Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Moderator: jogiwan

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buxtebrawler
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von buxtebrawler »

Tatort: Saarbrücken an einem Montag

„Fußball interessiert mich überhaupt nicht.“

Der zweite Beitrag zur öffentlich-rechtlichen Krimireihe „Tatort“ datiert (ausgerechnet) auf den 13.12.1970. Die Produktion des Saarländischen Rundfunks war der erste von nur zwei Saarbrücker Fällen um Kriminalhauptkommissar Peter Liersdahl (Dieter Eppler, „Die Nackte und der Satan“), aber nicht der Einzige, der in der Anfangszeit der Reihe ursprünglich gar nicht als „Tatort“-Episode, sondern als eigenständiger Fernsehfilm geplant gewesen war. Das Drehbuch Johannes Niems inszenierte Regisseur Karl-Heinz Bieber („Hotelboy Ed Martin“), dessen einziger „Tatort“ diese „Saarbrücken an einem Montag“ betitelte Episode bleiben sollte.

„Ich bin nämlich Eidetiker.“ – „Eidetiker?“ – „Eidetiker.“

In Saarbrücken erschleicht sich ein falscher Kripokommissar die Rente betagterer Damen und verschwindet die junge, in einem Stahlwerk angestellte Datenverarbeiterin Eva Konalsky (Eva Christian, „Cream – Schwabing-Report“) spurlos. Zwei Fälle, die nur scheinbar nichts miteinander zu tun haben. Die Kriminalhauptkommissare Lierdahl und Schäfermann (Manfred Heidmann, „Quax, der Bruchpilot“), der just nach Saarbrücken versetzt wurde, müssen eng zusammenarbeiten, um die Fälle zu lösen, und auch die französische Polizei hinter der nahegelegenen Grenze konsultieren. Dennoch können Sie einen Mord nicht verhindern, der mit ehemaligen Fremdenlegionären zusammenhängt…

„Schön ham’ses hier!“

Laut der ARD basiert dieser „Tatort“ auf einem realen Kriminalfall, der sich in Saarbrücken ereignet haben soll. Die Eröffnungssequenz gehört dem falschen Kripokommissar, dem es jedoch nicht gelingt, sein aktuelles Opfer zu übertölpeln – dafür schlägt er es brutal nieder. Bei Dr. Günther Hartmann (Horst Naumann, „Der Arzt von St. Pauli“), wie Eva im Stahlwerk tätig, hängt derweil der Haussegen schief: Seine Frau Irene (Eva Maria Meineke, „Die Braut des Satans“) wirft ihm Überstunden und einen verschwundenen Ehering vor, vermutet, er gehe fremd. Sie schnüffelt in seinen Sachen und stellt einer jungen Frau nach, die sie für seine Geliebte hält und sich als die kurz darauf verschollene Eva Konalsky herausstellen wird. Dabei wird Irene Zeugin einer Geldübergabe. Erst hiernach führt man die beiden Hauptkommissare in die Handlung ein, die als recht gegensätzlich charakterisiert werden: Lierdahl verfügt über ein ausgeprägtes Gedächtnis und eidetische Fähigkeiten, nimmt es mit der Bürokratie dafür nicht so genau, während sein neuer Kollege Schäfermann lieber streng nach Vorschrift vorgeht und sich zahlreiche Notizen anfertigt.

Das Publikum wird mit einer weiteren undurchsichtigen Figur konfrontiert: Gerd Dietz (Erik Schumann, „Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn“), einem alten Freund Dr. Hartmanns. Er entpuppt sich als derjenige, mit dem Eva eine Geldübergabe durchführte – die Zuschauerinnen und Zuschauer erhalten auf diese Weise einen Wissensvorsprung gegenüber der Kripo, wenngleich Evas Aufenthaltsort und ein etwaiges Motiv, sie verschwinden zu lassen, im Unklaren bleiben. Die Kommissare ermitteln zunächst im Stahlwerk und anschließend in Konalskys Wohnung, wobei ihnen die spießbürgerliche Vermieterin Frau Helgesheim, großartig gespielt von Ellen Frank („Die Klosterschülerinnen“), behilflich ist. Die Handlung thematisiert nun den Kalten Krieg, indem Konalsky aufgrund ihrer ostdeutschen Herkunft der Spionage verdächtigt wird, und setzt verstärkt auf den in Saarbrücken allgegenwärtigen Frankreich-Bezug. Konalskys Freund (Arthur Brauss, „Mädchen: Mit Gewalt“) ist ein französischer Soldat, ein auf Französisch verfasster Drohbrief wird in ihren Sachen gefunden und zuvor arbeitete sie in einer Gaststätte unmittelbar hinter der französischen Grenze. Jenes Grenzgebiet wird ebenfalls zum Schauplatz polizeilicher Ermittlungen, während nach und nach ein Bild davon entsteht, wer Eva Konsalsky ist oder war.

„Saarbrücken an einem Montag“ ist also wie der erste „Tatort“ ein Grenzgänger und scheint ein gutes Stück weit der deutsch-französischen Völkerverständigung verpflichtet, wie insbesondere in Form der Amtshilfe leistenden französischen Polizei deutlich wird. Zugleich ist die Handlung relativ komplex. Mehrere Verdächtige und Motive werden präsentiert und viel klassische Polizeiarbeit geleistet. Evas Vermieterin wird ebenfalls niedergeschlagen und Dr. Hartmanns Frau mischt sich auch noch ein, was ihr nicht gut bekommen wird – als ältere Dame lebte man in diesem „Tatort“ gefährlich. Wie ein Frankreich-Klischee mag das Fremdenlegionssujet anmuten, das Teil der entscheidenden Wendung gegen Ende ist. Diese erweitert die ohnehin schon etwas unübersichtliche Gemengelage um einen alten Mord, ist aber recht ordentlich konstruiert und fügt alle Puzzleteile zu einem befriedigenden Ausgang zusammen. Leider wurden die maßgeblichen Gewaltakte vollständig ausgespart, finden also nicht vor der Kamera statt. In dieser Hinsicht hätte man sich gern etwas mehr trauen dürfen.

Und sonst? Einige neckische Dialoge tragen zur Unterhaltung bei, Lierdahl lässt sich von seiner Sekretärin Frühstück (mit zwei Eiern!) an den Schreibtisch servieren und es wird suggeriert, saarländische Kripobullen würden bis 19:30 Uhr und länger arbeiten… Dank der Originalschauplätze, der rätselhaften, nicht immer hundertprozentig auf Hochspannung angelegten, aber zumindest immer interessanten Geschichte und des französischen Touchs, der Deutschlands etwas provinzielles Mini-Bundesland beinahe etwas Europäisches verleiht, kann sich dieser erst zweite „Tatort“ sehen lassen. Zwischen 1977 und 1984 sollte Kommissar Schäfermann noch viermal ohne Lierdahl als „Tatort“-Ermittler in Erscheinung treten.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Reinifilm
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von Reinifilm »

"Tatort: Borowski und die Angst der weißen Männer" - Fand ich am Anfang noch etwas durchwachsen... ein Tatort zum Thema gesellschaftliche Unterdrückung von Frauen und keine einzige Führungsposition in dieser Folge ist mit einer Frau besetzt finde ich schon so naja. Außerdem sprach er zwar ein wichtiges Thema an, war aber über weiter Strecke eher mittelmäßig inszeniert. Und Borowski kann einen als Alpha-Schluffi auch ganz schön auf den Sack gehen. ABER: Er bekam in Sachen Tempo und Spannung tatsächlich noch die Kurve und servierte ein wirklich fieses Ende. Außerdem hätte der Soundtrack auf der John-Carpenter-Music-University einen Ehrendoktor verdient. Trotz einiger Schwächen: 08/10.
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karlAbundzu
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von karlAbundzu »

Ich mocht den auch.
Interessant fand ich, dass der Mario Lohse tatsächlich (jedenfalls bei mir) Mitgefühl weckte, ein armer Typ, dem das Leben immer wieder übel mitspielt, und der selbst in den niedrigschwelligen Gruppen, wo er so mitspielen will, ganz unten auf der Nahrungskette stand, und bei dem die Macho-Tricks natürlich so gar nicht funktionieren und er glaubt, das liegt an ihm. Obwohl es ja an den dämlichen Tricks liegt. Ich habe echt kurz vorm Ende gedacht: Manno, wäre die Vickie mal ein zwei Stunden früher gekommen.
Auch die Story mit dem misogynen unbeholfenen Staatsschützer fand ich passend. Und Schluffi Borowski ist ja sowieso ein unsympatische Figur mit dem Herz auf dem richtigen Fleck.
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von CamperVan.Helsing »

Reinifilm hat geschrieben: Mo 8. Mär 2021, 12:27 "Tatort: Borowski und die Angst der weißen Männer" - Fand ich am Anfang noch etwas durchwachsen... ein Tatort zum Thema gesellschaftliche Unterdrückung von Frauen und keine einzige Führungsposition in dieser Folge ist mit einer Frau besetzt finde ich schon so naja. Außerdem sprach er zwar ein wichtiges Thema an, war aber über weiter Strecke eher mittelmäßig inszeniert. Und Borowski kann einen als Alpha-Schluffi auch ganz schön auf den Sack gehen. ABER: Er bekam in Sachen Tempo und Spannung tatsächlich noch die Kurve und servierte ein wirklich fieses Ende. Außerdem hätte der Soundtrack auf der John-Carpenter-Music-University einen Ehrendoktor verdient. Trotz einiger Schwächen: 08/10.
Und eine Travis-Bickle-Gedenkszene war auch drin.

Mit dem Ende bin ich Reini. Was mir nicht gefallen hat, war die Szene, wo Massmann tatsächlich im Hinterzimmer seine Anhänger aufpeitscht. Ich hätte hier eine strikte Trennung zwischen dem "Vordenker" Massmann und den ausführenden Vollhonks bevorzugt. Er wäre also strafrechtlich nicht dingfest zu machen, und das würde seine Gefährlichkeit m.E. noch erhöhen (siehe auch unter Trump, Donald).
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von buxtebrawler »

Tatort: Borowski und die Angst der weißen Männer

„Wir sind viele!“

Für Axel Milberg war es bereits das 36. Mal, dass er als Kieler Kommissar Klaus Borowski vor der Kamera stand, für dessen junge Kollegin Mila Sahin (Almila Bagriacik) war‘s mittlerweile auch schon der fünfte Einsatz: „Tatort: Borowski und die Angst der weißen Männer“, geschrieben von Peter Probst und Daniel Nocke, inszeniert von Nicole Weegmann („Ein Teil von uns“) und gedreht von März bis Juni 2020, wurde anlässlich des internationalen Weltfrauentags an dessen Vorabend, dem 7. März 2021, erstausgestrahlt.

„Das Netz ist die Wirklichkeit!“

Duschanka Tomi (Vidina Popov, „Lissabon-Krimi“), Büroleiterin der Politikerin Birte Reimers (Jördis Triebel, „Ich und Kaminski“), wird in einer Tiefgarage von einer in weißen Schutzanzügen gekleideten Männergruppe betäubt und vergewaltigt. Kurze Zeit später wird die übel zugerichtete Leiche einer jungen Frau unweit einer Discothek gefunden, in ihrem Blut können K.O.-Tropfen nachgewiesen werden. Der Verdacht fällt auf Mario Lohse (Joseph Bundschuh, „Little Thirteen“), einen einsamen, verunsicherten jungen Mann, der, wie die Überwachungsvideos des Clubs beweisen, kurz zuvor Kontakt zu der Frau hatte. Lohse ist Anhänger des frauenverachtende Reden schwingenden Autors Hank Massmann (Arnd Klawitter, „Allein gegen die Zeit“) und versucht, in verborgenen Internetforen Anerkennung bei Gleichgesinnten zu finden. Ausgerechnet als Lohse doch einmal ein Rendezvous hat, nimmt man ihn fest. Borowski stößt zudem auf Neonazi-Symbolik am Tatort – und seine Kollegin Sahin auf Hass-Listen im Internet, in denen zahlreiche Frauennamen aufgeführt sind. Borowski beginnt, investigativ bei Massmann zu ermitteln…

„Vielleicht genügte es, dass sie eine Frau ist.“

Am Beispiel der fiktionalen Figur Mario Lohse widmet sich dieser „Tatort“ dem Phänomen misogyner, ungefickter Jammerlappen, die sich selbst als Incels bezeichnen (zusammengesetzt aus involuntary celibate, was so viel wie „unfreiwilliges Zölibat“ bedeutet) und sich in Internetforen zusammenrotten, um ihrem Frauenhass freien Lauf zu lassen und sich in ihren Echokammern immer weiter in ihr unheilvolles Welt- und Menschenbild hineinsteigern. Frauenfeindliche Jammerlappen? Richtig, da gibt es natürlich zahlreiche Überschneidungen zum Rechtsextremismus, mit dem sich die Incel-„Bewegung“ fröhlich vermischt. Mehrere feige Attentäter und Mörder der jüngeren Geschichte sind Incels.

Bei der Charakterisierung Mario Lohses wird seine Sozialisation ausgespart, man erfährt lediglich, dass der hagere, nie lächelnde junge Mann im Parkhaus arbeitet, unter mangelndem Selbstbewusstsein leidet und nicht nur von seiner Chefin untergebuttert wird, sondern sogar Schwierigkeiten hat, unter den Incels im Netz Anerkennung zu finden – die er u.a. mit albernen selbstgedrehten „Panikvideos“, in denen er auf seinem Fahrrad Fußgängerinnen umzufahren droht, zu erlangen versucht. Als er im Parkhaus von der jungen, attraktiven Vicky (Mathilde Bundschuh, Schwester des Mario-Darstellers, „Tatort: Klingelingeling“) angesprochen und gebeten wird, ihr beim Ausparken behilflich zu sein, kommt er dieser Bitte nach, was einen Rüffel seiner Chefin nach sich zieht, aber auch ein privates Treffen mit Vicky, die ihn nett findet. Zuvor hatte er es, nachdem er gerade so in die Discothek hineingelassen wurde, mit dem Mordopfer versucht, doch ist er nun einmal nicht der von Massmann und Konsorten so sehr propagierte dominante, „männliche“ Typ – und dumme Sprüche helfen da schon gar nicht weiter. Das Gequatsche dieser sog. Pick-up-Artists, die er aus diversen Online-Tutorials im Ohr hat, ist jedoch sein ständiger Begleiter, für die Zuschauerinnen und Zuschauer aus dem Off hörbar gemacht.

So sehr man auch hofft, dass der Mörder der jungen Frau überführt und geklärt wird, ob dieser im Zusammenhang mit der Vergewaltigung Tomis steht, so sehr dürfte nicht nur Mario, sondern auch das „Tatort“-Publikum die jähe und hochnotpeinliche Störung Marios Kennenlernens mit Vicky durch die Polizei als Affront empfunden haben. Bis hierhin bestand nämlich noch die Hoffnung, dass sich Marios Leben zum Guten wendet und er sich durch die Bekanntschaft mit Vicky vom Incel-Mist lossagt. Angesichts seines heftigen psychotischen Wutausbruchs in der Zelle kommen da jedoch schnell wieder Zweifel. Bis hierhin ist dieser „Tatort“ eine spannende und weitestgehend plausible Angelegenheit, bei der man zwischen Mitleid und Verachtung für den von Bundschuh intensiv geschauspielerten Mario Lohse hin- und hergerissen ist. Seltsam erscheint lediglich das Klischee der nicht ausparken könnenden Frau als Aufhänger für die Figurenbeziehung zwischen Mario und Vicky. Liegt’s an den männlichen Autoren?

Wie schnell Borowski auf die Neonazi-Symbolik der „14 words“ kommt, mutet jedoch ebenso unrealistisch an wie das simple Erraten eines Forenpassworts. Borowskis Inkognito-Auftritt als Journalist auf einer von Massmanns Veranstaltungen, auf der er erst einmal runtergeputzt wird, ist Anlass, die frauenfeindliche Demagogie aufzuzeigen, die sich Massmanns reale Epigonen zu eigen machen. Dass dieselbe Figur im Verborgenen eine Art antifeministischen „Fight Club“ anführt, ist recht starker Tobak und Ausgangspunkt für eine hoffentlich Dystopie bleibende Überspitzung hin zu organisiertem, militantem Terror gegen Frauen. Dieser rief auch den Staatsschutz auf den Plan, der eigens aus Berlin Nils Balde (Patrick Heinrich, „Er ist wieder da“) nach Kiel absandte, welcher wiederum Sahin zu deren Berliner Zeiten gemobbt hatte und seinen Sexismus mehr oder weniger offen heraushängen lässt. Als der in einer Rückblende fürs Publikum enttarnte Mörder der jungen Frau sich den Schädel kahlrasiert (eine Hommage an „Taxi Driver“?), wie der Hallenser Mörder scharfe Waffen mittels 3D-Drucker hergestellt hat und einen mit der Kamera selbst dokumentierten Terroranschlag zu verüben versucht, ist er nur einer von mehreren parallel agierenden Terroristen, die aufgrund des überraschend abrupten, offenen Endes unerkannt bleiben.

„Borowski und die Angst der weißen Männer“ greift sehr eindringlich die Terrorgefahr durch Incels und Artverwandte auf und besetzt damit ein leider recht aktuelles Thema. Aufgrund der spannenden, wenn auch mitunter motivisch etwas arg überladenen Dramaturgie bleibt man da sicherlich gern 90 Minuten bei der Sache, wenngleich man um den Zusammenhang mit Rechtsextremismus abzubilden etwas plump vorging und die Handlung mit realer polizeilicher Ermittlungsarbeit wohl kaum etwas zu tun haben dürfte. Und dass ausgerechnet in einem sich derart explizit gegen Antifeminismus richtenden „Tatort“ kein Halt vorm Auspark-Klischee gemacht wird und man die Freundinnen des Mordopfers als völlig verantwortungslos handelnde Idiotinnen zeichnet, die ihren Anteil am Ableben ihrer Freundin haben, ist durchaus diskussionswürdig.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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karlAbundzu
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von karlAbundzu »

Das mit dem Ausparken ist mir gar nicht so aufgefallen, denn nicht das Ausparken selst war das Problem, sondern das in das Auto hineinkommen, Vicky war ja links und rechts eingeparkt, so das Mario durch den Kofferraum einstieg. Hier könnten sich zwei verunsicherte Menschen treffen, und helfen.
Das idiotische Verhalten der Freundinnen sorgte für eine dramaturgische Überraschung und gerade ein Ausbruch an guten Frauen / böse Männer - Paarung.

PS: Klar, Kiel ist jetzt nicht die bunteste fröhlichste Stadt, aber so düster, und diese Disco ein Grauen. Der Urlaub dahin ist erst mal gecancelt ;)
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
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FarfallaInsanguinata
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von FarfallaInsanguinata »

Eine Freundin meinte Sonntag Abend, der "Borowski" wäre gar nicht so schlecht gewesen.
Wenn ich die Besprechungen hier lese, nährt das jedoch eher meine Befürchtung, dass dieser "Tatort" ein Flop war. Sogenannter Rechtsradikalismus und "Tatort", da ist noch nie was gutes bei rausgekommen.
Danke jedoch für die Erweiterung meines Horizontes, der Begriff "Incel" war mir nämlich bis zum heutigen Tag völlig unbekannt.
Was würde das jetzt implizieren? Wenn die modernen jungen Frauen weniger selbstbewusst wären und sich bereitwilliger ficken ließen, gäbe es weniger Extremisten und Attentäter?! Sorry, aber in meinen Augen ist das ganz großer Bullshit.
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von purgatorio »

FarfallaInsanguinata hat geschrieben: Do 11. Mär 2021, 02:44 Was würde das jetzt implizieren? Wenn die modernen jungen Frauen weniger selbstbewusst wären und sich bereitwilliger ficken ließen, gäbe es weniger Extremisten und Attentäter?! Sorry, aber in meinen Augen ist das ganz großer Bullshit.
Vertraue deinen Augen, meine liebe! Aber aus der Sicht eines Incels gibt es da offenbar plausible Zusammenhänge (unabhängig vom Tartort!).
Im Prinzip funktioniere ich wie ein Gremlin:
- nicht nach Mitternacht füttern
- kein Wasser
- kein Sonnenlicht
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buxtebrawler
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von buxtebrawler »

Zum Thema "Incels" hier ein relativ ausführlicher Artikel:
:arrow: https://story.ndr.de/incels/?utm_source ... obal-de-DE

Und hier ein recht knapper Videobeitrag aus dem "Kulturjournal":
:arrow: https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/ ... l7920.html
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von Maulwurf »

Nicht der aktuelle Borowski sondern ein älterer, der aber gar nicht schlecht war ...

Tatort: Borowski und der Fluch der weißen Möwe (Hüseyin Tabak, 2020) 6/10

Ein Tag wie jeder andere im Leben der Polizisten in Ausbildung: Fahrtraining mit Blaulicht im fließenden Verkehr, eine Menge Spaß, ein geduldiger Ausbilder. Dann ein Notruf, Einsatz: Eine junge Frau steht auf dem Dach eines Hochhauses. Die jungen Polizisten scheinen die Situation unter Kontrolle zu bekommen, dann kommt der zweite Streifenwagen dazu, die junge Nasrin, ebenfalls in Ausbildung stürmt aufs Dach, sieht die junge Frau, die junge Frau sieht sie – und springt …
Ein Tag wie jeder andere im Leben der Polizisten in Ausbildung: Heute steht ein Rollenspiel auf dem Lehrplan. Verhörsituation am Tatort ist das Thema. Nasrin ist die Polizistin, ihr Kollege Sandro der Ehemann einer aufgefundenen Toten. Doch Sandro nutzt die Chance zur Eskalation, nimmt Nasrin als Geisel und hält ihr einen Schraubenzieher an den Hals. Nasrin dreht sich um, schlägt Sandro nieder, und sticht wie eine Irre mit dem Schraubenzieher auf ihn ein. Bevor die anwesenden Ausbilder eingreifen können ist Sandro tot. Kommissar Borowski und seine Kollegin Sahin versuchen herauszubekommen, was da eigentlich passiert ist.

Prinzipiell ist dieser TATORT erstmal ein Mix aus verschiedensten Genreformaten. EIN MANN SIEHT ROT ist da genauso dabei wie beliebige Maurizio Merli-Filme, in denen der Polizist das Gesetz in die eigenen Hände nimmt. INFERNO – DIE HÖLLE habe ich ebenfalls bemerkt, und was ich auch gesehen habe ist einiges an deutscher Fernsehgemütlichkeit. Klar, nicht jeder TATORT kann ein Tschiller oder ein Schimanski sein, aber manche Szenen kratzen schon arg an der Betulichkeit. Schade, denn eigentlich ist FLUCH DER WEISSEN MÖWE eine interessante Geschichte um Vergewaltigung und Rache, die vor allem eine Frage aufwirft: Warum wird jemand Polizist? Die Frage wurde zwar nicht gestellt, aber sie steht im Raum: Warum wurde Nasrin, die vor x Jahren Zeugin einer Vergewaltigung wurde, Polizistin? Und warum wurden Tobias und Leroy Polizisten, die jetzt das Gesetz in die eigene Hand nehmen?

Trotzdem, dieser TATORT ist spannend und flüssig erzählt, er hat ein paar echte Highlights (der Boxkampf im Verhörraum, die Momente, wenn Nasrin von den Erinnerungen überflutet wird), und er ist in sich stimmig. Vor allem wird die Geschichte nicht zu früh von der Leine gelassen, der Mitrate-Effekt ist recht hoch. Und wenn die Schauspieler jetzt noch lernen würden, nicht so grauenhaft zu nuscheln, dann wäre das alles eigentlich angenehme Fernsehunterhaltung auf vernünftigem Niveau. Nichts zum Unwohlfühlen, nichts zum Philosophieren, aber auch nichts zum langweilen. Passt …
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
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