Grabenplatz 17 - Erich Engels (1958)

Moderator: jogiwan

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CamperVan.Helsing
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Grabenplatz 17 - Erich Engels (1958)

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D 1958

D: Wolfgang Preiss, Kai Fischer, Carl Lange, Gert Fröbe, Werner Peters, Maria Sebaldt, Charles Regnier
DVD-Backcover hat geschrieben:Bei Hannover wird die Prostituierte Ella Peters erwürgt aufgefunden. Augenzeugen beobachteten, wie ihr neunjähriger Sohn aus dem Haus gerannt kam und geflüchtet ist. Die Mordkommission findet am Tatort eine Seemannsmütze. Verdächtig ist Ellas Ex-Mann. Er hat aber ein Alibi. Bei seiner Vernehmung wird klar, dass der Junge in Lebensgefahr schwebt. Er leidet unter einer seltenen Blutkrankheit und benötigt regelmäßige Infusionen, sonst stirbt er. Die nächste Spritze steht in einer Woche an. Bei einer Suche nach dem Jungen werden die Medien eingeschaltet. Einen Hinweis erhält Kriminalkommissar Jäger von der Tante des Knaben, bei der er unterkommen wollte. Als er sie nicht antraf, hinterließ er ihr einen Zettel mit der Nachricht, er sei auf dem Weg zu seinem Vater nach Hamburg. Dort erklärt ihm die Freundin von Michaels Vater, der Junge sei von einer angeblichen Kriminalbeamtin mitgenommen worden. Nach Verwicklungen und der Ermordung eines Verdächtigen stößt der Kommissar in den Nachtclub "Schwarze Spinne", muss aber feststellen, dass Michael weiter verschleppt worden ist.
Ein deutscher Kriminalfilm mit Bezug zum halbseidenen Milieu? Auch wenn der auslösende Mord in Hannover stattfindet, springt die Handlung dann nach Hamburg, bekanntlich DER Sündenpfuhl der Nation. Der Film soll übrigens auf wahren Ereignissen beruhen, die sich allerdings in England ereignet haben sollen.

Auch muss man hier "Hamburg" in Anführungszeichen setzen, denn es gibt zwar einmal eine originale Straßenaufnahme der legendären Reeperbahn zu sehen, ansonsten wurde aber offenbar komplett im Atelier gedreht, was natürlich Atmosphäre raubt. Aber selbst Rolf Olsen hat einen seiner Pauli-Kracher bekanntlich unter falscher Flagge gedreht, also mache ich da keinen großen Aufstand draus. Dass Engels dann aber noch real nicht vorhandene Straßennamen verwendete wie "Fischergasse", "Alte Jakobsgasse" und eben "Grabenplatz", lässt einen norddeutschen Fischkopp allerdings die Stirn deutlich runzeln. Dass der reiche Geschäftsmann Flint in einem luxuriösen Bungalow auf großem Grundstück lebt, ist nachvollziehbar. Dass dieser jedoch (wie der Film behauptet) im feinen Villenviertel Harvestehude stehen soll, eher weniger, ist dies doch eben durch Luxus-Villen, häufig aus der Zeit des Jugendstils geprägt. Und so würde ich Flints Haus eher im elbfernen Bereich der Elbvororte vermuten.

Anyway, der Film setzt seinen Fokus auf die Polizeiarbeit, hier verkörpert durch den Hannoveraner Kommissar (Wolfgang Preiss) und seiner rechten Hand Wagenknecht (Wolfgang Wahl), die zum einen den Mord an Ella Peters (es wird nicht bei diesem Einen bleiben) aufklären müssen, zum anderen den verschwundenen Sohn der Ermordeten suchen müssen, der ohne Medikament nur noch eine Lebenserwartung von einer Woche hat, weshalb die Verbrecher darauf setzen, diesen einzigen Augenzeugen nach erfolgtem Kidnapping nicht aktiv um die Ecke bringen zu müssen - man muss sich halt nur etwas Zeit nehmen...

Nachdem der Film anfänglich etwas viel mit Moralin gestreckt wurde (Regisseur Erich Engels war bereits 1938 für den wohl ersten deutschen Autobahnkrimi verantwortlich - der von den Nazis als "staatspolitisch wertvoll" ausgezeichnet wurde...) und wir gar die damals achtjährige Elke Aberle ertragen müssen (sie wird nicht erschossen...), kommt der Film gut in Schwung und sorgt trotz des Studio-Mankos für gute Unterhaltung, in einzelnen Momenten wähnt man sich gar in einem Film noir. Zuviel Reeperbahn-Verruchtheit gibt es trotz eines Damenringkampfs (hey, Willi Bartels hat bereits 1951 Damenschlammcatchen oben ohne veranstaltet!) nun nicht, man kann halt nicht alles haben. Sehr befremdlich aus heutiger Sicht ist der besorgniserregend leichtfertige Umgang mit Radioaktivität, welcher eine wichtige Rolle bei der Lösung des Falles darstellt.

Befremdlich für jemanden, der in jungen Jahren im TV "Die Wichser Wicherts von nebenan" erleben musste, ist freilich auch, Maria Sebaldt als Reeperbahn-Ringerin zu erleben, die darauf besteht, als "Fräulein" angesprochen zu werden ("Warum soll ick denn Eenen unglücklich machen, wenn ick so ville glücklich machen kann?"). :shock: Gert Fröbe, der auf dem DVD-Cover groß herausgestellt wird, hat eigentlich nur eine Nebenrolle und verschwindet einfach so aus dem Film, macht hier seine Sache aber gut. Nach seiner Leistung in dem Reeperbahn-Film "Das Mädchen mit den Katzenaugen" bin ich davon nicht unbedingt ausgegangen... Am meisten beeindruckt war ich von Carl Lange in der Rolle des Unternehmers Flint.

Das der DVD beiliegende Booklet sollte man sich erst nach der Sichtung des Films vornehmen - es spoilert schon sehr. Auch das Kinoplakat verrät m.E. zuviel, weshalb ich darauf verzichtet habe, es einzubinden.

Ich finde es ja prinzipiell interessanter, Kriminalfälle im eigenen Land stattfinden zu lassen, während man bei der Wallace-Reihe und den folgenden Epigonen ja vorgab, in England unterwegs zu sein. "Grabenplatz 17" erweist sich als solider Krimi der späten 50er, dem man gerne ein Auge leihen darf. Ob Magnus Gäfgen den Film gekannt hat?



PS: @ Jogi: Ich denke, man kann den Film durchaus in die Milieu-Filmliste aufnehmen.
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