Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Moderator: jogiwan

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karlAbundzu
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von karlAbundzu »

Tatort Dresden: Parasomnia
Neuer Fall Team Gorniak, Winkler und Schnabel.
Wie man im vorneherein hörte mehr ein Mystery Thriller denn ein Krimi.
Alleinerziehender Vater und ehemals erfolgreicher Kinderautor kommt mit Tochter in ein Haus, was stark renovierungsbedürftig ist. Das erste, was die 14jährige Tochter vorfindet, ist die Leiche eines Renovierers. Nun, traumatisch vorbelastet, ist das der Tropfen, und fortan sieht sie Geister im Haus, die ihr Sachen zeigen wollen, sie aber auch verletzen. Keiner glaubt ihr, nur zu Kommissarin Winkler findet sie Vertrauen, auf Polizistinnenseite allerdings widerwillig.
Und es ist tatsächlich eine Geister & Kimi - Melange. Wir werden im Ungewissen gelassen, ob es die Begegnungen der dritten Art wirklich gibt, es gibt Geister, Vorahnungen aber auch Gegenbeweise. Dazu gibt es ein prima Serienmörderfall, bezüge zur DDR-Vergagenheit und prima Darsteller*innen. Das Dreierteam sowieso, am meisten hat diesmal Cornelia Gröschel, Martin Brambach ist für die ironsch fiesen UNtertöne da und Karin Hanczewski :knutsch: die harte aber verständnisvolle Ermittlerin. Dazu sehr gut die Darstellerin der Tochter Talia, Hannah Schiller.
Gut, der Täter war ein wenig früh voraussehbar, obwohl sie mit einem berühmten Trick (die Kommissarin zeigt dem Kommissar die Lösung, so dass es der Zuschauer nicht sieht, aber eigentlich war es da schon klar) ein paar kleine Unlogeleien.
Insgesamt sehr spannend, gut geschrieben und erzählt, prima Score. Ach, und ich wurde einmal an Die sieben schwarzen Noten erinnert. Das ist ja auch gut. (Klar, da ging es um eine Geschichte, die es in verschiedenen Filmen gibt und es erinnerte mich an Fulci, weil ich den ja gerade sah, aber dazu kam dann noch so eine Melodei, die nicht ganz unähnlich war...)
Empfehlung.
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
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karlAbundzu
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von karlAbundzu »

Hach, fast gleichzeitig. Und auch ähnlich in der Einschätzung.
buxtebrawler hat geschrieben: Mo 16. Nov 2020, 16:04 einmal 16 Jahre jung,
ich hatte das Alter nicht mehr im Kopf, wurde das genannt, auf der ARD Seite steht 14. Ist aber auch nicht so wichtig.

Was mir bei Dredner Tatorten AUFFÄLLT, 8ich habe darüber nachgedacht, weil du ja Dunkeldeutschland schreibst ;) ), dass die so gut wie nie Touri-Szenen haben, also die hübsche Skyline oder die Elbe... Machen andere Tatorte zwischendurch ja immer wieder gerne.
Zuletzt geändert von karlAbundzu am Mo 16. Nov 2020, 16:47, insgesamt 1-mal geändert.
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
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buxtebrawler
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von buxtebrawler »

karlAbundzu hat geschrieben: Mo 16. Nov 2020, 16:20 ich hatte das Alter nicht mehr im Kopf, wude das genannt, auf der ARD Seite steht 14. Ist aber auch nciht so wichtig.
Du hast recht, habe ich korrigiert.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von purgatorio »

karlAbundzu hat geschrieben: Mo 16. Nov 2020, 16:14 Tatort Dresden: Parasomnia
Neuer Fall Team Gorniak, Winkler und Schnabel.
Wie man im vorneherein hörte mehr ein Mystery Thriller denn ein Krimi.
Alleinerziehender Vater und ehemals erfolgreicher Kinderautor kommt mit Tochter in ein Haus, was stark renovierungsbedürftig ist. Das erste, was die 14jährige Tochter vorfindet, ist die Leiche eines Renovierers. Nun, traumatisch vorbelastet, ist das der Tropfen, und fortan sieht sie Geister im Haus, die ihr Sachen zeigen wollen, sie aber auch verletzen. Keiner glaubt ihr, nur zu Kommissarin Winkler findet sie Vertrauen, auf Polizistinnenseite allerdings widerwillig.
Und es ist tatsächlich eine Geister & Kimi - Melange. Wir werden im Ungewissen gelassen, ob es die Begegnungen der dritten Art wirklich gibt, es gibt Geister, Vorahnungen aber auch Gegenbeweise. Dazu gibt es ein prima Serienmörderfall, bezüge zur DDR-Vergagenheit und prima Darsteller*innen. Das Dreierteam sowieso, am meisten hat diesmal Cornelia Gröschel, Martin Brambach ist für die ironsch fiesen UNtertöne da und Karin Hanczewski :knutsch: die harte aber verständnisvolle Ermittlerin. Dazu sehr gut die Darstellerin der Tochter Talia, Hannah Schiller.
Gut, der Täter war ein wenig früh voraussehbar, obwohl sie mit einem berühmten Trick (die Kommissarin zeigt dem Kommissar die Lösung, so dass es der Zuschauer nicht sieht, aber eigentlich war es da schon klar) ein paar kleine Unlogeleien.
Insgesamt sehr spannend, gut geschrieben und erzählt, prima Score. Ach, und ich wurde einmal an Die sieben schwarzen Noten erinnert. Das ist ja auch gut. (Klar, da ging es um eine Geschichte, die es in verschiedenen Filmen gibt und es erinnerte mich an Fulci, weil ich den ja gerade sah, aber dazu kam dann noch so eine Melodei, die nicht ganz unähnlich war...)
Empfehlung.
Ich als Nicht-Tatort-Gucker habe mir diesen hier natürlich auch angesehen. Dass die wirklich schönen Ecken der Stadt im Tatort nicht gezeigt werden, fiel mir auch auf. Könnte man durchaus positiv hervorheben (allerdings ist diese Villa/dieses Schloss auch sehr weit außerhalb von Dresden, zwischen Dresden und Meißen). Mir hat dieser hier sehr gut gefallen, zumal ich mich regelmäßig an Hommagen und Zitaten erfreute, die einem als Genrekenner dann ja doch förmlich anspringen (Fulci habe ich auch gesehen - ich fühlte mich an l'Aldila erinnert, als die ruhelose Geistfrau aus dem Dunkeln mit verwachsenen leeren Augen auftauchte). Mich unterhielt das sehr (ich würde aber auch verstehen, wenn man deshalb Ideenlosigkeit attestiert) :mrgreen:
Im Prinzip funktioniere ich wie ein Gremlin:
- nicht nach Mitternacht füttern
- kein Wasser
- kein Sonnenlicht
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von karlAbundzu »

purgatorio hat geschrieben: Di 17. Nov 2020, 17:01 Dass die wirklich schönen Ecken der Stadt im Tatort nicht gezeigt werden, fiel mir auch auf. Könnte man durchaus positiv hervorheben (allerdings ist diese Villa/dieses Schloss auch sehr weit außerhalb von Dresden, zwischen Dresden und Meißen). Mir hat dieser hier sehr gut gefallen, zumal ich mich regelmäßig an Hommagen und Zitaten erfreute, die einem als Genrekenner dann ja doch förmlich anspringen (Fulci habe ich auch gesehen - ich fühlte mich an l'Aldila erinnert, als die ruhelose Geistfrau aus dem Dunkeln mit verwachsenen leeren Augen auftauchte). Mich unterhielt das sehr (ich würde aber auch verstehen, wenn man deshalb Ideenlosigkeit attestiert) :mrgreen:
O, du kennst die Villa? Ist das so eine DDR Hinterland, seit der Wende nichts passiert Villa? Da gibt es ja einige atmosphärische unheimliche Häuser, jedenfalls in Brandenburg, Sachsen Anhalt und MeckPomm.
Und die andere Fulci-Erinnerung ist ja auch prima. Wenn der Autor ein FB-Freund von Kessler ist, kennt der bestimmt seinen Lucio!
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von purgatorio »

karlAbundzu hat geschrieben: Mi 18. Nov 2020, 14:22 O, du kennst die Villa? Ist das so eine DDR Hinterland, seit der Wende nichts passiert Villa? Da gibt es ja einige atmosphärische unheimliche Häuser, jedenfalls in Brandenburg, Sachsen Anhalt und MeckPomm.
Und die andere Fulci-Erinnerung ist ja auch prima. Wenn der Autor ein FB-Freund von Kessler ist, kennt der bestimmt seinen Lucio!
Kennen tue ich den Ort nicht. Ich wollte eigentlich nur sagen, dass er in diesem Fall eben doch deutlich außerhalb der Stadt liegt und dass eventuell deshalb keine Touri-Ecken von Dresden gezeigt wurden. Wo die Villa liegt ging hier in den letzten Tagen durch die lokale Presse - daher weiß ich das. Scheint mir so ein unheimliches Hinterland-Geisterhaus zu sein. Allerdings wird es auch sukzessive renoviert. Die gelben Steine vom Mauerdurchbruch im Finale des Tatorts kannst du bspw. gerade ersteigern. Der Erlös dient der Renovierung des Daches der Villa :thup:
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von karlAbundzu »

Ah, Tatort als Aufbauhelfer, finde ich gut. Ich finde bei den Dresdner Team ja generell wenig Touri-Programm. Wenn ich da an die Ritter und Stark Folgen aus Berlin denke, gab es da total oft Establishung Shots mit hübschen bekannten Gebäuden....
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von karlAbundzu »

Tatort Wiesbaden: Die Ferien des Monsieur Murot
Der Titel gibt schon mal ein bißchen die Ästhetik vor: Nicht Monsieur Hulot sondern Murot ist im Urlaub, es gibt viele alte Autos, alte Musik, alte Inneneinrichtungen und Murot spielt Tennis wie Jacques Tati.
Der Storyaufhänger wird gleich durch ein Buch verraten, was nebenbei ins Bild gehalten wird: William Wilson, die Doppelgängergeschichte von EA Poe.
Murot ist im Urlaub, schreibt seiner Assistentin eine Postkarte, romantisch philosophisch über das zu sich kommen und ein anderer werden. Dann trifft er sein Ebenbild, ein eher unangenehmer Autoverkäufer, doch bei de betrinken sich. Murot wacht bei ihm auf, und er liegt tot auf der Strasse. Vorgeblich zum ermitteln schlüpft er in die Rolle des Tote. Oder will er nur ein anderer werden?
Die Wiesbadener sind ja immer mit dem Experimentbeutel gepudert, was ich meist auch gut finde. Dadurch werden natürlich auch Erwartungen geweckt. So dachte ich oft darüber nach, was passieren könnte und kam auf ganz andere Ideen, so dass es beinahe enttäuschend war, was für ein normaler Doppelgänger-Film das ist. Für einen Tatort doch trotzdem ungewöhnlich und stark besetzt vor allem mit Tukur als Murot, und Anne Ratte-Polle als Hauptverdächtige.
Insgesamt gut.
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
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Beitrag von buxtebrawler »

Tatort: Die Ferien des Monsieur Murot

„Ich hab‘ Angst vor meiner Frau…“

Grzegorz Muskalas nach „Die Frau hinter der Wand“ zweite abendfülle Regiearbeit ist der neunte „Tatort“ um den Wiesbadener Hauptkommissar Felix Murot (Ulrich Tukur), zu dem er zusammen mit Ben Braeunlich auch das Drehbuch verfasste. Der im Mai und Juni 2019 gedrehte „Tatort“ lehnt sich an das cinephile und zitat-/hommagenreiche Konzept des aktuellen Wiesbadener „Tatort“-Zweigs insofern an, als es sich um eine Ehrerbietung an den französischen Komödienklassikers „Die Ferien des Monsieur Hulot“ des Filmemachers Jacques Tati handelt. Uraufgeführt wurde „Die Ferien des Monsieur Murot“ bereits im Oktober 2020 als Beitrag zu den 42. Biberacher Filmfestspielen.

„Du bist so anders!“

LKA-Hauptkommissar Felix Murot hat Urlaub und lässt im Taunus die Seele baumeln. Beim Mittagessen stößt er plötzlich auf einen Mann, der ihm wie aus dem Gesicht geschnitten scheint: Gebrauchtwagenhändler Walter Boenfeld (ebenfalls Ulrich Tukur). Man versteht sich gut miteinander, bei Boenfeld zu Hause plaudert man angeregt, der viele Alkohol löst die Zunge. Nach einem Saunagang tauscht man die Kleidung miteinander und als Murot einschläft, macht sich Boenfeld auf der Landstraße auf den Weg zu Murots Hotel. Dort kommt er allerdings nie an, denn jemand verübt mit einem Auto einen tödlichen Anschlag auf ihn. Den Toten hält man für Murot, woraufhin der echte Murot, nachdem er am nächsten Morgen aus dem Delirium erwacht ist, die Gelegenheit zum Rollentausch und zur verdeckten Vermittlung ergreift. Boenfeld hatte Murot anvertraut, Angst vor seiner Frau Monika (Anne Ratte-Polle) zu haben, die ihn umbringen wolle. Tatsächlich reagiert diese verdächtig schreckhaft auf das vermeintliche Überleben ihres Manns. Während Murot nach und nach in seiner neuen Rolle als Ehemann und Autohändler aufgeht, schreibt seine Assistentin Magda Wächter (Barbara Philipp) eine Trauerrede auf ihn, die sie auf seiner Beerdigung vorträgt. Und Murot ermittelt nicht nur, er findet auch Gefallen an Monika und beginnt, sein bisheriges Leben infrage zu stellen…

„Das ist alles hochgradig unprofessionell!“

„Grüsse aus dem schönen Taunus“ steht orthographisch falsch auf der Ansichtskarte, die Murot Magda Wächter schreibt. Aus dem Off rezitiert er den Inhalt seiner Zeilen, u.a. wie gut es ihm tue, dem „vertrauten Raum zu entkommen“. Daneben liegt Edgar Allan Poes „William Wilson“, eine Doppelgängergeschichte. Die Harmonie, die dieser Eröffnungssequenz innewohnt, wird jäh unterbrochen von einer barschen Kellnerin, die Murot mit den Worten „Bitteschön, wie immer“ lieblos irgendetwas offenbar von einem toten Tier Abgeschnittenes nicht nur auf den Tisch, sondern auch auf seine Postkarte knallt, woraufhin diese einen Abdruck von der Bratensoße davonträgt. Sie verwechselte ihn mit Boenfeld, der nur wenige Tische weiter sitzt und auf seine Mahlzeit wartet – der Beginn einer folgenreichen Begegnung.

Der Mordverdacht wird auf Boenfelds Ehefrau gelenkt, das Krimisujet weicht jedoch schnell der viel interessanteren Frage, wie Murot in der Rolle seines Doppelgängers zurechtkommen wird, ob man ihn enttarnen wird – und wie das eigentlich so ist, an der Seite einer attraktiven, aber völlig fremden Frau. So unglaubwürdig die Ausgangssituation auch ist, so spannend sind die Möglichkeiten, die sich für Murot ergeben. So wohnt er heimlich seiner eigenen Beerdigung bei (und sieht genau, wer zu ihr erschienen ist und wer nicht) und spielt immer offensiver mit dem Gedanken, in seiner neuen Identität dauerhaft zu verweilen, um seine bisherige Existenz hinter sich zu lassen. Muskala und Braeunlich lassen sich Murot ins Zwiegespräch mit dem Toten begeben, Murots Tagträume werden visualisiert und sind nicht immer gleich als solche zu erkennen.

Mit zunehmender Laufzeit gewinnt „Die Ferien des Monsieur Murot“ Aspekte eines existenzielle Fragen stellenden Liebesdramas, jedoch stets garniert mit luftig humorigen Momenten, die, ebenso wie das häufig ans ZDF-Seniorenwohlfühl-Heimkino erinnernde Ambiente, verhindern, dass einem die Geschichte wirklich nahegeht. Auch der Hommagenanteil scheint eher oberflächlich ausgefallen zu sein und sich auf Oldtimer, Murots Kleidung und eine Tennispartie sowie das Stibitzen des musikalischen Themas aus Tatis Original zu beschränken. Verifizieren kann ich das indes nicht, Tatis Film ist mir unbekannt. Nachbar Peter wird von Thorsten Merten gespielt, was ich für diskussionswürdig halte, solange er in einer anderen aktuellen „Tatort“-Reihe – der Weimarer – zum Stammensemble zählt. Gibt es nicht genügend andere Schauspieler, die eine solche Nebenrolle übernehmen könnten, damit man als regelmäßiger „Tatort“-Zuschauer nicht ständig dieselben Gesichter zu sehen bekommt?

Davon unabhängig scheint mir Muskalas Film aber ein recht gelungener Spagat zwischen der sommerlichen, komödiantischen Inspirationsquelle und einem eigenständigen, den Lebensentwurf und -weg der Hauptfigur infrage stellendem Drama inklusive amouröser Verwicklungen geworden zu sein. Zwar tritt man dramaturgisch bisweilen etwas auf der Stelle, doch immerhin passt diese Entschleunigung zum Urlaubssujet und mindert den Unterhaltungswert nicht allzu sehr. Vieles wird nur angerissen, doch immerhin handelt es sich dabei um bedeutende Themen, die, auch technisch-formal, ziemlich ansprechend in einem weiteren ungewöhnlichen Wiesbadener „Tatort“ transportiert werden.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von buxtebrawler »

Tatort: Blechschaden

„Weißt du überhaupt, was das bedeutet?“ – „Wieso?“ – „Kripo!“

Der deutsche Ausnahmeregisseur Wolfgang Petersen („Das Boot“) hatte 1971 mit „Ich werde dich töten, Wolf“ gerade seinen Abschlussfilm an der Münchner Filmhochschule fertiggestellt, als er sich dazu verpflichten ließ, die achte Episode der TV-Krimireihe „Tatort“ zu inszenieren, für die er zusammen mit „Hörzu“-Redakteur Herbert Lichtenfeld auch das Drehbuch verfasste: Der am 13.06.1971 erstausgestrahlte „Tatort: Blechschaden“ wurde der Auftakt des siebenteiligen ersten Kieler Zweigs der Reihe um Kriminalhauptkommissar Finke (Klaus Schwarzkopf, „Der Mann, der den Eiffelturm verkaufte“).

„Elf Gehöfte, drei Hunde und ‘n lahmer Gaul, was?“

Als Bauunternehmer Alwin Breuke (Friedrich Schütter, „Das Millionenspiel“) mit seiner heimlichen Affäre Monika (Eva Astor, „Libido - Das große Lexikon der Lust“) nachts aus Travemünde in sein Heimatdorf Sieverstedt (bei Pinneberg) zurückfährt, übersieht er auf der Landstraße den Jugendlichen Harald Lossmann (Jens Weisser, „ Nachrichten aus der Provinz“) auf dessen Fahrrad und verursacht einen tödlichen Unfall. Breuke begeht Fahrerflucht und versucht, den Unfall zu vertuschen – beobachtet von seiner Frau Elsa (Ruth-Maria Kubitschek, „Ich schlafe mit meinem Mörder“), die ihrerseits eine heimliche Affäre zu Joachim Seidel (Götz George, „Spion unter der Haube“), angestellter Ingenieur im Unternehmen ihres Mannes, unterhält. Kurz darauf wird Alwin Breuke erpresst: Eine weibliche Tonbandstimme fordert telefonisch wiederholt 10.000 DM von ihm. Breuke glaubt, dass lediglich Monika als Erpresserin infrage käme, doch auch nach der Geldübergabe hören die Anrufe nicht auf. Hauptkommissar Finke verdächtigt derweil Lossmanns Rivalen Peter Reichert (Volker Eckstein, „Ich töte“) des Mordes, da dieser mit dem Unfallopfer kurz vor dessen Tod in Streit um eine Frau geraten war. Und es wird nicht der einzige Todesfall bleiben…

„…die findet dich wirklich beschissen!“

Eine Engtanzparty in einer Bar mit Livemusik. Und wer betritt da das Parkett? Götz George, der spätere Duisburger Kultkommissar Schimanski in seiner allerersten „Tatort“-Rolle! Hier spielt er Schwerenöter Joachim Seidel, der nur eine von vielen nur scheinbar voneinander unabhängigen Figuren ist, die Petersen und Lichtenfeld in die Handlung einführen. Ein alter Knacker (Horst Beck, „Die Gentlemen bitten zur Kasse“) spannt überall durch die Fenster und macht sich fleißig Notizen, er wird erst zu einem viel späteren Zeitpunkt wieder eine Rolle spielen. Notizen anzufertigen ist indes keine schlechte Idee, um bei allen Liebe-/Eifersüchteleien und Dreiecksbeziehungen den Überblick zu bewahren, denn jeder scheint hier mehr als nur eine Liebschaft zu pflegen.

„Würden Sie nicht auch so kombinieren?“

Nicht so jedoch Hauptkommissar Finke, der mit Jessner (Wolf Roth, „Perrak“) einen Assistenten frisch von der Polizeischule zur Seite gestellt bekommt. Da kommt es naturgemäß zur einen oder anderen Kabbelei. Kubitschek gibt eine sehr plietsche Ehefrau und Geliebte, die sofort das falsche Spiel ihres Mannes durchschaut und hier optisch ein wenig an Dagmar Lassander erinnert. Den Unfall, mit dem alles anfing, hat Petersen ambitioniert in Point-of-View-Perspektive gefilmt, was einen eindrucksvollen Effekt zur Folge hat, und auch sonst ist die Kameraarbeit recht dynamisch, bisweilen zum regen Treiben passend geradezu quicklebendig ausgefallen. Erzählerisch begnügt man sich nicht mit der falschen Verdächtigung und den Ermittlungen in der Unfallsache, deren Verursacher dem Publikum ja von vornherein bekannt ist. Mit der Erpressung kommt ein Whodunit? hinzu, auf das im letzten Drittel des mit 105 Minuten überlangen „Tatorts“ mit einem waschechten Mord noch einer draufgesetzt wird.

Fix was los also in Petersens außerschulischem Regiedebüt. Der Fall regt zum Mitdenken an und erfordert eine gewisse Aufmerksamkeit, die er mit hohem Unterhaltungswert inklusive subtilem Humor, einem Paar entblößter weiblicher Brüste und einem kleinen Crossover mit Hamburg-Kommissar Trimmel (Walter Richter) belohnt. Debütant Petersen konnte einige ihm bereits vertraute Schauspieler gewinnen, was ihm die Arbeit erleichtert haben dürfte und möglicherweise mitverantwortlich dafür war, dass die Chemie innerhalb der Konstellation zu stimmen schien. Aus heutiger Sicht birgt „Blechschaden“ zudem einen hohen Nostalgiefaktor oder schlicht interessante Einblicke in eine längst vergangene Zeit: In der Bürgerratssitzung sind alle am Qualmen und Biertrinken, in Hamburg fährt noch die Straßenbahn (während die südholsteinische Provinz in manch idyllischer Landschaftsaufnahme eingefangen wird) und die äußerst indiskrete Bank arbeitet bereitwillig mit der Polizei zusammen. Das verschachtelte und sehr, aber nicht überkonstruierte Drehbuch erinnert bisweilen gar angenehm ans damalige Genre-Kino, ohne das Lokalkolorit zu vernachlässigen. Wenn der Abspann läuft überm Bewegtbild einsetzt, ist der Gerechtigkeit genüge getan und haben sich nicht nur sowohl Kommissar Finke als auch Regisseur Petersen für weitere Großtaten qualifiziert, sondern auch Nils Sustrate, der zu Petersens Stammkomponisten avancieren sollte und „Blechschaden“ mit einem herrlich pulpig funkenden und groovenden Soundtrack unterlegte.

7,5 von 10 von Tonbandschnipseln klebe ich da gern aneinander.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
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