Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Moderator: jogiwan

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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von buxtebrawler »

Tatort: Schwarze Einser

„Simultan arbeiten, Lenz, simultan!“

TV-Regisseur Wolf Dietrichs zweite von insgesamt vier Münchner „Tatort“- Inszenierungen in der 1970er-Dekade entstand nach einem Drehbuch Willy Puruckers und wurde am 3. Dezember 1978 erstausgestrahlt: Kriminalhauptkommissar Melchior Veigl (Gustl Bayrhammer) und seinen Mannen ermitteln in „Schwarze Einser“ zum elften Mal innerhalb der öffentlich-rechtlichen Krimireihe.

„Von reiche Leut kann man sparen lernen…“

Eine Frau stürzt in einem Münchner Eigentumswohnungsviertel vom Dach in den Tod. Ein Tippelbruder (Carl Heinz Friese, „Abseits“) beobachtet dies, entwendet das Armband der Leiche und wird wiederum von einem Kellner gesehen, wie er sich von der Toten entfernt. Unfall, Selbstmord, Mord? Diese Fragen stellt sich auch Kriminalhauptkommissar Veigl, der noch schläft, als man ihn in aller Herrgottsfrühe aus dem Bett klingelt. Die Ermittlungen der Münchner Mordkommission führen zum Arzt der Toten, zu ihrer Schwester Herta (Renate Grosser, „Mädchen Mädchen“), ihren Schwager Hans Simon (Joseph Saxinger, „Goya“) und Hertas aktuellen Freund, den Cellisten Dr. Prelinger (Karlheinz Böhm, „Augen der Angst“). Das Arm-reich-Gefälle innerhalb dieser Verhältnisse macht Veigl stutzig, tatsächlich verlieh die tote Irmgard Döring sogar innerhalb der Verwandtschaft nur gegen Zinsen ihr Geld. Wer profitiert in welchem Maße von ihrem Tod und macht sich damit eventuell eines Mordes verdächtig…?

„Du bist vielleicht ‘n bisschen… pervers.“

„Schwarze Einser“ sind bayrisch-sächsische Briefmarkenpioniere, die zusammen mit anderen Wertgegenständen der Toten offenbar gestohlen wurden, spielen hier ansonsten aber keine Rolle – außer vielleicht, dass die eine oder andere Person übermäßig an schwarzen Zahlen interessiert ist bzw. war. Relativ minutiös klappert man hier wieder die einzelnen Stationen der Ermittlungsarbeiten ab, redet dabei viel und legt verschiedene Fährten: Die Tote sei bei einem Dr. Richter in psychologischer Behandlung gewesen. Dieser wiederum bringt ihren Bruder (Hans-Reinhard Müller, „Im bayerischen Stil“) ins Spiel, der sie beerbt. Und ihr Schwager hat ein stattliches Darlehen von ihr erhalten. Bis man endlich auf den Tippelbruder kommt und ihn als Zeugen befragen kann, dauert es eine ganze Weile. Als Running Gag hält her, dass der früh aufgestandene Veigl nirgends Kaffee bekommt und daher permanent schlechtgelaunt ist.

„Ein Gemütsmensch…“

Was diesen Fall von ermüdenden „Laber-Tatorten“ unterscheidet, ist vornehmlich der in der zweiten Hälfte etablierte Parallelstrang um Prelinger und seine alte Bekannte Brigitta Alhauser (Helena Rosenkranz, „Magdalena – Vom Teufel besessen“), durch den man den bayrischen Ermittlern nicht mehr permanent am Lederhosenzipfel hängt, sondern ihnen gegenüber einen Wissensvorsprung gewährt bekommt. Prelinger und Alhauser sind schwer miteinander am Flirten und reisen überraschend nach Nizza, wohin ihnen Veigl und damit die Handlung sowie das „Tatort“-Publikum folgen. Fernwehweckende Urlaubsbilder sorgen im letzten Drittel für eine ganz andere Krimistimmung, innerhalb derer ein verblüffend harsches Ende seinen tödlichen Lauf nimmt.
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Die erste Hälfte hätte etwas mehr Pepp vertragen können und als Norddeutscher trifft man leider wieder auf einige Sprachbarrieren, doch davon abgesehen bietet dieser „Tatort“ angenehm solide bis gute Krimiunterhaltung mit hartem Ausgang. Zwar nicht gerade die Blaue Mauritius unter den deutschen Fernsehkrimis, aber 6,5 von 10 Schwarzen Einsern klebe ich dafür in meine Philatelie.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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karlAbundzu
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von karlAbundzu »

Polizeiruf Rostock: Daniel A
Ein Mord nach einem Date. Klar, der Datepartner ist hauptverdächtig. Dieser hat nun das Problem, dass er ein nicht geouteter Transmann ist. Und der Vater, bei dem er lebt, konservativer Polizist mit Ego -Problem. Die minderjährige Schwester, eine überforderte Mutter, macht die Situation nicht einfacher. Dazu unglücklich verliebt....
Wenn man das so liest, denkt man, oha, da wird aber wieder eine Problemschicht über die andere gelegt. Aber durch das gute Spiel Jonathan Perleths bekommt es eine Stärke, man geht und leidet mit und versteht den Druck sehr gut.
Die Spannung bleibt trotzdem bis zum Ende, wird der Mörder gefasst, was passiert mit Daniel.
Klar, der klassische Krimi bleibt ein wenig auf der Strecke, es wird straight ermittelt, die neue Partnerin Melli bekommt ein Standard Empfang: schlechte Laune der Hauptkommissarin, launige Kommentare von Lolek und Bolek.
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Insgesamt hat er mir gut gefallen.
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
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buxtebrawler
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von buxtebrawler »

Die "Polizeiruf 110 Box 16" erscheint voraussichtlich am 24.02.2023 bei OneGate als 4-DVD-Box:

Bild

Episoden:
Flüssige Waffe (1988, ca. 84 Min.)
Mitternachtsfall (1989, ca. 74 Min.)
Variante Tramper (1989, ca. 78 Min.)
Der Fund (1989, ca. 84 Min.)
Gestohlenes Glück (1989, ca. 66 Min.)
Unsichtbare Fährten (1989, ca. 71 Min.)
Trio zu viert (1989, ca. 82 Min.)
Drei Flaschen Tokajer (1989, ca. 82 Min.)

Quelle: https://www.ofdb.de/view.php?page=fassu ... vid=122051
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von buxtebrawler »

Tatort: Alles umsonst

„Ist hier Märchenstunde?“

Auch Diether Krebs („Ein Herz und eine Seele“), vornehmlich aus dem komödiantischen Fach bekannt, schlüpfte einst in den Mantel eines „Tatort“-Kommissars und somit in eine ernste Rolle. Es blieb jedoch bei nur einem Einsatz als Braunschweiger Kommissar Nagel, denn er habe dem NDR seinerzeit lediglich als Lückenbüßer gedient und ohnehin nie in Serie gehen sollen. Sein einziger Fall „Alles umsonst“ wurde von Theodor Schübel geschrieben und von Hartmut Griesmayr inszeniert, der damit innerhalb der öffentlich-rechtlichen Krimireihe debütierte. Es sollten bis dato satte 26 weitere „Tatorte“ folgen. „Alles umsonst“ wurde am 11.03.1979 erstausgestrahlt.

„So was kommt immer wieder mal vor…“

Das Verhältnis zwischen Bäckermeister Erich Schmidt (Horst Michael Neutze, „Polizeirevier Davidswache“) ist seiner Ehefrau Olga (Katharina Tüschen, „Sommergäste“) ist zerrüttet. Olga behandelt ihn bevormundend und respektlos. Wesentlich besser versteht er sich mit seiner Angestellten Anni Klein (Monica Bleibtreu, „Menschenfresser“), die seine Frau jedoch kurzerhand aus dem gemeinsamen Familienbetrieb feuert. Erich bändelt daraufhin mit der wesentlich jüngeren Anni an und würde sich am liebsten scheiden lassen, was jedoch seinen finanziellen Ruin bedeuten würde: Der Bäckereibetrieb gehört seiner Frau, er hat lediglich eingeheiratet. Als Olga einen Autounfall erleidet, den sie für Erich überraschend überlebt, reift in ihm die Vorstellung, wie schön es wäre, wäre sie nicht mehr am Leben. Die derzeit grassierende Einbruchswelle in seinem Stadtteil nimmt er zum Anlass, zusammen mit Anni als Komplizin einen Einbruchmord zu fingieren und Olga zu ermorden. Kommissar Nagel hat nun eine schwere Nuss zu knacken…

Olga Schmidt wird als superätzende Chefin in die Handlung eingeführt, die passiv-aggressiv mit Anni und eben auch ihrem Mann umspringt. Ihr Unfall wird nicht visualisiert, der spätere Mord an ihr ebenso wenig. Amouröse Szenen zwischen Erich und Anni? Fehlanzeige. Dieser „Tatort“ verzichtet somit auf sämtliche potenziellen Schauwerte, was ihm einerseits einige Emotionalität nimmt und ihn Gefahr laufen lässt, zu einem drögen Laberfall zu verkommen. Andererseits verzichtet Griesmayr darauf, alles haarklein lang und breit verbal auszuformulieren und ist gut in seiner Wahl, was er in Dialogform verarbeitet und was gerade nicht. So verzichtet er beispielsweise beinahe vollends auf die Planungen des verhinderten Liebespaars und lässt sie erst im Nachhinein ihre Tat und deren Entstehung reflektieren. Dadurch wirkt „Alles umsonst“ weit weniger geschwätzig als vergleichbare Episoden und gewinnt der Fall an dramaturgischer Finesse.

Kommissar Nagel stößt erst im zweiten Drittel zur Handlung hinzu und wird als von vornherein skeptischer, besonnen-ruhiger und intelligent-nachdenklicher Ermittler umrissen. Zusammen mit Kriminalhauptmeister Henkel (Günther Heising, in derselben Rolle zuvor viermal an der Seite Knut Hinz‘ in den Hannoveraner „Tatorten“ in Erscheinung getreten) befragt er viele mögliche Zeuginnen und Zeugen, Betroffene, Täterin und Täter. Durch den Verzicht aufs Whodunit? leben diese Sequenzen davon, dass man als Zuschauerin oder Zuschauer sicherlich eher geneigt ist, mit dem Täterduo mitzufiebern. Schauspielerisch weiß das Ensemble zu überzeugen, wobei insbesondere Neutze als Erich Schmidt hervorzuheben ist – sein Blick, als er nach Olgas Unfall erfährt, dass sie mitnichten tot ist, und er so tun muss, als freue ihn dies, ist Gold wert.

Nach der Hälfte ungefähr scheint es einen tatsächlichen Zeugen zu geben, der jedoch a) einen Maurer verdächtigt und b) Sorge hat, in den Fall hineingezogen zu werden – dies erweist sich als zartes Anzeichen für eine interessante, den Fall mit Tragik anreichernde Wendung, die sich gegen Ende offenbart. Zuvor erfährt man etwas mehr über die Tote, die sie zu charakterisieren helfen, ohne dass konkret ausgesprochen würde, dass beispielsweise ein Schicksalsschlag ursächlich für ihren miesen Charakter gewesen wäre. Überhaupt ist es recht ernüchternd, was man über die Beziehung Olgas und Erichs miteinander erfährt: Es handelte sich offenbar um keine wirkliche Liebesheirat; als Spross einer aus dem Sudetenland nach dem Krieg vertriebenen Familie bestand eine große soziale Ungleichheit zwischen Erich und seiner späteren Frau und ihre Ehe manifestierte seine Abhängigkeit von ihr. Auch so etwa war Teil bundesdeutscher Realität. Dazu passt die niedersächsische Tristesse dieses kaum regionalisierten Falls, der in Braunschweig angesiedelt wurde und höchstens durch ein, zwei Gebäude Lokalkolorit aufweist.

Insbesondere aus heutiger Sicht wirkt Diether Krebs‘ einziger „Tatort“ sicherlich etwas behäbig, Drehbuch und Umsetzung sind aber durchaus gelungen. Für Freundinnen und Freunde des gediegenen, traurigen Fernsehkrimis der 1970er vielleicht ein kleiner Geheimtipp.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von buxtebrawler »

Polizeiruf 110: Daniel A.

„In spätestens 48 Stunden sind wir alle tot!“

Der mittlerweile zweite Fall – der insgesamt 26. – des Rostocker „Polizeiruf 110“-Zweigs nach dem Ausscheiden Charly Hübners als Sascha Bukow führt Bukows Halbschwester Melly Böwe (Lina Beckmann) nach ihrem Gastauftritt in der vorausgegangenen Episode nun offiziell als Rostocker Ermittlerin an der Seite Katrin Königs (Anneke Kim Sarnau) ein. Benjamin Hessler schrieb dieses Kriminaldrama um einen Transmann, das von Regisseur Dustin Loose („Tatort: Der höllische Heinz“) inszeniert wurde. Seine Premiere feierte dieser Fall bereits am 1. September 2022 beim Filmkunstfest Mecklenburg-Vorpommern, die TV-Erstausstrahlung folgte am 19. Februar 2023.

„Wir sind ‘ne ganz normale Familie!“

Transmann Daniel (Jonathan Perleth) ist erstmals eine Verabredung als Mann mit einer Frau eingegangen, der Lehrerin Nathalie (Lea Freund, „Zwischen uns die Mauer“). Nach dem gemeinsamen Besuch einer Bar trennen sich die Wege wieder, doch Nathalie wird von ihrem Nachsteller Marc Wigand (Max Krause, „Die Toten von Marnow“), einem alten Freund aus Kindheitstagen, abgepasst. Es kommt zum Streit, in dessen Verlauf er sie derart unglücklich umschubst, dass sie an ihren Kopfverletzungen noch am Tatort erliegt. Daniel sieht Marc noch davonfahren und wird damit zu einem wichtigen Zeugen, aber auch zum Hauptverdächtigen, ist er doch der Letzte, mit dem Nathalie lebend gesehen wurde. Fortan meidet Daniel jeden Kontakt zur Polizei und versucht, sich der auf Grundlage eines Phantombilds eingeleiteten Fahndung nach seiner Person zu entziehen, da er große Angst hat, dadurch geoutet werden zu würden. Bis auf seinen besten Freund Armin (Bernd Hölscher, „In einem Land, das es nicht mehr gibt“), einem bereits etwas älteren Transmann, und seine ehemalige Affäre Hanna (Alina Stiegler, „Sprich mit mir“) weiß niemand, dass er eigentlich Daniela heißt. Mit ihnen vereinbart er Stillschweigen, dem diese zähneknirschend zustimmen, doch die Polizei sucht fieberhaft nach ihm und sein innerer Konflikt droht ihn zu zerreißen…

Dass dieser „Polizeiruf 110“ mit Jonathan Perleth gedreht wurde, einem jungen, debütierenden Schauspieler, der auch in der Realität ein Transmann ist, sorgt im Verbund mit seiner darstellerischen Intensität und dem einfühlsamen Drehbuch für ein hohes Maß an Authentizität. Der Täter steht von vornherein fest, die Figur Daniel steht im Mittelpunkt dieses Falls. Man schafft Verständnis für Daniels schwierigen, von Dualismus, Rollen- und Versteckspiel geprägten Alltag und für seine Ängste, deren Ursachen sich nach und nach herauskristallisieren. Als ein Hauptproblem erweist sich seine Familie, die aus ihrem alleinstehenden Vater (Jörg Witte, „Der Ranger – Paradies Heimat“), dramatischerweise auch noch von Beruf Polizist, und einer 15-jährigen Schwester (Daria Wolf, „Six Minutes to Midnight“), die gerade ein Kind bekommen hat, besteht. Ihrem Vater ist es äußerst unangenehm, dass die minderjährige Tochter bereits Mutter geworden ist, und er ist mit dieser Situation heillos überfordert. Er ist um Normalität bemüht, die ausgerechnet Daniel(a) immer wieder herstellt, wenn sie Vater und Schwester beruhigt und sich liebevoll ums Neugeborene kümmert. Daniel(a) hat Sorge, dass sein/ihr gestresster Vater ein Outing nicht verkraften würde. Das gestörte Verhältnis zum Vater kulminiert gar in eine erschreckende visualisierte und erst etwas später als solche aufgelöste Gewaltfantasie.

Parallel dazu wird die horizontale Erzählebene fortgesetzt, indem Böwes Einstand eher miss- denn gelingt, da niemand ihre Kuchenbrötchen essen möchte, die miesepetrige und von Böwes Halbbruder jüngst sitzengelassene König sie als aufdringlich empfindet und die männlichen Kollegen über vermeintliche Stutenbissigkeit und Zickenkrieg feixen. Dennoch sucht Böwe immer wieder den kollegialen Kontakt zu König, was ebenso zum ein oder anderen humorigen Moment beim Aufeinandertreffen der gegensätzlichen Mentalitäten führt wie Böwes Naturell, das sie an keinem Süßgebäck ohne zuzugreifen vorbeigehen lässt. Dass ihre Zusammenarbeit trotzdem weitestgehend erfolgreich ist, ihr gemeinsamer Dienst also funktioniert, umschifft dabei gekonnt jeglichen männlichen Chauvinismus.

„Daniel A.“ ist auch ohne Whodunit? ein über weite Strecken hervorragend erzähltes Krimidrama, das spannende Einblicke sowohl in mögliche Konflikte von Transmenschen, die ihr Coming-out noch vor sich haben, als auch in den Themenkomplex unglückliche Liebe und Nachstellerei gewährt – interessanterweise droht Daniel sich nämlich in eine ähnliche Richtung wie der Täter zu entwickeln, da er seinen Stress mit seiner Begierde nach Hanna zu kompensieren versucht und sich in fixen, der Realität entrückten Ideen verliert. Hanna hat sich jedoch eindeutig zu ihrem Ehemann (Maximilian Kraus, „Das Leben ist kein Kindergarten“) bekannt. Diese Gemengelage führt zu einer etwas übertrieben und überkonstruiert anmutenden Zuspitzung im Finale, das letztlich aber mit einem unaufdringlichen und kitschfreien Plädoyer für Coming-outs im Sinne von „Steh dazu, was, wer und wie du bist“ und Akzeptanz schließt. Der Rostocker „Polizeiruf 110“ bleibt damit auch im Fall Nr. 2 nach Hübner ein Pflichttermin im deutschen Fernsehen.
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von fritzcarraldo »

Tatort: Magic Mom
(Münster)

Eine Influencerin wird ernordet.
Thiel darf danach bei seinen Untersuchungen dazu lernen, wenn es um die "modernen" Influence-Begriffe geht. "Beef? Was hat Rindfleisch damit zu tun?" Naja.
Börne haut wie gewohnt Jokes über Kleinwuchs raus und über seinen Namen wird heute mal gewitzelt. Börn out. Ja. Fand ich witzig.
Zum Schluss gibt es dann noch eine Fahrrad-Verfolgungsjagd.
Nix neues in Münster. Solide. Gab es aber schon besser.
"Das Leben ist noch verrückter als Scheiße!" (Joe Minaldi -Burt Young- Es war einmal in Amerika)

"J&B straight and a Corona!"
(Patrick Bateman, American Psycho)

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karlAbundzu
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von karlAbundzu »

Auch hier Magic Mom.
Positiv: interessanter Fall im Bereich: wie ging das, ähnlich wie die Fälle bei Monk. Hübsch eingebaute Erklärvideos von Börne. Die Minusschlager des auftretenden Filmkomponisten und die provinzielle Polizei Festivität. Und der eine oder andere Witz saß. Schrader hatte mehr zu tun.
Negativ: das Humorniveau war mir allgemein zu albern.
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buxtebrawler
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von buxtebrawler »

Die "Polizeiruf 110 Box 17" erscheint voraussichtlich am 10.03.2023 bei Studio Hamburg als 4-DVD-Box:

Bild

Episoden:
Der Wahrheit verpflichtet (1989, ca. 83 Min.)
Katharina (1989, ca. 79 Min.)
Der Tod des Pelikan (1989, ca. 98 Min.)
Zahltag (1990, ca. 73 Min.)
Tödliche Träume (1990, ca. 88 Min.)
Falscher Jasmin (1990, ca. 90 Min.)
Warum ich ... (1990, ca. 72 Min.)
Abgründe (1990, ca. 75 Min.)

Quelle: https://www.ofdb.de/view.php?page=fassu ... vid=123428
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Beitrag von buxtebrawler »

Tatort: Ende der Vorstellung

„Ich hab‘ genug von Ihrem süffisanten Ton!“

Der zwölfte Münchner „Tatort“ um Kriminalhauptkommissar Melchior Veigl (Gustl Bayrhammer) verschlägt diesen ins Schauspieler(innen)-Milieu. Der österreichische Regisseur Georg Marischka („Plonk“) verfilmte im Januar und Februar des Jahres 1979 ein Drehbuch Hans Rieslings, die Erstausstrahlung erfolgte am 6. Mai 1979. Leider blieb „Ende der Vorstellung“ Marischkas einziger Beitrag zur öffentlich-rechtlichen Krimireihe.

Die Schauspielerin Andrea Bäumler (Claudia Demarmels, „Theo gegen den Rest der Welt“) wird in ihrem Appartement ermordet aufgefunden. Sie zählte zum Ensemble eines renommierten Münchner Theaters, in dessen Kreisen Kommissar Veigl die Ermittlungen aufnimmt. Die Tote war mit dem prominenten Schauspieler Carl Liebold (Robert Freitag, „Der längste Tag“) befreundet, der aber mit ihrer Cousine, der jungen Johanna Prasch (Sabine von Maydell, „Das Netz“), zusammenlebt. Die heißeste Spur indes führt zum Kleinkriminellen Toni Inninger (Werner Asam, „Die Teufelsbraut“), der relativ kurz nach der Tat aber Selbstmord in seinem Auto begangen zu haben scheint. Veigl jedoch hat den Verdacht, der Suizid könnte fingiert gewesen sein, und beißt sich weiter in diesem Fall fest, wobei er immer wieder eine lästige Journalistin abschütteln oder gar austricksen muss…

Eine Polizeiszene zu Beginn entpuppt sich als Teil einer Theateraufführung. In jenem Theatermilieu spielt dieser „Tatort“ dann zunächst auch eine ganze Weile und es dauert entsprechend, bis Veigl die Szenerie betritt. Dieser ist recht grantelig gestimmt und liefert sich mit dem diesmal wesentlich prominenter als Lenz (Helmut Fischer) vertretenen Brettschneider (Willy Harlander) einige verbale Kabbeleien. Eine Vielzahl an Figuren wird eingeführt, was den Fall zunächst sehr undurchsichtig erscheinen lässt, der Mord indes wird nicht gezeigt.

Was das Zeug zu einem drögen „Laberfall“ gehabt hätte, gerät unter Marischkas Regie aber – außerhalb der in deutschen Amtsstuben spielenden Szenen – zu einem anschaulichen Beispiel für ausgeprägten Stilwillen, denn „Ende der Vorstellung“ überrascht mit einem betont modernen Look, der mit Discoszenen, Arcade-Automaten, bunten Haaren, Micky-Maus-T-Shirt und nicht zuletzt frischer Musik die 1980er vorwegzunehmen scheint. Mit zunehmender Laufzeit lässt sich nicht nur passabel miträtseln, sondern das Verhalten der handelnden Figuren auch immer besser einordnen, bis ein Geständnis mit Rückblenden gegen Ende alles aufdröselt und ein dramatisches Finale folgen lässt, nach dem die Polizei gewissermaßen nur die halbe Miete einfährt.

Zuweilen wirkt diese Episode zudem ein wenig wie eine Abrechnung Marischkas mit der Schauspielzunft, die hier in ihrer Eitelkeit und Arroganz nicht immer gut wegkommt. Ein Hingucker ist Sabine von Maydell mit ihrer kecken Kurzhaarfrisur. Sicherlich gibt es spektakulärere „Tatorte“, und natürlich wäre hier auch von allem noch mehr drin gewesen, aber unterm Strich bietet „Ende der Vorstellung“ mehr als solide Krimikost, in deren Zuge Veigl der als nervig und aufdringlich gezeichneten Presse ein schönes Schnippchen schlagen und damit seine taktische Klugheit ausspielen darf.
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von buxtebrawler »

Tatort: Ein Schuss zuviel

„Nix schießen, ich unschuldig!“

Die 100. Episode der öffentlich-rechtlichen „Tatort“-Krimireihe entfiel aufs Essener Kommissars-Duo Heinz Haferkamp (Hansjörg Felmy) und Willy Kreutzer (Willy Semmelrogge), das in seinem siebzehnten Fall ermittelte. Das Drehbuch stammt aus der Feder Wolfgang Mühlbauers, mit der Inszenierung des Kriminaldramas wurde Hartmut Griesmayr betraut. Dieser hatte gerade erst mit dem „Tatort: Alles umsonst“ innerhalb der Reihe debütiert. Die im Winter 1978 nicht nur in Essen, sondern auch in Berlin gedrehte Episode wurde am 4. Juni 1979 erstausgestrahlt.

„Ich geh‘ nicht mehr in‘ Knast!“

Die Häftlinge Tomi Selzer (Thomas Ahrens, „Otto – Der neue Film“) und Suk Artun, zwei junge Männer, nehmen Schließer Günther Wörlemann (Friedrich G. Beckhaus, „Raumpatrouille – Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes Orion“) als Geisel, um aus der Untersuchungshaftanstalt auszubrechen. Der Vollzugsbeamte Jakobs (Herbert Stass, „Interview mit Herbert K.“) erschießt draußen auf dem Hof Suk, aber Tomi gelingt die Flucht. Besonders pikant: Die Flüchtigen hatten zu diesem Zeitpunkt bereits von Wörlemann abgelassen und waren auf einen vorausgegangenen Warnschuss Jakobs‘ hin stehengeblieben. Jakobs jedoch behauptet, richtig gehandelt zu haben, während Wörlemann gegenüber Kommissar Haferkamp zu Protokoll gibt, dass der tödliche Schuss vollkommen unnötig gewesen sei. Nun wäre Tomi als Zeuge gefragt, doch der versteckt sich und will auf gar keinen Fall ins Gefängnis zurück. Am Tankstellenraubmord, der ihm vorgeworfen wird, war er tatsächlich unbeteiligt, doch nun hat er eine Geiselnahme und einen Gefängnisausbruch auf dem Kerbholz. Wörlemann wird derweil von seinen Kollegen unter Druck gesetzt und mangelnde Kameradschaft vorgeworfen, während Jakobs zunehmend Gewissensbisse bekommt. Und dann ist da noch Tomis Ex-Freundin Birgit (Michaela May, „Komm, liebe Maid und mache“), die ihn aus lauter Eifersucht am liebsten hinter Gittern sähe…

„Man kann alles richtig machen und trotzdem Riesenmist bauen!“

Griesmayrs Inszenierung des relativ anspruchsvollen Drehbuchs beginnt direkt und ohne jede etwaig vorab vermittelte Hintergrundinformation mit dem Gefängnisausbruch, in dessen Folge Haferkamp dank seiner Menschenkenntnis schnell spürt, dass etwas nicht stimmt. Daraus, dass Birgit ihren Ex-Freund Tomi in die ganze Chose hineingeritten hat, macht die Narration kein Geheimnis, ebenso wenig aus Jakobs‘ Schuld. Dieser scheint eine Sehschwäche zu haben und eigentlich eine Brille zu benötigen, ist darüber hinaus aber auch mit einer Ehefrau (Vera Kluth, „Startsprünge – Die Geschichte einer Meisterschwimmerin“) „gesegnet“, der vor allem daran gelegen ist, die Fassade einer heilen Welt aufrechtzuerhalten und die von der Verantwortung ihres Mannes nichts wissen will, sich somit dessen Überlegungen hinsichtlich einer etwaigen Selbstanzeige entgegenstellt. Unter dem Gefängnispersonal feiert der Korpsgeist derweil fröhliche Urständ und man versucht Wörlemann zu einer Revision seiner Aussage zu drängen, um den Todesschützen zu schützen. Inmitten dieser Gemengelage trifft sich Tomi heimlich mit seiner neuen Freundin Sisi Feldmann (Nora Barner, „Sonntagskinder“), die schließlich zwischen Haferkamp und Tomi zu vermitteln versucht, wofür sie ein Versprechen des Kommissars einholt, das dieser bricht, womit letztlich alle Beteiligten hadern. Dass Tomi Haferkamp austrickst und ihn mit einer Waffe bedroht, findet dieser dann aber gar nicht so wild, denn er hat einiges Verständnis für den Jungen entwickelt.

Zu Unrecht inhaftierte junge Leute, ein unnötiger Toter, eine kontraproduktive Ehefrau, falsch verstandene Kameradschaft und eine giftelnde Ex – miese Stimmung allenthalben in diesem „Tatort“, der den rasanten Auftakt, eine Knastrevolte und Waffengefuchtel ruhigen Momenten innerer Einkehr, Selbstzweifel und Gewissensbisse sowie Szenen einer Außenseiterromantik bei einer Bahnfahrt durchs Ruhrgebiet gegenüberstellt. Ambiente und Atmosphäre sind herbstlich trüb und melancholisch, die musikalische Untermalung liefern Genesis mit Instrumentalpassagen aus dem Song „Firth of Fifth“. Auch die unbeteiligte Zivilbevölkerung spielt eine Rolle, wenn sich in ihr Unbill gegen den Todesschützen regt – und Wörlemann trotzdem seine Aussage zurückzieht, da er dem Druck seiner Kollegen nicht mehr standhält. Ein weiterer Raubmord, verdächtigerweise bei Tomis ehemaligem Arbeitgeber, läutet das Finale ein, das seinen tragischen Ausgang auf dem Gelände einer stillgelegten Zeche findet.

Vorverurteilungen, Falschaussagen und jungmännische Verzweiflung, gegen die die Polizei hier kaum ein Mittel hat – ausgerechnet der 100. „Tatort“ ist ein ziemlicher Abgesang auf Polizei und Justiz, der es lediglich hier und da an psychologischer Tiefenschärfe vermissen lässt und leider ohne Haferkamps Ex-Frau Ingrid auskommen muss. Haferkamp erfüllt zusammen mit Kollege Kreutzer (Willy Semmelrogge) seine Pflicht, wirkt aber müde und resignativ – läutet er hier bereits seinen Abgang ein? Die nächsten Episoden werden dahingehend Aufschluss geben.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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