Cassandra Crossing - George P. Cosmatos (1976)
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Re: Cassandra Crossing - George P. Cosmatos (1976)
„So etwas passiert einem nur in Europa!“
Von der Katastrophenfilmwelle der 1970er wollten auch europäische Filmproduzenten partizipieren. Der Italiener Carlo Ponti und der Brite Lew Grade beauftragten den griechischen Filmemacher Georgios „George“ Pan Cosmatos („Tödlicher Irrtum“) mit Drehbuch (zusammen mit Robert Katz) und Regie des Epidemie-Thrillers „Cassandra Crossing – Treffpunkt Todesbrücke“, der im Jahre 1976 als großzügig budgetierte Produktion in die Kinos kam.
„Die Nacht ist über uns gekommen…“
Zwei schwedische Terroristen dringen in die Internationale Gesundheitsorganisation in Genf ein und verüben einen Anschlag. Dabei geraten sie in Kontakt mit einem unter Verschluss gehaltenen biologischen Kampfstoff der USA. Sie infizieren sich mit einem hochgefährlichen und -ansteckenden Lungenpest-Bakterium, woran einer der Täter kurz darauf stirbt, während der andere (Lou Castel, „Nada“) sich in einen intereuropäischen Fernzug rettet und den Erreger zunächst unbemerkt unter den Reisenden verbreitet. US-Colonel Mackenzie (Burt Lancaster, „Zelle R 17“) soll verhindern, dass das Bakterium den Zug verlässt und zugleich die Vorfälle vertuschen – um jeden Preis. Während sich bei den Reisegästen nach und nach teils schwerwiegende Symptome entwickeln, tritt Mackenzie in Funkkontakt mit dem sich an Bord befindenden Wissenschaftler Dr. Jonathan Chamberlain (Richard Harris, „Der Mann, den sie Pferd nannten“) und plant, ohne ihn einzuweihen, den Zug über die baufällige polnische Cassandra-Brücke umzuleiten, in der Hoffnung, dass diese unter der Last zusammenstürzt und sich das Problem damit wie ein Unfall aussehend erledigt. Damit auch niemand vorher den Zug verlassen kann, lässt er ihn während eines Zwischenhalts versiegeln und schickt schwerbewaffnetes Militär in die Waggons, um die Reisenden in Schach zu halten…
Cosmatos etabliert zu Beginn demonstrativ einen Heile-Welt-Mikrokosmos innerhalb der bereits rollenden Bahn: Blumenkinder (u.a. Ann Turkel, „König Ballermann“ und Ray Lovelock, „Das Leichenhaus der lebenden Toten“) spielen Akustikklampfe und singen miteinander, der Schaffner (Lionel Stander, „Milano Kaliber 9“) beäugt das bunte Treiben mit viel Wohlwollen. Die totale Harmonie also, die nach der packend inszenierten Terrorattacke auf die fiktionale „Internationale Gesundheitsorganisation“ empfindlich ge- und schließlich zerstört wird. Neben dem renommierten Wissenschaftlicher Chamberlain, der an Bord des Zugs mit seiner Ex-Frau Jennifer (Produzent Pontis Ehefrau Sophia Loren, „Die Frau vom Fluß“) konfrontiert wird, welche gerade ein pikantes Enthüllungsbuch über ihre Ehe mit ihm veröffentlichen lassen hat, befinden sich die Waffenfabrikantsgattin Nicole Dressler (Ava Gardner, „Hexensabbat“) mit ihrem Toyboy Robby (Martin Sheen, „Das Mädchen am Ende der Straße“), O.J. Simpson („Flammendes Inferno“) im Priestergewand als getarnter FBI-Agent Galey und der Holocaust-Überlebende Herman Kaplan (Lee Strasberg, „Der Pate – Teil 2“) in der Bahn. Darüber hinaus natürlich viele weitere Nebenrollen und Komparsen, doch das genannte Ensemble ist es, mit dem „Cassandra Crossing“ die Zuschauerinnen und Zuschauer vertraut macht, um sie emotional an ihrem Schicksal teilhaben zu lassen.
Dass es hier um keine kontinentale Naturkatastrophe geht, die anhand des Einzelschicksals einer Familie durchexerziert wird, erleichtert es mir als Katastrophenfilmmuffel ungemein, mich auf den Film und seine dargestellte Situation einzulassen, zumal Cosmatos auf allzu aufdringliche Melodramatik verzichtet. Gerade in Zeiten der Covid-19-Pandemie wirken die dargestellten Infektionsketten besonders unangenehm. Der Krankheitsverlauf ist rasant und unter Zuhilfenahme etwas Make-ups auch optisch nachzuvollziehen, aufgrund der Enge des eigentlich komfortabel ausgestatteten Zugs bricht sich ein klaustrophobisches Gefühl des Ausgeliefertseins in einem rollenden Sarg im wahrsten Sinne des Wortes Bahn – zumal das Publikum gegenüber den Reisenden lange Zeit einen Wissensvorsprung aufgrund der Szenen um den kaltschnäuzigen Colonel hat, der, streng nach Militärlogik im Interesse der US-Regierung operierend, seinen Auftrag verfolgt, die Menschen zu opfern, um nicht nur eine Ausbreitung der Infektion zu verhindern, sondern auch ihre Ursache zu vertuschen. Mit der Zurschaustellung dieses Zynismus übt „Cassandra Crossing“ herbe Systemkritik, die das Katastrophenfilmsujet ebenso sprengt wie der actionlastige dritte Akt, in dem auch die Passagiere zu den Waffen greifen.
Bis zu diesen Actionszenen hat Cosmatos seinen Film behutsam aufgebaut, persönliche Befindlichkeiten und Konflikte zwischen den Figuren ausgehandelt und unterschiedlicher kaum sein könnende Charaktere zusammengeführt. Vor dem Hintergrund der drohenden, unmittelbaren und doch lange Zeit unsichtbaren Gefahr ist das spannend mitanzusehen, ein bisschen wie eine äußerst gestreckte Suspense-Szene, wobei die verdiente, namhafte internationale Schauspieler(innen)riege entscheidenden Anteil daran hat – wenngleich die Passagen um den heldenhaften Dr. Chamberlain und die ihm noch immer verbundene Jennifer schon stark an der Seifenoper kratzen. Angenehmerweise verzichtete das Drehbuch auf übertriebene Hysterie und weitestgehend auch auf allzu unglaubwürdige Entscheidungen der Protagonist(inn)en – Versatzstücke, die das Ansehen manch Spielfilms um Menschen in Extremsituationen schnell zur Tortur machen können. Eindringliche Sequenzen wie die nächtliche Zugversiegelung durch bewaffnete Männer in Infektionsschutzanzügen wecken jedoch gänzlich andere Assoziationen. Mit dem Zug nach Polen ins Verderben – da kommen sicherlich nicht nur beim kauzigen alten Herrn Kaplan unschöne Erinnerungen an das unrühmliche Kapitel großdeutschen NS-Terrors auf, etwas plakativ, aber zugleich effektiv in die Handlung eingewoben. Über den spektakulären Überlebenskampf der Passagiere in Besprechungen wie dieser zu viel zu verraten, wäre Sünde, angemerkt sei indes noch, dass der Ausgang der Misere hält, was der Film bis dahin versprach.
„Cassandra Crossing – Treffpunkt Todesbrücke“ – das ist großes europäisches Genrekino, mitreißend inszeniert, prächtig unterhaltend, Autoritäten anklagend und nicht zuletzt für ein mulmiges Gefühl sorgend, wenn der eigene Zug das nächste Mal plötzlich umgeleitet oder eine Station haltlos überfahren wird… Umso beschämender, dass sich Cosmatos Mitte der 1980er ausgerechnet für den erzreaktionären „Rambo II“ verpflichten ließ.
Von der Katastrophenfilmwelle der 1970er wollten auch europäische Filmproduzenten partizipieren. Der Italiener Carlo Ponti und der Brite Lew Grade beauftragten den griechischen Filmemacher Georgios „George“ Pan Cosmatos („Tödlicher Irrtum“) mit Drehbuch (zusammen mit Robert Katz) und Regie des Epidemie-Thrillers „Cassandra Crossing – Treffpunkt Todesbrücke“, der im Jahre 1976 als großzügig budgetierte Produktion in die Kinos kam.
„Die Nacht ist über uns gekommen…“
Zwei schwedische Terroristen dringen in die Internationale Gesundheitsorganisation in Genf ein und verüben einen Anschlag. Dabei geraten sie in Kontakt mit einem unter Verschluss gehaltenen biologischen Kampfstoff der USA. Sie infizieren sich mit einem hochgefährlichen und -ansteckenden Lungenpest-Bakterium, woran einer der Täter kurz darauf stirbt, während der andere (Lou Castel, „Nada“) sich in einen intereuropäischen Fernzug rettet und den Erreger zunächst unbemerkt unter den Reisenden verbreitet. US-Colonel Mackenzie (Burt Lancaster, „Zelle R 17“) soll verhindern, dass das Bakterium den Zug verlässt und zugleich die Vorfälle vertuschen – um jeden Preis. Während sich bei den Reisegästen nach und nach teils schwerwiegende Symptome entwickeln, tritt Mackenzie in Funkkontakt mit dem sich an Bord befindenden Wissenschaftler Dr. Jonathan Chamberlain (Richard Harris, „Der Mann, den sie Pferd nannten“) und plant, ohne ihn einzuweihen, den Zug über die baufällige polnische Cassandra-Brücke umzuleiten, in der Hoffnung, dass diese unter der Last zusammenstürzt und sich das Problem damit wie ein Unfall aussehend erledigt. Damit auch niemand vorher den Zug verlassen kann, lässt er ihn während eines Zwischenhalts versiegeln und schickt schwerbewaffnetes Militär in die Waggons, um die Reisenden in Schach zu halten…
Cosmatos etabliert zu Beginn demonstrativ einen Heile-Welt-Mikrokosmos innerhalb der bereits rollenden Bahn: Blumenkinder (u.a. Ann Turkel, „König Ballermann“ und Ray Lovelock, „Das Leichenhaus der lebenden Toten“) spielen Akustikklampfe und singen miteinander, der Schaffner (Lionel Stander, „Milano Kaliber 9“) beäugt das bunte Treiben mit viel Wohlwollen. Die totale Harmonie also, die nach der packend inszenierten Terrorattacke auf die fiktionale „Internationale Gesundheitsorganisation“ empfindlich ge- und schließlich zerstört wird. Neben dem renommierten Wissenschaftlicher Chamberlain, der an Bord des Zugs mit seiner Ex-Frau Jennifer (Produzent Pontis Ehefrau Sophia Loren, „Die Frau vom Fluß“) konfrontiert wird, welche gerade ein pikantes Enthüllungsbuch über ihre Ehe mit ihm veröffentlichen lassen hat, befinden sich die Waffenfabrikantsgattin Nicole Dressler (Ava Gardner, „Hexensabbat“) mit ihrem Toyboy Robby (Martin Sheen, „Das Mädchen am Ende der Straße“), O.J. Simpson („Flammendes Inferno“) im Priestergewand als getarnter FBI-Agent Galey und der Holocaust-Überlebende Herman Kaplan (Lee Strasberg, „Der Pate – Teil 2“) in der Bahn. Darüber hinaus natürlich viele weitere Nebenrollen und Komparsen, doch das genannte Ensemble ist es, mit dem „Cassandra Crossing“ die Zuschauerinnen und Zuschauer vertraut macht, um sie emotional an ihrem Schicksal teilhaben zu lassen.
Dass es hier um keine kontinentale Naturkatastrophe geht, die anhand des Einzelschicksals einer Familie durchexerziert wird, erleichtert es mir als Katastrophenfilmmuffel ungemein, mich auf den Film und seine dargestellte Situation einzulassen, zumal Cosmatos auf allzu aufdringliche Melodramatik verzichtet. Gerade in Zeiten der Covid-19-Pandemie wirken die dargestellten Infektionsketten besonders unangenehm. Der Krankheitsverlauf ist rasant und unter Zuhilfenahme etwas Make-ups auch optisch nachzuvollziehen, aufgrund der Enge des eigentlich komfortabel ausgestatteten Zugs bricht sich ein klaustrophobisches Gefühl des Ausgeliefertseins in einem rollenden Sarg im wahrsten Sinne des Wortes Bahn – zumal das Publikum gegenüber den Reisenden lange Zeit einen Wissensvorsprung aufgrund der Szenen um den kaltschnäuzigen Colonel hat, der, streng nach Militärlogik im Interesse der US-Regierung operierend, seinen Auftrag verfolgt, die Menschen zu opfern, um nicht nur eine Ausbreitung der Infektion zu verhindern, sondern auch ihre Ursache zu vertuschen. Mit der Zurschaustellung dieses Zynismus übt „Cassandra Crossing“ herbe Systemkritik, die das Katastrophenfilmsujet ebenso sprengt wie der actionlastige dritte Akt, in dem auch die Passagiere zu den Waffen greifen.
Bis zu diesen Actionszenen hat Cosmatos seinen Film behutsam aufgebaut, persönliche Befindlichkeiten und Konflikte zwischen den Figuren ausgehandelt und unterschiedlicher kaum sein könnende Charaktere zusammengeführt. Vor dem Hintergrund der drohenden, unmittelbaren und doch lange Zeit unsichtbaren Gefahr ist das spannend mitanzusehen, ein bisschen wie eine äußerst gestreckte Suspense-Szene, wobei die verdiente, namhafte internationale Schauspieler(innen)riege entscheidenden Anteil daran hat – wenngleich die Passagen um den heldenhaften Dr. Chamberlain und die ihm noch immer verbundene Jennifer schon stark an der Seifenoper kratzen. Angenehmerweise verzichtete das Drehbuch auf übertriebene Hysterie und weitestgehend auch auf allzu unglaubwürdige Entscheidungen der Protagonist(inn)en – Versatzstücke, die das Ansehen manch Spielfilms um Menschen in Extremsituationen schnell zur Tortur machen können. Eindringliche Sequenzen wie die nächtliche Zugversiegelung durch bewaffnete Männer in Infektionsschutzanzügen wecken jedoch gänzlich andere Assoziationen. Mit dem Zug nach Polen ins Verderben – da kommen sicherlich nicht nur beim kauzigen alten Herrn Kaplan unschöne Erinnerungen an das unrühmliche Kapitel großdeutschen NS-Terrors auf, etwas plakativ, aber zugleich effektiv in die Handlung eingewoben. Über den spektakulären Überlebenskampf der Passagiere in Besprechungen wie dieser zu viel zu verraten, wäre Sünde, angemerkt sei indes noch, dass der Ausgang der Misere hält, was der Film bis dahin versprach.
„Cassandra Crossing – Treffpunkt Todesbrücke“ – das ist großes europäisches Genrekino, mitreißend inszeniert, prächtig unterhaltend, Autoritäten anklagend und nicht zuletzt für ein mulmiges Gefühl sorgend, wenn der eigene Zug das nächste Mal plötzlich umgeleitet oder eine Station haltlos überfahren wird… Umso beschämender, dass sich Cosmatos Mitte der 1980er ausgerechnet für den erzreaktionären „Rambo II“ verpflichten ließ.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Diese Filme sind züchisch krank!
- CamperVan.Helsing
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Re: Cassandra Crossing - George P. Cosmatos (1976)
Sorry, mon Oncle.Onkel Joe hat geschrieben: ↑Do 5. Nov 2020, 05:51???ugo-piazza hat geschrieben: ↑Mi 4. Nov 2020, 21:28 WARUM?
Das frage ich mich heute den ganzen Tag, wenn ich die Nachrichten verfolge.
Das "Warum" ist mir angesichts des Verhaltens von Donald J. Trump beim Betrachten des Trailers so rausgerutscht.
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- CamperVan.Helsing
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- Registriert: Sa 26. Dez 2009, 12:40
Re: Cassandra Crossing - George P. Cosmatos (1976)
Irgendwann vor gaaanz langer Zeit hatte ich den mal im TV gesehen. Das war nun in der Tat so lange her, dass ich mich beim Wiedersehen vor einigen Wochen an praktisch nichts erinnern konnte - bis es dann zum finalen Brückeneinsturz kam...
Wobei ich es dann aber doch arg geschmacksunsicher empfand, dass der Zug ausgerechnet in Nürnberg (!) "versiegelt" wird, um dann in Richtung eines früheren KZ in Polen zu dampfen.
Ich unterschreibe mit.Salvatore Baccaro hat geschrieben: ↑Do 5. Nov 2020, 08:59 Hochbudgetierter Trash, sagt Sergio Petroni nach der Vorstellung. Das kann unterschrieben werden: (...) Hochbudgetierter Trash, indeed. Wenn auch die eine oder andere Sequenz mit (unfreiwilligem) Corona-Bezug heutzutage möglicherweise noch mehr gruseln lässt als in den späten 70ern.
Wobei ich es dann aber doch arg geschmacksunsicher empfand, dass der Zug ausgerechnet in Nürnberg (!) "versiegelt" wird, um dann in Richtung eines früheren KZ in Polen zu dampfen.
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Re: Cassandra Crossing - George P. Cosmatos (1976)
Cassandra Crossing auf Platz 4.
Wer tanzen will, muss die Musik bezahlen!