bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Fack ju Göhte

„Wer heute noch Lehrer wird, muss wahnsinnig sein!“

Eine der deutschen Domänen sind Paukerfilme, von denen die „Lümmel von der ersten Bank“-Reihe, die es zwischen 1968 und 1972 auf sieben Teile brachte, die langlebigste sein dürfte. Und mit ihr ist es so eine Sache: Mindestens zwei Generationen haben diese in ihrer Kindheit allein schon durch die zahlreichen TV-Wiederholungen gesehen und hatten ihren Spaß an ihr, doch mit Jugend und Erwachsenwerden des Publikums sind diese Filme unheimlich schlecht gealtert. Sie galten bald als bieder, überholt, nervig oder gar unerträglich. Ein Kult hat sich nie um sie entwickelt.

Davon ungeachtet hievte der „Türkisch für Anfänger“-Regisseur Bora Dagtekin, deutscher Sohn eines türkischen Vaters, mithilfe der Rat-Pack-Filmproduktion und der Constantin Film sowie dem Kekshersteller Leibniz (Co-Finanzierung durch Produktplatzierungen) im Jahre 2013 einen Reboot ins Kino, das zu einem überragenden Erfolg beim Mainstream-Publikum avancierte. Dafür orientierte er sich insbesondere am zweiten und vierten Teil der „Lümmel“-Reihe, verlegte die Handlung jedoch von einem Baden-Badener Gymnasium in eine Münchner Gesamtschule.

Als Zeki Müller (Elyas M'Barek, „Teufelskicker“) nach dreizehn Monaten aus dem Gefängnis entlassen wird, führt sein erster Weg zu jenem Versteck, in dem seine Komplizin Charlie (Jana Pallaske, „Engel + Joe“) die Beute aus dem Bankraub versteckt hat. Doch aus der Baugrube ist mittlerweile die neue Turnhalle der Goethe-Gesamtschule geworden. Um bei seinen nun unweigerlich anstehenden Ausgrabungen keinen Verdacht zu erzeugen, bewirbt er sich als Hausmeister an der Schule und erschleicht sich geschickt die Anstellung – jedoch aufgrund eines Missverständnisses nicht als Hausmeister, sondern als Aushilfslehrer. Die dafür nötigen Nachweise kopiert er kurzerhand von Elisabeth „Lisi“ Schnabelstedt (Karoline Herfurth, „Vincent will Meer“), der frischgebackenen Klassenlehrerin der 10b – deren Vorgängerin („Lümmel“-Reihe Veteranin Uschi Glas) sich gerade erst in suizidaler Absicht aus dem Fenster gestürzt hatte. Lisi erweist sich jedoch als vollends überfordert mit ihrer bildungsfernen, undisziplinierten Klasse und erpresst Zeki: Wenn er die 10b übernimmt, verrät sie ihn nicht bei der der Direktorin (Katja Riemann, „Die Relativitätstheorie der Liebe“). Fortan gräbt Zeki nachts seine Tunnel unterm Gebäude und versucht tagsüber, mittels unkonventioneller Methoden sowie konstruktiver Zusammenarbeit mit Lisi und deren Mitbewohnerin Caro (Alwara Höfels, Dresdner „Tatort“) die 10b in den Griff zu bekommen. Da gelingt nach und nach erstaunlich gut, und Lisi und er kommen sich immer näher…

Deutschlands marodes Schulsystem mit seinen vielen ungelösten Problemen, von denen überforderte Lehrkörper nur eines sind, nimmt Dagtekin als Grundlage für eine zeitgenössische Aktualisierung der Paukerfilme – und löst diese komplett aus einem intellektuellen Umfeld. Bei Cineastinnen und Cineasten disqualifiziert sich „Fack ju Göhte“ mit von nominellen Identifikationsfiguren ausgesprochenen, haltlosen Aussagen wie „Wenn's einen Film nicht auf DVD gibt, ist's ein Scheißfilm!“ und passt sich mit schnellen bis hektischen Schnitten, hoher Gag- und Aktionsdichte, schnell heruntergeratterten Dialogen sowie fast permanenter Pop-Musikuntermalung seiner Zielgruppe an: idiotischen Teenies. Diese dürfen sich über den vulgären Duktus, die ständigen Sexualisierungen und die immer alberner und absurder werdenden Inhalte (Stichworte: Graffiti-Aktion, Sexualhormone) scheckiglachen und sich mit den permanent ins Bild gehaltenen Zuckerkeksriegeln vollstopfen, ohne dabei zu bemerken, wie der Film auf offenbar bewusst antipädagogische Weise eine harte Hand und einen autoritären Lehrstil propagiert.

Lisis kleine Schwester Laura (Lena Klenke, „Das letzte Schweigen“) fühlt sich hässlich? Kein Problem, lässt Zeki sie eben kurzerhand im Bordell aufstrapsen, damit sie sich besser fühlt. Denn merke: Weibliches Selbstwertgefühlt lässt sich am besten dadurch steigern, dass man so aussieht, wie es die prolligen Jungs mit der großen Klappe gern hätten. Im Zuge einer Klassenexkursion werden Hartz-IV-Empfänger(innen) diskreditiert, später machen sich Dagtekin und sein Publikum über eine dicke Schülerin lustig – ausschließlich aufgrund ihrer Leibesfülle. Gegen Ende wird dann noch gegen integrative Schulen und „Ökos“ ausgeteilt. Dass es ab einem gewissen Punkt erst sentimental, dann gefällig und schließlich richtiggehend kitschig wird, wird von mehreren über den Film verteilten Kotzszenen kontrastiert, die zugleich eine Reaktionsempfehlung darstellen. Was sich vielleicht wie eine anarchische Attacke auf den guten Geschmack und politische Korrektheit liest, scheint mir vielmehr krampfhaft auf lustig getrimmter, ironiefreier Ausdruck regressiver Ansichten zu sein.

Doch auch „Fack ju Göhte“ hat seine Momente: Er gewinnt, wann immer er pfiffig Schulklischees aufs Korn nimmt, ein paar Gags und Sprüche sind tatsächlich gelungen und die spielfreudigen Jungschauspielerinnen stechen derart neben der ehrwürdigen Katja Riemann aus dem Ensemble hervor, dass es eine Wonne ist, ihnen zuzuschauen. Die Ausarbeitung eines Bühnenstücks entfällt hier auf eine „Romeo & Julia“-Modernisierung im Rahmen der Theater-AG, die beinahe die spannendere Geschichte zu bieten hat, derart peinlich minutiös folgt Dagtekin in seinem Film der klassischen Dramaturgie aus dem Lehrbuch.

Leider ist „Fack ju Göhte“ über weite Strecken eine oberflächliche, dümmliche Komödie inklusive draufgepfropfter schmieriger Romanze, die weit hinter ihren Möglichkeiten zurückbleibt. Anstelle einer intelligenten Parodie aufs deutsche Schulsystem, die sich aufmacht, den Problemursachen auf den Grund zu gehen, erhält man eine mit Ach und Krach durchschnittlich lustige und unterhaltsame Komödie mit sowohl verdienten als auch jungen, gut aufgelegten Darstellerinnen und Darstellern, die zu oft die Falschen in die Pfanne haut und sich bei den Falschen anbiedert.

Ihre im Prinzip einzige halbwegs pädagogische Erkenntnis, dass Kinder und Jugendliche unterrichtende Lehrerinnen und Lehrer in der Lage sein sollten, sich ein Stück weit in ihre Schutzbefohlenen hineinzuversetzen, walzt sie in Überlänge aus und bleibt letztlich dermaßen harmlos, dass sie beinahe selbst wie ein Symptom der Bildungsmisere wirkt. Ich prognostiziere der mittlerweile auf drei Teile ausgedehnten Reihe daher langfristig ein ähnliches Schicksal wie der „Lümmel“-Reihe…
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Summer of 84

„Auch Serienkiller sind die Nachbarn von jemandem!“

François Simard und die Geschwister Anouk und Yoann-Karl Whissell alias „RKSS“ präsentierten im Jahre 2018 ihren nach dem retrofuturistischen Endzeitfilm „Turbo Kid“ im ‘80er-Stil zweiten abendfüllenden Spielfilm: den Coming-of-Age-Thriller „Summer of 84“, mit dem man dem mitinitiierten ‘80er-Genrekino-Rollback eine weitere Pretiose hinzufügte.

„Hinter dem sorgfältig gemähten Rasen und den netten Begrüßungen, in jedem Haus, sogar in dem direkt nebenan, könnte das Unfassbare geschehen, ohne dass du es merkst…“

Der 15-jährige Davey (Graham Verchere, „Flucht aus Mr. Lemoncellos Bibliothek“) stockt in seiner Kleinstadt Ipswich im US-Staate Oregon als Zeitungsausträger im Sommer des Jahres 1984 sein Taschengeld auf und befasst sich in der Freizeit gern mit urbanen Legenden und mysteriösen Phänomenen. Somit interessiert er sich auch für den „Schlächter von Cape May“, einen Serienkiller, der seit Jahren immer wieder die Umgebung unsicher macht; insbesondere hat es dieser auf Jugendliche abgesehen. Davey, mit einer feinen Beobachtungsgabe ausgestattet, entwickelt den Verdacht, dass sein alleinstehender Nachbar, der angesehene Polizist Wayne Mackey (Rich Sommer, „Glow“), die Bestie sein könnte. Damit steht er jedoch allein auf weiter Flur, wenngleich er seine Freunde Eats (Judah Lewis, „The Babysitter“), Woody (Caleb Emery, „Holden On“) und Curtis (Cory Grüter-Andrew, „This Is Your Death“) einweiht und Mr. Mackey mit ihnen zusammen beschattet. In der Tat verhält sich Mackey verdächtig – und einen auf Milchtüten als vermisst abgebildeten Jungen hat Davey erst kürzlich bei ebenjenem gesehen. Doch je intensiver die Jungs ihren Ermittlungen nachgehen, desto mehr begeben sie sich in Gefahr…

„Hinter perfekten Vorstadtfassaden passiert oft die krankeste Scheiße!“

Davey fährt BMX und führt in den Film als Voice-Over-Sprecher ein, während vom tollen, sich mal mehr, mal weniger dezent durch den Film ziehenden Synthie-Soundtrack das Titelstück erklingt. An Daveys Zimmerwand hängt ein Poster des D.O.A.-Punkalbums „Hardcore ‘81“, die Siedlung wurde auf einem Indianerfriedhof erbaut, mit seinen ebenfalls BMX-cruisenden Freunden kommuniziert er per Walkie Talkie, wenn man nicht gerade gemeinsam eine Videospielhalle aufsucht, und die Synthie-Instrumentals ziehen sich auch mal für Bananarama zurück – das ‘80er-Hommagen-Bingo verzeichnet schon früh zahlreiche Treffer. Neben typischen Inspirationsquellen wie „Stand By Me“, „Die Goonies“ oder auch „Fright Night“ erinnert „Summer of 84“ mit seiner Prämisse jedoch auch an „Meine teuflischen Nachbarn“ sowie den ‘50er-Jahre-Hitchcock-Klassiker „Das Fenster zum Hof“.

„Der Kalte Krieg hört wohl nie auf!“

Der leicht komödiantische Tonfall des Films mit seinem Dialogwitz und seiner Situationskomik, der zugunsten eines immer ernster werdenden Verlaufs sukzessive einer düsteren Atmosphäre weicht, weist zudem gewisse Parallelen zur ‘80er-Rollback-Serie „Stranger Things“ auf, wenngleich jene in ihrer Stimmung eher wellenförmig verläuft – „Summer of 84“ gleicht vielmehr einer Abwärtsspirale. Was zunächst als Spiel empfunden wird, wird zu bitterem Ernst. Auffallend ist, dass man es vermied, den Jugendlichen wenig alters-, dafür umso kinogerechtere Worte in den Mund zu legen. Stattdessen wird sich lange Zeit fröhlich über Sex und Schlüpfrigkeiten ausgetauscht, wie es Pubertierende ohne Geschlechtsverkehr nun einmal tun. Dass einer von ihnen ein Bad-Religion-T-Shirt und eine punkige Lederjacke trägt, man vom elterlichen Whisky kostet und die Gespräche auch mal um die Gremlins kreisen, beweist, dass die Clique durchaus auch andere Interessen hat. Wenn die heiße Nachbarin (Tiera Skovbye, „Miracle Season – Ihr größter Sieg“) Davey besucht, spielen indes die Hormone verrückt. Doch wenn sie – seine ehemalige Babysitterin – sich bei ihm ausspricht, weil sie die Scheidung ihrer Eltern nicht verkraftet, bekommt auch diese Sequenz eine ernste Note und wird in Erinnerung gerufen, dass es Mitte der 1980er bei Weitem noch nicht so üblich wie heute war, dass sich Elternpaare trennen.

„Ok, Magnum... Was ist dein Plan?“

Der eigentliche Inhalt jedoch ist die Verdächtigung Mr. Mackeys und dessen draus resultierende Observierung. Das ist spannend umgesetzt und wird konsequent ausschließlich aus der Perspektive der vier Jugendlichen erzählt. Erst nach ungefähr einer Stunde kommen Elternteile ins Spiel, die die Situation verschlimmern, statt den Kids hilfreich zur Seite zu stehen: In Anwesenheit Daveys Vaters (Jason Gray-Stanford, „Miracle Season – Ihr größter Sieg“) müssen sie Mackey alles erklären und sich entschuldigen. Eine peinliche Situation, die exemplarisch für die Entfremdung von der Elterngeneration steht, für Davey aber auch mit einem Glaubwürdigkeitsverlust einhergeht. Mühsam muss er seine Freunde davon überzeugen, an der Sache dranzubleiben. Neben seinem Retro-Flair, der sich auch im angenehmen, nie hektischen Erzähltempo niederschlägt, setzt „Summer of 84“ ab einem gewissen Zeitpunkt hauptsächlich aufs Anziehen der Spannungsschraube, bis er gegen Ende doch noch gewalttätig wird. Der letzte Abschnitt ändert überraschend noch einmal den Tonfall und knüpft damit an den Beginn an.

„Krisensitzung! Im Baumhaus! Jetzt!“

Ohne zu viel verraten zu wollen, sei angemerkt, dass „Summer of 84“ für den/die eine(n) oder andere(n) Zuschauer(in) etwas unter dem „Das Fenster zum Hof“-Effekt leiden könnte, sprich: es gibt lediglich einen einzigen Verdächtigen. Da es „RKSS“ meines Erachtens aber sogar besser als Hitchcock verstehen, Zweifel zu streuen, falsche wie richtige Fährten zu legen und miteinander zu vermengen sowie subtil mehrmals mit etwaigen Erwartungshaltungen zu brechen, tut dies der Dramaturgie keinen Abbruch. Die Stereotype, die die Pullover und Shirts sämtlicher Sportbekleidungshersteller tragende Clique verkörpert, sind die klassischen, doch auch dies gereicht dem Film nicht zum Nachteil, da sie mit Leben und Charakter ausgefüllt werden (wenn auch nicht in einem „Stand By Me“- oder gar „Es“-ähnlichen Ausmaße). „Summer of 84“ zählt somit zu den angenehmen Vertretern der ‘80er-Kino-Aufarbeitung und -Ehrerbietung, dürfte stark vom „Stranger Things“-Erfolg profitiert haben und ist für ein jüngeres Publikum gleichsam geeignet wie für ein älteres: Während dem einen die 1980er nähergebracht werden, erfreut sich das andere an einer verlorengeglaubten Herangehensweise, einen Genrefilm zu gestalten, und wärmt es sich an den nostalgischen Schwingungen.

Zumindest bis zum Ende. Dieses sensibilisiert nachhaltig für den hinter allen Fassaden lauernden Wahnsinn und markiert das Ende der Kind- bzw. juvenilen Unbeschwertheit – und ist damit längst nicht mehr ‘80er-spezifisch. Gut so.
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Leben – Gebrauchsanleitung

„Da haben wir wieder etwas über unser Gehirn gelernt!“

1990 erschien der Dokumentarfilm „Leben – BRD“ des Regisseurs Harun Farocki, der 32 Sequenzen unkommentiert aneinanderreihte, in denen etwas simuliert wurde: Auszüge aus Übungen, Proben und Rollenspielen. Eine Art Fortsetzung folgte im Jahre 2016 mit dem Kompilationsfilm „Leben – Gebrauchsanleitung“, gefilmt und zusammengestellt von Debütant Ralf Buecheler („Elternschule“) und dem erfahreneren Jörg Adolph („On/Off the record“), koproduziert von der megaherz GmbH, dem SWR und dem BR.

„Ja, man muss auch ein bisschen an sich arbeiten im Leben!“

Buecheler und Adolph klapperten gleich 62 Stationen innerhalb Deutschlands ab, in denen ausgebildet, trainiert, vorbereitet, erlernt, geübt, fortgebildet, selbstoptimiert, getestet, therapiert, gespielt und geschult wird. Allen gemein ist, dass das reale Leben, insbesondere mit seinen Unwägbarkeiten und vom durchschnittlichen Standard abweichenden Situationen, simuliert wird – sei es beim Geburtsvorbereitungskurs, mit dem der Film beginnt, bei der Ausbildung zur Hebamme, bei der Bundeswehr oder beim Probeliegen im Sarg, womit der Film endet. Dies soll jetzt aber keine Anspielung auf die mit militärischen Einsätzen einhergehende Gefahr für Leib und Leben sein, denn dazwischen liegen noch Kindergarten und Schule, diverse Therapien und der Rollator-Tanzkurs.

„Du hast jetzt Werkzeuge, mit denen Du arbeiten kannst.“

Buecheler und Adolph scheinen chronologisch montiert damit das ganze Leben abzudecken, das, so könnte man anhand dieser Bilderflut meinen, nicht mehr ist als eine permanentes Übung fürs und Vorbereitung aufs Leben. Es geht um Partnerschaft, um Gesundheit, um Arbeit und nicht zuletzt um sich selbst, das eigene Ego, auf der Suche nach einem Platz im Leben – oder dessen Trockenübungen. Ehrlich gesagt immer habe ich nicht immer sofort begriffen, worum es gerade überhaupt geht, schon gar nicht bei irgendwelchen Selbstfindungsseminaren oder „Business Coachings“. Manch Rollenspiel, das auf besonders herausfordernde Situationen in bestimmten Berufen vorbereiten soll, war allerdings derart gut gespielt, dass ich zumindest anfänglich irritiert war und mich fragte, wie das nun in den Film passt.

Diese Verwirrung resultiert auch aus der Motivwahl, denn fröhlich montiert „Leben – Gebrauchsanleitung“ fragwürdige Selbstoptimierungskurse an unbedingt sinnvolle berufliche Lehrgänge oder für die geistige Gesundheit wertvolle Therapien, unterbrochen von eingestreuten Bildern (nicht minder sinnvoller) maschineller Materialbelastungstests, die – ungewollt? – Assoziationen zum Maschinenmenschen wecken. Buechelers und Adolphs Intention wird es nicht gewesen sein, all das in seiner vermeintlichen Absurdität vorzuführen, wenngleich möglicherweise die Gefahr besteht, dass es von Teilen des Publikums so aufgefasst wird. Dies lässt mich diese Mischung etwas kritisch sehen, denn lebenslanges Lernen ist grundsätzlich zu begrüßen und hat nicht zwingend etwas mit krampfhaft ehrgeiziger Selbstoptimierung zur Steigerung des eigenen Marktwerts innerhalb einer kapitalistischen Ordnung zu tun, an der diese Gesellschaft in vielen Bereichen krankt. Und Kurse oder Therapien, die helfen, im Elternhaus, Freundes-/Bekanntenkreis oder Beruf falsch antrainierte, ungesunde Verhaltensmuster abzulegen, mögen für Außenstehende mitunter unfreiwillig komisch erscheinen, dürften sich jedoch positiv auf besagte Gesellschaft auswirken.

Vielleicht hilft dieser Film aber, darüber zu sinnieren, wo die Übergänge fließend sind. Welcher Kurs wäre bei etwas Eigeninitiative verzichtbar, wann sollte man besser seinen eigenen Verstand trainieren respektive nutzen oder selbstbewusst eigenen Gefühlen vertrauen? Die Antworten muss jeder für sich selbst finden, denn „Leben – Gebrauchsanleitung“ ist konsequent eine Dokumentation der reinen Lehre und verzichtet auf jegliche Hilfestellung. Zugleich ist er eine Hommage an Farockis „Leben – BRD“, was u.a. daran deutlich wird, dass seine Macher die gleiche Neuköllner Hebammenausbildung aufsuchen und einen Scenotest aufgreifen. Von wo genau die einzelnen Sequenzen stammen, verrät erst der Abspann. Als bunte Collage funktioniert „Leben – Gebrauchsanleitung“ auf seine eigene, voyeuristische Weise und trägt dazu bei, sich bewusst zu machen, welchen Anteil das Gezeigte und Artverwandtes eigentlich an unserem Leben haben. „Fehlen ja nur noch Menstruationsgruppe und Selbstbefriedigungskurs!“, mag ein Sarkast anmerken.
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Tatort: Jagdrevier

„Was hab‘ ich damit zu tun?“

Herbert Lichtenfeld (Drehbuch) und Wolfgang Petersen (Regie) zum Dritten: Der „Tatort: Jagdrevier“, Kriminalhauptkommissar Finkes (Klaus Schwarzkopf) dritter Einsatz, wurde am 13. Mai 1973 erstausgestrahlt und verschlug den Kieler Beamten ins fiktionale schleswig-holstein’sche Dorf Niederau (nicht zu verwechseln mit der sächsischen Gemeinde oder diversen Ortsteilen in Bayern).

„Wir sind hier eigentlich alle irgendwie miteinander verwandt…“

Der Häftling Dieter „Ditsche“ Brodschella (Jürgen Prochnow, „Das Boot“) büchst beim Torfstechen aus, um Rache an Werner Kresch (Walter Buschhoff, „Blutiger Freitag“) zu nehmen – einem reichen Immobilienbesitzer, dem fast das gesamte Dorf Niederau gehört. Ditsches Freundin wurde nach einer Silvester-Party Kreschs tot in dessen Gartenteich gefunden und Ditsche ist davon überzeugt, dass Kresch für ihren Tod verantwortlich ist. Deshalb hat er bereits einen Mordversuch auf dem Kerbholz und seine Haftstrafe zu verbüßen. Kommissar Finke soll Ditsche finden und Kresch Unversehrtheit gewährleisten, doch Kresch verhält sich ebenso wenig kooperativ wieder der kurz vor seiner Pensionierung stehende Dorfpolizist Heise (Uwe Dallmeier, „Der Lord von Barmbeck“), der zugleich Ditsches Schwager ist…

„Es ging heiß her, viele hatten wenig an. Es war ja auch kein Priesterseminar!“

Torfstecherei als Knastarbeit – eine willkommene Gelegenheit, einfach abzuhauen und sich im Heimatdorf, wo man alles und jeden kennt, zu verstecken. Auf seine Freunde Molli (Volkert Matzen, „Hirnhexen“), den taubstummen Szenka (Klaus Helm) und Pitti (Annette Kluge, „Tatort: Schöne Belinda“), die Schwester der Toten, kann Ditsche zählen und wie man sich auf einer Kuhweide eine große Portion nahrhafte Milch organisiert, weiß er auch. Finke verschlägt es zunächst allein ins wenig einladende Dorf, in dem man nicht einmal mehr übernachten kann – die Wirtin des einzigen Gasthauses ist Ditsches Schwester und macht ob der Ankunft des Kommissars nicht gerade Luftsprünge vor Freude. Assistent Jessner (Wolf Roth) ist noch auf einem Polizeischullehrgang, er wird später nachkommen. Manch Dialog erfolgt auf Platt und wird nicht untertitelt, was den spröden Charme weiter Teile des Ensembles und das Lokalkolorit zusätzlich betont.

„Los, nach Duisburg!“

Die Atmosphäre dieses „Tatorts“ jenseits der Moderne, rau, trist und abweisend, die Inszenierung mit ihren weiten Landschaftspanoramen und in Großaufnahmen eingefangenen Gesichtern sowie die Musik machen aus „Jagdrevier“ einen Western, angesiedelt in einem Dorf im Umbruch: Von Idylle kaum eine Spur, eine Chemiefabrik droht als Schreckensvision und man steht mehr oder weniger unter der Knute des vermögendsten Bewohners. Wie dieser tickt, erfährt Finke, der Berti Vogts unter den Kommissaren, vom Dorfarzt. Denn Finke wird hier körperlich übel mitgespielt, wenngleich sich Ditsche als fairer Gegner entpuppt, der keinen Zweifel daran lässt, dass er keinen Hass auf Finke, sondern auf Kresch hegt. Gegen diesen kommen nun auch Vergewaltigungsvorwürfe zur Sprache, die sich bisher nie jemand auszusprechen traute: An Heike (Regine Lamster, „Die erste Polka“), der minderjährigen Tochter der, seit ihr Mann sie sitzen ließ, alleinerziehenden Frau Borcherts (Karen Hüthmann, „Zufall, alles Zufall oder Die vertagte Hochzeitsnacht“), soll sich Widerling Kresch vergriffen haben. Doch ist sie auf Kresch angewiesen: Sie arbeitet für ihn und hofft inständig, dass er ihre Miete nicht erhöht. Als eine ältere Frau ihre Miete nicht mehr zahlen konnte, hatte sie sich erhängt. Das Thema Vergewaltigung und mit ihr einhergehende Täter-Opfer-Umkehr, Ignoranz und Machtlosigkeit wird nicht unbedingt sensibel, aber dafür mit klarer Haltung aufgegriffen.

„Herr Kommissar, das ganze Dorf weiß, wo er steckt – nur Sie nicht!“

Bald muss sich Finke Kritik stellen: seines Assistenten, dass er Ditsche laufen lässt, wenn er ihn eigentlich so gut wie eingefangen hat – und seines Kieler Vorgesetzten Oberrat Mertens (Werner Nippen), den Kresch Finke zurückzupfeifen anwies, seit er bemerkt hat, dass sich die Ermittlungen plötzlich gegen ihn wenden. Doch darum schert sich Finke wenig, die Männer fordern sich gegenseitig heraus und so läuft alles auf einen großen, kinotauglichen Showdown vor einer beeindruckenden Feuersbrunst hinaus. Ein offeneres Ende wäre mir, ähnlich wie bereits im vorausgegangenen „Tatort: Strandgut“, lieber gewesen: Man hätte Ditsche untertauchen und es dabei belassen sollen. Doch da hätten möglicherweise die ARD-Verantwortlichen nicht mitgespielt, die schließlich schon schlucken mussten, dass ein Kommissar nicht nur Sympathien für seinen eigentlichen Gejagten entwickelt, sondern dessen absichtlich nicht habhaft wird und vielmehr den verkörperten Kapitalismus aus dem Dorf zu jagen hilft.

Die auffallend gute Kameraarbeit mit ihren Point-of-View-Einstellungen und anderen filmdienlichen Hinguckern hat neben den darstellerischen Leistungen und der schönen Charakterrolle des jungen Prochnows entscheidenden Anteil daran, dass Petersen mit dem norddeutschen Western „Jagdrevier“ fast schon Kino-Look in die Wohnzimmer brachte. Einen urbanen Kontrast bildet der damals obligatorische Gastauftritt eines anderen Kommissars, in diesem Falle Kressins. Ihn gibt es nur im Gasthaus zu sehen, wo er in „Kressin und die Frau des Malers“ über die Glotze flimmert…
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Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug

„Ein Flugzeug zu fliegen ist nichts anderes als Rad zu fahren!“

Nachdem es zu John Landis‘ „Kentucky Fried Movie“ (1977) das Drehbuch beigesteuert hatte, trat das US-Trio David Zucker, Jim Abrahams und Jerry Zucker (kurz: „ZAZ“) im Jahre 1980 erstmals auch als Regisseure in Erscheinung: Mit dem Spoof-Film „Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug“, der Flugzeug-Katastrophenfilme wie „Airport“ und „Giganten am Himmel“ aufs Korn nimmt, sich insbesondere aber an der Handlung des Films „714 antwortet nicht“ (1957) orientiert, traten sie in Mel Brooks‘ Fußstapfen, der bereits verschiedene Genreparodien gedreht hatte.

„Hast du schon mal einen erwachsenen Mann nackend gesehen?“

Stewardess Elaine Dickinson (Julie Hagerty, „Kopfüber in Amerika“) hat ihrem Freund, dem kriegstraumatisierten ehemaligen Kampfpiloten Ted Striker (Robert Hays, „Angie“), unlängst den Laufpass gegeben. Ted versucht jedoch beharrlich, Elaine für sich zurückzugewinnen, und steigt seiner Flugangst zum Trotz kurzentschlossen in eine Maschine von Los Angeles nach Chicago, in der Elaine arbeitet. Doch als eine Fischvergiftung plötzlich die gesamte Crew außer Gefecht setzt, wird Ted zum wichtigsten Mann an Bord – neben dem als Passagier mitfliegenden Arzt Dr. Rumack (Leslie Nielsen, „Alarm im Weltall“), der Ted zuredet, seine Angst zu überwinden und Verantwortung für die Maschine zu übernehmen…

„Ich wollte Ihnen beiden nur Glück wünschen. Wir alle zählen auf Sie.“

Bereits am Flughafen tobt der ganze normale Wahnsinn: sich widersprechende Durchsagen, streitende Ansager, irrlichternde religiöse Eiferer und Sektenanhänger – und dann auch noch Elaines und Teds Beziehungskrise. Dessen Erinnerungen an sein Kriegstrauma werden visualisiert, was einen von mehreren Running Gags initiiert. In der deutschen Fassung sprechen dunkelhäutige Reisende grundsätzlich Bayrisch (scheinen wohl aus den Südstaaten zu stammen). Der Co-Pilot heißt Roger (Kareem Abdul-Jabbar, „Das Wunder von Pittsburgh“) und fühlt sich entsprechend nach jedem Funkspruch angesprochen, der Pilot wiederum heißt Oveur (Peter Graves, „Kobra, übernehmen Sie“) …

Im Flieger sitzt Ted neben einer Seniorin, der er ausgiebig aus dem Krieg berichtet – Anlass für weitere visualisierte Rückblenden inklusive einem unpassenden, herrlich abstrusen und heftigen Catfight. Die ganze Chose avanciert zwischenzeitlich zur „Saturday Night Fever“-Persiflage, bevor auch Elaine ihre Rückblenden bekommt – an glückliche Tage mit Ted – und weitere Rückblenden die Biografien beider „aufarbeiten“. Musikalisch wird’s, wenn eine Nonne mit Gitarre auf den Plan tritt und eine Stewardess-Gesangseinlage für ein krankes Kind alle begeistert, aber ausgerechnet das Kind gefährdet. Ted liegt schließlich allen mit seinen Erlebnissen in den Ohren, woraufhin sich seine „Opfer“ jeweils für den Freitod entscheiden.

In der um den persiflierenden Nonsenshumor, den Dialogwitz und den Slapstick gestrickten (bzw. die Ereignisse aus „714 antwortet nicht“ abklappernden), zwischen Flugzeug und Chicagoer Zentrale pendelnden Rahmenhandlung gerät das Flugzeug erwartungsgemäß in Turbulenzen, hilft der sich zufällig an Bord befindende Arzt kranken Passagieren und bittet um Zwischenlandung und bricht Panik aus, als klar wird, dass auch die Piloten betroffen sind. Nun muss Ted seine Ängste überwinden und dadurch ein Unglück verhindern. Und vielleicht erobert er damit ja Elaines Herz zurück. So etwas wird in den aufs Korn genommenen Filmen bierernst erzählt, entsprechend – und das ist das Besondere an „Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug“ – agieren auch hier die Schauspieler: Abgesehen von den von Oveur wiederholt gestellten wirren Fragen wahren die Hauptrollen beinahe durchgehend die Contenance und bleiben betont ernst, um Sachlichkeit, Überblick und Kontrolle bemüht, wie es die bis zu diesem Film eigentlich aus dem ernsten Fach stammenden, gern graumelierten Herrschaften in jedem anderen Film getan hätten – während hier jedoch der Wahnsinn um sie herum tobt. Auch die musikalische Untermalung orientiert sich an ernsten Genrevertretern, wenn auch zuweilen in überzeichneter Weise.

Dieser scheinbare Ernst bei gleichzeitiger Verpflichtung seriöser Schauspieler war der größte Coup des ZAZ-Trios, verlieh „Die unglaubliche Reise…“ etwas Charakteristisches und machte Leslie Nielsen unverhofft zu einem Komödienstar, dessen Karriere damit einen ungeheuren Auftrieb bekam. Schade, dass ZAZ dieses Konzept nicht konsequent bis in alle Nebenrollen hinein verfolgte – womöglich hätte es beim Verzicht auf starke Kontraste aber auch nicht mehr so gut funktioniert. So bekommt man es also neben chargierenden Nebendarstellern auch mit unvermittelten Kampfkunsteinlagen sowie mit einer generell unheimlich hohen Gagfrequenz zu tun, bei der alle etwas hintergründigeren Scherze, auf die einen der Film auch nicht immer unbedingt brachial mit der Nase stößt (beispielsweise die absichtlich unheimlich schlecht gemachte Bluescreen-Autofahrt), am besten funktionieren und gut gealtert sind, während sich der Klamauk doch ziemlich überholt hat. Da wäre weniger sicherlich mehr gewesen.

Dafür funktioniert „Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug“ auch problemlos ohne jegliche Kenntnis der Originale. Einerseits erstaunlich, andererseits folgerichtig ist diese Parodie schon seit vielen Jahren wesentlich populärer als es die persiflierten Filme sind. Das spektakuläre Finale entlässt in eine Art Erschöpfungszustand ob des Nonsens-Dauerfeuerwerks. Ist man erst einmal wieder bei Verstand, stellt sich einem angesichts der Filmfigur Ted Striker möglicherweise die Frage, ob damals die Zeit reif war, sich massenmedial über Kriegsveteranen lustig machen zu können, oder ob bereits andere Produktionen diesem Film den Weg in Bezug auf die US-Publikumsakzeptanz dafür ebneten. Aber das ist ein anderes Thema.
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La Boum 2 – Die Fete geht weiter

„Wenn ich in den Ferien niemanden kennenlerne, wie soll ich dann an frisches Blut kommen?“

Zwei Jahre nach der äußerst erfolgreichen Coming-of-Age-Liebeskomödie „La Boum – Die Fete“ des französischen Regisseurs Claude Pinoteau folgte mit „La Boum 2 – Die Fete geht weiter“ die erste und einzige Fortsetzung. Auf dem Regiestuhl nahm erneut Pinoteau Platz, das Drehbuch verfasste wie zuvor Danièle Thompson und auch das Darstellerensemble um die mit „La Boum“ zum Jugendstar gewordene Sophie Marceau blieb erhalten. Seine französische Premiere feierte der Film Dezember 1982, die deutsche Synchronfassung kam im Frühjahr 1983 in die Kinos.

„Freundschaft zwischen Jungs und Mädchen – daran glaub' ich nicht!“

Vic (Sophie Marceau) ist mittlerweile fünfzehneinhalb Jahre jung und ihre Eltern (Brigitte Fossey, „Glaskäfige“ und Claude Brasseur, „Das Schreckenshaus des Dr. Rasanoff“) haben sich wieder miteinander versöhnt. Doch ihr Vater gibt seine Zahnarztpraxis auf, um in die Forschung zu gehen, was neues Konfliktpotential birgt – denn er müsste dafür von Paris nach Lyon gehen. Vic lernt Philippe (Pierre Cosso, „ Cinderella '80“) kennen und verliebt sich in ihn, jedoch interessiert sich auch ihre bereits die Pille nehmende und einen hohen Verschleiß an Jungs aufweisende Freundin Pénélope (Sheila O'Connor) für den attraktiven Jüngling und reagiert eifersüchtig. Nichtsdestotrotz werden Vic und Philippe ein glückliches Pärchen, wenngleich sich Vic Gedanken darüber macht, ob er wirklich der Richtige für ihren ersten Geschlechtsverkehr ist. Philippe wiederum betrachtet mit Argwohn, dass Vic wieder Kontakt zu ihrem Ex-Freund Mathieu (Alexandre Sterling, „Kinder für das Vaterland“) pflegt…

„Wir sind nicht in Sizilien, Papa!“

Mit „Your Eyes“ der britischen Gruppe Cook da Books erklingt ein neuer Titelsong, „(Dreams are my) Reality“ galt nach nur zwei Jahren bei den Jugendlichen als hoffnungslos veraltet – wie die Proteste belegen, als Pénélopes Schwester Samantha (Alexandra Gonin) es wagt, den Song aufzulegen. Das ist eine witzige Anspielung auf die Schnelllebigkeit insbesondere in Jugendzeiten, wozu auch Pénélopes ständig wechselnde Liebschaften zählen. Eine Art Äquivalent zur „Modenschau“ im ersten Teil bilden diesmal minutenlange Balletttanzszenen Vics. Ähnlich lang sind die Livemusikszenen, als Vic mit Philippe ein bestuhltes (!) Popkonzert besucht – das riecht schon ein bisschen nach Promotion für die Band. Im Gastronomiebereich hängen übrigens Iron-Maiden- und AC/DC-Plakate und es gibt Riesen-Hotdogs.

Boxkampf- und Urlaubsszenen aus Tunesien, wohin es Vics Eltern für eine Woche in den Urlaub verschlug, sorgen zwischenzeitlich für Abwechslung zu den urbanen Pariser Eindrücken. Dass Vic sich zu Philippe auf eine Party schleicht, aber ihre Eltern verfrüht aus dem Urlaub zurückkommen und Vic daher Ärger bekommt, ist ebenso niedlich und harmlos wie ihre Angst vorm ersten Mal und spätere gegenseitige Versuche, sich eifersüchtig zu machen. Um die Gemengelage endlich etwas in Schwung zu bringen, lässt man Mathieu wieder auftauchen, der ebenfalls gleich eine Party, sorry, „Fete“ schmeißt. Dort interessieren sich auch andere für Vic, deren Brüste sich in leichter lolitaler Erotik unter ihrem weißen Shirt abzeichnen. Im Zuge eines Partyspiels sollen sich Vic und Samantha ein paar Minuten lang auf der Straße als Prostituierte ausgeben, was Philippe über alle Maßen empört. Es gibt so richtig Zoff, was in einer Schlägerei zwischen Vics Vater, der Polizei und den Jugendlichen resultiert. Ja, hier wusste man, was eine zünftige Fete ist.

Dabei handelte es sich indes bereits um den Höhepunkt des Films, der ansonsten viel damit beschäftigt ist, Vics Umfeld grob zu skizzieren und Nebenhandlungen zu etablieren, die von Samantha, die die Schule vernachlässigt und ganz in ihrem Tänzerinnentraum aufgeht, und Urgroßmutter Poupette (Denise Grey, „Die Französin und die Liebe“), die ihren Geliebten zu ehelichen gedenkt, handeln. Die elterlichen Themen sind weniger präsent und für Vic nicht mehr von sonderlichem Belang; möglicherweise wurden sie bewusst so angelegt, um den langsamen Abnabelungs- oder den jugendlichen Entfremdungsprozess von den Eltern zu demonstrieren. Selbst etwas unreif wirkt der Film, wenn er sich über einen Nerd mit Hornbrille lustig macht. Mit seinen vielen Verweisen auf die Hochkultur wirkt „La Boum 2“ jedoch meist eher unangenehm bourgeois, und wenn am Ende auch Samantha eine ausgiebige Balletteinlage tänzeln darf, ist’s der Füllszenen endgültig zu viel.

So bleibt ein anspruchsloses Filmchen um eine langsam flügge werdende Jugend mit einem schönen, romantischen Ausgang, das versucht, die Lebensrealität einer wohlbehüteten Pariser Mittelschichtsjugend widerzuspiegeln und bei einem etwas reiferen Publikum nostalgische oder sentimentale Gefühle in Bezug auf die eigenen ersten Gehversuche in Sachen Beziehung wecken dürfte. Das ist in Teilen durchaus charmant und unterhaltsam, doch fehlt im Gegensatz zum Vorgänger das gewisse Etwas.
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Rochade

„Nase auf und Mund zu!“

Bevor Buena Vista „Schnee in der Neujahrsnacht“, den ersten abendfüllenden Spielfilm des deutschen Regisseurs Thorsten Schmidt, im Jahre 1999 in die Kinos brachte, drehte dieser drei Kurzfilme. Der dritte, „Rochade“, stammt aus dem Jahre 1997 und war eine Arbeit für die Filmakademie Baden-Württemberg. Die gut halbstündige, von Anette Mast geschriebene Komödie wurde 1998 mit dem Student Academy Award ausgezeichnet.

Eine Geschäftsreise vorgebend, verabschiedet sich Richard (Max Herbrechter, „Rote Erde“) von seiner Frau Rosmarie (Sissy Höfferer, „Nach uns die Sintflut“), um sich heimlich mit seiner Geliebten Chèrie (Beate Maes, „Praxis Bülowbogen“) in einer anderen Stadt zu treffen. Jedoch droht ihm eine unverhoffte, tatsächliche Einladung von Geschäftspartnern seinen Seitensprung zu vereiteln. Da läuft er Udo (ebenfalls Max Herbrechter) über den Weg: Dieser hat gerade seine Arbeit und seine Freundin (Nele Mueller-Stöfen, „Das Superweib“) verloren, sieht Richard, von seinem Oberlippenbart abgesehen, aber zum Verwechseln ähnlich. Kurzentschlossen muss der Bart dran glauben, Richard und Udo tauschen die Rollen. Doch als ein Mordanschlag auf Udo verübt wird, der eigentlich Richard galt, kommt alles ganz anders als geplant…

„Rochade“ ist eine überraschend professionell umgesetzte schwarze Verwechslungskomödie, die neben verdienten Schauspielerinnen und Schauspielern mit toller Kameraarbeit in Kombination mit ideenreichem Schnitt aufwartet. Besonders eindrucksvoll ist in dieser Hinsicht die Parallelmontage aus den beinahe tödlichen Schüssen auf Udo, während Richard einen Abgang beim Sex hat. Die Handlung entwickelt sich bitterböse weiter, denn auch Richards Frau schaltet sich ein und es sollte nicht der einzige Mordanschlag auf den bedauernswerten „falschen Richard“ bleiben – der indes nicht totzukriegen scheint.

Doch auch Richard hat nicht lange gut lachen, denn sein perfider Plan wendet sich gegen ihn und Udo droht, Richards Platz im Leben einzunehmen. Damit nicht genug, setzt Schmidt mit einer weiteren überraschenden Wendung als Pointe noch einen drauf. „Rochade“ macht Spaß und eignet sich hervorragend als Vorprogramm eines Unterhaltungsfilmabends oder ein Höhepunkt eines Kurzfilmfestivals. Mit seinem Gespür für Dramaturgie, Timing, Bildkompositionen und Schauspieler(innen)einsatz empfahl sich Schmidt damit nachdrücklich für seine daraus resultierte Regiekarriere.
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Eis am Stiel, 2. Teil – Feste Freundin

„Man nennt mich den Bullen von Finsterwalde!“

Nach dem Überraschungserfolg des israelischen Sommer-Cocktails aus Teenie-Erotikkomödie, Liebesfilm und Coming-of-Age-Drama, „Eis am Stiel“, schob dasselbe Team aus Regisseur Boaz Davidson, Co-Autorin Eli Tavor und dem Hauptdarstellertrio Jesse Katzur, Zachi Noy und Jonathan Segal direkt ein Jahr später die erste Fortsetzung nach. Es hält sich hartnäckig das Gerücht, dass mit diesem 1979 veröffentlichten Sequel der Abstieg der Reihe in reinen Sexklamauk begonnen habe. Dass dem nicht so ist, werde ich darzulegen versuchen.

„Das ist fast so wie 'ne Liebesszene in 'nem Film!“

Tel Aviv, Ende der 1950er oder Anfang der 1960er: Nach ihren Erlebnissen im letzten Sommer sind der eher schüchterne Benny (Jesse Katzur), der „lustige Dicke“ Johnny (Zachi Noy) und der Aufreißer Momo (Boaz Davidson) weiterhin miteinander befreundet und lassen auf der Suche nach Vergnügen, Rock’n’Roll und Mädchen keine Party aus. Momo hat fast so etwas wie einen Sport aus seinen stetig wechselnden sexuellen Bekanntschaften gemacht, während Johnny in Martha (Rachel Steiner) eine Freundin gefunden hat. Benny hingegen lernt Tammy (Yvonne Miklosh, „Jack rechnet ab“) kennen und verliebt sich in sie. Mit ihr ist er bereit, das Abenteuer einer festen Beziehung einzugehen – muss dafür jedoch in Kauf nehmen, dass sie nicht sofort mit ihm zu schlafen bereit ist. Dass Martha ebenfalls ein Auge auf Benny und Momo ebenfalls eines auf Tammy geworfen hat, verkompliziert die Situation zusätzlich und birgt Konflikte…

Davidson beginnt diese Fortsetzung ganz im Sinne einer Teenie-Komödie: Das Trio besucht eine Rock’n’Roll-Disco, wo es Johnny gelingt, drei Mädels dazu zu überreden, mit ihnen an den Strand zu fahren. Dort wird natürlich nacktgebadet, jedoch leider ohne die Mädchen, die stattdessen lieber mit ein paar Bikern und den Klamotten der Jungs abhauen. Johnny muss zudem einen Pfandflaschendiebstahl ausbaden. Drei Jungs als kleine Machos, denen ihr Verhalten selbst auf die Füße fällt also, wobei es insbesondere Johnny stets am härtesten zu treffen scheint – ein typischer Loser eben. Der Tonfall ändert sich, als Benny Tammy im Laden kennenlernt und sofort scharf auf sie ist, sie ihn jedoch zunächst abblitzen lässt. Er hängt sich daraufhin rein, stellt ihr nach, bringt sie zum Lachen – und überzeugt sie dadurch, mit ihm auszugehen.

Benny holt sie ab und lernt auch Tammys Eltern kennen – ein weiteres Indiz dafür, dass es nun ernster wird. Benny nimmt Tammy mit auf Johnnys Party, wo Momo sich perfiderweise ebenfalls für sie zu interessieren beginnt. Benny wird nach den Ereignissen im Vorgänger, in dem er Bennys Freundin Nili offenbar für sich gewann, damit endgültig als charakterschwacher falscher Freund charakterisiert, dem zumindest in solchen zwischenmenschlichen Fragen grundsätzlich zu misstrauen ist. Es kommt auch zu einem Wiedersehen mit den Bikern, die ebenfalls auf die Party wollen – doch diesmal sitzen die Jungs am längeren Hebel und veralbern sie. Als Zuschauer(in) ahnt man, dass dies nicht die letzte Begegnung miteinander gewesen sein wird. Durch beide Aspekte – Momos Interesse an Tammy und den erneuten Biker-Konflikt – gewinnt der Film neben seinem komischen Gehalt und seiner Romanze an Spannung.

Benny bringt Tammy gentlemanlike nach Hause und gesteht ihr seine Liebe. Die Szene mündet in einen Kuss. Bald steht schon wieder eine Party auf dem Plan, diesmal inklusive einer Kissenschlacht. Dieses erneute Zusammenkunft der Figuren wird genutzt, um den nächsten Konfliktherd anzufachen: Es stellt sich heraus, dass Martha nur deshalb mit Johnny liiert ist, um öfter in Bennys Nähe sein zu können. Doch der scheint mit Tammy sehr glücklich zu sein. Dennoch brodelt es, denn sie möchte noch keinen Sex mit ihm, woraus ein Streit entsteht. Bis zu diesem Punkt hat der Film Charme und Witz, wenngleich der Krach zwischen Benny und Tammy etwas hart wirkt. Aus Frust betrinkt sich Benny daraufhin, was Martha für sich ausnutzt, indem sie ihn zu verführen versucht.

Im Anschluss wird’s allerdings sehr befremdlich: Auf der nächsten Party (Himmel, wie viel wurde denn damals in Tel Aviv gefeiert?!) reißt Momo eine willige Dame auf, hat Sex mit ihr und versucht danach, Johnny und Benny unbemerkt ebenfalls „drüberrutschen“ zu lassen – seine Sexualpartnerin soll glauben, es handele sich weiterhin um Momo. Was hier lustig sein soll, ist im Prinzip eine Art Vergewaltigungsversuch. Die Biker lösen die Szenerie auf, indem sie Johnny in die Flucht schlagen. Tammy und Benny vertragen sich schließlich wieder, doch aufgrund des „Sexentzugs“ hat er einen Dauerständer, den er mit einem Eisblock behandelt – ein eher negatives Beispiel für den zotigen Humoranteil des Films. Eine originelle Idee hingegen hat das junge Paar, als es eine Wohnung besichtigen geht, um endlich einmal allein zu sein und in Ruhe Sex miteinander haben zu können. In Hamburg mit seinen Besichtigungsmassenabfertigungen würde das nicht funktionieren; hier jedoch hat Davidson die Sequenz sehr langsam und gefühlvoll inszeniert und mit nackten Körpern in einem komplett leeren Raum auch ein besonderes ästhetisches Erlebnis geschaffen. Zum Sex kommt es jedoch nicht mehr.

Beim nächsten Treffen des Freundeskreises benimmt sich Momo einmal mehr wie ein Vollarsch und entzweit kurzerhand alle, indem er von Martha und Benny berichtet. Damit legt er jedoch den Grundstein für einen überraschenden Höhepunkt des Films: Johnny verlassen die Kräfte und er nimmt sein Leid klagend auf einer Treppenstufe Platz. War er bisher für den Slapstick zuständig, wird er nun erstmals vom Film ernstgenommen und bekommt Raum für seine über Spaß und Geilheit hinausgehenden Emotionen. Das ist sehr gut – insbesondere von Noy – umgesetzt, generell liegt in dieser Fortsetzung selbst bei den Laiinnen und Laien schauspielerisch nichts im Argen. Diese mitfühlende Szene steht auch im Kontrast zum oben genannten De-facto-Vergewaltigungsversuch, bei dem sich niemand moralische Fragen gestellt hat.

Und der nächste Kontrast lässt nicht lang auf sich warten: Im Zuge einer aufwändig durchchoreographierten, mitreißenden Rock’n’Roll-Massentanzszene zu Jerry Lee Lewis‘ „High School Confidential“ und The Champs‘ „Tequila“ regiert wieder die pure Lebensfreude. Benny nimmt schließlich die Herausforderung erneut an und kämpft leidenschaftlich um Tammy – und auch, wenn am Ende immer irgendjemand in die Röhre guckt, wartet „Eis am Stiel 2“ im Gegensatz zum Vorgänger doch tatsächlich mit einem Happy End auf.

Was sich vielleicht wie ein krude Mischung aus Klamauk, Komik (köstlich: Bennys Dialoge mit seiner Mutter (Dvora Kedar)), Romantik, Sex und Erwachsenwerden mit ständig wechselnder Stimmung liest, funktioniert als Film die meiste Zeit mehr als passabel. Das zweite „Eis am Stiel“ erzählt von den Irrungen und Wirrungen erster Aufbauversuche fester Beziehungen und ist dabei nicht nur weniger episodenhaft als Teil 1, sondern auch noch weiter von einem Softporno entfernt. Dies geht mit weniger nackter Haut einher, die erste weibliche Oben-ohne-Szene lässt recht lange auf sich warten (und gehört Martha bei ihrem Versuch, Benny zu verführen).

Dem Filmgenuss tut dies keinen Abbruch, denn neben der wunderbaren, bestechenden Sommeratmosphäre überzeugt Davidson hier mit einer noch etwas versierter erzählten Geschichte und mehr emotionaler Tiefe in Beug auf seine nun weitestgehend ausdefiniert erscheinenden Charaktere. Im Soundtrack jagt dazu wieder ein Evergreen den nächsten, wobei insbesondere das von Debbie Reynolds gesungene Titelstück „Tammy“ im Ohr bleibt. Neben den verzichtbaren Zoten und der miesen Rudelbumsidee ist es jedoch schade, dass Martha das einzige weibliche Wesen ist, das es aus dem ersten Teil auch in diesen zweiten geschafft hat – auf ein Wiedersehen mit Nili muss man ebenso verzichten wie auf die Klärung der Frage nach ihrem Verbleib oder Schicksal sowie danach, wie Benny und Momo nach dem Ende von Teil 1 ihre Freundschaft restaurieren konnten.

Schämen muss sich (mit ein paar Abstrichen) für diesen Film jedoch niemand.
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Tatort: Das zweite Geständnis

„Ich dulde nicht, dass meine Liebe zum Menschen, zur leidenden Kreatur, dauernd in den Dreck gezogen wird…“

Der sechste Fall des Münchner Kriminaloberinspektors Melchior Veigl (Gustl Bayrhammer) wurde am 11. Mai 1975 erstausgestrahlt. Das Drehbuch Michael Molsners verfilmte TV-Regisseur Wilm ten Haaf, der innerhalb der öffentlich-rechtlichen „Tatort“-Krimireihe 1973 mit „Cherchez la femme oder Die Geister am Mummelsee“ debütiert und für den im Februar 1975 erstausgestrahlten „Tatort: Als gestohlen gemeldet“ erstmals mit der Figur Veigl gearbeitet hatte. Bis dato brachte es ten Haaf auf sieben „Tatort“-Episoden.

„Der Fall war von Anfang an klar!“

Landwirt Leo Koczyk (Wilmut Borell, „Nachts, wenn der Teufel kam“) ist im Münchner Untersuchungsgefängnis wegen Mordverdachts inhaftiert. Er soll seinen eigenen Hof in Brand gesetzt und seine Schwägerin Thea (Lisa Fitz, „Schulmädchen-Report“) umgebracht haben. Am Abend vorm ersten Prozesstag liegen die Nerven bei ihm blank, was zu einem Streitgespräch mit dem Schließer (Peter Gebhart, „Ein unheimlich starker Abgang“) führt. Als ihn dann auch noch der Mitinsasse seiner Zelle, Huber (Werner Schnitzer, „Siska“), bis aufs Blut provoziert, droht ihm Koczyk, ihn umzubringen und behauptet ihm gegenüber, den Mord tatsächlich begangen zu haben. Will Koczyk Huber nur Angst machen, damit dieser ihn in Ruhe lässt, oder handelt es sich tatsächlich um ein Geständnis? Huber jedenfalls gibt Koczyks Aussagen sogleich weiter, was Oberinspektor Veigl und die Staatsanwaltschaft auf den Plan ruft. Ihnen gegenüber beteuert Koczyk weiterhin seien Unschuld. Veigl ermittelt in Koczyks Umfeld, bis er eine Eingebung hat und den Täter überführen kann.

„Du, mir pressiert’s!“

Ten Haaf beginnt seinen „Tatort“ im Untersuchungsgefängnis, dessen unwirtliche Atmosphäre er ausdrückt, indem er einen aufgekratzten Koczyk zeigt, der sich vom Schließer bevormunden und auf seine Zelle schicken lassen muss, in der ihm auch noch Unsympath Huber seinen Broiler weggemampft hat. Nachdem das Geständnis ausgesprochen und der nächste Tag angebrochen ist, installiert ten Haaf recht bald seine unvermittelt einsetzende erste Rückblende, die den damaligen Brand der Scheune Koczyks und die erste Befragung vor Ort zeigt. Dass letztere in relativer Ruhe vor dem Hintergrund lodernder Flammen durchgeführt wird, mutet etwas bizarr an. Man erfährt zudem, dass es sich bei Koczyk um einen ehemaligen DDR-Bürger handelt, der nur vermeintlich politisch verfolgt gewesen sei. So werden weitere Zweifel an Koczyks Integrität gesät.

Auf eine weitere Rückblende zum Leichenfund folgt eine Rückblende innerhalb der Rückblende, womit man sich endgültig von jeglicher klassischer Narration verabschiedet und es sich denkbar einfach macht, um das Publikum mit immer weiteren Details zu versorgen. Dass die Tote Koczyk tatsächlich mit ihren Informationen zum Scheunenbrand erpresst hatte, reitet Koczyk noch weiter rein – er bleibt Hauptverdächtiger. Das ist über weite Strecken vollkommen überraschungsfrei und die dialogreiche klassische Ermittlungsarbeit aus Veigls Perspektive ermüdet zusehends. Was Veigl zu Tage fördert, ist dann zwar nicht ganz trivial, bedauerlicherweise aber trotzdem nicht sonderlich spannend und statt einen aufregenden Subtext zu ergründen, bleibt es bei biederen Untersuchungen, Figuren und Motiven, abgeschmeckt mit Bayern-Klischees wie einer Liebelei in der Heuscheune und mindestens einem Kruzifix in jedem Raum. Und Urbayrischer als Gustl „Meister Eder“ Bayrhammer geht ohnehin kaum. Der gerngesehene Helmut Fischer als Kriminaloberwachtmeister Lenz hat dagegen kaum zu tun. Weshalb der Fall seinem Chef „von Anfang an klar“ gewesen sein soll, bleibt Geheimnis des Dialogbuchs, denn die Handlung beweist das Gegenteil.

Aber: Die finale Auflösung ist durchaus gewitzt, in mancherlei Hinsicht überraschend und entschädigt so für manch Durststrecke, die die eine oder andere Figur wiederum mit frisch gezapftem Hellem bekämpfte, auf das man angesichts der idyllischen, sommerlichen Bilder Münchens und Umgebung selbst große Lust bekommt. Ein stärkerer Kontrast zu den Knastbildern aus dem Auftakt ist nur schwer möglich. Zudem sehen die Damen, Volksschauspielerin Veronika Fitz („Dieser Platonow…“, spielt Koczyks Ehefrau Adelheit) und Lisa Fitz – eigentlich Mutter und Tochter, hier Schwestern – überaus apart aus und meistern ihre Rollen elegant. Auch Borells Schauspiel, der seine Rolle als zwischen Verzweiflung und Berechnung changierenden Mann, der sich stets zu etwas Höherem berufen zu wähnen scheint, auslegt, ist ein Hingucker. Doch, ach – so lange es keine psychologischen Kabinettstückchen sind, tue ich mich mit solchen „Laberkrimis“ schwer; auch wenn sie eine eigentlich so einladende, gemütliche Zeitreise ins Bayern Mitte der 1970er darstellen…
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Gone Girl – Das perfekte Opfer

„Die Ehe ist harte Arbeit!“

Bevor US-Regisseur David Fincher („Sieben“) das Kino aufgab und sich der 2017 veröffentlichten Streaming-Serie „Mindhunter“ widmete, setzte er im Jahre 2014 mit seinem letzten Kinofilm noch ein dickes Ausrufezeichen: „Gone Girl“, seine Verfilmung des gleichnamigen Bestseller-Romans aus der Feder Gillian Flynns, die ihr eigenes Werk als Drehbuch adaptierte, ist dramatischer Psycho-Thriller, Groteske und Mediensatire zugleich.

„Wer immer sie hat, wird sie wieder loswerden wollen!“

Der Schriftsteller Nick Dunne (Ben Affleck, prophetisch: „Chasing Amy“) meldet seine Frau Amy (Rosamund Pike, prophetisch: „Das perfekte Verbrechen“) am fünften Hochzeitstag als vermisst. Es dauert nicht lang, bis Detective Rhonda Boney (Kim Dickens, „Hollow Man – Unsichtbare Gefahr“) immer mehr Hinweise darauf findet, dass Amy Opfer eines Verbrechens wurde. Und Amy ist nicht irgendwer, sondern eine prominente Frau, die von ihren Eltern als Protagonistin einer erfolgreichen Kinderbuchreihe vermarktet wurde. So wird ihr Verschwinden zu einem gefundenen Fressen für die Medien, die Amys und Nicks Ehe ausschlachten. Tatsächlich handelt es sich um alles andere als eine Bilderbuchehe. Hat Nick also seine Frau auf dem Gewissen?

„Ich hab's so satt, von Frauen wie der vorgeführt zu werden!“

Ungewöhnlich sind bereits Aufbau und Struktur des Films: Er beginnt mit einem Sprecher aus dem Off, der den Eindruck erweckt, ein Serienmörder zu sein – zu sehen ist dabei jedoch das Gesicht einer attraktiven Frau; es handelt sich um Amy. Diese liest im Anschluss ihre visualisierten Tagebucheinträge beginnend mit dem Jahre 2005 vor, als sie Nick auf einer Party kennenlernte, nachdem in einer vorgeschalteten Rückblende dieser an ihrem fünften Hochzeitstag einen Abstecher in die Bar unternahm, die er, wie sich herausstellen wird, zusammen mit seiner Schwester Margo (Carrie Coon, „The Leftovers“) betreibt. Es sind noch nicht einmal fünf Minuten vergangen, da wurden bereits drei Zeitebenen und Erzählperspektiven angerissen, die sich fortan abwechseln. Nachdem Amys Verschwinden bemerkt und die Polizei eingeschaltet wurde, dröseln weitere Rückblenden aus Amys Perspektive die Beziehung der beiden weiter auf und zeigen eine fast schon ekelerregend idealisierte Zweisamkeit.

„Ich brauch 'ne Leiche!“

Doch Nick hat einen pflegebedürftigen Vater und wird während der Wirtschaftskrise arbeitslos, es kommt zu Ehestreitereien. Ein Umzug in Nicks Heimat Missouri aufgrund der tödlichen Krankheit seiner Mutter wird zu einem weiteren Konfliktherd. Mittlerweile hat Nick eine Affäre. „Gone Girl“ avanciert zu einem immer deftigeren Beziehungsdrama. Datumseinblendungen helfen schließlich bei der Orientierung innerhalb der Zeitebenen. Amys Verschwinden wird immer mehr zu einem medialen und gesellschaftlichen Ereignis, in dessen Zuge Nick zunehmend vorverurteilt wird. Es stellt sich schließlich sogar heraus, dass Amy schwanger war. Angeblich habe sich eine Blutlache in der Küche befunden, Nick habe hohe Kreditkartenschulden, von denen er nichts wusste, und er würde von Amys Lebensversicherung profitieren – will Amy ihn hinter Gitter bringen, hat sie einen perfiden Plan ausgeheckt?

Es ist an dieser Stelle sicherlich nicht zu viel verraten, vorsichtshalber sei trotzdem ein Spoiler-Alarm ausgelöst: Ab hier besser erst den Film gucken, anschließend bei Interesse weiterlesen.

Ja, genau so ist es, Amy erklärt einem aus dem Off alles – bevor sich ihre Erzählebene mit derjenigen Nicks kreuzt, sie also auch aktiv in die Handlung eingreift. Nick wendet sich an einen Anwalt (Tyler Perry, „Alex Cross“), der ihr empfiehlt, seinerseits die Medien für eine Anti-Amy-Kampagne zu nutzen. Der medienkritische Aspekt der Handlung wird dadurch ein weiteres Level höhergehievt. Amy entpuppt sich als alles andere als ein Opfer, in der Vergangenheit hatte sie bereits eine Vergewaltigung vorgetäuscht. Das ist grundsätzlich recht dünnes Eis, auf das sich die Handlung nun begibt, möglicherweise klatscht an dieser Stelle manch Frauenhasser Beifall. Fakt ist, dass die überwiegende Anzahl angezeigter Vergewaltigungen tatsächlich verübt wurde und nur ein geringer Anteil Frauen falsche Vorwürfe erhebt, um die Angeklagten zu vernichten oder daraus Kapital zu schlagen. Fakt ist aber auch: Die gibt es. Und da Fincher mit keinem Filmmeter eine Allgemeingültigkeit suggeriert, sondern Amy als einen in vielerlei Hinsicht „besonderen“ Menschen herausstellt, dürften Misogynievorwürfe ins Leere laufen.

„Das nennt man Ehe!“

Während nun der eine untertaucht, sucht der andere sein Heil in der Flucht nach vorn durch Teilnahme an einer Fernsehshow und wird eine alte Liebschaft reaktiviert, um diese auszunutzen. Letztlich kulminiert alles in eine überraschende Wendung, deren Pointe dem Vorausgegangenen in Sachen Boshaftigkeit noch einen draufsetzt. Ein echter Schlag in die Fresse. Flynn und Fincher haben die Handlung dramaturgisch nach allen Regeln der Kunst voll ausgereizt und knüpfen mit der letzten Szene an die Eröffnungssequenz an, womit sich der Teufelskreis schließt. Mehr dürfte in dieser Hinsicht kaum möglich sein.

Spätestens bei der Reflexion des Gesehenen wird klar, dass es sich in erster Linie um eine Geschichte über Selbstinszenierung handelt, um die es bei Amy seit den Kinderbüchern ging – und der sich alles unterzuordnen hat. Wer ihr zu nahe kommt, wird selbst zum Teil dieser. Für diese Inszenierung werden Medien benötigt, die das Spiel aus ureigenem Interesse heraus nicht nur mitspielen, auch nicht nur befeuern, sondern ihm erst die Grundlage bieten. Die pulpige, plakative Übertreibung im Stil eines reißerischen Medienereignisses – das „Gone Girl“ als Kinofilm selbst ist –, mit der Fincher diese Prozesse seziert, erzeugen daraus eine bisweilen beinahe schon schwarzhumorige Mediensatire, die nicht mit Kritik an Medienmacht, Imagekampagnen sowie den involvierten Personen bis hin zum bigotten Publikum geizt.

Mit der weiblichen Hauptrolle erschuf man die wohl durchtriebenste Femme fatale seit Film-noir-Zeiten, die in Kombination mit ihrem weiß Gott auch nicht übermäßig integrem Mann Garantin für eine böse „Szenen einer Ehe“-Variation im Thriller-Format ist. Der Hauptunterschied zum Film- oder Neo-noir: „Gone Girl“ ist zwar überkonstruiert und kühl berechnend, aber auch betont unemotional, artifiziell – die Inszenierung wirkt inszeniert, was vor allem auf Amys Erzählperspektive zutrifft. Dies stellt sich bald als sich mit der Medienkritik paarender, bewusster stilistischer Kniff Finchers heraus, zu dem dann auch die zahlreichen Produktplatzierungen ebenso passen wie die sphärischen Ambient-Synthieklänge, die Trent Reznor als musikalische Untermalung beisteuerte.

In seiner Vielschichtigkeit ist „Gone Girl – Das perfekte Opfer“ ein echter Fincher und in seiner Themenwahl und -verarbeitung provokant und polarisierend, wie es Fincher seit „Fight Club“ nicht mehr war. Bei näherer Betrachtung meine ich Sidney Lumet („Network“) als mögliches Vorbild in Sachen Mediensatire (und Überlänge) auszumachen, zu Unterhaltungsfilm-Edelmetall amalgamiert mit Anleihen bei expressionistischen (Noir-)Thrillern sowie radikal gegen Mainstream-Wohlfühlkino gebürstetem Independent- bis Exploitationfilm. Schade, dass Fincher kein Kino mehr macht.
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