Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Moderator: jogiwan

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karlAbundzu
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Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie

Beitrag von karlAbundzu »

Der Trum.
Eigentlich mag ich ja die Frankfurter.
Aber hier fehlte mir so ziemlich alles. Irgendwie gab es keinen richtigen Fall, keine richtigen Ermittlungen und keine Drumherumgeschichte. Das kann natürlich auch gut sein, dann muss es aber stilsicherer und/oder mit etwas grease angereichert werden, siehe Buxtes Hinweis Richtung "Der Tod...". Aber das fehlte alles, so bleiben leicht mystifizierte Bilder und die Erkenntnis der Ohnmacht gegenüber internationaler KOnzerne.
Schade.
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
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buxtebrawler
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Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie

Beitrag von buxtebrawler »

Tatort: Der höllische Heinz

„Jetzt ist es die reichste Stadt im wilden Osten!“

Der achte Fall des komödiantischen Weimarer „Tatort“-Ermittlungsduos Lessing (Christian Ulmen) und Dorn (Nora Tschirner) setzt die lose Tradition der Feiertags-Specials fort, fand er sich doch auf dem prominenten Programmplatz am Neujahrstag 2019 wieder. Uraufgeführt wurde „Der höllische Heinz“, wie üblich von Murmel Clausen und Andreas Pflüger geschrieben, jedoch bereits im Dezember im Deutschen Nationaltheater Weimar. Auf dem Regiestuhl nahm Dustin Loose statt, der zuvor mit dem bisher besten Dresdner „Tatort: Déjà-vu“ innerhalb der Krimireihe debütiert hatte.

Schupo Lupo (Arndt Schwering-Sohnrey) trainiert für den „Ultraman“ und entdeckt beim Schwimmen in der Ilm die Leiche Wolfgang „Einsamer Wolf“ Webers, Indianerdarsteller und Betreiber der Westernstadt „El Dorado“. Dorn und Lessing nehmen die Ermittlungen auf und bringen in Erfahrung, dass Weber die Stadt, die für viele Hobbyisten ein Zuhause geworden ist, zu verkaufen plante. In „El Dorado“ gärt es schon länger: Rockerchef Nick Kircher (Martin Baden, „Der Sohn“) terrorisiert im Auftrag seiner Mutter, der skrupellosen Geschäftsfrau Ellen Kircher (Marie-Lou Sellem, „Brandmal“), mit seinen „Bones“ die in finanziellen Nöten steckende Touristenattraktion, Geschäftsführer Heinz Knapps (Peter Kurth, „Tatort: Das Haus am Ende der Straße“) findet den abgetrennten Schädel des Bullen Eddie in seinem Bett – eine Drohung nach Art der Mafia. Doch wer ist der Mörder Webers und woher rührt das Interesse der Kirchers an der Stadt? Lessing gräbt sich durch den undurchsichtigen Fall, während Dorn sich inkognito als Westernreiterin einschleust und sich Goldwäscher Odi (Hans-Uwe Bauer, „Sonnenallee“) sowie Reitshow-Chef Tom Wörtche (Christoph Letkowski, „Diaz: Don’t Clean Up This Blood“), der ein Auge auf sie wirft, vorknöpft…

Diesmal taucht man also in den Mikrokosmos einer Westernstadt ein, gedreht wurde in „Old Texas Town“ in Berlin-Spandau. Sog. Hobbyisten wie erwachsene Menschen, die Cowboy und Indianer spielen, bieten natürlich viel Anlass für schrullige und verschrobene Figuren, derer es in „Der höllische Heinz“ zahlreiche gibt. Dass diese nicht nur niedlich sind, beweist der eindrucksvoll inszenierte Prolog, in dem ein Lynchmob wütet. Clausen und Pflüger verweben diese Ausgangssituation und die einzelnen Versatzstücke zu einer Mischung aus Hommage an und Persiflage auf europäische Western, von klassischen grimmigen Italo-Western bis hin zur Western-Komödie à la Terence Hill. Für Cineastinnen und Cineasten sowie Genrekennerinnen und Genrekenner führt dies zu einigen amüsanten Wiedererkennungseffekten. Darauf scheint man sich bisweilen jedoch etwas zu sehr zu verlassen, denn der trockene, sarkastische Humor, für die die Weimarer „Tatorte“ ansonsten bekannt sind, bleibt oft auf der Strecke, der Wortwitz verliert sich eher in Klamauk.

Ein weiterer Schwachpunkt ist Martin Baden, dem man den Rocker/Biker Nick nicht so recht abnehmen mag. Zudem gab es die „Bones“ bis zur Übernahme durch die „Hell’s Angels“ 1999 tatsächlich, weshalb mir die Verwendung ihres Namens hier sehr fragwürdig erscheint. Und ist den Weimarern bisher der Spagat zwischen Humor und Spannung meist recht gut gelungen, bleibt die Krimihandlung in „El Dorado“ untergeordnet. Negative Charaktere sind schnell ausgemacht, die Frage der Täterschaft wird tendenziell egal. Stattdessen setzt man auf den Unterhaltungswert, den Kurioses wie Dorn in Cowgirl-Kluft und auf Pferderücken reitend oder ihre Gesangseinlage auf den Spuren Marlene Dietrichs, als sie „The Boys in the Back Room“ singt, mit sich bringt. Aus Dorns Undercover-Einsatz hätte man jedoch wesentlich mehr herausholen können, ihre Gesangsdarbietung erscheint leider wie Füllwerk. Auch der Western-Hommagen-/Persiflagen-Anteil fällt letztlich geringer aus als erhofft, auch diesbzgl. wäre mehr drin gewesen.

Verglichen mit den vorausgegangenen sieben Weimarer „Tatort“-Beiträgen musste „Der höllische Heinz“ doch einige Federn lassen. Als passable Unterhaltung für ein vom Jahreswechsel noch verkatertes Publikum geht er in Ordnung; die Originalität und Genialität, die Spannung und die überraschenden Wendungen und leider auch den hochfrequenten erfrischenden Humor manch zuvor gelösten Thüringer Falls lässt er jedoch vermissen.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie

Beitrag von Arkadin »

buxtebrawler hat geschrieben: ihre Gesangseinlage auf den Spuren Marlene Dietrichs, als sie „The Boys in the Back Room“ singt, mit sich bringt. Aus Dorns Undercover-Einsatz hätte man jedoch wesentlich mehr herausholen können, ihre Gesangsdarbietung erscheint leider wie Füllwerk.
Sie war ja auch kurzzeitig mal die Sängerin von "Prag" (und das gar nicht schlecht). Vielleicht will sie auf diese Weise ihre Sangeskarriere wieder etwas ankurbeln.
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buxtebrawler
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Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie

Beitrag von buxtebrawler »

Tatort: Rattennest

Im 22. „Tatort“ überhaupt ermittelte 1972 der Berliner Kommissar Kasulke (Paul Esser, „Immer dieser Michel“) zum zweiten und bereits letzten Mal. Ebenfalls zum zweiten Mal innerhalb der TV-Krimireihe dabei war der spätere Kultkommissar Schimanski: Götz George. Johannes Hendrichs Drehbuch verfilmte Regisseur Günter Gräwert („Der Röhm-Putsch“).

Der just aus dem Gefängnis entlassene Bernd Laschke (Jan Groth, „Perrak“) wird von den Mitgliedern seiner ehemaligen Bande gesucht, die fürchten, von ihm verraten zu werden, weil sie sich während seiner Haft nicht absprachegemäß verhielten. Dessen ist sich Laschek von Anfang an bewusst und möchte daher zusammen mit Ehefrau Herta (Carla Hagen, „Stella“) und Sohn Thomas (Angelo Kanseas) in die DDR nach Ost-Berlin übersiedeln, wo man auf einen verurteilten Verbrecher allerdings nicht gerade gewartet hat und ihn daher in den Westen der geteilten Stadt zurückschickt. Da Laschke auch seiner Familie nicht seinen Aufenthaltsort verrät, wendet sich seine Frau erst ans Meldeamt und schließlich an die Polizei, worauf Kommissar Kasulke sehr interessiert reagiert, hofft er doch, dadurch dem Rest der brutalen Diebes- und Erpresserbande auf die Schliche zu kommen. Als die Bande Laschkes Frau entführt, Schusswaffen ins Spiel kommen und Laschke vom Gejagten zum Jäger wird, eskaliert die Situation…

Die Verbindungen zwischen Laschke und seiner ehemaligen Bande, bestehend aus Jerry (Götz George) und dessen Freundin Petra (Ingrid van Bergen, „Grimms Märchen von lüsternen Pärchen“), „Frankenstein“ (Herbert Fux, „Hexen bis aufs Blut gequält“), Stocker (Ulli Kinalzik, „Das Stundenhotel von St. Pauli“) und Rudi (Klaus Sonnenschein, „Kassensturz“), erschließt sich dem Publikum erst nach und nach. Parallel werden zunächst die Aktivitäten beider „Parteien“ gezeigt, bis sich schließlich die Wege kreuzen. Zwar wird der skrupellose Überfall der Bande auf einen arglosen Toilettengänger gezeigt, einen Mordfall gibt es jedoch nicht. So liegt der Fokus dieses „Tatorts“ auch vornehmlich auf den Kriminellen, die Polizei um Kasulke und seinen Assistenten Roland (Gerhard Dressel, „Geld oder Leben“) findet lediglich am Rande statt. Unter Gräwerts Regie glänzt der Fall mit einem eitlen, überheblichen George als Bandenchef, Charakterfressen wie Fux und Groth, berlinerischem Tonfall satt und Lokal-/Zeitkolorit en masse, fiesen Scheiteln und grellen Klamotten. In einer Nebenrolle spielt Dieter Hallervorden („Das Millionenspiel“) gänzlich unklamaukig den Insassen Prickwitz, lakonischer Humor kommt nicht zu kurz und passend zu den Dieben hat man sich beim „Shaft“-Soundtrack bedient, die immer mal wieder ertönenden Funk-Klänge wurden also stibitzt.

Insbesondere für „Zeitreisende“ ist dieser „Tatort“ ergo eine verdammt lohnende Angelegenheit, doch auch die ihr Publikum durchaus fordernde Handlung hat es in sich, wenn es zu einem an Italo-Western gemahnenden Duell auf der Müllkippe kommt und Dressman Jerry innerlich wie äußerlich gebrochen wird. Man taucht ein ins Berliner Kleinkriminellen-Milieu, dessen Figuren mal exaltiert, mal bauernschlau, mal hemdsärmlig, aber auch trottelig agieren. Sie verrennen sich in einen eigentlich unnötigen Konflikt, der letztlich tödlich ausgeht, weil man die Spirale überdreht hat, aber auch, weil sich ein höherer Mafioso aktiv einschaltet, um dem Spuk ein Ende zu machen. Die Polizei bleibt Statist. Ein konsequenter, ziemlich unterhaltsamer „Tatort“, dessen Erzähltempo lediglich bisweilen etwas verwundert, denn bis man als Zusehender richtig drin ist, vergeht eine Weile, dennoch wird man vor spannenden und emotionalen Szenen auch weiterhin ab und zu ausgebremst. Dafür hält Gräwe stets fest alle Fäden in der Hand, führt zusammen, was zusammengeführt werden muss und lässt offen, was keiner weiteren Erklärung bedarf und sich Zuschauerinnen und Zuschauer selbst zusammenreimen dürfen.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie

Beitrag von buxtebrawler »

Tatort: Borowski und der Himmel über Kiel

„Wissen Sie eigentlich, zu was Frauen unter Drogen fähig sind?“

Sein 24. Fall führt den Kieler Hauptkommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) ins Drogenelend, von dem ein ganzes Dorf bedroht wird. Für Regisseur Christian Schwochow („Bornholmer Straße“) handelte es sich um seinen ersten Beitrag zur „Tatort“-Krimireihe, das Drehbuch verfasste Rolf Basedow. „Borowski und der Himmel über Kiel“ wurde bereits 2014 auf dem Hamburger Filmfest uraufgeführt, seine TV-Erstausstrahlung erfolgte am 25.01.2015.

Eine unbekannte Person nähert sich einer an einem Waldgebiet liegenden Leiche, um ihr mit einer Axt den Kopf abzuschlagen. Als der Kopf gefunden wird, werden Hauptkommissar Klaus Borowski und Kommissaranwärterin Sarah Brandt (Sibel Kekilli) auf den Fall angesetzt. Der Kopf gehört zu den Überresten des Crystal-Meth-Junkies Mike Nickel (Joel Basman, „Als wir träumten“), dessen Ex-Freundin, die junge Rita Holbeck (Elisa Schlott, „Draußen am See“), sich auf einen Fahndungsaufruf hin meldet. Sie ist gerade erst wieder clean geworden und berichtet der Kripo von ihrem ehemaligen Alltag im Zeichen der Drogensucht und des Rauschs. Als sie sich überreden lässt, die Namen zweier Verdächtiger Drogendealer (Rafael Stachowiak, „Lollipop Monster“ und Matthias Weidenhöfer, „Tatort: Brüder“) herauszurücken, gerät auch sie in Gefahr…

Schwochows und Basedows „Tatort“ ist ein Abgesang auf vermeintliche schleswig-holsteinische Dorfidylle, denn die billige Teufelsdroge hat längst die ganze Dorfgemeinschaft infiltriert, die mit ihrer Hilfe der Trostlosigkeit des Alltags zu entrinnen versucht. Dieser Aspekt wird zu einer der Herausforderungen für Borowski und Brandt, die letztlich auf die Kooperation Ritas angewiesen sind. In einer beeindruckenden Szenencollage schildert sie ihre anfänglich so positiven Erfahrungen mit der Droge, die aus Nonstop-Partys und ungezügeltem Sex bestehen. Trotz schneller Schnitte kann sich hier Nachwuchstalent Elisa Schlott als entfesselt und enthemmt aufspielende Jungschauspielerin empfehlen, die die Ambivalenz ihrer Rolle – einerseits exzessiv das Leben (bzw. die Realitätsflucht) auskostend, andererseits ruhig, zurückhaltend und schutzbedürftig wirkend – beherrscht. Die negativen persönlichen Auswirkungen der Meth-Abhängigkeit in Form körperlichen Verfalls zeigen sich an Ritas mehr tot denn lebendig wirkender Freundin Lisa (Anke Retzlaff, „Der Turm“), weniger an der bildhübschen Rita, die scheinbar rechtzeitig den Absprung geschafft hat.

Im erzählerisch leider etwas vertrackten und sprunghaften „Tatort“ zeigt sich bald, auf welch schmalem Grat sich Rita bewegt – und wie der exzessive Konsum zur Selbstzerfleischung einer Junkie-Clique führte, wovon unbeeindruckt das Partyleben weitergeht, während die Droge längst in allen gesellschaftlichen Schichten der Dorfgemeinschaft angekommen ist, die zunehmend den Verstand verliert. „Borowski und der Himmel über Kiel“ skizziert, wie sich das trügerische Freiheitsgefühl, das die lügende Droge vermittelt, sich in Abhängigkeit, Zerfall und Tod und damit ins komplette Gegenteil verkehrt. Der gewohnt nachdenkliche Borowski wird hierfür in eine atmosphärische Meisterleistung integriert, die Emotionen authentisch fühlbar macht, sich in Melancholie und Traurigkeit ergeht und nicht nur aufgrund seiner Bilder einer fast permanent unter einem leichten Nebelschleier liegenden norddeutschen Landschaft eine Eiseskälte ausstrahlt, die einen frösteln lässt. Damit lässt Schwochow auch ohne allzu viele Erklärungen (etwa nach Drogenberatungs- oder Sozialarbeitermanier) nachvollziehbar werden, weshalb sich Menschen in den Teufelskreis von Drogen begeben, um sich eine Portion Wärme abzuholen.

„Borowski und der Himmel über Kiel“ ist bis in die Nebenrolle prima besetzt, nimmt sein Thema und seine Figuren inkl. ihrer Entscheidungen ernst, womit er weniger distanziert als andere, undifferenzierte Beiträge wirkt, und verfügt über eine starke weibliche Hauptrolle, auf die sich Ängste von Entfremdung und Verlust projizieren lassen. Damit ist dieser „Tatort“ ein ungewöhnlich intensives Fernsehkrimi-Erlebnis, sodass man in der Schlusssequenz unweigerlich hofft, Rita möge sich angesichts einer Sternschnuppe das Richtige wünschen – und einen darüber hinaus berührt zurücklässt. 7,5 von 10 paranoiden Flashbacks dafür.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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karlAbundzu
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Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie

Beitrag von karlAbundzu »

Tatort Saarbrücken: Der Pakt
Der letzte mit Devid Striesow.
Ein Mordfall im SchwesternschülerMillieu, gepaart mit dem Umfeld einer Klinik für EInwanderer ohne Aufenthaltserlaubnis.
Gut verschachtelte Geschichte zwischen der Szenerie und der Motivation der Klinik, und den Schülerinnen. Alle Motivationen gut dargestellt und gespielt und nachvollziehbar. Klar, ein paar Klischees müssen mitgenommen werden, aber ist ok. Spannend.
Das es der letzte mit Stellbrink ist, wird nicht thematisiert. Am Anfang wird eine Uniformträgerin in die MK befördert, mal sehen, ob die bleibt. Stellbrink selbst macht mal wieder einiges falsch, Unangenehmes deligiert er an die Neue.
Ein sehr guter Schauspieler steigt hier aus.
Ach so: SO ein Ende finde ich immer unbefriedigend, leider zu oft im Tatort.
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buxtebrawler
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Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie

Beitrag von buxtebrawler »

Tatort: Das verschwundene Kind

Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) ist zurück! In ihrem 26. Fall allerdings nicht mehr als LKA-Ermittlerin in Hannover, sondern nach ihrer Strafversetzung als Kripo-Kommissarin in Göttingen. 2017 hatte sie im Rahmen erfolgloser Ermittlungen einen solchen Druck auf einen Unschuldigen ausgeübt, dass dieser sich das Leben nahm (vgl. „Tatort: Der Fall Holdt“). Neu an ihrer Seite ist Kommissarin Anaïs Schmitz (Florence Kasumba, „Black Panther“), mit der sie ein Team bilden muss – ob sie will oder nicht. Der 2018 gedrehte und am 03.02.2019 erstausgestrahlte Fall entstand nach einem Drehbuch Jan Brarens, Stefan Dähnerts und Franziska Buchs („Yoko“), welche auch Regie führte und damit innerhalb der Krimireihe debütierte.

Nach ihrer Versetzung nach Göttingen sieht sich Lindholm unter Leitung des Kripo-Chefs Gerd Liebig (Luc Feit) zusammen mit ihrer Kollegin Anaïs Schmitz mit einem ungewöhnlichen Vermisstenfall konfrontiert: In schmuddeligen Schulumkleideräumen fand eine Geburt statt, doch von Mutter und Kind fehlt – abgesehen von Blut, Käseschmiere und Plazenta – jede Spur. Die Kindsmutter Julija Petkow (Lilly Barshy, „Die verschwundene Familie“) jedoch ist bald ermittelt, die Tochter eines alleinerziehenden, gottesfürchtigen Einwanderers aus Russland (Merab Ninidze, „Ikarus“) hatte ihre Schwangerschaft verdrängt und sie allen gegenüber verheimlicht. Doch wo ist das Kind? Diese Frage genießt für Lindholm und Schmitz höchste Priorität, denn möglicherweise ist es noch am Leben. Es stellt sich jedoch auch die Frage nach dem Vater: Kommt Julias Lehrer Johannes Grischke (Steve Windolf, „Tatort: Mord Ex Machina“) infrage, in den sie verliebt war? Oder ist der mit Drogen dealende Kleinkriminelle Tim Bauer (Oskar Belton, „Die Bergretter: Winterkind“) verantwortlich, der Julia bereits einmal unter Drogen gesetzt und sie sexuell missbraucht hat? Muss man evtl. gar Julias seine Tochter zu einem engelsgleichen Wesen idealisierenden Vater in Verdacht nehmen? Julias einzige Unterstützung ist zurzeit ihr gerade erst aus dem Gefängnis entlassener Stiefbruder Nino Brehmer (Emilio Sakraya, „Bibi & Tina - Voll verhext!“), der sich eigentlich weder ihr noch ihrer Familie nähern darf. Sein Kickbox-Trainer Ralf Schmölke (Oliver Stokowski, „Der Skorpion“) hält seinen Schützling für ein großes Talent und betrachtet die Situation mit Argwohn…

Regisseurin Franziska Buch musste sich der Herausforderung stellen, sowohl dem nach Art eines Kriminaldramas konzipierten Ermittlungsfall als auch Lindholms Zurechtfinden in einem neuen Umfeld ausreichend Platz einzuräumen. Dabei trifft sie auf ein unsympathisches Arschloch von Vorgesetztem, der jedoch „flache Hierarchien“ betont und sofort zum kollegialen Duzen übergeht, gerät mit ihrer neuen Kollegin, der farbigen Schmitz, aneinander, die sie irrtümlich für eine Reinigungskraft hält, und zeigt selbst keinerlei Reue ihre Vergehen in Hannover betreffend, sondern lässt in ihrer Arroganz keinen Zweifel daran, dass sie die Entscheidung anfechten und in spätestens zwei Wochen wieder weg sein werde. In dieser Troika ist also zunächst einmal eine(r) unsympathischer als der/die andere, doch man ist zusammenzuarbeiten gezwungen, wenn auch vor lauter Stutenbissigkeit hin und wieder die Fetzen fliegen und auch schon mal die Hand ausrutscht. Auf diese Weise wird schön illustriert, wie man es sich an einem neuen Arbeitsplatz selbst unnötig schwermachen kann. In Person Anaïs Schmitz hat Lindholm indes eine neue Partnerin an der Seite, die Haare auf den Zähnen hat, keinen Spaß versteht und permanent eine latente Aggression ausstrahlt. Eigentlich gehört keine von beiden in den Polizeidienst.

Nun sind sie aber doch da und treten viel auf der Stelle, bis Zufälle wie eine Zeichnung der kleinen Schwester Julijas zur Lösung des Falls führen. Und dieser Fall geht an die Nieren. Bereits der sich vor Wehenschmerz krümmenden Julija bei ihrem Gang auf die Toilette einer Umkleide zuzusehen, bereitet beinahe körperliche Schmerzen, von ihrer anschließenden Flucht voller Blut, den Bildern des blutverschmierten Orts und dem Herausfischen der Plazenta aus der verstopften Toilette ganz zu schweigen. Dass der Verdacht im Raum steht, es könne einen Missbrauchshintergrund geben, trägt ebenso wenig zur Erheiterung bei wie die Bilder des toten Neugeborenen. Ein in der Umkleide gefundener Ring mit Teufelsfratze und ein überlebensgroß an die Wand geschmiertes Pentagramm lenken den Verdacht zudem in Richtung einer Okkult-Sekte, womit die Handlung jedoch auf eine vollkommen falsche Fährte führt. Problematisch ist dabei auch, dass man suggerierte, das Pentagramm sei im Rahmen der Niederkunft mit dem Blut der Mutter oder gar des Kinds aufgetragen worden, was jedoch im weiteren Verlauf nie mehr aufgegriffen wird.

Dies ist bereits die größte erzählerische Schwäche dieses „Tatorts“, dessen übrige Fragen nach dem Auswerfen diverser roter Heringe allesamt zufriedenstellend geklärt werden – und man sich sogar um so etwas wie ein für alle Seiten versöhnliches Ende bemüht, womit man einen möglichen Umgang mit einer solchen oder ähnlichen Situation für selbst Betroffene empfiehlt. Größtes Pfund ist das eindringliche Schauspiel Lilly Barshys, die im wahrsten Sinne des Wortes alles aus sich herausholt. Werbung für die Universitätsstadt Göttingen ist dieser Fall eher nicht, dafür mangelt es ihm an Sympathieträgern und ist er schlicht zu unangenehm. Der um mehr Diversität bemühte „Tatort“ mit seiner ersten schwarzen Ermittlerin ist für einen verkaterten Sonntagabend im Fernsehsessel oder auf dem Sofa starker Tobak, der nur unwesentlich vom Running Gag des ständig verlegten Handys Lindholms aufgelockert wird. Die (falschen) Verdächtigungen werden mitunter etwas plump integriert, streifen dabei aber immer wieder eigene Themen, die unter anderen Filmschaffenden als eigene Aufhänger eines ganzen Kriminalfalls herangezogen werden. Uhrzeiteinblendungen sollen insbesondere während der Suche nach dem Neugeborenen den Wettlauf gegen die Zeit illustrieren. Und wer bis zum Ende durchgehalten hat, hat vielleicht ein differenzierteres Bild vom zunächst immer so eigenartig anmutenden Phänomen der verdrängten oder unbemerkten Schwangerschaft, ihrer möglichen Hintergründe und der schwierigen Situation, in der sich die – häufig jungen – Mütter befinden, gewonnen.
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Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie

Beitrag von buxtebrawler »

Tatort: Alles was Sie sagen

„Ich scheiß‘ auf Regeln!“

Fall zehn für den Hamburger Bundesbullen Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring), der vierte gemeinsame Fall mit seiner neuen Partnerin Julia Grosz (Franziska Weisz): Der „Tatort: Alles was Sie sagen“ aus dem Jahre 2018 wurde vom Hamburger Regisseur Özgür Yildirim („Blutzbrüdaz“) inszeniert, der damit bereits seinen dritten „Falke“ beisteuerte – und zwar nach einem gewitzten, wendungsreichen Drehbuch Arne Noltings und Jan Martin Scharfs.

Die Fahndung nach dem anerkannten Flüchtling, jedoch auch mutmaßlichen Kriegsverbrecher Abbas Khaled (Youssef Maghrebi) führt die Bundespolizisten Falke und Grosz ins niedersächsische Lüneburg und endet mit dem Tod Khaleds Schwester Alima (Sabrina Amali, „Brüder“) in einem leerstehenden Fabrikgebäude. Da der dringende Verdacht besteht, die tödliche Kugel sei aus Falkes Waffe abgefeuert worden, müssen er und seine Kollegin sich getrennt voneinander vor dem internen Ermittler Joachim Rehberg (Jörn Knebel, „Frauen lügen besser“) verantworten. Dabei widersprechen sich die Angaben, die die beiden zu diesem Fall machen, in dem es neben dem bestens integrierten Libanesen, der sich in Stefan Hansens (Moritz Grove, „Krabat“) Flüchtlingsunterrichtsklasse einbrachte, auch um die örtliche organisierte Drogenkriminalität um Clan-Boss Ibrahim Al-Shabaan (Marwan Moussa) geht. Ihm war die Lüneburger Polizei um Einsatzleiter Junker (Gerdy Zint, „Als wir träumten“) schon seit längerem auf der Schliche – entsprechend konsterniert reagierte dieser, als ihm die Hamburger Bundespolizei dazwischenfunkte…

Mit der Flüchtlingsthematik greift dieser „Tatort“ ein noch immer aktuelles Thema auf, das tief in politischen und gesellschaftlichen Debatten verankert ist – u.a. mit der Angst vor Pseudoflüchtlingen, die in ihrer Heimat (oder angrenzend) mitverantwortlich für das Grauen waren, vor dem die Menschen flohen, und die nun möglicherweise auch hierzulande Terror und Verderben planen. In diesem Falle erhärtet sich der Verdacht jedoch nicht, Abbas Khaled stellt sich als unschuldig heraus. Doch damit nicht genug, er entpuppt sich darüber hinaus sogar als Homosexueller, der heimlich mit seinem Lehrer liiert ist – und den die örtliche Drogenmafia auf dem Kieker hat. Hier beschleicht einen das Gefühl, dass es mit den Drehbuchautoren einmal mehr durchging und das einzelne Minderheiten-Stigma des Flüchtlings nicht ausreichte, sondern man unbedingt noch einen draufsetzen musste. Das erscheint mir dann doch etwas arg konstruiert und zu viel des Guten, weniger wäre vermutlich mehr gewesen.

Seinen besonderen Reiz bezieht dieser „Tatort“ aus seiner Erzählweise: dem nach dem rätselhaften Prolog fortwährenden Wechselspiel aus in Rückblenden aus unterschiedlicher Perspektive aufgerolltem Fall und den Vernehmungen durch Rehberg. Was kompliziert klingt, wurde von Regisseur Yildirim clever gelöst; statt Verwirrung zu stiften erzeugt er Spannung, sodass man der Auflösung entgegenfiebert. Hat Falke diesmal tatsächlich unentschuldbare Fehler begangen? Angereichert wird die Handlung von etwas Folklore um die schwierige Dienstbeziehung zwischen Falke und Grosz, um alte Bekannt- bzw. Liebschaften Grosz‘ und um der Korruption und Sabotage verdächtige Lüneburger Kollegen – bis hin zum respektlosen Drogen-Clan, der über dem Gesetz zu stehen glaubt.

Diesem Beitrag zur TV-Krimireihe gelingt es wie keinem zuvor, Franziska Weisz in ihrer Rolle als Julia Grosz in Szene zu setzen, die neben weiteren Puzzlestücken zu ihrer Biographie ihren Charakter weiter ausarbeiten und in durchaus auch emotionalen Kontrast zu Falke setzen kann, was zu diversen Konfliktsituationen führt. Yildirim fand eine tolle Bildsprache für seinen „Tatort“, wer auch immer für den Soundtrack verantwortlich zeichnet, bewies Musikgeschmack (The Clash – Guns of Brixton), und das inhaltliche Niveau der intelligenten Sequenzmontagen ist im deutschen Fernsehen nicht selbstverständlich. Vom überzeichneten ursprünglich Verdächtigen einmal abgesehen ein im positiven Sinne ungewöhnlicher, sehr gelungener „Tatort“, der neugierig auf die weitere Entwicklung dieses Ermittlungsduos und auf weitere Filme Yildirims macht.
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Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie

Beitrag von Arkadin »

Ich finde es immer wie schön, wie du hier die "Tatorte" besprichst. Das macht richtig Lust auf die Serie und führt gleichzeitig dieses billige Klischee vom "Typisch-Tatort" ad absurdum. Ich habe mir da ja auch schon einiges aus den Mediatheken gesichert - nur leider noch nicht die Zeit gehabt mich da näher mit zu beschäftigen. Bock drauf habe ich - nicht zuletzt aufgrund Deiner tollen Reviews - aber schon.

Der "Tatort" scheint ja auch ein Tummelfeld für junge Talente zu werden, die sich - im Rahmen dessen, was ihnen erlaubt wird - hier austoben und ausprobieren können. Scheinbar auch gerade bei den "Falke"-Tatorten. Da hat der Özgür Yildirim ja schon drei inszeniert (übrigens seine einzigen Ausflüge zum "Tatort") und davor ja auch der Marvin Kren, von dessen drei "Tatort"-Beiträgen ja auch zwei mit Falke waren. Und spannend, dass Kren ja die erste Staffel der Vorzeigeserie "4 Blocks" gedreht hat und Yildirim die Hälfte der zweiten Staffel (die andere Hälfte ist dann von Oliver Hirschbiegel - auch kein Unbekannter).

Kennt eigentlich jemand Yildirims Kinofilm "Nur Gott kann mich richten"? Der soll ja auch nicht schlecht sein.
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Re: Tatort - Der Diskussionsthread zur Krimiserie

Beitrag von buxtebrawler »

Arkadin hat geschrieben:Ich finde es immer wie schön, wie du hier die "Tatorte" besprichst. Das macht richtig Lust auf die Serie und führt gleichzeitig dieses billige Klischee vom "Typisch-Tatort" ad absurdum. Ich habe mir da ja auch schon einiges aus den Mediatheken gesichert - nur leider noch nicht die Zeit gehabt mich da näher mit zu beschäftigen. Bock drauf habe ich - nicht zuletzt aufgrund Deiner tollen Reviews - aber schon.
Oh, vielen Dank!

Ja, ich hab' hier auch noch jede Menge "auf Halde" liegen. Evtl. hilft's, sich einen festen Wochentermin für eine "Tatort"-Sichtung zu legen. Klappt bei mir auch nicht, aber ich arbeite dran :D
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