Lassie - Ein neues Abenteuer - Hanno Olderdissen (2023)

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Salvatore Baccaro
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Lassie - Ein neues Abenteuer - Hanno Olderdissen (2023)

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Originaltitel: Lassie - Ein neues Abenteuer

Produktionsland: Deutschland 2023

Regie: Hanno Olderdissen

Cast: Nico Marischka, Justus von Dohnányi, Katharina Schüttler, Anna Lucia Gualano, Pelle Staacken, Annette Frier, Maike Jüttendonk


Dunkel erinnere ich mich, in meiner Jugend regelmäßig das Wahlplakat irgendeiner Kleinstpartei gesehen zu haben, deren Programm einzig um das Thema Tierschutz kreiste. Auf besagtem Plakat war ein Hund – eine Dogge, glaube ich – abgebildet, die freundlich, sprich, mit hochgezogenen Lefzen, hechelnder Zunge, treuen Äuglein, in die Kamera blickte. Darunter forderte ein Slogan: Ich will dieselben Rechte wie mein Herrchen!

Falls die dahinterstehende Idee es gewesen sein soll, den Tieren im Allgemeinen und Hunden im Besonderen entweder ein eigenes (freilich dann rein ideelles, human verwaltetes) Parlament zu stiften oder sie gar ins Menschenparlament hinzuzuziehen, hätte man den Spielfilm LASSIE – EIN NEUES ABENTEUER aus dem Jahre 2023, wäre er damals schon gedreht gewesen, im Grunde problemlos als audiovisuelle Argumentenschleuder für dieses Ansinnen verwenden können, lautet doch die Botschaft des Streifens, zumindest meiner Lesart nach, dass Hunde nicht nur die besseren, sondern auch die klügeren, charmanteren, witzigeren Menschen sind - und wir dem Untergang geweiht wären, gäbe es die Vierbeiner nicht...

Erst einmal jedoch eine Rolle rückwärts: 2020 erfuhr das Lassie-Franchise mit der Produktion LASSIE – EINE ABENTEUERLICHE REISE ein Reboot, das die gleichnamige durch zahllose Filme und Serienfolgen weltberühmte, ursprünglich freilich US-amerikanische Collie-Hündin plötzlich innerhalb der BRD verortete. Lassie war dort allerdings vor allem Anlass, ein dramaturgisch recht holpriges, inhaltlich nachgerade krudes Road Movie darüber zu erzählen, wie Lassie und ihr Herrchen, ein Bub namens Flo, durch widrige Umstände voneinander getrennt werden, und dann quer durch die Bundesrepublik streifen, um einander wieder in die Arme respektive Pfoten fallen zu können. LASSIE – EINE ABENTEUERLICHE REISE irritierte mich seinerzeit vor allem durch die Art und Weise, wie der Film Klassenverhältnisse verhandelte. Beinahe wirkte es, als solle dem minderjährigen Zielpublikum insgeheim solche Dinge wie Kapitalismus, Lohnarbeit, Ständegesellschaft verkauft werden, wenn der Film weite Laufzeitstrecken damit zubringt, einen Graf, bei dem es sich um den Arbeitgeber von Flos Vater handelt, als sympathische Aristokratenfigur zu modellieren, mit der man mitleiden soll, als sie sich finanziell verspekuliert und seine Ländereien unter den Hammer kommen – einmal abgesehen davon, dass Fragen danach, wer innerhalb der Diegese Macht besitzt, (symbolische Macht, aber auch ganz handfest Macht über Produktionsmittel), zu keinem Zeitpunkt nicht mal im Subtext wirklich aufgeworfen wird.

Von den Figuren aus LASSIE – EINE ABENTEUERLICHE REISE ist im drei Jahre später in die Lichtspielhäuser gelangenden Sequel (glücklicherweise) kaum noch jemand vorhanden: Flo als Hauptfigur wird erneut solide vom inzwischen 16jährigen Nico Marischka verkörpert, (dessen Urgroßvater übrigens SISSI-Mastermind Ernst Marischka gewesen ist); Lassie wird, vermute ich, von mehreren dressierten Collies gespielt, sozusagen aus einem ganzen Hunderudel ein einziger Überhund montiert, und von denen sind sicherlich auch einige bereits beim Vorgängerfilm vor der Kameralinse umhergehuscht; ansonsten haben wir als Überbleibsel des ersten Teils lediglich noch Justus von Dohnány in seiner Rolle als Grafenbutler Gerhardt, dessen Charakter mir im Vorgänger regelrechte Bauchkrämpfe bescherte: Als personifizierte Dienstbeflissenheit fehlt bloß noch, dass er seinem Herrn und Meister die Schuhe mit der Zunge ableckt, denn Gerhardt, der so etwas wie Freizeit nicht zu kennen, sprich, eine protestantische Arbeitsethik komplett internalisiert zu haben scheint, folgt seinem geliebten Grafen bei dessen Armwerdung selbst ins Prekariat, und stellt ihm kostenlos weiterhin seine Dienste zur Verfügung. Angelegt ist Gerhardt in Teil 1 zwar merklich als Comic-Relief-Charakter, großartige Ironie oder gar eine Kritik daran, dass jemand wie der Graf überhaupt voraussetzt, dass jemand ständig wie eine Hummel um ihn herumschwirrt, um ihn noch die simpelsten Handgriffe abzunehmen, habe ich in LASSIE – EINE ABENTEUERLICHE REISE diesbezüglich nicht erkennen können, weshalb das Lachen dann doch schnell auf halbem Wege im Halse steckenbleibt.

Da der Graf, wie übrigens auch Flos Eltern, in LASSIE – EIN NEUES ABENTEUER keinen einzigen Fetzen Screentime mehr besitzen, wirkt Butler Gerhardt indes schon wesentlich erträglicher – zumal er zu Beginn des Films sich zum ersten Mal in seinem Leben einen Urlaub gönnt. Den möchte Gerhardt in einem Südtiroler Luxusresort verbringen – und weil dieses unweit des Dörfchens liegt, in dem Flos „Lieblingstante“ Cosima wohnt, hat er den Knaben nebst Lassie kurzerhand mit in die Berge genommen, um sie ebendort abzusetzen. Die Leerstelle, die bezüglich Flos Eltern klafft, erklärt der Film wie folgt: Beide sind mit dem frischgeborenen Schwesterchen, das Flos Mutter im Vorgängerfilm noch unterm Herzen trug, in den Urlaub geflogen, um sich von den Turbulenzen des ersten Teils zu erholen; Flo hätte eigentlich mitgesollt, hat sich letztlich aber gegen Family Holiday entschieden, weil er sich dafür, wenn auch nur temporär, von Lassie hätte trennen müssen; zu tief sitzt das Trauma, sie verlieren zu können, als dass Flo sie auch nur eine Sekunde aus den Augen lassen möchte. Inzwischen hat diese Angst die nahezu pathologischen Züge einer Überfürsorge angenommen, was auch Tante Cosima schnell auffällt.

Die wiederum befindet sich selbst gerade im Fürsorgemodus, hat sie doch kürzlich zwei Pflegekinder bei sich aufgenommen – wobei es im Paralleluniversum, in dem der Film spielt, anscheinend keine Probleme für eine alleinstehende Single-Frau darstellt, das Jugendamt zu überzeugen, ihr gleich ein Geschwisterpärchen, dessen weiblicher Teil als besonders rebellisch und aufmüpfig gilt, in die Obhut zu geben. Besagte Kinder heißen Kleo und Henri, erstere etwa so alt wie Flo und quasi eine Systemsprengerin light, deren Punk-Attitüde immer wieder darüber stolpert, dass das Mädchen nicht ganz verbergen kann, wie sehr es sich nach einer Odyssee durch Kinderheime und diverse Pflegefamilien einen sicheren Heimathafen herbeisehnt, zweiterer einige Jährchen jünger und als Bravheit in Person sorgsam darauf bedacht, ja keine Regel zu übertreten, und das wohl auch, was der Film jedoch lediglich suggeriert, aus der Erfahrung heraus, schon durch zu viele Hände gereicht worden zu sein, die einen fallenlassen, sobald man nicht pariert. Auf Cosimas Hof – inklusive freilaufenden Hängebauchschweinchen! – haben sich die beiden bislang unterschiedlich eingelebt: Henri möchte am liebsten gar nicht mehr weg; Kleo sitzt lange Stunden mit grimmiger Miene und Metal auf den Ohren in ihrem Zimmer. Auch Flo und Lassie gegenüber verhalten sich die Geschwister gemäß ihrer Rollenklischees: Henri akzeptiert Flo sofort als großen Bruder, Kleo wünscht ihm die Pest an den Hals.

Ist das nicht die perfekte Ausgangskonstellation, um eine Geschichte über Freundschaft, Familie, Findung des eigenen Selbst und seines Platzes in der Welt zu erzählen? Was einzig noch fehlt, ist ein Konflikt – und den entwickelt LASSIE – EIN NEUES ABENTEUER betont naiv und derart kindgerecht, dass es mir vorkommt, als sei dieser zweite Teil doch für ein weitaus jüngeres Publikum gedacht als der Vorgängerfilm. Folgendes nämlich haben die Drehbuchautoren als Drama ausgeheckt: In letzter Zeit verschwinden in der Gegend, wo Flo urlaubt, immer wieder Hunde spurlos. Eines Tages wird auch Cosimas Jack-Russell-Terrier Pippa entführt – und zwar, während Flo Musik hörend nur eine Etage höher sitzt, sodass Lassie die einzige Zeugin des dreisten Einbruchs ist. Unsere Helden nehmen die Fährte auf – und stoßen als Drahtzieher der Untaten alsbald auf ein Liebespärchen, das in genau jenem Hotel arbeitet, in dem Gerhardt derzeit residiert, und die offenkundig planen, ihre erbeuteten Hunde mit Fake-Stammbäumen bei einer Auktion als Luxustiere auszugeben, und horrende Summen von den geladenen Züchtern zu erzielen. Lassie wird ebenfalls gepackt und eingesperrt, kann sich aber befreien; Kleo und Flo werden von den Entführern eingesperrt, können sich aber durch Lassies Hilfe befreien; die den Umtrieben unter ihrem Dach auf die Schlich zu kommen drohende Hotelbesitzerin wird von dem Gangsterpärchen eingesperrt, kann am Ende aber von den gesammelten Kräften unserer Freunde zusammen mitsamt all der Hunde befreit werden – kurz gesagt: Die Ereignisse überstürzen sich, um aus diesem Malstrom zuletzt eine innige Freundschaft zwischen Kleo und Flo zu gebären, eine Mutter-Tochter-Beziehung zwischen Kleo und Cosima sowie eine Liebesbeziehung zwischen Gerhardt und der verhuschten Hoteldirektorin.

Gerade im Vergleich zu LASSIE – EINE ABENTEUERLICHE REISE, das mir mit seinem zerfaserten Plot und seiner bedenklichen Botschaft nun wirklich kein Werk ist, das ich meinem Nachwuchs in spe guten Gewissens vorsetzen könnte, entpuppt sich LASSIE – EIN NEUES ABENTEUER als der weitaus brauchbarerer Film. Storytechnisch ist das tatsächlich ein kunterbuntes Abenteuer, das tiefschürfende Themen kindgerecht verhandelt, seine Figuren ernstnimmt, dabei niemals zu wilde Pirouetten dreht, aber auch nicht auf einen öden Naturalismus verfällt. Die Regie – wie im Vorgänger: Hanno Olderdissen – zeigt sich routiniert, die Bilder strahlen vor allem bei den Landschaftsaufnahmen, die aussehen wie aus einem Tourismusprospekt, der Cast überzeugt durch die Bank weg, wobei selbst potentiell nervige Charaktere wie Katharina Schüttler als über Gebühr herzensgute Tante Cosima oder Annette Frier als konfuse Hotelbetreiberin von ihren Darstellerinnen durchweg sympathisch angelegt sind.

LASSIE – EIN NEUES ABENTEUER wäre schnell vergessen, ein unterhaltsamer Film für spätnächtliche Mußestunden nach zu viel Peplum-Genuss, gäbe es da nicht diesen einen Aspekt, der in mir Erinnerungen an jenes zu Beginn geschilderte Wahlplakat triggerte: Anthropomorphismus findet man ja in all diesen tierbezogenen Kinder- und Jugendfilmen, ob sie nun von Hunden, Katzen oder Hunden handeln. In jedem beliebigen OSTWIND-Teil werden die Hufträger dadurch vermenschlicht, dass man ihnen menschliche Emotionen, menschliches Denken, menschliche Verhaltensweise andichtet; das Gleiche galt schon für LASSIE – EINE ABENTEUERLICHE REISE, wo die Anhänglichkeit der Collie-Hündin an ihr Herrchen nicht von Dispositionen wie animalischen Triebe hergleitet, sondern auf die explizit humane Basis einer tiefen Freundschaft gestellt wird. Was LASSIE – EIN NEUES ABENTEUER jedoch mit seinen vierbeinigen Figuren anstellt, das habe ich jenseits mittelalterlicher Fabeln oder Disney in dieser Form noch nie zu Gesicht bekommen. Offensichtlich haben wir es vor der Kamera mit echten Hunden zu tun: Sie bewegen sich wie echte Hunde, sie bellen wie echte Hunde, sie fressen wie echte Hunde – und doch sind es keine, sondern vielmehr Übermenschen, denen man Hundefelle übergezogen hat.

Eine Szene fasst besonders gut, was ich damit meine: Ganz zu Beginn des Films gondeln Gerhardt, Flo und Lassie durchs Südtiroler Hinterland. Der Butler ist heillos überfordert, als man eine Weggabelung kommt: Links oder rechts? Als er sich endlich entscheidet, beginnt Lassie sofort aufgeregt zu kläffen. Flo und Gerhardt wissen sofort: Das wäre der falsche Weg gewesen. Man setzt zurück, nimmt die andere Ausfahrt – und kommt kurz darauf auf Cosimas Gehöft heraus. Nicht nur, dass Lassie die Wegkarten, mit denen sich Flo und Gerhardt völlig verzettelt haben, offenbar genauso gut, wenn nicht sogar besser als diese zu entschlüsseln imstande ist, scheinen die menschlichen Figuren es als völlig selbstverständlich anzusehen, dass eine Collie-Dame ihnen den Weg zu einem Ort weist, wo diese wohlgemerkt noch nie in ihrem Leben gewesen ist, (und den sie also nicht etwa durch erinnerndes Erschnüffeln wiedererkennen kann).

In diesem Modus geht es den kompletten Film hindurch weiter: Henri ist alleine zu Hause, möchte Cosima mit einem Kuchen überraschen. Wie zu erwarten gerät das Backen unter den kindlichen Händen zum absoluten Chaos. Zum Glück sind Lassie und Pippa zur Stelle, um die Küche vorm Abfackeln, den Kuchen vorm Verbrennen zu bewahren, indem sie beispielsweise ein Handtuch noch rechtzeitig von einer Herdplatte zu zerren, die auszuschalten Henri vergessen hat, oder indem sie Gegenstände auffangen, die sonst hinter Henris Rücken zu Boden gekullert wären.

Ein letztes Beispiel: Das eher komische als bedrohliche Gangster-Duo hält sich einen Wachhund, der zunächst schrecklich aggressiv anmutet. Allerdings geht der weibliche Part des Pärchens, der in der Beziehung die Hosen anhat, mit dem Wächter nicht sehr liebevoll um, stößt ihn zum Beispiel von sich, als er sich mit seiner schlabbernden Schnauze zwecks Liebkosung nähert. Da auch dieser Hund über einen menschlichen Verstand verfügt, schließt er sich in der Folge mit Lassie und ihren Freunden zusammen, wirkt aktiv bei der Befreiung der Hunde aus ihren Käfigen mit, entscheidet sich aus freien Stücken dafür, seine bisherigen Herrchen zu verraten, sich von der dunklen Seite dem Schönen, Wahren, Guten zuzuwenden.

Im Klartext: LASSIE – EIN NEUES ABENTEUER siedelt im Grunde in einer Märchenwelt, wo die Menschheit verloren wäre ohne die Hilfe der Hunde, und wo die Hunde den Anschein erwecken, verzauberte Menschen zu sein, die zwar bei ihrer Metamorphose Pfoten und Schnauzen bekommen, jedoch zu keinem Zeitpunkt ihren Verstand, ihre Gefühle, ihren freien Willen verloren haben. Was genau aus diesem Umstand interpretativ gezogen werden kann – und vor allem: wo der Film damit hinmöchte, dass er seine menschlichen Protagonisten permanent gegen die hündischen ausspielt –, darüber bin ich mir noch nicht sicher. Feststeht, dass ich bei allem Unterhaltungskonfekt, mit dem der Film mich beschossen hat, mit der Kernaussage doch nicht ganz zufrieden bin: Das Tiesein von Hunden leugnen, um sie aufzuwerten, das wirkt für mich genauso falsch wie der beliebte Topos in Literaturen früherer Jahrhunderte, bei dem eine dichtende Frau dadurch erhöht werden sollte, dass die (männlichen) Kritiker ihr bescheinigten, sie schreibe wie ein Mann. Es wäre möglicherweise reizvoll, LASSIE – EIN NEUES ABENTEUER einmal mit dem französischen Philosophen Jacques Derrida gegen den Strich zu lesen, der sich in seinem Spätwerk immer wieder Gedanken darüber macht, wo das Eigene des Menschen endet, wo das Fremde des Tieres beginnt, wo es Überlappungen gibt, wo das eine im anderen aufgeht – und zwar, weil ihn eines Tages zutiefst irrierte, als er nach dem Duschen bemerkte, wie seine Hauskatze den nackten Philosophenkörper mustert. LASSIE - EIN NEUES ABENTEUER leugnet die Mensch/Tier-Differenz weitgehend, jedoch dadurch, dass er die eine Gruppe der anderen angleicht: Tier und Mensch begegnen sich in LASSIE - EIN NEUES ABENTEUER nur deshalb auf Augenhöhe, weil sich erstere wie letztere verhalten. Ich will dieselben Rechte wie mein Herrchen! - was aber, wenn die Freiheit der Tiere darin besteht, mit diesen Rechten gar nichts anfangen zu können?
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