bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Moderator: jogiwan

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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Im Sumpf des Grauens

„Bestimmt haben Sie sowas noch nie im Leben gesehen!“

Als seinen vorletzten Film lieferte der US-amerikanische Regie-Veteran Roy Del Ruth („Der Würger von Paris“) mit dem Mad-Scientist-Horrordrama „The Alligator People“ im Jahre 1959 einen klassischen B-Movie ab, der stark von „Die Fliege“ inspiriert ist (und als Co-Film für dessen Fortsetzung produziert und aufgeführt wurde). Dank dem Label Anolis hat der Film vor wenigen Jahren nicht nur eine deutsche Veröffentlichung, sondern auch eine äußerst gelungene deutsche Synchronisation aus dem Bodo-Traber-Qualitätsstudio für Retro-Synchros erhalten und heißt hierzulande seither „Im Sumpf des Grauens“.

„Es ist so wild... und vorsintflutlich.“

Krankenschwester Jane Marvin (Beverly Garland, „Gesandter des Grauens“) leidet unter einer ausgeprägten Amnesie, weshalb sie sich eine Therapie begibt. Unter Hypnose ist sie aber in der Lage, den Psychiatern zu erzählen, was ihr Schreckliches widerfahren ist: Ihr eigentlicher Name ist Joyce Webster, sie war verheiratet mit Paul Webster (Richard Crane, „ Fallschirmakrobaten“). Dieser hatte vor einiger Zeit ein Flugzeugunglück überlebt, verschwand jedoch von einem auf den anderen Tag spurlos. Joyce stellte Nachforschungen an, die sie in die Sümpfe Louisianas führten – und damit zu Dr. Sinclair (George Macready, „Die Killer von Dakota“), der ein Serum aus Alligatorhormonen entwickelt hat und damit auch Paul behandelte…

„Hier sind schreckliche Mächte am Werk!“

„Im Sumpf des Grauens“ macht mit seinen beeindruckenden Schwarzweißbildern (u.a. echter Alligatoren) im Cinemascope-Breitwandformat und seiner durchaus namhaften Besetzung für einen B-Movie schon ordentlich was her. Dem vornehmlich als audiovisualisierte Rückblende inszenierten Film merkt man Regisseur Del Ruth‘ Erfahrung an, aus der heraus er das Suspense-Konzept versteht und prinzipiell recht gut beherrscht. Ein gealterter Lon Chaney Jr. („Der Wolfsmensch“) als unsympathischer, fieser Alligatorenhasser Mr. Manon mit Hakenhand setzt einen schönen Kontrast zur zarten, klassischen Filmschönheit Beverly Garland, doch zwischen diesen charakterlichen Polen bekommen wir es mehr mit Drama und Tragik zu tun denn mit Horror. Dr. Sinclair ist kein Mad Scientist im eigentlichen Sinne, da er weder als größenwahnsinniger Irrer noch als Böses im Schilde führender Wissenschaftler gezeichnet wird. Und das „Monster“, der sich langsam zum humanoiden Alligator verwandelnde Paul, ist in alter Frankenstein-Tradition eine bedauernswerte Gestalt.

Neben einigem unvermeidlichen pseudowissenschaftlichen Gequatsche und „Phantom der Oper“-Anleihen zwischendurch wartet der Film mit guter, seriöser Maskenarbeit auf, die Paul ein immer schuppigeres Äußeres verpasst. Das ist alles recht seriös und sorgfältig inszeniert, wenngleich der vorgezeichnete Weg zum Finale etwas arg dialoglastig und dadurch langatmig ausfällt. Eben jenes Finale fällt dafür regelrecht überdreht aus, konterkariert die auf unheimliche Atmosphäre und menschliche Tragik bedachte Ausrichtung und damit vermutlich auch die eigentlich intendierte Wirkung des Films – unterhält dafür aber prächtig und macht aus einem etwas behäbigen Gruseldrama ein Spektakel für Freundinnen und Freunde des Abseitigen.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Deadpool 2

„Gut, dass ich den Käsespachtel nicht benutzen musste!“

Nach dem überragenden Erfolg des selbstparodistischen „X-Men“-Ablegers „Deadpool“ aus dem Jahre 2016, der bis dahin humoristischsten Marvel-Comicverfilmung, griff man weitaus tiefer in die Tasche und spendierte der Fortsetzung der Superhelden-Actionkomödie ein stattliches Budget. Auf dem Regiestuhl nahm zunächst wieder Tim Miller Platz, wurde nach Differenzen mit Hauptdarsteller Ryan Reynolds aber durch den „Atomic Blonde“-Regisseur David Leitch ersetzt.

„George Michael hatte Recht...“

Superheld wider Willen Wade Wilsons alias Deadpool (Ryan Reynolds) will nicht mehr und beschließt daher, aus dem Leben zu scheiden. Doch X-Man Colossus (Stefan Kapičić, „Der Ruf der Wale“) rettet ihn und nimmt ihn zu den Mutanten mit, wo er ihn zu einem Azubi macht und es zu einem Wiedersehen mit Negasonic Teenage Warhead (Brianna Hildebrand, „First Girl I Loved“) kommt. In Russell alias Firefist (Julian Dennison, „Wo die wilden Menschen jagen“) lernt er einen weiteren Teenage-Mutanten kennen – und den Superschurken-Cyborg Cable (Josh Brolin, „Die Goonies“), der hinter Firefist her ist. Da entwickelt Deadpool väterliche Gefühle für den Jungen, gründet ein eigenes Superhelden-Team und wappnet sich mit Dominos (Zazie Beetz, „Atlanta“) und Zeitgeists (Bill Skarsgård, „Es“) Hilfe der Konfrontation mit Cable…

„Kannst du lauter reden? Man versteht dich so schlecht mit dem Schwanz des Selbstmitleids im Mund.“

Bei seinem ersten Suizidversuch schimpft der Drogen bei seiner blinden Mutter hortende Antiheld Deadpool als Voice-over-Erzähler auf Marvel-Kollege Wolverine, was eine Rückblende zu Ereignissen vor sechs Wochen einleitet. Unvermittelt folgt eine Aneinanderreihung deftiger, blutiger Actionszenen auf der ganzen Welt, wie sie sich andere Produktionen fürs Finale aufsparen würden. Deadpool weiß, dass er sich in einem Film befindet, und kommentiert diesen Umstand süffisant in seiner Zweitrolle als Off-Erzählinstanz. Immerhin ist er mittlerweile in festen Händen, seine Freundin Vanessa (Morena Baccarin, „V – Die Besucher“) und er wünschen sich ein Kind. Doch dann wird sie erschossen. Überraschung: Alles dies war erst der Prolog! Auf diesen folgt natürlich kein normaler Vorspann, sondern die Parodie auf einen solchen.

„Bleib stehen oder Justin Bieber stirbt!“

Nach seiner Zeit bei den X-Men und einem kurzen Knastaufenthalt zusammen mit Firefist zeigen Rückblenden das Martyrium, das Firefist zu erleiden hatte, im Sinne einer Origin Story. Deadpool lässt sich lange bitten, die Gründung eines Knastteams zusammen mit Firefist lehnte er noch ab. Erst nachdem mit Cable eine Art Terminator aus der Zukunft, der hinter Firefist her ist, den ganzen Knast auseinandernahm, beginnt er umzudenken. Man lässt ihn nicht sterben, weil er zu Lebzeiten noch etwas von Bedeutung erreichen soll. Nun glaubt er, seine Mission sei es, Firefist vor seinen Feinden zu retten. Von Altruismus also auch in diesem Falle keine Spur. Das Superhelden-Casting für die X-Force, das neue Team, führt er zusammen mit seinem Kneipier durch. Bereits nach dem ersten Fallschirmsprung gehen alle X-Forcer in einem weiteren Anflug schwarzen Filmhumors drauf, mit Ausnahme Dominos – da es deren Superkraft ist, Glück zu haben. Herrlich.

„Manchmal muss man schmutzig kämpfen!“

Fortan gerät „Deadpool 2“ zu einem spektakulären Action- (u.a. wird Deadpool in zwei Stücke gerissen) und einem selbstironischen bis vulgären Spruchfeuerwerk inklusive zahlreicher popkultureller Anspielungen und Zitate. Das Tempo ist hoch. Und dennoch gelingt es, auch eine „richtige“ Geschichte zu erzählen: Auf jener Ebene, auf der „Deadpool“ ein Liebesfilm war, gerät „Deadpool 2“ aller charakterlicher Indisponiertheit seines Antihelden zum Familienfilm. Fraglich ist dabei indes, wie man einem Jungen vermitteln will, niemanden umzubringen, wenn man zuvor selbst zahlreiche Mitarbeiter eines Jugendheims niedergemetzelt hat. Hierin beißt sich dann auch tatsächlich ein wenig die innere Logik des Films (sofern man diesen Begriff bei einem Film wie diesem bemühen möchte). Die Regeln des Superheldenfilmsujets stellt „Deadpool 2“ jedenfalls wieder mit Vorliebe auf den Kopf. Kunststück, ist er doch vielmehr ein Metafilm, sogar inklusive Vorspulszenen. Trotzdem bekomme ich in der Schlussszene, die von einer „Take on me“-Akustikversion untermalt wird und das a-ha-Musikvideo zitiert, ein bisschen Gänsehaut. Zuvor erfreuten bereits AC/DC mit „Thunderstruck“ das Ohr.

„Du bist so düster! Sicher, dass du nicht aus dem DC-Universum kommst?“

„Deadpool 2“ greift also die Qualitäten seines Vorgängers auf und macht den fehlenden Überraschungseffekt mit viel Fan-Service wie einem wahren Actiongewitter wett. Deadpool dazu: „Jetzt gibt's ‘ne riesige CGI-Schlacht!“ Der respektlose Humor sitzt meist und ist eine willkommene Abwechslung sowohl zur verkrampften Ernsthaftigkeit und zum Pathos des handelsüblichen Actionfilms als auch zum gefälligen, familienfreundlichen Duktus hollywood’schen Blockbuster-Kinos. Einige Cameos runden den positiven Gesamteindruck ab, der lediglich durch die eine oder andere Inkohärenz beim (zugegebenermaßen schwierigen) Spagatversuch zwischen parodistischer Karikatur und das Publikum mitnehmender Story-Entwicklung getrübt wird. Zudem reißt manch mir viel zu realitätsbezogener Verweis auf Deadpools Krebserkrankung einen immer mal wieder aus der Fantasiewelt heraus. Nur beipflichten kann ich dem Film hingegen bei seinen sehr wahren Worten über feuchtes Toilettenpapier.

„Fuck, mehr ist den Autoren nicht eingefallen?!“

Nein, daher meine Wertung: 7,5 von 10 Fallschirmsprüngen!
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Tatort: Peggy hat Angst

„Wenn Sie wollen, zieh‘ ich auch die Socken aus…“

Kriminalhauptkommissarin Hanne Wiegands (Karin Anselm) dritter Fall innerhalb der öffentlich-rechtlichen „Tatort“-Reihe ist weniger ein klassischer Fernsehkrimi als vielmehr ein Psycho-Thriller mit starken Anleihen beim Genrefilm. Geschrieben wurde er von Norbert Ehry, die Inszenierung übernahm Routinier Wolfgang Becker („Die Vorstadtkrokodile“) – es wurde seine erste Zusammenarbeit mit Wiegand und zugleich leider sein letzter „Tatort“. Die Erstausstrahlung erfolgte am 23. Mai 1983.

„‘ne kleine Nutte hab‘ ich mir geangelt!“

Fotomodell Natasha (Ute Christensen, „Tod eines Schülers“) lernt Taxifahrer Stefan (Hans Georg Panczak, „Tatort: Die Kugel im Leib“) lernen, als sie sich vom ihm zum Mainzer Freibad fahren lässt. Da sie ihren Bikini im Taxi vergessen hat, folgt er ihr ins Freibad, wo sie sich für später verabreden und in seiner Wohnung schließlich gemeinsam im Bett landen. Hals über Kopf verliebt Stefan sich in die attraktive junge Frau, die jedoch eher an One-Night-Stands interessiert ist. Als sie am nächsten Morgen von seiner Gefühlsduselei genervt gehen will, schließt er sie ein und erschlägt sie. Ihre Freundin und Mitbewohnerin Peggy (Hannelore Elsner, „Die Teufelsschlucht der wilden Wölfe“) hört den Mord am Telefon mit, wird von der Polizei aber zunächst nicht ernstgenommen. Doch der Mörder kennt Peggys Identität und beginnt, ihr nachzustellen, sodass auch sie sich in Gefahr wähnt. Daraufhin wird die Polizei aktiv, während Peggy Trost bei einer neuen Bekanntschaft findet: Taxifahrer Stefan…

„Meine Güte! Wenn Sie verknallt sind: Warten Sie einen Monat, bis Sie sich hinlegen?!“

Oben-ohne-Szenen im Schwimmbad, Nacktszenen in Stefans Wohnung: „Peggy hat Angst“ bzw. konkreter: Ute Christensen als Natasha gibt sich sehr freizügig, vermutlich als etwas klischeehafte Methode, um den Kontrast zu Stefan herzustellen, der erst als zeichnender Romantiker alter Schule, dann als weltfremder, Baudelaire zitierender („Hoheitsvoll ging eine Frau an mir vorüber…“), Elektro-Goth hörender und Bongo-spielender, in zwischenmenschlichen Fragen soziopathisch veranlagter Sonderling charakterisiert und sich schlussendlich als entflohener Psychiatriepatient entpuppen wird. Und eben als Mörder – die bittere Pointe eines fulminanten Auftakts. Ein wenig Erotik, ein psychopathologischer Täter und eine in Gefahr schwebende Zeugin, die von der Polizei mit Missachtung gestraft wird und selbst in Gefahr schwebt: Diese Prämisse erinnert an italienische Gialli, wenngleich der Täter dem Publikum hier von vornherein bekannt ist und es somit über einen beträchtlichen Wissensvorsprung gegenüber der Polizei verfügt, die in Person Hanne Wiegands natürlich dennoch ins Spiel kommt.

„So machen Sie’s nur im ,Tatort‘…“

Wiegand bildet einen seriösen, züchtigen und reichlich trockenen Gegenpol zur Welt der Mannequins Natascha und Peggy und sieht sich in Nataschas Zimmer um. Später wird sie wieder empathisch menscheln und Peggy bei sich übernachten lassen. Sie befragt Nataschas ehemaligen Fotografen, der Schwimmbad-Macho (Ulli Kinalzik, „Jürgen Roland’s St. Pauli-Report“), der im Freibad aufdringlich wurde, tritt als Zeuge in Erscheinung, Stefans Vermieterin (Hannelore Schroth, „Unter den Brücken“) meldet sich und ist scharf auf eine Belohnung – klassischer dialoglastiger Ermittlungsarbeit mit Weigands Assistenten Korn (Rolf Jülich) und Wilke (Artus Maria Matthiessen) gilt es beizuwohnen, was mit dem parallel verlaufenden Thriller-Anteil belohnt wird. Stefan drückt im Café, in dem Peggy jobbt, die Elektro-Nummer „Why Can the Bodies Fly“ des Duos Warning, um ihr Angst einzujagen. Durch den wiederholten Einsatz dieses Songs im Soundtrack avancierte er nach der Ausstrahlung zum Hit. Stefan belästigt sie mit aus Baudelaire-Zitaten bestehenden Briefen und schafft es durch eine unglückliche Verkettung gar, von Peggys Chef angestellt zu werden. Schließlich bändelt Stefan mit Peggy an und treibt die Spannung damit weiter in die Höhe.

„Liebe und Wahnsinn – das ist dasselbe!“

Das ist ziemlich gut inszeniert, dramaturgisch ein gelungener Spagat aus „Tatort“-Krimiarbeit und Suspense und inhaltlich ein gewagter Mix, der jedoch ein wenig Federn lässt, als er zunehmend zum Täter-Psychogramm wird und dabei psychologisch recht oberflächlich bleibt. Dafür besitzt das halboffene Ende das Potenzial, länger nachzuwirken und im Kopf der Rezipierenden fortgesetzt zu werden. Und die sich mehr schlecht als recht unter der Romantik des Täters verbergende, tiefsitzende Misogynie ist beängstigend. Da mutet es fast wie eine vertane Chance an, sie rein pathologisch zu begründen – und ein wenig fragwürdig oder arg optimistisch, sie in seinem späteren Verhalten Peggy gegenüber entschieden abzuschwächen (wenngleich dabei bereits Fragen nach Resozialisierung mitschwingen).
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Die Banditen von Mailand

„Diese Zeilen hat ein geistig hochstehender und kultivierter Mensch geschrieben...“

Nach seinem Western „Mögen Sie in Frieden ruhen“ inszenierte der italienische Regisseur Carlo Lizzani im Jahre 1968 den mit Tomas Milian („Der Gehetzte der Sierra Madre“), Gian Maria Volonté („Von Angesicht zu Angesicht“) und Ray Lovelock („Töte, Django“) erstklassig besetzten, frühen Poliziesco „Die Banditen von Mailand“, der als italienischer Beitrag zu den damaligen Berliner Filmfestspielen eingereicht wurde, mangels einer Heimkino-Auswertung hierzulande aber bisher leider weitestgehend unbekannt ist. Mein hier geschilderter Eindruck basiert auf der Wiederaufführung im Rahmen der „Deliria över Lübeck“-Kinoveranstaltung des Filmforums www.deliria-italiano.de in Zusammenarbeit mit dem kommunalen Kino „KoKi“.

„Warum versuchen wir nicht gleich, ob wir nicht mit ehrlicher Arbeit zu was kommen?“

Mailand ächzt unter einer Verbrechenswelle, angefangen bei illegalem Glücksspiel über Schutzgelderpressungen und Entführungen bis hin zu Banküberfällen, Mord und Totschlag. Der junge Kommissar Basevi (Thomas Milian) steht einem Journalisten für eine Reportage Rede und Antwort, während ein ehemaliger Gangster der alten Garde dem Reporter gegenüber Sittenverfall sowie zunehmende Brutalität seitens des ihn und seine Zunft beerbenden Nachwuchses beklagt. Tatsächlich treibt just zu diesem Zeitpunkt eine Bande ihr Unwesen, die bereits zahlreiche Banküberfälle begangen hat und nun, nach ihrem siebzehnten Coup, auf der Flucht vor der Polizei mehrere zivile, unbeteiligte Opfer gefordert hat. Bartolini (Enzo Sancrotti, „Das Syndikat“), der Fahrer der Bande, konnte gestellt und aufs Revier gebracht werden, was zugleich dessen Rettung vor einem aufgebrachten Lynchmob bedeutete, doch die anderen sind noch flüchtig. Basevi versucht, Bartolini zum Reden zu bringen…

Und Bartolini redet schließlich. Mit der ausgiebigen Rückblende, die dadurch eingeleitet wird, endet vorläufig der Reportfilm-Stil – und die Hauptrolle Milians. Abgelöst wird er von Gian Maria Volonté als Piero Cavallero, dem Kopf der Bande, die zunächst noch als Trio operiert, bald aber Zuwachs in Person des Azubis Tuccio (Ray Lovelock) erhält. Piero ist ein sehr von sich eingenommener Mensch – ein wenig zu sehr, wie sich herausstellen wird –, rücksichtslos und kaltschnäuzig zudem und sich per se über andere stellend. Dahinter verbirgt sich ein offenbar einst gekränktes, allzu eitles Ego, das um gesellschaftliche Anerkennung buhlt, und sei es für seine Verbrechen. Er versendet einen anonymen Brief mit einem Verhaltenskodex für Bankangestellte/-kunden und die Polizei bei Überfällen durch seine Bande, damit die Presse ihn abdruckt, und raubt mit seinen Komplizen drei Banken innerhalb von 20 Minuten aus. Um den Schein bürgerlicher Existenz zu wahren, mietet man sogar Büroflächen für eine Scheinfirma an und stellt eine ahnungslose Sekretärin (María Rosa Sclauzero, „In the Folds of the Flesh“) ein, die sogleich als Projektionsfläche für Pieros Machismo herhalten muss. In seiner Rolle als Firmenchef im feinen Zwirn gefällt er sich augenscheinlich sehr.

Doch keine Siegesserie und keine Glückssträhne halten ewig und Größenwahn ist ein schlechter Berater. Als etwas schiefgeht, überschlagen sich die Ereignisse, die mit Schießereien und irrwitzigen Verfolgungsjagden einhergehen und zur Szene vom Filmbeginn führen, die erst jetzt in vollem Umfang verständlich wird. Dort setzt Lizzani wieder an, zeigt sowohl die auf Bartolinis Aussagen basierende Ermittlungsarbeit als auch die schließlich letzten verbliebenen Gangster – Piero und Sandro (Don Backy, „Die Degenerierten“) – auf fortgesetzter, aber wenig glamouröser, reichlich unspektakulärer und immer aussichtsloser werdenden Flucht. Nach seinem bewusst hektisch und unübersichtlich inszenierten, das Chaos auf den Straßen skizzierenden Auftakt ist der Film immer ruhiger, dabei aber nicht weniger spannend geworden, was seinen Endpunkt in den sich zum Schlaf bettenden Gangstern findet. Überraschend reaktiviert Lizzani den Reportstil gegen Ende, zum einen sicherlich, um auf einfache Weise Zusammenhänge zu erklären, möglicherweise aber auch, um den Beginn ins Gedächtnis zurückzurufen: der teilweisen Inszenierung von Verbrechen für eine semidokumentarische Reportage, die natürlich ihr Publikum finden soll – möglicherweise eines, das sich fasziniert von der vermittelten Unterwelt zeigt, möglicherweise gar eines, das in den Antagonisten so etwas wie Medienstars sieht, die es sich zum zweifelhaften Vorbild nimmt. Lizzanis Film endet nämlich mit einem Piero, der sich, trotz Verhaftung, wahnsinnig lachend über den Medienrummel freut und sich in exakt dieser Rolle zu sehen scheint.

Mit seinem Beginn hatte mich „Die Banditen von Mailand“ regelrecht übertölpelt und im weiteren Verlauf mit seiner Erzählstruktur und seinen Tempowechseln herausgefordert. Doch je länger ich über den Film reflektiere, desto höher schätze ich ihn. Lizzanis Inszenierung erweist sich als dramaturgisch und inhaltlich klug, beispielsweise wenn spätere Opfer der Verbrecher zunächst ohne klar erkennbaren Bezug zum Filmgeschehen in die Handlung integriert werden. Milian agiert hier noch recht zurückhaltend – anders als in seinen späteren Rollen, dort gern auch auf der anderen Seite des Gesetzes – und spielt einen engagierten Kommissar, dessen einzige offensichtliche Extravaganz das Rauchen mit Zigarettenspitze ist und der von zahlreichen Kollegen umringt auf den verhörten Bartolini einwirkt, wie es heutzutage wohl als unlautere Druckausübung gewertet würde. Unabhängig davon ist die Polizei hier eindeutig in der Rolle der Rechtschaffenden, wenngleich den Gangstern mehr Profil zuteilwird und ihre sozialen Hintergründe aufgegriffen werden. Volonté ist seine Rolle auf den Leib geschneidert, seinem expressiven Spiel kann man sich auch hier nicht entziehen. Das Ende des Films greift später populärer gewordenen Topoi um medienaffine Gangster vor.

Eine Mischung aus semidokumentarischem Reportfilm, Heistfilm, Krimi, Action, Milieustudie und Medienkritik, gewürzt mit neorealistischen Einflüssen – das bedeutete der frühe Poliziesco unter Lizzani. Riz Ortolani komponierte eine passende musikalische Untermalung; und die offensichtlichste Kernaussage des Films, dass sich (zumindest diese Art von) Verbrechen nicht lohnt, wird in Form einer kühlen Berechnung getroffen. Überaus sehenswert!
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Tatort: Roulette mit 6 Kugeln

„Ich schaff’s nervlich nicht!“

Zwischen der Erstausstrahlung des zweiten Falls, den der Münchner Kriminalhauptkommissar Ludwig Lenz (Helmut Fischer) nach Veigls Pensionierung zu lösen hatte, und seinem dritten, dem „Tatort: Roulette mit 6 Kugeln“, vergingen satte 16 Monate: Dieser von Peter Hemmer geschriebene und von Lutz Büscher inszenierte Fall kam erst am 16. Oktober 1983 ins Fernsehen – und somit nachdem Fischer von einem breiten Publikum mittlerweile vorrangig mit seiner Rolle als Monaco Franze aus der gleichnamigen Serie assoziiert wurde, die im Frühjahr 1983 erstausgestrahlt worden war. Es wurde Büschers nach dem missglückten „Das Mädchen am Klavier“ zweiter und letzter Beitrag zur öffentlich-rechtlichen Krimireihe.

„Gibt es irgendetwas, das du mir verschweigst?“

In einem Vorort Münchens wurde der dreijährige Martin Steinemann entführt. Der Entführer verlangt 100.000 DM Lösegeld von Martins Eltern, das sich Vater Arthur (Manfred Zapatka, „Rivalen der Rennbahn“) von seinem Bruder Felix (Edwin Noël, „Die Buddenbrooks“) leiht. Obwohl der Entführer sich das Einschalten der Polizei strikt verbat, wendet sich Arthur an die Polizei – zum Entsetzen seiner hysterischen Frau Ruth (Ilona Grübel, „Die Schwarzwaldklinik“). Die Polizei plant, den Täter bei der Lösegeldübergabe dingfest machen zu können, doch diese traut Arthur sich nicht zu. Stattdessen übernimmt Sonderfahnder Seibold (Henner Dobrick) diese Aufgabe – und wird dabei prompt vom Täter erschossen. Hauptkommissar Lenz‘ Mordkommission, die ursprünglich nur wegen der Mobilisierung aller verfügbaren Einsatzkräfte hinzugezogen worden war, hat nun einen echten Mordfall aufzuklären. Immerhin ist der kleine Martin unversehrt, er wird schlafend in einem Münchner Wirtshaus gefunden. Warum schoss der Entführer? Irgendetwas scheint an diesem Fall faul zu sein und nicht alle sagen die Wahrheit…

„Mein Kollege ist tot.“

Der Entführer veranstaltet die reinste Schnitzeljagd mit der dem Kindsvater und der Polizei; umso überraschender und härter wirkt der tödliche Schuss. Ruth scheint anschließend überrascht, dass ihr Mann nach Hause zurückkehrt – und dieser wiederum hat möglicherweise etwas geahnt…? Die Dramaturgie arbeitet nun verstärkt mit Unausgesprochenem, was seinen Reiz hat, aber auch etwas Konzentration erfordert. Das dafür nötige nuancierte Schauspiel beherrschen Grübel und Zapatka gut. Die klassische polizeiliche Ermittlungsarbeit fördert anschließend zutage, dass es zwischen Arthur und Felix schon länger Streit ums Haus gibt. Lenz hängt sich an Felix‘ Fersen, findet heraus, dass ein „interessanter“ Vertrag übers Lösegeld abgeschlossen wurde, und stellt psychologische Überlegungen an.

„Man muss nur wissen, was man finden will – dann tut man sich leichter beim Suchen, hm?“

Wer dieser Entwicklung halbwegs aufmerksam folgt, riecht den Braten recht bald; ab einem gewissen Punkt geht es im Prinzip nur noch darum, wie die Polizei den oder die Täter überführt. Nachdem Uschi Koch (Gisela Freudenberg, „Berlin Chamissoplatz“), Ruths attraktive Freundin, unbewusst die letzten Puzzleteile offenbart, spielt dieser „Tatort“ seinem Publikum gegenüber auch konsequent mit offenen Karten. So etwas muss gut gemacht sein, darf nicht langweilen, wenn, wie hier, erst ungefähr die Hälfte der Laufzeit vorbei ist. Hierfür setzt das Drehbuch von nun an verstärkt auf Szenen einer Ehe und man lässt die Zuschauerinnen und Zuschauer an Arthurs zunehmendem Erkenntnisgewinn teilhaben.

„Das ist so ungeschickt, dass es schon fast wieder schlau ist…“

Und man hat noch ein Ass im Ärmel, das schließlich genüsslich ausgespielt wird: Dass sich Felix und Ruth Lenz gegenüber widersprechen, kommt einer interessanten Wendung gleich, durch die es noch einmal richtig spannend wird. Ruth erweist sich als beinahe klassische, Film-noir-inspirierte Femme fatale innerhalb eines Falls, dessen mörderischer Plan das falsche Opfer forderte und den Tätern aus einer gehobenen gesellschaftlichen Schicht damit letztlich auf die Füße fällt. Das ist alles ansprechend inszeniert und passabel erzählt, zudem sehr stimmig orchestral untermalt. Und wenn es doch mal etwas zu bieder zu werden droht, zaubert man eine interessante Nebenfigur aus dem Hut oder lässt „der ewige Stenz“ Helmut Fischer seinen subtilen Charme spielen. Seltsam nur: Den kleinen Martin sieht man einmal schlafend und dann nie wieder. Wurde das Kind etwa erneut entführt und keiner hat’s bemerkt, weil alle zu sehr mit sich selbst beschäftigt waren…?
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Straßen in Flammen

“A Rock & Roll Fable. Another time, another place…”

Nach seinem überaus erfolgreichen Buddy-Actionfilm „Nur 48 Stunden“ wagte sich US-Regisseur und Action-Experte Walter Hill an ein sehr spezielles Experiment, nämlich nichts weniger als eine Mischung aus Neo-noir-Großstadtwestern-Endzeit-Musical und bewusst artifizieller märchenhafter Romanze. Der im Jahre 1984 veröffentlichte Film floppte an den Kinokassen (was seine ursprünglich geplanten zwei Fortsetzungen verhinderte), erlangte im Laufe der Jahre aber Kultstatus.

„Wir müssen den Laden leider aufmischen.“

In einer nicht definierten Zeit in irgendeiner nicht benannten Stadt wird Rocksängerin Ellen Aim (Diane Lane, „Die Outsider“) während eines Konzerts in einem heruntergekommenen Viertel von Raven Shaddock (Willem Dafoe, „Leben und Sterben in L.A.“) und dessen „Bombers“-Gang von der Bühne weg entführt. Clubbesitzer Billy Fish (Rick Moranis, „Ghostbusters – Die Geisterjäger“), zugleich ihr Manager und Freund, kann nur tatenlos zusehen. Reva Cody (Deborah Van Valkenburgh, „Die Warriors“), die ebenfalls alles mit ansah, nimmt daraufhin Kontakt zu ihrem Bruder Tom Cody (Michael Paré, „Das Philadelphia Experiment“) auf, dessen große Liebe Ellen einst war. Gegen ein Honorar, das Fish ihm auszahlen soll, versucht er, mithilfe der ehemaligen Armeeangehörigen McCoy (Amy Madigan, „Der Tag danach“) Ellen aus den Klauen der „Bombers“ zu befreien…

„Du stehst nur unter Tierschutz, weil ich mich nicht an Kröten vergreife!“

Bereits der den Film eröffnende Liveauftritt ist geschnitten wie ein Videoclip und nimmt damit große Teile der Ästhetik vorweg. Der Überfall der „Bombers“ sorgt für die erste Action-Einlage; Tom wird im Zuge einer Kneipenschlägerei eingeführt, die den seltsamen Regeln des Action-Genres gehorcht: Ganz allein macht er sie alle platt. Eigentlich ist er nur da, um seine Schwester Linda zu besuchen; doch Ellens Entführung bietet ihm nicht nur die Chance auf 10.000 Dollar, sondern auch die Gelegenheit, seiner alten Flamme – die er nie wirklich zu lieben aufgehört hat – wieder näherzukommen. Seine Erinnerungen an Ellen werden in Graustufen visualisiert, ansonsten beherrscht überstilisierte Neo-noir-Ästhetik mit Endzeit-Ambiente und -Schmutz das Bild. Ständig regnet es in den düsteren, dreckigen Straßen, Neonreklamen spiegeln sich in den Pfützen. Dem gegenüber stehen die zeitlich eher in die 1950er zu verortende Kleidung, die Frisuren und die Autos sowie zumindest Teile der Musik, womit „Straßen in Flammen“ prima zum Neo-Rockabilly-Trend und der generell verbreiteten populärkulturellen Rückbesinnung auf die ‘50er in den 1980er passte.

„Lang lebe der Rock'n'Roll!“

Toms Rückholaktion zusammen mit der spröden McCoy und dem sich in der verruchten „Battery“, wo die „Bombers“ ihr Quartier bezogen haben, auskennenden Fish, geht mit dem Liveauftritt der Rockabilly-Band „The Blasters“ in einem Rockerclub mit Tabledancerin einher. Das relativ rasche Gelingen der Aktion macht deutlich, dass sie gar nicht das Herzstück des Films ist. Raven schwört Rache, woraufhin die Handlung erst noch auf das große Duell zusteuert, das mit Ellens Rettung ausgeblieben war. Der Weg dorthin ist gespickt mit weiteren videoclipartigen Musikeinlagen, zusätzlichen Nebenfiguren, die Toms Gruppe nach und nach verstärken, welche daher im gekaperten Tourbus der Band „The Sorrels“ unterwegs ist, und korrupten Bullen, die es plattzumachen gilt. Erst Im letzten Filmviertel entwickelt sich endlich die Lovestory zwischen Tom und Ellen, die sich zuvor lediglich als Bürde der Vergangenheit erahnen ließ bzw. von Andeutungen, verletzter Eitelkeit und falschem Stolz genährt wurde. Dies hindert Tom indes nicht daran, seine Geliebte „zu ihrem eigenen Besten“ k.o. zu schlagen…

Für das große Finale überlässt die Polizei den Kontrahenten das Feld, choreografische Schwächen werden durch schnelle Schnitte kaschiert. Im Anschluss treten die Sorrels live auf und erinnern dabei sehr an die Temptations. Als krönender Abschluss erklingt schließlich der zweite von zwei (im Film von Ellen gesungenen) Fire-Inc.-Songs, pompösen Jim-Steinman-Kompositionen, die die Soundtrack-Verkäufe kräftig angekurbelt haben dürften. Da hatte ich während dieses Filmgenusses zum ersten und letzten Mal Gänsehaut.

Und das ist ein bisschen wenig. „Straßen in Flammen“ ist zweifelsohne cool und kurzweilig, erreicht aber nie die tiefe Emotionalität und fatalistische Romantik, die die Steinman-Kompositionen verheißen. Das liegt zum einen daran, dass man Michael Paré die Rolle des abgeklärten, einsamen Antihelden, der lieber als Einzelgänger sein Dasein fristet, nicht so recht abnimmt. Zum anderen wurde die grundsätzlich eher triviale Geschichte derart offensichtlich mit einer dicken Schicht künstlichen Kitsches überzogen, dass „Straßen in Flammen“ seinen Musical-Ambitionen durchaus gerecht, ihm aber zugleich die Möglichkeit genommen wird, ehrliche, nicht nur behauptetes, stilisiertes Gefühl zu vermitteln. Er bleibt somit eher oberflächlich.

Dafür ist der Look des Films aber über jeden Zweifel erhaben. Seine Art des Schnitts war ebenso revolutionär wie die Verwendung eines neuen Filmmaterials, das die Nachtszenen ohne externe, also lediglich mit kulissenimmanenter Beleuchtung ermöglichte. Zudem sieht Diane Lane, die zuvor bereits in den Teenage-Angst-Filmen „Die Outsiders“ und „Rumble Fish“ mitgespielt hatte, als Ellen wirklich hinreißend aus und gehen gerade die schmissigen Pomprock-Songs sofort ins Ohr, um dort zu bleiben. Moranis macht auch in einer ernsteren Rolle als gewohnt eine gute Figur und startete im selben Jahr mit „Ghostbusters“ durch, Dafoe stand noch am Anfang seiner Karriere, empfahl sich aber bereits als veritabler Schurke, Madigan lässt in ihrer Rolle jeden gegen den Film gerichteten Sexismusvorwurf abprallen und Van Valkenburgh hatte bereits für „Die Warriors“ mit Hill zusammengearbeitet. Als filmisches Experiment ist „Straßen in Flammen“ geglückt und unterhaltsam ist er allemal!
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Tatort: Der Schläfer

„Hauptsache es kracht!“

Nachdem MAD-Oberstleutnant Delius (Horst Bollmann) mit dem „Tatort: Freund Gregor“ im Jahre 1979 seinen eigenen Zweig innerhalb der öffentlich-rechtlichen Krimireihe erhalten hatte, durfte er für seinen zweiten Fall „Der Schläfer“ erneut mit Krimi-Regisseur Jürgen Roland („Stahlnetz“, „Zinksärge für die Goldjungen“) zusammenarbeiten. Der von Jochen Wedegärtner geschriebene „Tatort“ wurde am 6. November 1983 erstausgestrahlt und vom Militärischen Abschirmdienst und der Bundesmarine gefördert.

„Dieses Projekt ist gestorben!“

Der bundesdeutsche Erfinder Dr. Spitzner (Klaus Löwitsch, „Mädchen mit Gewalt“) hat für die NATO eine „intelligente“ Mine entwickelt, die durch einen Sonarimpuls ferngelenkt deaktiviert werden kann, um effektiver Friendly Fire zu vermeiden. In Hamburg soll sie der NATO und dem Auftraggeber, Ministerialrat Hohleben (Gunnar Möller, „Hunde, wollt ihr ewig leben“) vom Verteidigungsministerium, vorgestellt werden. Doch auch die Gegenseite ist erpicht auf die neue Technologie: DDR-Agent Heinz Schäfer (Günther Ungeheuer, „Polizeirevier Davidswache“) soll die Konstruktionspläne beschaffen. Hierfür versucht er, einen vor 30 Jahren eingeschleusten „Schläfer“, Hohlebens Referenten Kutschner (Klaus Höhne, „Is’ was, Kanzler?“), zu aktivieren. Doch dieser will nicht und versucht, sich Schäfer und dem DDR-Geheimdienst zu entziehen. Ausgerechnet beim letzten Test detoniert die Mine außerplanmäßig. Was ist die Ursache, wer ist dafür verantwortlich? Delius nimmt die Ermittlungen auf – und muss sich vor Schäfer in Acht nehmen…

„Na, wie seh‘ ich aus?“ – „Zum Kotzen!“

Neben St. Pauli und der Reeperbahn schien Filmemacher Jürgen Roland das Thema Spionage im Kalten Krieg zu interessieren und zu faszinieren, handelt es sich doch bereits um seinen dritten „Tatort“, der dieses Sujet aufgreift. Nach einem die Handlung anstoßenden Prolog auf See mit ungewöhnlich fetziger Musik darf man erst einmal schmunzeln, denn MAD-Oberleutnant Tümmler (Pierre Franckh) liest in seinem Büro die Satire-Zeitschrift „Mad“ und hört Nenas Antikriegslied „99 Luftballons“. Gestaltet sich die anschließende Minenpräsentation noch recht interessant, geht es im weiteren Verlauf mit einer etwas zu hohen Figurenanzahl eher kompliziert erzählt und sehr dialoglastig zu. Die Handlung gewinnt wieder an Spannung, je aktiver Schäfer wird und in das Projekt Involvierte zu manipulieren versucht.

„Ich mag keine Krimis!“

Dabei wird er jedoch arg eindimensional als fiese Möpp gezeichnet (von Ungeheuer indes entsprechend gut gespielt), der relativ plump vorgeht und – natürlich – in der ach so überlegenen BRD mit ihren integren Beamten viele Rückschläge einstecken muss. Ob Bestechungsversuche mit Briefmarken oder amouröse Versuchungen mit einer kaltschnäuzigen Agentin – erst der Zufall muss ins Spiel kommen, damit Kutschner gefügig wird und der Fall wirklich an Fahrt aufnimmt. Hier überzeugt er, wenn er Kutschners innerer Zerrissenheit Ausdruck verleiht, vor allem aber mit einem aufregenden Finale im Hamburger Hauptbahnhof. Über die gesamte Laufzeit kommt „Der Schläfer“ ohne Mord und Totschlag aus, was er jedoch erst gegen Ende dramaturgisch wirklich zu kompensieren versteht. Einen richtigen Zugang habe ich im Post-Kalter-Krieg-Jahre 2023 nicht gefunden, was auch damit zusammenhängen dürfte, dass es mir reichlich egal ist, ob der „Ostblock“ über dieselbe Militärtechnologie wie die NATO verfügt oder nicht. Wahrscheinlich war es damals sogar besser, dass er es tat. Insofern erweckt dieser „Tatort“ den Anschein von viel Lärm um nichts.

„Frauen pflegen bei ihren Liebhabern immer etwas liegenzulassen.“

Bemerkenswert ist, dass mit Klaus Höhne der erste „Tatort“-Kommissar des HR hier in die Rolle des bedauernswerten Kutschner schlüpfte – und dass man im Jahre 1983 bei einer Kollaboration mit MAD und Marine offenbar davor zurückschreckte, sie über alle Maßen propagandistisch auszuschlachten. Halb als Zeitdokument und halb als Unterhaltungsfilm betrachtet, lässt sich „Der Schläfer“ damit heutzutage schon noch passabel gucken, ohne zwangsläufig selbst zu einem zu werden – sofern man manch zähen Mittelteil übersteht.
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Einer gegen Rom

Italo-Regisseur Luciano Ricci („Castle of the Living Dead“) drehte in seiner Karriere nicht viele Filme. Doch einer von ihnen, „Einer gegen Rom“ alias „Kampf der Gladiatoren“ aus dem Jahre 1962, wurde zwar nicht zu meiner ersten Konfrontation mit dem Sandalenfilm bzw. Peplum-Genre, jedoch zum ersten bewusst und vollständig gesehenen Film aus diesem Bereich.

Das 1. Jahrhundert n. Chr. neigt sich seinem Ende entgegen, das Römische Reich setzt nach wie vor auf Expansion. Konsul Lucius Svetonius erobert mit seinem Regiment die Stadt Alesia und fordert die Lieferung von Nahrungsmitteln, sichert den Bewohnerinnen und Bewohnern dafür jedoch weitestgehende Freiheit zu. Seinen Tribun Silla (Philippe Leroy, „Das Loch“) installiert er als seinen Statthalter vor Ort, der nach Svetonius‘ Abreise jedoch eine schreckliche und mörderische Gewaltherrschaft etabliert. Er okkupiert das Haus des Stadtältesten Sauron, inhaftiert dessen Kinder und zwingt schließlich Saurons attraktive Tochter Fabiola (Rossana Podestà, „Das Schloss des Grauens“), seine Frau zu werden. Deren Verlobter Brenno (Lang Jeffries, „Perry Rhodan – SOS aus dem Weltall“) probt den Aufstand, was er beinahe mit seinem Leben bezahlt. Doch dessen Freund Goruk (Gabriele Tinti, „Sodom und Gomorrha“) organisiert den Widerstand gegen Silla und seine Schergen…

Riccis Film ist keiner jener Fantasy-Peplums, die Topoi klassischer Mythologien aufgreifen und adaptieren bzw. variieren, sondern ein weltlicherer Vertreter seines Genres, der tendenziell dem Realismus verhaftet ist. Dementsprechend erwartete ich monumentales Pathos und Versuche, Ben Hur‘sches Bombast-Kino zu kopieren. Umso positiver war ich überrascht, dass sich „Einer gegen Rom“ als überwiegend kurzweiliger Unterhaltungsfilm entpuppte, der für mich die meiste Zeit funktionierte. Das einfach gehaltene Gut/Böse-Schema wird etwas fragwürdig durch Konsul Svetonius als ambivalente Figur aufgebrochen, die so etwas wie ein gerechter Eroberer und Okkupant light sein soll und im Laufe der Handlung zum Hoffnungs- und Beinahe-Sympathieträger avanciert. Silla hingegen verkörpert sehr eindeutig sadistischen und narzisstischen Machtmissbrauch und wird zum hassenswerten Antagonisten.

Die Gegenseite muss viel erleiden; um so befreiender wirken die Momente ihrer Gegenwehr, zumeist in Form passabler Kampfszenen oder auch intelligent gestellter Fallen. Das treibt den Adrenalinspiegel nach bewährter Genre-Rezeptur ebenso in die Höhe wie das ausgedehnte Gekrauche unserer Helden durch unterirdische Höhlengänge die Spannungsschaube andreht und für klaustrophobische Momente sorgt. Die obligatorischen Gladiatorenkämpfe in der Arena, deren letzter zum Showdown gerät, sind ähnlich unterhaltsam wie ein gut choreographiertes Wrestling-Match und kitzeln die Überlebensinstinkte heraus, um letztlich kathartisch zu belohnen. Dann doch ziemlich dick trägt „Einer gegen Rom“ mit seinen melodramatischen Liebesszenen zwischen Fabiola und Brenno auf, die mitverantwortlich für die eine oder andere Länge sind. Eher albern wirkt dann auch das Auftauchen eines Jesus-Jüngers, der dem Film einen christlichen Touch verleiht.

Brenno, nomineller Held des Films, wird vom Kanadier Lang Jeffries gespielt, der dankenswerterweise kein Anabolika-Bodybuilder ist, was die ganze Angelegenheit ein wenig realistischer und angenehmer gestaltet. Dass er aufgrund seiner Gefangenschaft außer in den Gladiatorenkämpfen kaum handlungsfähig ist, mag irritieren, verschafft Gabriele Tinti als Goruk aber reichlich Spielzeit. Dass am Ende das Zusammenspiel beider durch Kerkermauern hindurch zum Sieg verhilft, vereint taktische Intelligenz mit sportlichem Geschick und Muskelkraft. Von lediglich einem einzelnen Rebellen gegen ganz Rom, wie auch der Originaltitel „Solo contro Roma“ verheißt, kann keine Rede sein, aber sei’s drum. Sicher, manches wirkt hier auch etwas ungelenk, aber die Schwächen haben mich nicht aus der Handlung katapultiert. Als eine Art „Nachmittagsfilm“ scheint mir „Einer gegen Rom“ seinen Zweck zu erfüllen, sodass ich 6,5 von 10 römischen Imperatoren in die Arena werfe!
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

Dann gab's bei DELIRIA ÖVER LÜBECK ja noch zwei Filme, die ich bereits kannte.

Zu Lenzis Großunfall der Zombies notierte ich einst:
Oh je, Umberto Lenzis Beitrag zur italienischen Zombiewelle aus dem Jahre 1980, der eigentlich gar keiner ist – schließlich handelt es sich hier um radioaktiv verseuchte Menschen mit matschverkursteten Gesichtern, die nun superaggressiv durch die Gegend flitzen, mit Waffen hantieren, sogar Auto fahren, aber auch gerne mal an „normalen“ Menschen rumknabbern. Viel mehr Story bekommt man in diesem Splatter-Action-Reißer auch nicht geboten, dafür aber ein ziemliches Trash-Programm mit vollkommen selbstzweckhaftem Gesplatter, grenzwertigem Verhalten der Protagonisten, Dünnpfiff-Gesabbel, unglaubwürdiger Pseudo-Öko-Message und Hugo Stiglitz’ stoische Miene. Ok, die Kameraarbeit ist wirklich gut, aber wenn im nächsten Moment durch einen Kopfschuss der komplette Skalp wegfliegt, als wäre es eine Perücke, hat man die wieder schnell vergessen und lacht sich eher ins Fäustchen. Dass Lenzi gekonnt hätte, wenn er gewollt hätte, beweisen eine handvoll unheimlicher Szenen, in denen auch die entsprechende Atmosphäre eingefangen wurde. Auch diese helfen Lenzis Großangriff auf den guten Geschmack aber nicht über den Trash-Status hinweg.
Und zu Martinos Skorpionenschwanz:
Italo-Regisseur Sergio Martinos zweiter Giallo „Der Schwanz des Skorpions“ aus dem Jahre 1971 erreicht zwar noch nicht die Klasse des nur kurze Zeit später veröffentlichten Meisterstücks „Der Killer von Wien“, ist aber zweifelsohne ein gelungener Genrebeitrag. Die abwechslungsreichen Drehorte (London, Griechenland) lassen fast so etwas wie Urlaubsstimmung aufkommen. Emilio Foriscot darf sich an der Kamera so richtig austoben und unterhält mit seinen außergewöhnlichen bis experimentellen Einstellungen und sonstigen Spielereien bisweilen mehr als die eigentliche Handlung. Der Höhepunkt ist für mich der hervorragend gefilmte Sturz vom Dach, bei dem man wahrhaftig das Gefühl bekommt, selbst mit hinunter zu purzeln. Auch einige Unterwasserszenen bekommt man geboten, die zum Fernweh beitragen. Die Geschichte ist sehr wendungsreich und überschlägt sich gleich mehrmals komplett; die Dramaturgie wird immer wieder unterbrochen für das Techtelmechtel zwischen Peter Lynch (Schönling George Hilton) und Cléo Dupont („Barbie-Puppe oder Frau, man weiß es nicht genau“ Anita Strindberg), wobei echte Erotik aber kaum aufkommt, wenn Frl. Strindberg ihre Plastikhupen in die Kamera hält. Komisch wird’s, wenn sich die beiden wegen Cléos Kochkünsten ausschließlich von Luft und Liebe ernähren müssen, man die scheußlich geschmacklose Brillenmode der Saison zur Schau trägt oder Nachbarn lieber aufs Dach klettern und durchs Fenster starren, statt Haustür und Klingel zu benutzen, um auf ein falsch geparktes (und wie falschgeparktes!) Automobil hinzuweisen. Doch natürlich geht es auch zünftig gewaltsam zur Sache, wohldosiert und in mindestens einer Szene (als jemand zu tief in die Flasche schaut…) auch verdammt schockierend, da übermäßig brutal. Untermalt wird das alles von einem hörenswerten, abwechslungsreichen Soundtrack von Bruno Nicolai.

Das Miträtseln um den Täter macht hier zwar Laune, dürfte aber nicht ganz ungialliesk wenig von Erfolg gekrönt sein, zu viele doch etwas arg konstruierte Finten hält das Drehbuch parat. Das Motiv ist diesmal übrigens nicht psycho(un)logischer Natur, in erster Linie geht es um die beträchtliche Summe von einer Million Dollar und was Menschen dafür zu tun bereit sind. Zumindest in Sergio Martinos Giallo-Welt, in die einzutauchen sich auch mit „Der Schwanz des Skorpions“ lohnt – ich kann mir zumindest nur schwer vorstellen, dass ein italophiler Zuschauer mit diesem Film nichts sollte anfangen können.
Wesentlich stärker ist mir bei letzterem diesmal der Hitchcock'sche Hauptdarstellerin-nee,-doch-nicht-Effekt aufgefallen sowie der totale J&B-Product-Placement-Overkill :mrgreen:
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

Tatort: Murot und das Paradies

„Was würde Sie glücklich machen?“

Auch Fall Nummer 12 des Wiesbadener LKA-Kriminalhauptkommissars Felix Murot (Ulrich Tukur) bedeutet ein Regiedebüt für einen der öffentlich-rechtlichen Krimireihe bisher fremden Regisseur: Florian Gallenberger („Es ist nur eine Phase, Hase“) inszenierte den am 27. August 2023 auf dem Ludwigshafener Festival des deutschen Films erstaufgeführten Mix aus Kriminalfilm und philosophischem Science-Fiction-Drama und verfasste auch das Drehbuch. Die TV-Erstausstrahlung folgte am 22. Oktober 2023. Mit seinem Vorgänger gemeint hat „Murot und das Paradies“ neben der Festivalpremiere auch die Nominierung für den Ludwigshafener Publikumspreis Rheingold.

„Wer nicht liefert, kriegt auch keinen Termin.“

Hauptkommissar Murot befindet sich gerade in therapeutischer Behandlung wegen einer Depression, als nacheinander zwei Investment-Banker tot aufgefunden werden. Beiden ist gemein, dass ihnen der Bauchnabel entfernt und durch eine Schnittstelle ersetzt wurde, über die eine künstliche Ernährung möglich wäre. Die Spur führt zu zwei Frauen aus der Partyszene, Eva Lisinska (Brigitte Hobmeier, „Identity Kills“) und Ruby Kortus (Iona Bugarin, „Ruxx“), die gezielt Bänker für ihr Programm werben, das ihnen mittels einer besonderen Technologie ultimative Glückserlebnisse verspricht: Während sie in Badewannen liegen und durch eine künstliche Nabelschnur am Leben erhalten werden, beschert ihnen eine Art EEG den direkten Zugang zum Unterbewusstsein und lässt sie ihre größten und intimsten Wünsche durchleben. Das macht, Heroin und Konsorten nicht unähnlich, schnell süchtig. Als Gegenleistung müssen sie Schrottaktien pushen, auf die die Frauen setzen. Die Einnahmen spenden sie guten Zwecken und entledigen sich nach getaner Arbeit der Bänker…

„Wie soll man bitte glücklich sein in einer Welt, die sich vor allem durch ihre Beschissenheit auszeichnet?“

Das Glück bzw. die Suche danach zieht sich als roter Faden durch diesen Fall und wirft philosophische Fragen auf, die existenzialistisch verhandelt werden – wenn nicht gerade „Herr Rossi sucht das Glück“ zitiert wird. Die eigentliche Handlung wird immer wieder von Murots Sitzungen bei seinem Psychoanalytiker unterbrochen, bei dem er seinen Weltschmerz ablädt. Dennoch kommt der Humor nicht zu kurz, denn zumindest Teile des Falls erlauben sich Anleihen bei der Groteske. Eva Mattes‘ („Lena Lorenz“) Auftritt als Pathologin gerät gar zu einer Parodie auf TV-Pathologen. Die Figur Ruby Kortus hingegen wurde etwas übertrieben auf sexy und verführerisch getrimmt, ihr Gogo-Tanz in einer Diskothek gar zu etwas Besonderem stilisiert, wo nun gar nicht so furchtbar viel Besonderes zu sehen ist.

„Das Paradies ist kein Ort, es ist ein Zustand.“

In Kombination mit ein paar Vulvawitzchen wirken diese Momente ein wenig ältlich und weltfremd. Glücklicherweise sind sie lediglich den eigentlichen Höhepunkten dieses „Tatorts“ vorgeschaltet, denn erwartungsgemäß gerät auch Murot in die Fänge der beiden Glücksfeen. Damit einher gehen Audiovisualisierungen seiner seinem Unterbewusstsein entnommenen Träume, die ihn in einer „2001: Odyssee im Weltraum“-Reminiszenz in All schicken (inklusive Strauß’schem Walzer) sowie mit Gott telefonieren und Hitler erschießen lassen. In der realen Welt sorgen diverse Überwachungskameraperspektiven für visuelle Abwechslung und geht die Glückssuche mit einiger Kapitalismuskritik einher. Murot wird zum Komplizen und muss gegen seinen Willen gerettet werden. Oder was genau ist eigentlich sein Wille?

Darüber lässt sich auch über den netten fernöstlichen Epilog hinaus sinnieren, oder aber man lässt „Murot und das Paradies“ einfach als – doch ziemlich unterhaltsames – Statement zum Zustand der Welt bzw. westlicher Zivilisationen stehen. Auch das ist schließlich eine Form von Glück.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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