrem Herzblatt sitzt, nähert sich die adlige Mumie von hinten und reißt ihr kurzerhand das Herz heraus, (zumindest soll das der holprige Schnitt wohl suggerieren.) Frank stellt sich dem Ungeheuer wehrhaft in den Weg, fängt sich eine Backfeige ein, kollidiert mit einem Baumstamm – und purzelt leblos zu Boden. Etwa sechs Minuten Laufzeit hat Bethmann dieser Vignette gegönnt, die, wie wir noch sehen werden, für den weiteren Verlauf der Handlung exakt nichts beiträgt.

Zeit für weitere Alltagsbeobachtungen und vor allem neue Figuren: Tina ist allein zu Hause, schnippelt sich Salatgurken zurecht, die sie danach salzt und verzehrt, (auf die Idee bin ich noch nie gekommen, Salz auf Salatgurken zu streuen, möglicherweise eine lokale Spezialität?); sie begibt sich ins Bad und macht sich bettfertig; sie bezieht ihr Bett, wozu sie zeitgenössischem Euro-Dance lauscht, (unter anderem SNAP!‘s „The Power“). Minuten später liegt sie dann endlich unter der Decke und schlummert davon. Doch arge Träume lassen sie nicht zur Ruhe kommen. Schweißnass hochgeschreckt ruft sie ihren Freund Thomas an, er solle eiligst zu ihr kommen, sie müsse ihm berichten, was ihr da im Schlaf erschienen sei: Eine Art Zombie nämlich, der durch den Wald schleicht, ein Eisenkreuz im Schlepptau hat, und eine kleine Grube gräbt, in die er einen Totenschädel kullern lässt, um diesen sodann sorgsam mit Erde zu bedecken. (Laufzeitschindend ist es natürlich, dass wir diesen Traum zunächst live miterleben, und dann noch einmal, zusammen mit Thomas, von Tina verbal rekapituliert bekommen.) Hm, sagt sich Thomas, die Sache mit dem Kreuz, die erinnert ihn doch an einen mysteriösen Vorfall, von dem er kürzlich in der Zeitung gelesen hat, - und tatsächlich: Auf dem örtlichen Friedhof ist just gestern das älteste Eisenkreuz stibitzt worden, und dieses gehörte – Trommelwirbel! – zur Grabstätte des letzten Nachfahren des verblichenen Adelsfamilie Zoltan, deren Burg im Jahre 1794 auf dem sogenannten Wolfenbütteler Bismarckhügel bis auf die Grundfeste niedergebrannt worden sein soll. (Kurze Anmerkung vom regionalen Heimatkundler: In Wolfenbüttel ist weit und breit von einem Bismarckhügel keine Spur zu finden.) Tinas Reaktion: Das kann doch kein Zufall sein, dass sie ausgerechnet jetzt von einem Eisenkreuz träumt, wenn ein solches kurz zuvor vom Hauptfriedhof entwendet worden ist, oder? Also beschließt man, die Stadtbücherei aufzusuchen und sich dort mit noch mehr Informationen über den Grafen Zoltan, seine Vergehen und sein blutiges Ende einzudecken – wohlgemerkt: Es ist, wie auch die folgenden Außenaufnahmen unterstreichen, mitten in der Nacht, (immerhin wollte sich Tina eben erst zum Schlafen hinlegen!), und trotzdem scheint die lokale Bibliothek kein Problem damit zu haben, unsere Helden mit einem Stapel Lektüre zu versorgen. Die Historienwälzer, die Thomas und Tina mit zu ihr nach Hause bringen, verschaffen Bethmann Gelegenheit, Thomas noch einmal lang und breit die Prologsequenz nacherzählen zu lassen: Im Jahre 1794, (das für Bethmann, wie es heißt, tiefstes Mittelalter ist), rückt Zoltan ein Hexenjäger auf die Pelle, nachdem er die umliegenden Dörfer um Frauen und Kinder erleichtert hat, um sie dem Teufel höchstselbst zu opfern, und so weiter. An Drive gewinnt die Chose erst, als Thomas und Tina endlich das Unvermeidliche tun: Natürlich die Burgruine aufsuchen. Großartig ist der Moment, in dem Thomas und Tina den Wald entern, der aussieht wie jeder x-beliebige bundesdeutsche Forst, Tina aber sofort erregt flüstert, dies müsse unbedingt der Wald aus ihrem Alptraum sei, es komme ihr alles so bekannt vor. Selbstverständlich werden die Waldgänger auch schon vom untoten Grafen erwartet, der den beiden ans Leder geht, indem er Teile von Thomas‘ Gesicht verspeist, (zumindest mutmaße ich, dass mir das mit der Szene suggeriert werden soll, in der der Halloween-Maskenträger mit blutverschmierten Fingern in Thomas‘ Fresse herumgrapscht), und Tina vergewaltigt, (zumindest mutmaße ich, dass mir das die Szene suggerieren soll, in der Zoltan die bewusstlose Frau befummelt und sich schließlich keuchend über sie beugt.)

Was die folgenden Minuten passiert, erschließt sich mir selbst nach angestrengtem Kopfzerbrechen nicht: Zu Gitarren-Noise führt uns Bethmann noch einmal das Schicksal von Katja und Frank vor, sprich, im Zeitraffer begleiteten wir sie noch einmal mit dem Auto auf den einsamen Waldparkplatz, wohnen ihrem Versuch bei, miteinander im Laub Beischlaf zu betreiben, und schauen tatenlos zu, wie Zoltan sie attackiert und meuchelt. Bethmanns Ass im Ärmel ist es indes, dass Frank die Attacke überlebt hat. Benommen erwacht er zu Fuße eines Baumes und müht sich, den Wald lebend zu verlassen, - worauf sich ihm aber sofort der Graf an die Fersen heftet und dies zu vereiteln weiß. Am Ende baumelt Frank mit einer Schlinge um den Hals an einem Ast – und in mir baumelt die verzweifelte Frage, weshalb DER TOTENHÜGEL denn diesen Charakter noch einmal aufgegriffen hat, nur um ihn dann doch unvermittelt über den Jordan zu senden?

Die nächste Überraschung: Auch Tina hat die gräflichen Grausamkeiten heil überstanden und erwartet Busenfreundin Sabine am Hauptbahnhof, wo die beiden Frauen im nächstbesten McDonald’s einkehren und Tina Sabine mit einer Stimme von jemandem, der erzählt, dass seine Waschmaschine den Geist aufgegeben hat, von ihrem Abenteuer auf dem Bismarckhügel berichtet: Ich habe einen Traum gehabt; ich bin mit Thomas zur Ruine gefahren; ein Zombie ist erschienen, hat Thomas getötet und mich genotzüchtigt. (Ich wiederhole mich, aber minutenlang wird uns also noch einmal der komplette bisherige Film zusammengefasst. Eigenartig ist übrigens auch Tinas Bemerkung, der Zombie habe „mittelalterliche Klamotten“ getragen: Tatsächlich ist der Zoltan-Darsteller ausstaffiert mit einer handelsüblichen schwarzen Jeans und einem schwarzen Oberteil, wie man sie in jedem H&M kaufen kann.) Nachdem Sabine ihre Freundin herzlich umarmt hat – „Du Arme!“ –, schlägt sie vor, doch einfach zur Polizei zu gehen, immerhin sei ihr Lebenspartner ermordet und sie Opfer einer Vergewaltigung geworden. Die abgebrühte Tina aber winkt ab: Die glauben uns doch sowieso kein Wort. Für eine wesentlich intelligentere Idee hält sie es, sich auf eigene Faust zum Totenhügel aufzumachen, um dem Grafen Zoltan selbst das Handwerk zu legen. Schnell ist auch Sabine von diesem Geistesblitz entfacht: Sie wird ihren Freund Jan fragen, ob er die Mädels in den Wald begleitet, und dann wird der Untote schon sehen, wie er gegen ihre geballte Freundeskraft bestehen möchte. Tja, und dann trennen sich die Freundinnen, Tina spaziert allein nach Hause, Sabine wandert durch die Nacht zu ihrem Jan, kommt dort aber nie an, da ein körperloser Arm, (bei dem es sich, vermute ich, um eine Extremität Thomas‘ handelt, der zuvor von Zoltan andeutungsweise zerhackstückt worden ist), zum Angriff bläst und nun auch diese Figur, kaum dass sie fünf Minuten Screentime gehabt haben dürfte, in die Ewigen Jagdgründe katapultiert.

Während die Kamera verzweifelt mit ihrem Fokus kämpft, ruft Tina bei Jan an und verlangt Sabine an den Hörer. Schockschwerenot: Sabine ist nie bei ihrem Freund angekommen! Nachdem Tina nun auch Jan noch einmal die gesamte Story auftischt, (was Bethmann diesmal aber dankenswerterweise zwischen zwei Schnitten geschehen lässt; ein viertes Mal hätte ich mich auch geweigert, mir die Mär nochmals in kompletter Länge anzuhören), beschließt Jan, sich auf dem Bismarckhügel dem Zombie Zoltan zu stellen – und packt dafür die Kettensäge in eine Netto-Plastiktüte. Tina indes möchte dem Showdown fernbleiben, und schneidet sich in der Badewanne die Pulsader auf. Was Jan nicht weiß und was ihn auch nicht heiß macht, denn es dauert nicht lange und der Graf läuft ihm mitten hinein in die rotierenden Sägeblätter. Kopf ab, Affe tot – und Jan stapft mit dem abgetrennten Haupt triumphierend von dannen. Ein Epilog schließt sich an: „3 Wochen danach“ saust Thomas‘ amputierter Arm heran, buddelt im inzwischen schneebedeckten Waldboden herum, bis er auf Zoltans Rumpf stößt – und dann erhebt sich der Geköpfte scheinbar von allein zur alten Pracht, das heißt, ihm wächst ein neuer Totenschädel, der sich langsam und unterlegt von tosendem Lärm und infernalischem Geschrei mit Haut und Fleisch füllt. Im (minutenlangen!) Abspann darf Bethmann dann noch seine Musikerqualitäten unter Beweis stellen, denn er präsentiert zwei Songs zweier Bands, bei denen er, laut Credits, scheinbar federführend beteiligt gewesen ist und auch den Gesang beisteuert. Mit der Combo „Materialschlacht“ gibt es wüstes Punk-Rock-Geschrammel, „Lermgrenze“ wiederum tendieren noch stärker in den Sektor monotoner Noise-Collagen. Die textlichen Anknüpfungspunkte zum Filminhalt sind unübersehbar: „Du wirst bald ruhen auf dem Totenhügel!“

Ich will gar nicht erst versuchen, all die Kritikpunkte, mit denen man DER TOTENHÜGEL zu Tode steinigen könnte, großartig abzuwehren. Ja, es gibt viel, was man aus dramaturgischer, technischer, narrativer Hinsicht an Bethmanns Film kritisieren kann. Und damit meine ich nicht, dass er das Mittelalter im Jahre 1794 verortet, dass die Effekte ungefähr auf dem Gruselniveau einer Geisterbahnfahrt rangieren, oder dass Beleuchtung, Schnitt, Kameraführung niemals verdecken, dass wir es mit einem reinen Liebhaberprodukt zu tun haben, das entweder nicht in der Lage oder gar nicht willens ist, wenigstens den niedrigsten kinematographischen Standards zu entsprechen. Nein, die Schwächen von DER TOTENHÜGEL sind viel eklatanter, und haben vor allem mit dem völlig zerfaserten, nicht mal in sich selbst schlüssigen Drehbuch zu tun. So viele ungeklärte Fragen schwirren mir nach der Sichtung wie Fledermäuse um den Kopf herum: Wieso stiehlt Graf Zoltan das Eisenkreuz vom Grab seines letzten Nachkommen? Was hat es mit dem Totenschädel auf sich, den er in Tinas Traum vergräbt und der ihm im Epilog anscheinend auf den Rumpf hüpft, um ihm das fehlende Haupt zu ersetzen? Weshalb träumt Tina überhaupt von Zoltan? Und welche Verbindung hat Martin zum Grafen, dass der ihm im Fernsehapparat erscheinen kann? Was möchte Zoltan überhaupt, wo er sich doch scheinbar nach seiner Wiederkunft aus dem Totenreich vorzugsweise im Gelände um die einstige Burg herum aufhält und auf potenzielle Opfer wartet? Handelt es sich bei all den Figuren, die er nach und nach molestiert, etwa um Nachfahren des Hexenjägers und dessen Gefolge, da er im Prolog ja angekündigt hat, explizit diesen würde seine Rache gelten? Weshalb entwickelt Thomas‘ Arm ein Eigenleben und wird quasi zum willfährigen Gehilfen des Grafen? Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen – (wieso haben Stadtbüchereien um Mitternacht noch offen?, weshalb ziehen im Jahre 1794, also mitten im Zeitalter der Aufklärung und fünf Jahre nach der Französische Revolution, noch immer Hexenjäger durchs Braunschweiger Land, um vermeintliche Teufelsbündler im Adelsgewand zu vollstrecken?, warum würzt Bethmann sein Spiegelei mit hochprozentigem Alkohol?) –, und müsste an einer Fundamentalkritik daran hinauslaufen, wie willkürlich der Film sich von einer Hauptfigur zur nächsten hangelt: Zunächst hat man den Eindruck, Martin sei der Protagonist, bevor das Pärchen Frank und Katja in den Fokus rückt, aber genauso schnell aus der Handlung verschwindet wie es hineingelangt ist; dann trägt eine Weile Tina das Geschehen auf ihren Schultern, verabschiedet sich aber letztlich per Pulsaderschnitt, damit ein gewisser Jan, von dem zuvor nie die Rede gewesen ist, allein mit seiner Kettensäge das Grande Finale bestreiten darf. Dass die meisten Aktionen dieser Figuren jedweder Vernunft spotten und wir von ihnen oftmals nicht mal ihre Namen wissen, (bei vielen hat mir diese erst der Abspann verraten), hilft natürlich auch nicht dabei, irgendeinen der Laiendarsteller zum Identifikationsträger aufsteigen zu lassen.

Obwohl DER TOTENHÜGEL, wie gesagt, durch seine schauerromantische Prägung mehrere Katzensprünge von Bethmanns späteren Sleaze-Epen entfernt ist, gibt es aber doch ein Director’s Trademark, das einem schon hier einiges an Geduld und Sitzfleisch abfordert: Irgendwer hat mal über die Filme Eric Rohmers geschrieben, sie seien, als würde man Farbe beim Trocknen zusehen. Wenn das stimmt, dann schaut man bei Bethmanns Filmen dabei zu, wie Schimmel über Jahre hinweg eine Tapete hochklettert. Erleichtert um all die Füllszenen, in denen jemand sich sein Abendessen zubereitet, in denen Person A minutenlang zu Ort B fährt, oder in denen die Protagonisten noch einmal ausführlichst Dinge berichten, von denen wir zuvor mit eigenen Augen Zeugen geworden sind, würde sich die Laufzeit vielleicht bei zwanzig bis dreißig Minuten einpendeln. Aber genau dieses elegisches Verständnis von filmischer Zeit ist es, die auch in DER TOTENHÜGEL bereits Erinnerungen an vor allem D’Amato weckt: Nicht, was derbe Gewalt oder schwüle Erotik betrifft, (oder die Kombination aus beidem), sondern die Freude daran, die eigentliche Story immer wieder über weite Strecke stagnieren zu lassen, um über das Wesen filmischer Zeit zu meditieren. Oh, und noch zwei lobende Schulterklopfer: Zu Beginn des Streifens dominieren zwar die erwähnten monotonen Moll-Akkorde, doch später wird der Score durchaus divers, und bietet einige Töne, die meinen Ohren – (erneut: Ironie-Off!) – zuweilen sehr geschmeichelt haben. Was da nicht alles dabei ist vom atonalen Gitarren-Lärm über schummrige Synthies bis hin zu räudigem Punk-Rock. Und dann meine ich gar noch wiedererkannt haben, wo Bethmann den TOTENHÜGEL größtenteils gedreht hat. Mir scheint es nämlich, dass es sich bei der Ruine der Burg des Grafen Zoltan in der realen Welt um die sogenannte Asseburg auf einem Höhenzug der Asse unweit Wolfenbüttels handelt, wo ich selbst schon einmal herumgewandert bin – und aus irgendeinem Grund imponiert es mir sehr, wenn ich Plätze, die ich aus meinem außerfilmischen Leben kenne, in innerfilmischen Realitäten wiedertreffe, so, als würde das Kino meine Biographie kontaminieren oder meine Biographie anfangen, ins Kino hineinzuragen, und wenn auch nur mit der vordersten Schnabelspitze…
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Re: Der Totenhügel - Andreas Bethmann (1994)

Beitrag von CamperVan.Helsing »

Salvatore Baccaro hat geschrieben: Mi 7. Jul 2021, 22:04 Und dann meine ich gar noch wiedererkannt haben, wo Bethmann den TOTENHÜGEL größtenteils gedreht hat. Mir scheint es nämlich, dass es sich bei der Ruine der Burg des Grafen Zoltan in der realen Welt um die sogenannte Asseburg auf einem Höhenzug der Asse unweit Wolfenbüttels handelt, wo ich selbst schon einmal herumgewandert bin
Wenn Bethmann dort gedreht hätte, müsste die wohl jetzt Asiburg heißen... :pfeif: :oops:
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Salvatore Baccaro
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Re: Der Totenhügel - Andreas Bethmann (1994)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

ugo-piazza hat geschrieben: Mi 7. Jul 2021, 22:10
Salvatore Baccaro hat geschrieben: Mi 7. Jul 2021, 22:04 Und dann meine ich gar noch wiedererkannt haben, wo Bethmann den TOTENHÜGEL größtenteils gedreht hat. Mir scheint es nämlich, dass es sich bei der Ruine der Burg des Grafen Zoltan in der realen Welt um die sogenannte Asseburg auf einem Höhenzug der Asse unweit Wolfenbüttels handelt, wo ich selbst schon einmal herumgewandert bin
Wenn Bethmann dort gedreht hätte, müsste die wohl jetzt Asiburg heißen... :pfeif: :oops:
:lol:

Tatsächlich schweigt sich die deutsche Wikipedia über etwaige Dreharbeiten auch komplett aus... :???:
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Re: Der Totenhügel - Andreas Bethmann (1994)

Beitrag von CamperVan.Helsing »

Bethmann hat einen Wiki-Artikel? :shock: :-o :bang:
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Salvatore Baccaro
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Re: Der Totenhügel - Andreas Bethmann (1994)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

ugo-piazza hat geschrieben: Mi 7. Jul 2021, 22:28 Bethmann hat einen Wiki-Artikel? :shock: :-o :bang:
Hat er tatsächlich. Ich meinte aber den Artikel zur "Asseburg" bei Wittmar... :D
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Salvatore Baccaro
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Re: Der Totenhügel - Andreas Bethmann (1994)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

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Schön zu sehen, dass Bethmann nicht mal seine Drehorte richtig zusammenbekommt. Eine "Bismarkburg" bei Wolfenbüttel existiert natürlich nicht. (Und, wenn wir schon bei Rechtschreibfehlern in Namen einstiger Reichskanzlern sind, eine Bissmarkburg erst recht nicht.) Bethmann scheint zwei Dinge durcheinander zu bringen: Zum einen den um 1900 herum erbauten Bismarckturm unweit des Örtchens Wittmar im Landkreis Wolfenbüttel; zum andern die Ruine der Asseburg, die sich einen Katzensprung vom Aussichtsturm entfernt befindet, und wo tatsächlich einige Szenen von DER TOTENHÜGEL entstanden sind, (während zumindest in der mir vorliegenden Fassung der Bismarckturm zu keinem Zeitpunkt zu sehen ist.) Ebenfalls in der Nähe gibt es übrigens auch noch eine putzige Liebesallee mit alterehrwürdigen Hainbuchen, wo es sich gut knutschen lässt, und die für eine Filmkulisse eigentlich auch prädestiniert gewesen wäre. Irgendwie erleichternd, dass selbst Meisterregisseure wie A.B. in ihren Ortsangaben und Orthographien zuweilen fehlbar sind...
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Reinifilm
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Re: Der Totenhügel - Andreas Bethmann (1994)

Beitrag von Reinifilm »

In Sachen Orthographie war Bethmann schon immer ziemlich fehlbar…
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