bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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You‘re Next

„Was für eine Katastrophe!“

Die US-amerikanisch-britische Independent-Koproduktion „You’re Next“, ein Home-Invasion-Slasher des US-Produzenten und Regisseurs Adam Wingard, feierte ihre Premiere bereits im September 2011 auf dem Toronto International Film Festival, kam jedoch erst knapp zwei Jahre in die US-amerikanischen Kinos. Wingard und Autor Simon Barrett hatten sich zu diesem Zeitpunkt bereits einen Namen durch ihre Beteiligung an den Episodenfilmen „V/H/S – Eine mörderische Sammlung“ und „S-VHS“ gemacht.

„Ich komme sofort wieder!“

Anlässlich ihres Hochzeitstags haben Paul (Rob Moran, „Schwer verliebt“) und Aubrey Davison (Barbara Crampton, „Re-Animator“) ihre vier erwachsenen Kinder sowie deren Partner in ihr Haus auf dem Lande in Missouri eingeladen. Anstelle einer harmonischen Feier keimt jedoch schnell eine alte Fehde zwischen den ältesten Söhnen Crispian (AJ Bowen, „Chillerama“) und Drake (Joe Swanberg, „V/H/S - Eine mörderische Sammlung“) wieder auf. Und es wird noch viel schlimmer kommen, denn unvermittelt wird die Familie von mit Tiermasken vermummten Attentätern (L.C. Holt, „Pop Skull“, Simon Barrett, „Red Sands“ und Lane Hughes, Rob Zombies „Halloween II“) überfallen, die den Familienmitgliedern nach dem Leben trachten. Crispians Freundin Erin (Sharni Vinson, „Home and Away“) jedoch will sich nicht so einfach ihrem Schicksal ergeben und beginnt, die Eindringlinge mit aller Härte zu bekämpfen…

„Nun stirb doch endlich!“

Im wortlosen Prolog ermordet jemand mit einer Schafsmaske auf dem Kopf ein Ehepaar in deren Haus und schmiert die titelgebenden Worte „You’re Next“ an die Wand. Die dysfunktionale Davison-Familie scheint davon jedoch nichts zu wissen und streitet beim gemeinsamen Abendessen, in dessen Rahmen die Figuren, zu denen auch Crispins Geschwister Felix (Nicholas Tucci, „Undocumented“) und Aimee (Amy Seimetz, „Silver Bullets“) sowie seine Schwäger Kelly (Margaret Laney, „Friends (With Benefits)“), Zee (Wendy Glenn, „11-11-11 - Das Tor zur Hölle“) und Tariq (Ti West, „The House of the Devil“) zählen, zumindest grob umrissen werden. Der erste Angriff erfolgt per Pfeil und Bogen durch ein Fenster und fordert ein erstes Opfer. Wie Amys Kehle darauf mit einem Spanndraht aufgeschlitzt wird, wird in einer spannungssteigernden Zeitlupe inszeniert. Weshalb niemand die Polizei verständigen kann, erklärt der Film mit den Mobilfunk sabotierenden Störsendern der Angreifer.

Nach einer guten halben Stunde bekommt man erstmals zu sehen, dass auch diese Täter – analog zu den Morden im Prolog – Tiermasken tragen. Und wie im Prolog wird „You're Next“ blutrot an eine Zimmerwand geschmiert. Die Handlung verlagert sich teilweise nach draußen bzw. in die Nachbarswohnung, die sich als diejenige aus dem Prolog entpuppt. Brutale Morde mit Hieb- und Stichwaffen, u.a. mit einer Axt, treiben den Bodycount in die Höhe, zusätzlich dramatisierende Zeitlupen kommen wiederholt zum Einsatz. Die Demaskierung eines von Erin ausgeschalteten Täters bringt zunächst keine neuen Erkenntnisse, doch aus der anschließenden Offenlegung, dass Teile der Familie gemeinsame Sache mit den Killern machen, ergibt sich ein Informationsvorsprung für die Zuschauerinnen und Zuschauer. Je mehr Motiv und Identitäten geklärt werden, desto mehr geht jedoch auch jedwede mystische Aura flöten.

So macht „You’re Next“ zunehmend den Eindruck eines reichlich sinnlosen Gemetzels, dessen einzige „Innovation“ das äußerst wehrhafte Final Girl ist. Wingard arbeitet mit etwas arg hektischen Wackelkameras, mit beständig monoton wummernden Bässen auf der Tonspur und setzt auf Schockeffekte, deren Terrorgehalt jedoch durch die überbordende Brutalität und heillose Übertreibungen stark abgemildert wird und nicht mehr ernstzunehmen ist. Soll das ein selbstironisches Augenzwinkern sein? Wo der artverwandte „The Strangers“ zu wenig erklärt, tut es „You’re Next“ zu viel, wobei die Hintergrundgeschichte als reichlich hanebüchenes Alibi für diese Schlachtplatte in Digital-Video-Optik herhalten muss. Zu den Klassikern des Stalk’n’Slash-, Home-Invasion- oder Terrorfilm-Bereichs ist Wingards Film leider keine echte Konkurrenz – da helfen auch keine Verpflichtung der Horror-Ikone Barbara Crampton respektive Gastauftritte von Genre-Regisseur Ti West oder Drehbuchautor Simon Barrett.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Meine Brüder und Schwestern in Nordkorea

„Patriotischer Reis!“

Insbesondere in der 2010er-Dekade war Nordkorea, diese stalinistisch geprägte Diktatur der Kim-Dynastie über das Proletariat, immer wieder Gegenstand des Interesses von Dokumentationen und Dokumentarfilmen. Hintergrund waren als besorgniserregend eingestufte Entwicklungen wie Raketen- und Bombentests der Staatsführung, die Befürchtung, Nordkorea rüste immer weiter auf und könne zur ernstzunehmenden, bedrohlichen Militärmacht heranwachsen, verbunden mit Drohungen anderer Staaten wie den USA, über Handelsembargos und Boykotts hinaus „Maßnahmen“ zu ergreifen, Staatsführer Kim Jong-un in die Schranken zu weisen. Dass die Berichterstattung und die Forschung zu diesem hermetisch abgeriegelten Land zu durchaus unterschiedlichen Ergebnissen kamen, machte die Beschäftigung damit vom heimischen Fernsehsessel aus umso spannender. Und natürlich ließ sich von westlicher Warte aus auch stets schön einfach das nordkoreanische System verurteilen, sich über es lustig machen und sich selbstgefällig moralisch über es erheben, während man bizarr anmutende Bilder aus Pjöngjang verfolgte, die wie aus der Zeit gefallen schienen.

Was lässt sich dem also noch hinzufügen, ohne wiederzukäuen, was andere bereits gedreht, erörtert, aufbereitet, gezeigt und diskutiert haben? Und wie ließe sich eine etwas andere Dokumentation überhaupt realisieren, angesichts der besonders schwierigen Umstände für Journalistinnen und Journalisten? Die Dokumentarfilmerin Sung-Hyung Cho („Full Metal Village“) entschied sich für einen ganz eigenen Ansatz: Die in Deutschland lebende Südkoreanerin gab ihre südkoreanische Nationalität auf und nahm die Deutsche an, um überhaupt nach Nordkorea einreisen zu dürfen – denn für Südkoreanerinnen und -koreaner gelten Kontakte nach Nordkorea als Landesverrat. Damit wurde sie zur ersten gebürtigen Südkoreanerin, die in Nordkorea mit offizieller Genehmigung drehen durfte. Das Ergebnis ist der 106-minütige Dokumentarfilm „Meine Brüder und Schwestern im Norden“, der im März 2016 veröffentlicht wurde und keinerlei Lesart vorgibt, wenn er Landschaft und Menschen zeigt, ohne sie vorzuführen. (Eine gekürzte Fernsehfassung wurde später unter dem Titel „Meine Brüder und Schwestern in Nordkorea“ ausgestrahlt – diese bildet die Grundlage dieser Besprechung.)

Nordkorea würde ihr gegenüber stets dämonisiert, berichtet Sung-Hyung Cho, und erzählt, was sie auf sich nahm, um diesen Film realisieren zu können. Dazu gehörte auch, sich an die Vorgaben zu halten, die die man ihr Nordkorea machte: Sie musste sich an eine vorgegebene Route halten, durfte nur bestimmte Orte aufsuchen und lediglich aus einem Pool speziell ausgewählter Menschen ihre Gesprächspartnerinnen und -partner aussuchen. Aus Nordkorea mitgebracht hat sie Panoramen traumhafter, zum Teil naturbelassener Landschaften, die sie mit folkloristischer Musik unterlegte, beeindruckende Städteansichten und nicht zuletzt zahlreiche Interviews aus verschiedenen Orten: mit einem 30-jährigen Ingenieur, der in einem Pjöngjanger Schwimmbad arbeitet, einer 26-jährigen Soldatin, die ihren zehnjährigen Militärdienst fast abgeschlossen hat, einem Traktorfahrer eines Bauernkollektivs und seiner Frau, einer 38-jährigen Bäuerin, sowie mit Kindern und Lehrenden an der Pjöngjang’schen Fußballschule.

So erfährt die Filmemacherin und damit auch ihr Publikum von der Militär-zuerst-Politik des sich im permanenten Kriegszustand wähnenden Lands, nach der auch Frauen ewig lange Militärdienst zu leisten haben, von einer Prüderie, aufgrund derer im Schwimmbad Bikinis schon als zu freizügig gelten und daher verboten sind, dass schon Kleinkinder infiltriert und auf den Führer eingeschworen werden, aber auch, dass die Bauern faszinierenderweise zur Energiegewinnung Methangas u.a. aus menschlichen Exkrementen erzeugen. In der Fußballschule und beim Englischunterricht werden die Kinder seltsamerweise gesiezt, Führerkult und das Feiern der Kim-Dynastie sind allgegenwärtig. Und es wird viel gesungen in Nordkorea, zumindest wenn ein Kamerateam anwesend ist (leider sind einige Untertitelungen recht schwer zu lesen). So singt und tanzt man auch in einer patriotischen Kleiderfabrik, der es gelingt, die Wirtschaftssanktionen zu umgehen. Sung-Hyung Cho unterhält sich über Arbeitsaufkommen und Lohn und in weiteren Gesprächen wird das Thema der Wiedervereinigung Koreas angesprochen, die man herbeizusehnen scheint, ja, die ein ewiger Hoffnungsschimmer am Horizont zu sein scheint. Und eine Oma sehnt sich darüber hinaus nach Märtyrerenkeln…

Natürlich wirkt in diesem Film vieles weit weniger zufällig, als es den Anschein erwecken soll – hier wurde gezielt geplant und inszeniert. Dennoch gelingt es der Filmemacherin, eine Menge interessanter Einblicke zu transportieren. Mit einordnenden und kontextualisierenden Kommentaren aus dem Off hält sie sich zurück und mit der Geschichte des Landes, der Spaltung Nordkoreas, dem Krieg und alldem hält sie sich gar nicht erst auf. Stattdessen gelingt ihr ein unaufgeregtes Porträt nordkoreanischer Menschen, denen sie mit Empathie und Respekt begegnet und die in einem eigentlich wunderschönen Land leben (die Strandbilder aus Wonsan gegen Ende wecken geradezu Fernweh). Die Vorstellung, dass durch einen erneuten Krieg all das eines Tages zerbombt werden könnte, ist furchtbar. Es scheint vielmehr, das Land müsse endlich einmal zur Ruhe kommen, raus aus der ewigen Spirale aus Drohgebärden von außen und gegen diese gerichteten Abschreckungssszenarien (oder umgekehrt), raus aus dem Kalten Krieg und allem anderen, was den Menschen das Gefühl verleiht, einen mit harter Hand regierenden Führer zu benötigen.

Sung-Hyung Cho versucht sich an einer gewagten Gratwanderung und wird allen politischen Restriktionen zum Trotz mit Material belohnt, das wesentlich näher an den Menschen und ihrem Land zu sein scheint als es in anderen Produktionen der Fall ist. Hier dürfen vergnügte und lachende Menschen gezeigt werden und Idylle fernab sozialistischer Brutalarchitektur, hier darf die Sonne scheinen, sich gebildet und innovativ gearbeitet werden. Der Rahmen, in dem all das geschieht, ist jedoch geprägt von Militarismus und Diktatur, was keinesfalls ausgespart wird. Es wird lediglich darauf verzichtet, Offensichtliches noch eigens kommentierend zu betonen. Man ist dadurch angehalten, seine eigenen Schlüsse zu ziehen, wird geistig angeregt und zur kritischen Reflexion aufgefordert. Das kam nicht überall gut an. Rechtspopulist Broder Henryk M. Broder beispielsweise unterstellte, bei diesem Film handele es sich um unkritische Propaganda, womit er jedoch in erster Linie zu verstehen gab, für wie beschränkt er eigentlich das Publikum eines Films wie diesem hält. Offenbar hatte er von seinem eigenen auf es geschlossen.
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Columbo: Lösegeld für einen Toten

„Wie Sie Ihre Haltung bewahren – wirklich bewundernswert!“

Drei Jahre nach der ersten „Columbo“-Verfilmung „Mord nach Rezept“, einem für sich allein stehenden Film, produzierte man einen Pilotfilm für eine ganze Serie um den US-amerikanischen Mordermittler, die bekanntlich überaus erfolgreich jahrzehntelang eine Staffel nach der anderen hervorbrachte und der Figur Columbo zu ungeheurer Popularität verhalf. „Lösegeld für einen Toten“ ist der Titel dieses Pilotkrimis, für den erneut der erfahrene Fernsehserien-Regisseur Richard Irving gewonnen werden konnte. Das Drehbuch stammte von Dean Hargrove und die Erstausstrahlung erfolgte am 1. März 1971.

„Ich weiß, wie hysterisch Teenager sein können!“

Staranwältin Leslie Williams (Lee Grant, „Scheidung auf Amerikanisch“) täuscht die Entführung ihres Mannes Paul (Harlan Warde, „Ritt zum Galgenbaum“) und eine Lösegeldforderung vor, um an sein Vermögen zu gelangen. Als er eines Abends nach Hause kommt, erschießt sie ihn und fährt seinen Leichnam weg. Das von ihr eingeschaltete FBI glaubt, in einem Entführungsfall zu ermitteln und begleitet auch die ebenfalls fingierte, per Helikopter in der Luft stattfindende Lösegeldübergabe, doch Lieutenant Columbo beginnt schon früh zu zweifeln. Am nächsten Tag wird Pauls Leiche angeschwemmt, womit es sich von nun auch offiziell um einen Mordfall handelt, in dem Columbo ermitteln darf. In Margret (Patricia Mattick, „Panik in den Wolken“), der aus einem Schweizer Internat zurückgekehrten Tochter Pauls, findet er eine Verbündete, die wie er Leslie für die Mörderin hält…

„Ich bin ein komischer Kauz!“

In den ersten Minuten sieht man Leslie, wie sie einen klassischen Erpresserbrief aus Zeitungsschnipseln bastelt und ein Anrufbeantwortertonband manipuliert. In einer schönen Freeze-Frame-Szene erschießt sie ihren Mann. All dies geschah unaufgeregt, kontrolliert und perfektionistisch. Wer sie ist, wer ihr Opfer war und weshalb das alles, erfährt das Publikum nach und nach im weiteren Verlauf, beispielsweise wenn sie als Anwältin im Gerichtssaal auftritt – der Ort, an dem man ihr auch die Nachricht vom Tode ihres Mannes übermittelt, woraufhin sie einen von Columbo kritisch beäugten Nervenzusammenbruch simuliert. FBI-Agent Carlson (Harold Gould, „Das Arrangement“) verlangt, dass Columbo die Dame endlich in Ruhe lasse, doch das Gegenteil ist der Fall. Spätestens hier stellt sich aber auch die Frage, weshalb Columbo vorher überhaupt bereits involviert war; ein Aspekt, den die Handlung nicht erläutert.

„Sie denken wirklich sehr viel nach über Ihre… ‚kleinen Details‘.“

Mehr noch als im Gericht oder in den Unterredungen mit der Polizei lernt man Leslie Williams jedoch über Margret, die Tochter des Toten, kennen, die Leslie überraschend aufsucht und auch gleich ins Haus mit einzieht. Leslie und Margret hassen sich. Treten beide gemeinsam in Erscheinung, ist die Luft zum Schneiden. Bei der Beerdigung kommt es gar zum Eklat: Margret ohrfeigt Leslie. Leslie streicht ihr wiederum sämtliche Einkünfte. Margret sieht wie eine gruselige Streberin aus der Klosterschule aus, sodass es schwer – vermutlich schwerer als intendiert – fällt, mit ihr zu sympathisieren. Sie fälscht sogar Beweismaterial und wird aggressiv, woraufhin Columbo sie zur Ordnung rufen muss. Später wird sie Leslie richtiggehend terrorisieren und auf ihrem Anteil am Erbe bestehen.

„Ich werde nie wieder fliegen!“

Über Columbo erfährt man unterdessen, dass er unter leichter Flugangst leidet. Klar, dass er da nicht nur einen Rundflug mit der Mörderin unternehmen, sondern das Flugzeug zeitweise sogar selbst steuern muss! Peter Falks köstliches Mienenspiel währenddessen trägt leicht komödiantische Züge. Ferner lernt man die Gastwirtschaft kennen, in der Columbo mit Vorliebe Chili mit Crackern speist. Wie im Vorgänger „Mord nach Rezept“ kommt es zu einer Szene, in der der bzw. die Täter(in) Columbos Masche der gespielten Naivität, Unbeholfenheit und Zerstreutheit durchschaut und ihre Persönlichkeitsanalyse mit dem Lieutenant und somit auch den Zuschauer(inne)n teilt. Dennoch entspricht sie in erster Linie einer kultivierten und hochintelligenten, aber habgierigen und gewissenlosen schwarzen Witwe, die Columbo eine harte Nuss zu knacken gibt, letztlich aber seinen Spürsinn für Details unterschätzt hat. Bei diesen Details – und das macht einen großen Teil des besonderen Reizes dieser Episode und der Serie generell aus – handelt es sich um Kleinigkeiten, die auch dem Zuschauerinnen und Zuschauern sicherlich nicht aufgefallen sind, obwohl zumindest theoretisch die Möglichkeit dazu bestanden hätte.

„Und jetzt verhaften Sie mich oder verschwinden Sie von hier!“

Die Überführung der Mörderin am Ende ist von großem gegenseitigem Respekt geprägt, wie es ebenfalls ein Markenzeichen der Reihe werden sollte. Eine witzige epilogische Pointe schließt den Pilotfilm ab, der neben seinen erzählerischen Vorzügen auch mit leicht psychedelischen Effekten, während Columbo den Mord „nachstellt“, und etlichen kreativen Szenenübergängen beeindruckt. An den Nerven zerrt jedoch die höchst unsympathische Figur der Margret, von der niemand so genau weiß, weshalb sie diesen Fall eigentlich überlebte…
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Have Fun in Pjöngjang

Farbe ins Grau

„Alle Welt ist sich einig: das Land ist verloren.“

Der deutsch-französische Dokumentarfilmer Pierre-Olivier François („Korea, der hundertjährige Krieg“) hat zusammen mit Patrick Maurus, seines Zeichens Pariser Fremdsprachenprofessor, Korea-Experte und Übersetzer koreanischer Autorinnen und Autoren, innerhalb von acht Jahren vierzig Mal (!) Nordkorea besucht, um aus dem gemeinsam Erlebten und mit der Kamera Festgehaltenen den rund einstündigen Dokumentarfilm „Have Fun in Pjöngjang“ zu realisieren. Dieser wurde im Jahre 2019 vom deutsch-französischen Kulturaustauschsender TV-Sender Arte erstausgestrahlt.

„Warum wird die Berichterstattung von Klischees dominiert?“

Ziel war es, sich im Gegensatz zu so vielen anderen Dokumentationen einmal nicht auf den nordkoreanischen Staatsführer Kim Jong-un und das stalinistisch geprägte politische System zu konzentrieren, nicht vornehmlich über Raketenbau und Bombentests, Militärparaden, Gleichschaltung und Unterdrückung zu berichten, nicht das Klischee einer leidenden und darbenden Bevölkerung zu bedienen. Vielmehr wollte man sich von diesem Framing einmal befreien und, im Prinzip ähnlich wie es Sung-Hyung Cho für ihren 2016 veröffentlichten Dokumentarfilm „Meine Brüder und Schwestern im Norden“ tat, sich auf die Menschen und ihren Alltag einzulassen. Damit erhält der hermetisch wie unter einer Glocke abgeriegelte Staat ein menschliches Antlitz.

François und Maurus räumen zunächst u.a. mit dem Irrglauben auf, als Ausländer dürfe man nicht nach Nordkorea einreisen. Bewegen habe man sich im Land gut können, wenn auch unter ständiger Begleitung. Der Film liefert ein Porträt der Hauptstadt des um wirtschaftliche Autarkie bemühten – und zur ihr aufgrund wirtschaftlicher Sanktionen gezwungenen – Lands, indem er die Wolkenkratzer Pjöngjangs zeigt, den Immobilienboom der offenbar immer bunter werdenden Stadt skizziert und den Eindruck einer hochentwickelten Metropole vermittelt, deren Bewohner überaus stolz darauf sind, was sie gemeinsam aufgebaut haben. Ein Klassikrockkonzert findet simultan zu Bildern startender koreanischer Raketen auf einem sich hinter der Bühne befindenden Videobildschirm statt, Hochzeitsvorbereitungen werden begleitet und kurz und knapp das koreanische Heiratssystem erklärt sowie ein Jugendsportturnier besucht.

Ein Vulkan im Norden, aufgrund der koreanischen Gründungsmythologie eine Art Wallfahrtsort, wird aufgesucht und in beeindruckenden Bildern gezeigt. Eine nordkoreanische SitCom gibt sich frech und anzüglich, dabei trotzdem politisch korrekt. In einem öffentlichen Park vergnügen sich Menschen, was offenbar nicht inszeniert wurde. Wie bereits in Sung-Hyung Chos Film wird auch hier ständig gesungen und getanzt. Die Filmemacher verschlägt es in eine Sportschuhfabrik, an eine Bowlingbahn sowie an den beneidenswert schönen Badestrand in Wonsan. Modisch orientiert man sich auch in Nordkorea am Westen, wenn man nicht gerade Uniform trägt – Militärparaden und der Personenkult um die Kim-Dynastie werden nicht ausgespart, sondern als selbstverständlicher Teil des Alltags der Menschen gezeigt.

Aus diesem Film erfährt man von einer 100%igen Alphabetisierung der Bevölkerung durch die Revolution – ein großer Erfolg, der offenbar durch die damals geänderten Verhältnisse möglich wurde. Zur jüngeren Historie gehört Kim Jong-uns bei seinem Amtsantritt abgegebenes Versprechen, der Mangel werde ein Ende haben – womit er anscheinend rechtbehalten sollte. Nordkorea hat so etwas wie Intershops 2.0, viele Eis- und Gebäckstände laden zum Naschen ein. Ca. 40 % der Unternehmen seien inzwischen halb in privater Hand, was mich in meiner Meinung zur Wirtschaft in sozialistisch organisierten Systemen bestätigt: Produktionsmittel gehören vergesellschaftlicht und die Grundversorgung der Bevölkerung sichergestellt, alles andere aber sollte nach den Prinzipien einer echten sozialen Marktwirtschaft (die nicht mit Kapitalismus zu verwechseln ist) organisiert sein. Laut dieses Films ist unter Kim Jong-un tatsächlich eine äußerst positive Entwicklung für das Land zu verzeichnen, was seine Beliebtheitswerte innerhalb „seines“ Volks erklären dürfte. Sogar Nachhaltigkeit und den Erhalt der Artenvielfalt behalte man im Blick. Vielleicht ist der überwiegende nordkoreanische Bevölkerungsanteil ja allen persönlichen Freiheitseinschränkungen zum Trotz doch ganz zufrieden damit, fürs Kollektiv statt fürs Kapital zu arbeiten?

Ein Voice-over-Sprecher führt durch den Film, der zu einem großen Teil aus Interviews und O-Tönen besteht. „Have Fun in Pjöngjang“ ist hochinteressant; insbesondere nach einer Reihe kritischer Nordkorea-Dokus dürfte man – ehrliches Interesse am Land vorausgesetzt – das Gezeigte nicht nur als Ergänzung mit geänderter Ausrichtung, sondern als angenehmen Gegenpol empfinden. Ja, der Film zeigt kaum negative Seiten Nordkoreas. Gern hätte ich mehr über die Produktionsbedingungen erfahren, denn andere Dokumentarfilmerinnen und -filmer berichten ja i.d.R. von recht strengen Auflagen und Kontrolle des Gesagten und Gefilmten. Mit einer finalen Beurteilung halte ich mich daher zurück. Meines Erachtens trägt „Have Fun in Pjöngjang“ im Kontext mit anderen Filmen zum Thema aber zu einer ausgewogeneren Berichterstattung bei, indem er unvoreingenommen positive Eindrücke nicht nur zulässt, sondern zu seinem Hauptinteressengebiet macht – und damit nachzuvollziehen hilft, wie dieses Land in seiner Isolation, seiner Kriegsangst und seinem Militarismus eigentlich doch so verhältnismäßig gut funktioniert. Und er wirft indirekt die Frage auf, ob nicht die konventionelle westliche Berichterstattung über Nordkorea möglicherweise etwas einseitig ausfällt oder gar eigene propagandistische Zwecke verfolgt…
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Das Leben des Brian

„Setz dich hin, nimm dir ‘nen Keks, mach’s dir schön bequem – du Arsch!“

Der nach „Monty Pythons wunderbare Welt der Schwerkraft“ und „Die Ritter der Kokosnuss“ dritte Kinospielfilm der britischen Komödiantengruppe Monty Python ist der wohl berüchtigtste und zugleich populärste: Die Rede ist natürlich von „Das Leben des Brian“ (Regie: Terry Jones), der im Jahre 1979 sein Publikum in den Kinos erfreute und religiösen Fanatikerinnen und Fanatikern die Zornesröte ins Gesicht trieb. So wurde dies auch nur möglich, weil The-Beatles-Gitarrist George Harrison zwei Millionen Dollar aus seinem Privatvermögen für den Film zur Verfügung stellte, nachdem die eigentliche Produktionsfirma EMI nach ersten Blasphemievorwürfen den Schwanz eingezogen hatte. „And sir and friends are crucified, a day they wished that we had died” sangen bereits The Sex Pistols in ihrem Lied über jene rückgratlosen Pfeifen.

„Jeder nur ein Kreuz!“

Kurz nach Jesus von Nazareths Geburt kam ganz in der Nähe Brian Cohen (Graham Chapman) zur Welt, was schon damals zu Verwechslungen führte. Seine alleinerziehende Mutter zieht Brian in Judäa groß, wo er als junger Mann sein Herz an Judith (Sue Jones-Davies) verliert und Mitglied der jüdischen Widerstandsgruppe „Volksfront von Judäa“ wird, die sich gegen die römische Besatzung richtet. Eine Aktion, an der er sich beteiligt, geht jedoch schief und er wird verhaftet, kann aber entkommen. Um unentdeckt zu bleiben, verkleidet er sich als Prophet und stammelt wirres Zeug, doch bald schon scharen sich zahlreiche Anhänger um ihn, die ihn für den Messias halten…

„Wie sehr hasst du die Römer?“ – „Wie ein Verrückter!“ – „Du bist aufgenommen!“

„Das Leben des Brian“ ist weit mehr als eine Spoof-Parodie auf Bibel-Monumentalfilme, wenngleich er sich bereits als diese hervorragend macht. Monty Python persiflieren den Messiaskult auf satirische Weise und können Blasphemievorwürfen stets entgegenhalten, dies eben gerade nicht anhand Jesus‘ zu tun, wenngleich auch dieser seine Kurzauftritte hat. Vielmehr handelt es laut Terry Jones um Häresie, also nicht der Ablehnung von Glauben an sich, sondern von autoritären Institutionen wie den Kirchen, die allesamt „Gottes Wort“ unterschiedlich auslegen – wie es auch Brians Gefolgschaft tut. Der Film kann auch als veranschaulichende Abhandlung über Gruppendynamik und wie sie bis zur Idealisierung Einzelner und Führerkult, zu Dogmen und Fanatismus, führen kann, verstanden werden. Dass ausgerechnet Brian, der Schwierigkeiten hat, sein eigenes Leben auf die Kette zu bekommen und sich von seiner Mutter (Terry Jones) sowie anderen Fremdinteressen zu emanzipieren, der Messias sein soll, schafft einen starken Kontrast zwischen Anspruch seiner „Jünger(innen)“ an ihn und Wirklichkeit – von der diese wiederum nichts wissen wollen.

„Ist Weibsvolk anwesend?!“

Darüber hinaus schneidet „Das Leben des Brian“ typische Themen der ‘70er-Jahre an und transportiert diese mit viel Humor in die weit entfernte Vergangenheit. Der Streit zwischen der „Volksfront von Judäa“ und der „Judäischen Volksfront“ („Spalter!!!“) ist eine unschwer erkennbare Verballhornung des erbitterten Streits radikaler linker Splittergruppen untereinander und es gibt Seitenhiebe auf die Frauenbewegung. Dass zwischendurch sogar Außerirdische auftauchen, ist ebenso Teil des zeitweise absurden Python-Humors wie es die vereinzelten Animationen Terry Gilliams‘ sind, die als eines der Markenzeichen der Macher integriert wurden. Diese spielen übrigens jeweils gleich mehrere Rollen – unabhängig ihres biologischen Geschlechts – und sind sich, wie es sich für Vollblutkomiker gehört, für kaum etwas zu schade. Der Humor ist mir persönlich zwar manchmal etwas zu albern – so wird für mein Dafürhalten ein wenig zu viel auf Sprachfehlern (u. a. in Person Pontius Pilatus‘ (Michael Palin)) herumgeritten, dem gegenüber jedoch Paradebeispiele für britischen Humor wie die Steinigung und natürlich die mit dem grandiosen Ohrwurm „Always Look on the Bright Side of Life“ endende Kreuzigung stehen.

„Er hat ‚Jehova‘ gesagt!“

Die Kontroversen, die „Das Leben des Brian“ um seine Veröffentlichung herum begleiteten, sind entlarvend für weite Teile der Repräsentant(inn)en insbesondere christlicher Religionen ausgefallen, was die Rezeptionsgeschichte des Films höchst spannend macht. Was klingt wie aus finsteren islamistischen Staaten fand nämlich vor gar nicht allzu langer Zeit in der westlichen Hemisphäre statt. Und wenn die Monty Pythons sich im neuen Jahrtausend skeptisch dahingehend äußern, ob man einen Film wie diesen heutzutage überhaupt noch drehen könnte, sollten eigentlich sämtliche Alarmglocken schrillen. Ist das einer neuen Political Correctness geschuldet oder der Angst vor religiösen bewaffneten Fanatiker(inne)n, die einen für so etwas über den Haufen schießen? Niemals totzukriegen scheint dafür der Zitatschatz, der sich im kollektiven Bewusstsein festgesetzt hat und für dessen Anwendung eigentlich nicht einmal mehr die Kenntnis des Films erforderlich ist…
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Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt

„Raus aus den Toiletten, rein in die Straßen!“

Der gebürtige Lette Holger Bernhard Bruno Mischwitzky ist wohl besser unter seinem Künstlernamen Rosa von Praunheim bekannt, unter dem er als explizit und offensiv homosexueller Künstler in Erscheinung tritt und mit seiner Mischung aus TV-Dokudrama, Aufklärungsfilm und filmischer Agitationspropaganda „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ im Jahre 1971 für zahlreiche Kontroversen sorgte. Von Praunheim führte die Regie und hatte das Drehbuch zusammen mit dem Sexualforscher Martin Dannecker verfasst. Angedacht war der Film seitens des WDR, der als Produzent in Erscheinung trat, als fiktionaler Film – vom analytischen Kommentar und den soziologischen Thesen, die zur Sprache kommen, wusste man indes nichts. Erstaufgeführt wurde der 67 Minuten lange Film 1971 auf der Berlinale, ein halbes Jahr später lief er im Fernsehen, wo er entgegen der ursprünglichen Planung auf einem unattraktiven Sendeplatz zu später Stunde im dritten Programm ausgestrahlt wurde. Ein weiteres Jahr später zeigte ihn die ARD überregional, wobei sich Bayern ausgeklammert und stattdessen einen anderen Spielfilm gezeigt hatte.

„Wir müssen versuchen, freier bumsen zu können!“

Der junge homosexuelle Daniel (Bernd Feuerhelm) zieht aus der Provinz nach Berlin und geht dort eine Beziehung mit Clemens (Berryt Bohlen) ein, die jedoch bald zerbricht. Daraufhin klappert Daniel diverse Stationen schwulen Großstadtlebens ab, sucht entsprechende Etablissements auf, lässt sich auf sexuelle Abenteuer ein und frönt Oberflächlichkeiten, wird aber auch Zeuge offener Homophobie, als er beobachtet, wie andere Schwule von Rockern brutal zusammengeschlagen werden. Doch nachdem er in einer Kneipe Paul kennengelernt hat, nimmt ihn dieser mit in seine ausschließlich aus homosexuellen Männern bestehende Wohngemeinschaft. Dort wird er in politische Diskussionen um die Emanzipation Homosexueller verwickelt, die ihn seinen bisherigen Umgang mit seiner Sexualität überdenken lassen…

Der Low-Budget-Film wurde komplett mit Laiendarstellern sowie ohne Originalton gedreht und anschließend nicht synchronisiert, es wurde schlicht über die Bilder drübergesprochen. Bei den zwei verschiedenen Off-Sprechern (einer für den kritisch-analytischen Kommentar, der andere für die episodische Handlung) ist das kein Problem, bei den Figurendialogen jedoch arg gewöhnungsbedürftig – wirklich synchron ist hier nämlich kaum etwas. Das wirkt leider sehr billig und dahingeschludert. In Verbindung mit dem kritischen Off-Kommentar macht der Film aber auch einen sehr selbstkritischen (Praunheim ist, wie bereits erwähnt, ja selbst Teil der homosexuellen Gemeinschaft), vor allem aber provokanten Eindruck. Der Kommentar behauptet, alle Schwulen sehnten sich nach Zweierbeziehungen, auch im weiteren Verlauf wird die Formulierung „der Schwule“ stets mit verallgemeinerndem Absolutheitsanspruch verwendet.

Darunter finden sich einige verdammt steile Thesen; in demagogischem, aggressivem, abwertendem Tonfall, der unangenehm an Propaganda aus dem Dritten Reich oder auch an eine Karikatur derselben erinnert, werden alle abgewatscht: Die Schwulen, die feste Partnerschaften eingehen wollen ebenso wie diejenigen, die lediglich auf Sex aus sind. Für Mode hat man sich gefälligst nicht zu interessieren, Fetischen wird jegliche Existenzberechtigung abgesprochen usw. Der mit Kraftausdrücken versehene Kommentar wirkt mitunter tatsächlich schwulenfeindlich, aber auch unfreiwillig komisch, wenn über „den Schwulen“ wie in einer Tierdokumentation gesprochen wird. Nur zeigt der Film eben nicht nur mit dem Finger auf andere, sondern nimmt die Schwulen selbst in die Pflicht. Statt die Heteros aufzuklären intendierte von Praunheim offenbar, der eigenen Gemeinschaft den Spiegel vorzuhalten und zu zeigen, wie sie zahlreiche Klischees selbst immer wieder bestätigt – um sie anschließend dazu aufzurufen, selbstbewusster mit sich und ihrer Sexualität umzugehen.

Auf technisch-formaler Ebene irritieren über die bereits genannten Punkte hinaus eine ellenlange, komplett stummgebliebene Sequenz, in der jedoch sichtbar gesprochen wird und die auf diese Weise keinerlei Sinn ergibt, sowie das Gespräch einer Gruppe Schwuler untereinander, das dank seiner Off-Vertonung wie abgelesen klingt. Dass diese Gruppe dabei nackt ist, dürfte wiederum ebenso wie ein in Großaufnahme gezeigter Zungenkuss für Irritationen angenehmerer Art, weil auf ein spießbürgerliches Publikum zielend, gesorgt haben. Leider drohen die Versuche, bestimmte schwule Verhaltensweisen zu deuten und zu erklären, angesichts mangelhafter Inszenierung und reißerischen, undifferenzierten, polemischen Kommentars unterzugehen. Als schwuleninterner Diskussionsbeitrag dürfte „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ eventuell besser geeignet gewesen sein denn als Aufklärungsfilm für ein Hetero-Publikum, demgegenüber er seinem aufklärerischen Anliegen eher eines Bärendienst erwiesen haben dürfte.

All dies ändert indes nichts an seiner Relevanz als Zeitdokument, weshalb ich seine Verfügbarkeit unbedingt begrüße.
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Mamma Mia! Here We Go Again

Veronas Welt – Der Film

„Tonight the super trouper lights are gonna find me, shining like the sun (sup-p-per troup-p-per), smiling, having fun (sup-p-per troup-p-per), feeling like a number one…”

Das Bühnenmusical „Mamma Mia!“ wurde im Jahre 1999 anlässlich des 25-jährigen Jubiläum des Siegs der schwedischen Popgruppe ABBA beim Eurovision Song Contest uraufgeführt und erfreute sich derart großer Beliebtheit, dass 2008 eine gleichnamige Kinofassung folgte, die ebenfalls ein voller Erfolg wurde. Zehn Jahre später kam die Fortsetzung „Mamma Mia! Here We Go Again“ in britisch-US-amerikanischer Koproduktion in die Kinos, geschrieben und inszeniert von Ol Parker („Eine Hochzeit zu dritt“) – eine Bühnenversion oder andere Vorlage existierte nicht.

Sophie (Amanda Seyfried, „Chloe - Liebe. Eifersucht. Verführung“) hat nach dem Tod ihrer Mutter Donna (Meryl Streep, „Manhattan“) das Hotel auf der griechischen Insel Kalokairi fertig saniert und steht kurz vor der Eröffnung, als sie sich mit ihrem Freund Sky (Dominic Cooper, „Immer Drama um Tamara“) gestritten hat: Dieser möchte seinen Lebensmittelpunkt lieber in New York wissen. Ihre potenziellen Väter Harry (Colin Firth, „Tatsächlich... Liebe“) und Bill (Stellan Skarsgård, „Verblendung“) müssen die Eröffnungsfeier zeitbedingt absagen, außerdem zieht ein Unwetter auf – keine guten Voraussetzungen also. Da erinnert sich Sophie daran, wie sich ihre Mutter (die junge Donna: Lily James, „Deine Juliet“) seinerzeit durchgebissen hat, als sie auf sich allein gestellt nach Kalokairi ging und auch noch schwanger war, ohne den Kindsvater zu kennen – gleich drei Herrn kamen infrage…

Ich bin kein Abba-Fan und halte Musicals bis auf wenige Ausnahmen für überflüssigen Kitsch. Den ersten Teil habe ich mir daher weder als Bühnenstück noch als Kinofilm angesehen. Zur Sichtung dieser Fortsetzung wurde ich jedoch genötigt und da ich mich meinem Filmtagebuch gegenüber zur Vollständigkeit verpflichtet habe, muss ich leider auch zu dieser Produktion meinen Senf dazugeben…

Parkers Konzept, „Mamma Mia! Die Rache ist mein“ als eine Mischung aus Prequel und Fortsetzung zu gestalten, ist gewagt und geht dramaturgisch fast schon folgerichtig längst nicht immer auf. Mit der Ignoranz eines Heile-Welt-Schlagers zerrt Parker ungeachtet narrativer Sinnhaftigkeit seine dürre Handlung durch die verschiedenen Zeitebenen und bekommt dadurch Gelegenheit, offenbar bereits im Vorgänger verarbeitete Abba-Stücke noch einmal aufzugreifen. Aufgrund dessen bekommt man noch einmal Meryl Streep zu sehen und ein paar der populärsten Abba-Songs zu Gehör, muss sich also nicht ausschließlich mit Lily James als junger Donna und Abba-Songs „aus der zweiten Reihe“ begnügen.

Das alles ändert indes nichts daran, dass die Figuren ständig unvermittelt und inklusive perfekter Background-Chöre und Choreografien zu singen und zu tanzen anfangen, wie es in Musicals nun einmal ebenso üblich wie befremdlich ist. Dieselben Figuren agieren im Verlauf des Films dann auch immer chargierender, als versuchten sie, von der holprigen Dramaturgie abzulenken. Anlasslose übertriebene Fröhlichkeit macht den Film nur noch verdächtiger, ließe sich aber zugegebenermaßen zumindest damit ansatzweise erklären, dass alle Figuren Urlaub haben. Natürlich darf in einem echten „Frauenfilm“ (vielmehr dem, was Parker und seine Bande dafür hielten) auch ein Pferd nicht fehlen. Tatsächlich ganz witzig ist die „Angel Eyes“-Aufführung ausgefallen, doch das sollte das einzig Positive bleiben, was ich über „Mamma Mia! Jetzt erst recht“ formulieren kann. Ja, auch auf die Auftritte der eigentlich gerngesehenen Cher, die im Finale eine supertuntige „Super Trouper“-Performance anführt, in die das gesamte Ensemble involviert wird, hätte ich gut verzichten können.

„Mamma Mia! Die Fröhlichkeit schlägt zurück“ erweckt den Eindruck eines Antifilms für ein Eventpublikum, dem echte Filme zu anspruchsvoll sind, eines mit dem Vorschlaghammer auf maximale Gefälligkeit angelegten Wohlfühlfilms. Parkers Nummernrevue ist gerade ironisch genug, um Kritiker(innen) als Spaßbremsen dastehen lassen zu können, versucht leicht durchschaubar, sich durch Selbstironisierung unangreifbar zu machen. Oder kurz: Albern, kitschig und nicht mein Humor. Wollen Abba-Fans die Lieder ihre Lieblinge wirklich in dieser Form repräsentiert sehen?
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Tatort: Kressin und die Frau des Malers

„Jede Frau ist unglücklich…“

Nachdem die ersten drei Fälle des Kölner Zolloberinspektors und Playboys Kressin (Sieghardt Rupp) im Abstand von jeweils zwei Monaten ausgestrahlt worden waren, ließ sich die noch junge öffentlich-rechtliche „Tatort“-Krimireihe für die vierte Kressin-Episode über ein Jahr Zeit. Die am 28. Mai 1972 gezeigte Folge „Kressin und die Frau des Malers“ wurde nicht mehr von Wolfang Menge geschrieben, sondern vom in den Niederlanden lebenden jungen Surinamesen Pim de la Parra Jr. zusammen mit Klaus Recht und Hans Heinrich Ziemann. De la Parra Jr. nahm auch auf dem Regiestuhl Platz, es sollte seine einzige Regiearbeit bleiben.

„Sie sehen aus wie einer, der nichts tut.“

In und bei Köln treibt seit geraumer Zeit eine Kunstdiebstahlbande ihr Unwesen. Als eine Lieferung Schaufensterpuppen zu viel Hitze abbekommen hat, entdecken Zollbeamte, dass diese aus Wachs gefertigt wurden und zum Schmuggel von Kunstskulpturen genutzt werden sollten. Zolloberinspektor Kressin wird mit dem Fall betraut, die Spur führt nach Amsterdam – und in die Arme einer attraktiven jungen Frau…

„Fast so schön wie Frankfurt!“ – „Stinkt ein bisschen weniger…“

Ein Gemäldediebstahl wird im Prolog minutiös und spannend inszeniert dargestellt. Kressin findet sich anschließend auf einer hippen Party wieder, wo er Ausschau nach Frauen hält. Eine alberne Tanzszene später blitzt er bei einer mondänen Blondine (Heidi Stroh, „Der Stoff, aus dem die Träume sind“) ab, schnappt sich aber gleich die nächste Dame (Maria Brockerhoff, „Ich kauf mir lieber einen Tirolerhut“). Als er in Sachen Kunstschmuggel zu ermitteln beginnt, sucht er zunächst die Spedition IKS auf, wo er gleich mit der heißen Speditionskauffrau Eva (Brigitte Skay, „Zu dumm zum…“) schäkert – und genügend Zeit bekommt, sie näher kennenzulernen, denn als ihr verdächtiger Chef Jan Morton (Hans Quest, „Birdie“) auftaucht, schließt dieser beide im Büro ein und sucht das Weite.

Gab es bisher keinen Toten, ändert sich dies mit dem nächsten Coup der Bande: Bei einem Kirchendiebstahl wird sie ertappt und überfährt auf ihrer Flucht einen Polizisten. Dieser soll nicht lange die einzige Leiche bleiben, auch die Gangsterbande dezimiert sich gegenseitig. Die Handlung hat ein ordentliches Tempo vorgelegt, auch Kressins erster Ermittlungserfolg lässt nicht lang auf sich warten – noch bevor sich der Schauplatz nach Amsterdam verlagert. Etwas erzwungen wird Oberganove Sievers (Ivan Desny), Kressins Nemesis, ins Spiel gebracht, der hier jedoch lediglich einen Kurzauftritt hat und im gesamten Verlauf so gut wie keine Rolle spielt. In Amsterdam leistet Kressin dann zumindest ansatzweise so etwas wie klassische Ermittlungsarbeit, wenn er sich nicht gerade mit der kurzerhand mitgereisten Eva vergnügt.

Kunstdiebstahl wird für das Publikum aufbereitet als ein Geschäft, an dessen Ende narzisstische Sammler stehen, die von gewieften, aber skrupellosen Verbrechern für viel Geld beliefert werden. Man erhält einen Einblick in die Möglichkeiten des unbemerkten Diebesgutschmuggels und verbindet all das mit einer verruchtem Femme fatale – Anna, der kühlen Blonden vom Beginn –, herrlich altmodischen Krimiideen wie einer versteckten Galerie hinter einer Geheimtür und der Diskrepanz zwischen kriminelle Machenschaften billigenden Kunstsammlern und den von ihnen beauftragten Ganoven, die absolute Kunstbanausen und zudem enorm habgierig sind, sodass entsprechende Konflikte vorprogrammiert sind.

Die ohnehin schon rasante Handlung übernimmt sich jedoch etwas mit einer weiteren Wendung, die einen weiteren Toten zur Folge hat und in ein recht dämlich inszeniertes Duell zwischen Anna und Kressin mündet, in dem Kressin auf jeglichen Selbstschutz verzichtet und damit unverständlicherweise auch noch durchkommt. Besser weiß da die finale Pointe zu gefallen, die eine weitere Überraschung bereithält. Kressins Schürzenjäger-Image scheint sich jedoch langsam etwas abzunutzen, zumal hier ein wenig die ironische Ebene fehlt. Stattdessen wird das fragwürdige Frauenbild einer auch für Kressin unnahbaren, ihren eigenen – wenn auch illegalen – Weg gehenden Frau, die die Antagonistin darstellt, gezeichnet, während man das naive Dummchen Eva, das sich mir nichts, dir nichts von Kressin vernaschen und sich als sein Anhängsel mitnehmen lässt, offenbar als erstrebenswerteren Lebensentwurf präsentiert. Dafür ist die gern erotische Rollen spielende Brigitte Skay aber auch ein echter Hingucker, der viel nackte Haut zeigt, fröhlich aufspielt und es so richtig schön tumb aus der Wäsche zu schauen versteht.

Ein Hingucker ist auch Kressins schickes Cabriolet, eher verzichtbar hingegen der obligatorische „Tatort“-Kommissar-Kurzauftritt, den diesmal der Kollege Konrad (Klaus Höhne) aus Frankfurt bestreitet. Klaus Doldingers Musik macht nach wie vor viel Spaß und geht gut ins Bein – und wenn Kressin gegen Ende selbst die eine oder andere Ware über die Grenze schmuggeln will, schlicht weil er’s kann, ist die selbstironische Ebene doch überdeutlich wieder präsent und hat die Lacher – oder auch die Empörung – auf ihrer Seite.
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Mädchen in Uniform

„Ein Skandal!“

Das Drama „Mädchen in Uniform“ aus dem Jahre 1931 basiert auf dem ein Jahr zuvor uraufgeführten Bühnenstück „Ritter Nérestan“ alias „Gestern und heute“ der deutsch-ungarischen Autorin Christa Winsloe, das autobiografische Züge aufweisen soll. Produzent Carl Froelich verpflichtete die ungarisch-österreichischen Nachwuchsregisseurin Leontine Sagan, die bereits die Bühnenfassung inszeniert hatte und hiermit ihre erste von drei Regiearbeiten fürs Kino ablieferte. Gegenüber der Bühnenfassung schwächte Froelich das Ende ab und setzte den Fokus stärker auf das autoritäre Erziehungssystem denn auf die Komponente der gleichgeschlechtlichen Liebe unter Frauen. Den Nazis, die zwei Jahre später die Macht ergreifen sollten, war der Film ein Dorn im Auge: Goebbels übte Zensur und ließ den Film kürzen, sodass Überlieferungen zufolge ungefähr eine Viertelstunde fehlt und als unwiederbringlich verloren gilt.

„Wir Preußen haben uns großgehungert!“

Postdam zu Beginn der 1920er-Jahre: Offizierstochter Manuela von Meinhardis (Hertha Thiele, „Die Legende von Paul und Paula“) wird nach dem Tod ihrer Mutter in ein Internat für adlige Mädchen gesteckt, in dem die Oberin (Emilia Unda, „Das Ekel“) mit harter Hand den Mädchen preußische Disziplin beizubringen versucht. Für menschliche Wärme ist hier wenig Platz. Die einzige Ausnahme stellt die junge Lehrerin Fräulein von Bernburg (Dorothes Wieck, „Der Fremdenlegionär“) dar, die bei allen Mädchen beliebt ist – insbesondere bei Manuela, die sich in sie verliebt. Als Manuela nach einer erfolgreichen Schulaufführung eines Theaterstücks glückselig und unter dem Einfluss heimlich mit Alkohol versetzter Bowle stehend ihre Gefühle für von Bernburg öffentlich macht, sperrt sie die entsetzte Oberin in ein Isolierzimmer und untersagt von Bernburg jeglichen Kontakt zu ihr. Als sich von Bernburg über dieses Verbot hinwegsetzt, wird sie entlassen, was Manuela in noch tiefere Verzweiflung stürzt…

„Was uns nottut ist Zucht und Ordnung!“

Eine Schwarzweißfotografie, die die ausgesprochen hübschen Gesichter ihrer jungen Figuren gern in Großaufnahme einfängt und den Kontrast zwischen unverdorbener Jugend, die der Obrigkeit nicht geheuer ist, und eben jener Obrigkeit, die alles Juvenile und Individuelle auszutreiben versucht, eindrucksvoll abbildet. Die Worte der strengen Mutter Oberin und ihrer Verbündeten sind markig und dulden keine Widerrede, geistige und körperliche Disziplinierung im Sinne des preußisch-militärischen Systems genießen höchste Priorität. Chorauftritte und Theateraufführungen der Mädchen erfordern ebenfalls Einsatz und Disziplin, wirken jedoch beinahe wie kleine Freiräume innerhalb des gefängnisartigen Ambientes und bieten dem Film sogar Anlass für komödiantische Momente.

„Durch Zucht und Hunger, durch Hunger und Zucht werden wir wieder groß werden!“

In Fräulein von Bernburg ist jedes Mädchen ein bisschen verliebt, doch besonders ausgeprägt scheint diese Art Gefühl bei Manuela zu sein. Diese wirkt bisweilen noch sehr naiv und scheint eher eine Art Mutterersatz zu suchen. Schließlich ist sie auch eine Schutzbefohlene ihrer Lehrerin, eine Beziehung auf Augenhöhe wäre unmöglich. Hierin liegt meines Erachtens auch der Knackpunkt dieses Film in Bezug auf seine Bedeutung für die lesbische Gemeinschaft: Durch die Verbindung dieser Thematik mit einem abgeschotteten, männer- und familienfreien Mikrokosmos können Manuelas Anwandlungen nur allzu leicht als gleichgeschlechtliche Begehrlichkeiten in Ermangelung von Alternativen oder eben als pubertäre Gefühlskonfusion in Verbindung mit einer fehlenden liebevollen Mutterfigur, lesbische Liebe also letztlich lediglich als ein Symptom einer Situation wie der, der sich Manuela ausgesetzt sieht, gedeutet werden.

„Nicht denken – gehorchen!“

Dennoch war er skandalträchtig, der, so sagt man, erste lesbische Kuss der Filmgeschichte. Dieser kommt jedoch sehr unvermittelt und ist lediglich ein kurzer Schmatzer auf den Mund. Einem heutigen Publikum müsste man vermutlich erklären, dass diese Szene einmal als skandalös erachtet wurde und einen der Schlüsselmomente des Films darstellt. Unklar bleibt, weshalb Manuela eigentlich die Einzige ist, die psychologisch auffällig wird. Der melodramatische, tragische Ausgang der Vorlage, in der Manuela sich umbringt, wurde in ein eher offenes Ende abgeändert. Einen Kurzauftritt hat die „Pfeffermühle“-Kabarettistin und Antifaschistin Erika Mann, deren humanistische Ausrichtung zur Kritik am militaristischen System passt, die „Mädchen in Uniform“ übt. Dieses System wirkte schon zu Zeiten der Weimarer Republik wie aus der Zeit ausgefallen, sollte durch die Machtergreifung der verdammten Nazis aber eine Renaissance erhalten – eine reaktionäre Rolle rückwärts, die die kulturelle Entwicklung Deutschlands bezeichnenderweise weit zurückwarf und von der sie sich, so könnte man oftmals meinen, nie wieder ganz erholt hat.
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Tatort: Saarbrücken an einem Montag

„Fußball interessiert mich überhaupt nicht.“

Der zweite Beitrag zur öffentlich-rechtlichen Krimireihe „Tatort“ datiert (ausgerechnet) auf den 13.12.1970. Die Produktion des Saarländischen Rundfunks war der erste von nur zwei Saarbrücker Fällen um Kriminalhauptkommissar Peter Liersdahl (Dieter Eppler, „Die Nackte und der Satan“), aber nicht der Einzige, der in der Anfangszeit der Reihe ursprünglich gar nicht als „Tatort“-Episode, sondern als eigenständiger Fernsehfilm geplant gewesen war. Das Drehbuch Johannes Niems inszenierte Regisseur Karl-Heinz Bieber („Hotelboy Ed Martin“), dessen einziger „Tatort“ diese „Saarbrücken an einem Montag“ betitelte Episode bleiben sollte.

„Ich bin nämlich Eidetiker.“ – „Eidetiker?“ – „Eidetiker.“

In Saarbrücken erschleicht sich ein falscher Kripokommissar die Rente betagterer Damen und verschwindet die junge, in einem Stahlwerk angestellte Datenverarbeiterin Eva Konalsky (Eva Christian, „Cream – Schwabing-Report“) spurlos. Zwei Fälle, die nur scheinbar nichts miteinander zu tun haben. Die Kriminalhauptkommissare Lierdahl und Schäfermann (Manfred Heidmann, „Quax, der Bruchpilot“), der just nach Saarbrücken versetzt wurde, müssen eng zusammenarbeiten, um die Fälle zu lösen, und auch die französische Polizei hinter der nahegelegenen Grenze konsultieren. Dennoch können Sie einen Mord nicht verhindern, der mit ehemaligen Fremdenlegionären zusammenhängt…

„Schön ham’ses hier!“

Laut der ARD basiert dieser „Tatort“ auf einem realen Kriminalfall, der sich in Saarbrücken ereignet haben soll. Die Eröffnungssequenz gehört dem falschen Kripokommissar, dem es jedoch nicht gelingt, sein aktuelles Opfer zu übertölpeln – dafür schlägt er es brutal nieder. Bei Dr. Günther Hartmann (Horst Naumann, „Der Arzt von St. Pauli“), wie Eva im Stahlwerk tätig, hängt derweil der Haussegen schief: Seine Frau Irene (Eva Maria Meineke, „Die Braut des Satans“) wirft ihm Überstunden und einen verschwundenen Ehering vor, vermutet, er gehe fremd. Sie schnüffelt in seinen Sachen und stellt einer jungen Frau nach, die sie für seine Geliebte hält und sich als die kurz darauf verschollene Eva Konalsky herausstellen wird. Dabei wird Irene Zeugin einer Geldübergabe. Erst hiernach führt man die beiden Hauptkommissare in die Handlung ein, die als recht gegensätzlich charakterisiert werden: Lierdahl verfügt über ein ausgeprägtes Gedächtnis und eidetische Fähigkeiten, nimmt es mit der Bürokratie dafür nicht so genau, während sein neuer Kollege Schäfermann lieber streng nach Vorschrift vorgeht und sich zahlreiche Notizen anfertigt.

Das Publikum wird mit einer weiteren undurchsichtigen Figur konfrontiert: Gerd Dietz (Erik Schumann, „Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn“), einem alten Freund Dr. Hartmanns. Er entpuppt sich als derjenige, mit dem Eva eine Geldübergabe durchführte – die Zuschauerinnen und Zuschauer erhalten auf diese Weise einen Wissensvorsprung gegenüber der Kripo, wenngleich Evas Aufenthaltsort und ein etwaiges Motiv, sie verschwinden zu lassen, im Unklaren bleiben. Die Kommissare ermitteln zunächst im Stahlwerk und anschließend in Konalskys Wohnung, wobei ihnen die spießbürgerliche Vermieterin Frau Helgesheim, großartig gespielt von Ellen Frank („Die Klosterschülerinnen“), behilflich ist. Die Handlung thematisiert nun den Kalten Krieg, indem Konalsky aufgrund ihrer ostdeutschen Herkunft der Spionage verdächtigt wird, und setzt verstärkt auf den in Saarbrücken allgegenwärtigen Frankreich-Bezug. Konalskys Freund (Arthur Brauss, „Mädchen: Mit Gewalt“) ist ein französischer Soldat, ein auf Französisch verfasster Drohbrief wird in ihren Sachen gefunden und zuvor arbeitete sie in einer Gaststätte unmittelbar hinter der französischen Grenze. Jenes Grenzgebiet wird ebenfalls zum Schauplatz polizeilicher Ermittlungen, während nach und nach ein Bild davon entsteht, wer Eva Konsalsky ist oder war.

„Saarbrücken an einem Montag“ ist also wie der erste „Tatort“ ein Grenzgänger und scheint ein gutes Stück weit der deutsch-französischen Völkerverständigung verpflichtet, wie insbesondere in Form der Amtshilfe leistenden französischen Polizei deutlich wird. Zugleich ist die Handlung relativ komplex. Mehrere Verdächtige und Motive werden präsentiert und viel klassische Polizeiarbeit geleistet. Evas Vermieterin wird ebenfalls niedergeschlagen und Dr. Hartmanns Frau mischt sich auch noch ein, was ihr nicht gut bekommen wird – als ältere Dame lebte man in diesem „Tatort“ gefährlich. Wie ein Frankreich-Klischee mag das Fremdenlegionssujet anmuten, das Teil der entscheidenden Wendung gegen Ende ist. Diese erweitert die ohnehin schon etwas unübersichtliche Gemengelage um einen alten Mord, ist aber recht ordentlich konstruiert und fügt alle Puzzleteile zu einem befriedigenden Ausgang zusammen. Leider wurden die maßgeblichen Gewaltakte vollständig ausgespart, finden also nicht vor der Kamera statt. In dieser Hinsicht hätte man sich gern etwas mehr trauen dürfen.

Und sonst? Einige neckische Dialoge tragen zur Unterhaltung bei, Lierdahl lässt sich von seiner Sekretärin Frühstück (mit zwei Eiern!) an den Schreibtisch servieren und es wird suggeriert, saarländische Kripobullen würden bis 19:30 Uhr und länger arbeiten… Dank der Originalschauplätze, der rätselhaften, nicht immer hundertprozentig auf Hochspannung angelegten, aber zumindest immer interessanten Geschichte und des französischen Touchs, der Deutschlands etwas provinzielles Mini-Bundesland beinahe etwas Europäisches verleiht, kann sich dieser erst zweite „Tatort“ sehen lassen. Zwischen 1977 und 1984 sollte Kommissar Schäfermann noch viermal ohne Lierdahl als „Tatort“-Ermittler in Erscheinung treten.
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