Dashcam - Rob Savage (2021)

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Salvatore Baccaro
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Dashcam - Rob Savage (2021)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

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Originaltitel: Dashcam

Produktionsland: Großbritannien/USA 2021

Regie: Rob Savage

Cast: Annie Hardy, Amer Chadha-Patel, Angela Enahoro, Seylan Baxter, Jemma Moore, Mogali Masuku


…und wenn man, wie ich kürzlich, schon einmal ein Wochenende lang mit Halsschmerzen und Rotznäschen im Bett verbringen muss, dann kann man sich doch auch die volle Dröhnung irgendwelcher aktueller Horrorfilme geben, die man unter anderen Umständen nicht mal mit der Beißzange angetippt hätte, oder?

Meine Erwartungen an DASHCAM sind dabei gar nicht mal so niedrig gewesen, hat Regisseur Rob Savage doch 2021 mit HOST einen kurzweiligen (und vor allem mit knapp 60 Minuten Laufzeit erfreulich schlanken) Schocker gedreht, der das Genre-Rad an sich überhaupt nicht neu erfindet, sich jedoch, zumindest wenn meine Erinnerungen nicht trügen, als durchaus funktionabler Vertreter des sogenannten Computer-Screen-Horrors entpuppte: Die Handlung entrollte sich ausschließlich im virtuellen Raum einer Netzkonferenz zwischen Freunden, die aus lauter Langeweile während eines Corona-Lockdowns auf die Idee kommen, eine Online-Séance abzuhalten – und die die Geister, die sie riefen, dann natürlich nicht mehr vom Hals bekommen, mit tödlichen Folgen…

Wie sein Titel schon nahelegt, zählt auch DASHCAM zu jenem Kreis von Schauerfilmen, die ihre Schrecken auf dem Rücken der allermodernsten Technologie und gegenwärtiger gesellschaftlicher Bedingtheiten austragen: Seit HOST ist die Pandemie fortgeschritten, einen Lockdown scheint es nicht mehr zu geben, allerdings sind noch nicht alle Hygieneauflagen gefallen, in Innenräumen gilt beispielsweise noch Maskenpflicht und unsere Heldin, eine Musikerin namens Annie Hardy, muss immer noch zusehen, wie sie ihre Brötchen ohne Bühnenauftritte verdient. Der Film beginnt in medias res bei einem ihrer Live-Streams: Abgefeiert von ihren Fans cruist sie mit dem PWK durch eine britische Kleinstadt und improvisiert auf Basis von Stich- und Schlagwörtern, die ihre Community im Chat droppt, zu selbstgebastelten Beats Rap-Einlagen, die, sagen wir, eher in den Cringe-Sektor gehören.

Das soll wohl aber auch genau diesen Eindruck erwecken, denn Annie wird kein Stück als Figur modelliert, die die Sympathien anzieht wie das Licht die Motten. Stattdessen haben wir es bei ihr mit einer verbitterten, zynischen Frau irgendwann Ende 30, Anfang 40 zu tun, der die andauernde Corona-Krise ihre negativsten Charaktereigenschaften kultiviert hat. Recht unreflektiert ballert sie im Echoraum ihrer Live-Streams eine krude Verschwörungstheorie nach der andern heraus; fordern die Betreiber der Tankstellen und Shops, wo sie bei ihren nächtlichen Rundfahrten anhält, um sich mit Lebensmitteln zu versorgen, sie dazu auf, doch bitte einen Mundschutz zu tragen, wird sie entweder verbal ausfällig oder brüllt lautstark etwas von Unterdrückung und Faschismus; selbst vor ihren engsten Vertrauten macht ihre zuweilen regelrecht infantiler Zorn keinen Halt, sodass sie zum Beispiel ihrem Buddy Stretch, als der einmal genug von ihren Eskapaden hat und sie vor die Tür setzt, einfach mal die Autoschlüssel respektive die zugehörige Karre klaut. Wer solche Freunde hat, braucht echt keine Feinde mehr...

Wenn DASHCAM in seinem ersten Drittel das Psychogramm einer Frau entwirft, die sich längst vom Baden valider und konstruktiver Kritik an den Corona-Maßnahmen entfernt und sich kopfüber ins Fahrwasser bedenklicher Conspiracy-Mythen, asozialem Verhalten ihren Mitmenschen gegenüber und einer gefährlichen Rebellionshaltungen gegen alles und jeden begeben hat, dann sind das die stärksten Momente in Savages Film – zumal Hauptdarstellerin Annie Hardy es kongenial versteht, ihre Namensvetterin wie einen Menschen wirken zu lassen, mit dem ich keine fünf Minuten an derselben Bushaltestelle stehen wollen würde. Inwieweit Hardy sich selbst spielt, inwieweit sie einer fiktiven Figur ihren Köper leiht, kann ich nicht sagen, da ich nie zuvor von der Dame gehört habe, die offenbar in den USA bereits in mehreren Pop/Rock-Bands agiert hat, und DASHCAM augenscheinlich auch als Plattform zum Promoten der eigenen Persönlichkeit nutzt. Es ist schon großes Fremdscham-Kino, wenn man quasi live miterlebt, wie eine Frau mittleren Alters in jedes Fettnäpfchen tritt, das sich ihr bietet, und sich dabei konsequent im Recht wähnt: Die gesamte Menschheit um sie herum, lauter Covidioten!

Leider verliert DASHCAM schlagartig an Qualität, sobald sein Horror-Teil beginnt. Diese wirklich krude, sich sukzessive steigernde, irgendwann in plakativen Effekten und kaum noch nachvollziehbaren Plot-Volten ertrinkende Okkult-Geschichte um eine dämonenbesessene Greisin, die Annie für etwas Kleingeld von A nach B fahren soll, worauf sie mitten hineingerät in einen Kosmos voller Sekten, Monstren und Teufelsjägern, hört sich, meiner Meinung nach, nicht mal auf dem Papier gut an – und erweist sich dann auch unter Savages Regie als überaus anstrengendes Feuerwerk aus verwackelten Kameraaufnahmen, bei denen man nicht mehr weiß, wo oben und unten ist, pausenloses Herumgerenne und Herumgeschrei, einem Jump Scare und Knalleffekt nach dem nächsten. Spätestens nach einer Stunde stellt sich sowieso die Frage, weshalb unsere Heldin nicht längst ihren Live-Stream abgebrochen hat, wo sie doch schon mehrmals nur knapp dem Tod entronnen ist Immerhin sind die die links im Bild ablaufenden Kommentare ihrer Community noch etwas, worauf man die überstrapazierten Augen ruhenlassen kann, wenn sie unter dem großflächigen Beschuss ohrenbetäubender Soundeffekte und wirbelnder Handkameraaufnahmen blindwerden zu drohen. Tatsächlich ist das dann in dem inszenatorisch weitgehendes Brachland bietenden Film noch der interessanteste Aspket: Wie Annies Fans glauben, ihr Höllentrip vor laufender Smartphonekamera sei ein elaborierter Gag, ein Marketing-Stunt, eine von vorne bis hinten inszenierte Geschichte, ausgetüfelt zum Amüsement der Fans, und ihren Kampf um Leben und Tod fortwährend mit ironischen Sprüchen kommentieren.

Ansonsten kann ich DASHCAM wahrlich nicht empfehlen: Zu laut, zu plakativ, zu marktschreierisch ist das Ganze für meinen Geschmack, und außer an eine Hauptdarstellerin, der man wahlweise den Kopf waschen oder den Rücken kehren möchte, blieb mir schon jetzt, wenige Wochen später, kaum etwas von Savages hyperzappeligem, stellenweise regelrecht nervtötenden Mumpitz im Gedächtnis...
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