bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Euer Filmtagebuch, Kommentare zu Filmen, Reviews

Moderator: jogiwan

Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 38701
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

Bild
Auge um Auge

„Ist das eine Hitze in diesem Scheißladen...“

Fernando Di Leo, einer der versiertesten italienischen Gangster-/Mafiafilm-Regisseure, hat mit seiner Trilogie aus „Milano Kaliber 9“, „Der Mafiaboss“ und „Der Teufel führt Regie“ in den 1970ern Großes geschaffen. Aber auch Nachzügler wie der 1975 veröffentlichte „Auge um Auge“ sind einen Blick wert.

„Ein Arbeiterkind – was macht das schon!“

Kidnapper entführen den Sohn (Francesco Impeciati, „Hotel Fear“) des vermögenden Bauunternehmers Filippini (James Mason, „Lolita“) – und den kleinen Fabrizio (Marco Liofredi, „Das nimmersatte Weib“), Filius des in einfachen Arbeiterverhältnissen lebenden Motorradmechanikers Mario Colella (Luc Merenda, „Torso“), kurzerhand mit, als dieser den Coup stört. Da Filippini sich weigert, das Lösegeld in voller Höhe zu zahlen und es nach unten zu verhandeln versucht, wird Fabrizio von den Gangstern kaltblütig erschossen. Da die Polizei unfähig ist, nimmt Colella nun das Gesetz in die eigene Hand und startet einen Rachefeldzug gegen die Gangster und ihre Hintermänner…

„Wenn Scheiße was wert wäre, würden die Armen ohne Hintern auf die Welt kommen!“

Der Prolog umreißt die Beziehung zwischen des zu allem Überfluss auch noch verschuldeten und frisch verwitweten Colella und seinem Sohn. Dann, am helllichten Tage und auf offener Straße, die Entführung, in die Fabrizio hineingezogen wird. Überlieferungen zufolge waren derartige Entführungen seinerzeit ein tatsächliches, handfestes, akutes Problem in einem unter den Verbrechen ächzenden Italien, Di Leo und das Autorenteam orientieren sich also zunächst einmal an der Realität. Commissario Magrini (Vittorio Caprioli, „Die Bumsköpfe“) feiert gerade seinen Urlaubsantritt, als ihn der Staatsanwalt anruft und von diesem Fall unterrichtet – entsprechend wenig motiviert ist der Kommissar.

„Ich bin gekommen, um zu töten.“

Mutter Filippini (Valentina Cortese, „Mordanklage gegen einen Studenten“) ist völlig aufgelöst, wie Mütter eben so sind, Vater und Unternehmer Filippini hingegen reagiert nicht nur gefasst, sondern regelrecht gefühlskalt – eben mehr seiner Besitzstandswahrung in Bezug auf den Mammon als seiner Familie verpflichtet, und Colellas Sohn schon gar nicht. Mit Colella ist man sich über Lösegeldzahlung natürlich uneins, entsprechend temperamentvolle Diskussionen sind die Folge. In Dialogform lässt man zudem den Kommissar die Mechanismen dieser Art von Verbrechen erläutern, als hätte man seinem Publikum gegenüber einen Bildungsauftrag zu erfüllen. Colellas Erinnerungen werden visualisiert, die Kinder in ihrem Gefängnis gezeigt und die Entführer einem in ihrem Quartier nähergebracht. So könnte der Film als Drama, in dem entweder Filippini, die Entführer oder gleich beide Seiten sich irgendwann ein Herz fassen und alles wieder gut wird, weitergehen, nicht jedoch unter Di Leo: Auf Filippinis Gepokere hin erschießen die Geiselnehmer Fabrizio. Wer vor dem Filmgenuss keine Inhaltsangabe gelesen hat, dürfte darob zurecht schockiert sein. Und der Film entwickelt sich nun, in seiner zweiten Hälfte, zum eindimensionalen Einer-gegen-alle-Actionreißer.

Colella beobachtet die Bande und schleust sich ein, verhandelt zum Schein, begibt sich auf einen erbarmungslosen Rachefeldzug, verprügelt zwischendurch auch eine Frau und mäht bis zum Showdown mit dem Killer seines Sohns alle um. Parallel dazu stellt sich heraus, dass auch Filippini Dreck am Stecken hatte, und rückt Di Leo immer wieder schlaglichtartig die Unfähigkeit der Polente inklusive einiger markiger Sprüche des Kommissars in den Fokus. Di Leo zieht hier sämtliche Register eines Rache-Thrillers, inszeniert ein paar schöne Verfolgungsjagden, rückt wann immer möglich den J&B-Whisky ins Bild und weiß mit guter Kameraarbeit ebenso zu gefallen wie mit einer Variation der „Milano Kaliber 9“-Titelmelodie. Zudem ist Luc Merenda im Italo-Genre-Kino eine schauspielerische Bank, auf die man sich verlassen kann.

Dafür ist „Auge um Auge“ aber unheimlich plakativ. Es fehlt eigentlich nur noch, dass Colella behindert ist und für die noch Ärmeren Geld sammelt, während sein Sohn das einzige war, was seine Großmutter noch am Leben hielt, und Filippini hobbymäßig Katzenbabys ertränkt. Oder so ähnlich. Aber eben dieser plakative sozialkritische Unterbau, der den einfachen Arbeiter dem gefühlskalten Kapitalisten gegenüberstellt, wird in der zweiten Hälfte weitestgehend dem persönlichen Rachefeldzug und den damit verbundenen Zugeständnissen ans Actionkino geopfert. Dadurch wirkt dieser recht unterhaltsame Film in mancherlei Hinsicht agitatorischer, als es ihm gut zu Gesicht stehen würde, dabei inkohärent und letztlich etwas zu simpel gestrickt.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 38701
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

Tatort: Maria im Elend

„Schalten Sie ein!“

Ende der 1970er neigte sich langsam, aber sicher auch der „Tatort“-Ast um den Münchner Kriminalhauptkommissar Melchior Veigl (Gustl Bayrhammer) seinem Ende entgegen. Der Titel seines 13. und somit vorvorletzten Falls bezieht sich auf eine gotische Madonnenfigur und wurde von Willy Purucker geschrieben, dessen Drehbuch Regisseur Wolf Dietrich, der zuvor bereits zwei Veigl-Episoden abgedreht hatte, inszenierte. Die Erstausstrahlung erfolgte am 16. Dezember 1979.

„Sie wissen doch, wie langsam die Polizei arbeitet…“

In der Nähe Münchens stiehlt die Aktionsgruppe zur Säkularisierung von Kirchenbesitz die titelgebende Madonnenfigur und verlangt 300.000 DM, damit sie sie wieder herausrückt – seltsamerweise nicht von der Kirche oder vom Staat, sondern von einer Boulevardpostille. Nach redaktionsinterner Debatte lässt man sich darauf hin, beauftragt aber Fotograf Lansky (Uwe Falkenbach, „Die rote Zora und ihre Bande“), Bilder von der Übergabe zu schießen. Das funktioniert alles reibungslos und „Maria im Elend“ wird zu „Maria im Bahnhofsschließfach“, doch plötzlich verschwindet Lansky. In seiner Tiefgarage befindet sich ein Blutfleck, der auf ein Gewaltverbrechen hindeutet. Kommissar Veigl übernimmt die Ermittlungen. Tatsächlich wird Lansky kurz darauf tot aufgefunden. Wer ist sein Mörder und was ist sein Motiv? Veigl & Co. versuchen, der „Aktionsgruppe“ auf die Spur zu kommen…

„Das kann der ganz große Knüller werden!“

Alles beginnt mit dem Einbruchdiebstahl in der Kirche, durchgeführt von einer Ganovenbande, die mit ihrem hochtrabenden Namen einen politisch motivierten Hintergrund lediglich vortäuscht – es geht ihnen schlicht um den schnöden Mammon. Da es noch keine(n) Tote(n) gibt, ermittelt zunächst Kommissar Breitner (Elert Bode, „Gefundenes Fressen“) vom LKA, bis Veigl nach Lanskys Verschwinden auf den Plan tritt. Die Zuschauerinnen und Zuschauer kennen die Kirchendiebe und erfahren auch recht früh, dass Lansky mit ihnen unter einer Decke steckt. Spannung versucht dieser „Tatort“ aus der Frage nach dem Mörder und dem Grund für Lanskys Tod zu generieren. Diese wird jedoch von einer nicht sonderlich aufregenden Inszenierung konterkariert, deren Mangel an Schauwerten man reichlich plump dadurch auszugleichen versucht, dass im Zuge der polizeilichen Ermittlungen von Lansky angefertigte Erotikfotos herumgezeigt werden.

„Die Gentlemen bitten zur Kasse!“

Leider ist die Sprachbarriere auch in dieser Münchner „Tatort“-Episode wieder recht dominant und erweist sich außerhalb des Freistaats als störend, weil wahrlich nicht jedem Dialog gefolgt werden kann. Die Auflösung ist dafür recht stimmig und gegen Ende fallen sogar ein paar Schüsse und wird die Spannungsschraube endlich einmal angezogen. Der Epilog zeigt einen nachdenklichen Veigl, als sinniere Bayrhammer in diesem Moment darüber, ob man nicht auch aus diesem Fall viel mehr hätte herausholen können – z.B. kritisch die Rolle der Sensationspresse in Bezug auf spektakuläre Straftaten herauszuarbeiten, die „Säkularisierung von Kirchenbesitz“ zu diskutieren oder wenigstens mehr für die Dramaturgie zu tun. So bleibt unterm Strich durchschnittliche, oberflächliche Krimikost für ein katholisches süddeutsches Publikum, das sich darüber freuen darf, dass „Maria im Elend“ wohlauf ist. Zefix!
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 38701
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

Bild
Taxi Driver

Der amerikanische Alptraum im New Hollywood

„Ich kann nachts nicht schlafen.“

Mit Harvey Keitel und Robert De Niro hatte der US-amerikanische Ausnahmeregisseur Martin Scorsese bereits für seinen dritten abendfüllenden Spielfilm „Hexenkessel“ erfolgreich zusammengearbeitet, sein endgültiger Durchbruch gelang ihm jedoch mit seinem fünften Spielfilm „Taxi Driver“ aus dem Jahre 1976, für den er ein in Teilen autobiografisch geprägtes Drehbuch Paul Schraders verfilmte.

„Wenn es dunkel wird, taucht das Gesindel auf...“

Vietnamveteran Travis Bickle (Robert De Niro) leidet nach seiner Rückkehr in den Großstadtmoloch New York unter Schlafstörungen und psychischen Problemen. Er verdingt sich als vornehmlich nachts arbeitender Taxifahrer und empfindet die Gesellschaft um ihn herum zunehmend als verachtenswerten Dreck. Als er mit der jungen, politisch engagierten Betsy (Cybill Shepherd, „Die letzte Vorstellung“) anbändelt, macht er sich Hoffnungen, die bald jäh zerplatzen. Da lernt er eine minderjährige Prostituierte (Jodie Foster, „Alice lebt hier nicht mehr“) kennen, die er aus den Klauen ihres Zuhälters (Harvey Keitel) zu befreien gedenkt – notfalls mit Waffengewalt…

„Man ist immer so gesund wie man sich fühlt...“

Es beginnt mit einer Großaufnahme von Travis‘ Augenpartie, als befände er sich in einem Italo-Western, und einem sehr unfreundlichen Vorstellungsgespräch. Die Western-Reminiszenz gibt bereits einen Hinweis auf den blutigen Showdown, in Kombination mit dem Gespräch auch auf den Nihilismus, den Travis empfindet. Aus seinen Tagebucheinträgen zitiert Travis per Voice-over; ein Kunstgriff, der nötig wurde, um den einsamen, isolierten Travis und seine Perspektive auf sein Umfeld näher kennenlernen zu können. Er bewegt sich in einem schmutzigen New-York-Diorama und wird abhängig von Psychopharmaka. Auf eine gewichtige Schlüsselszene arbeitet seine Bekanntschaft mit Betsy hin. Er verguckt sich in die Helferin aus dem oppositionellen Wahlkampfteam, geht mir ihr Kaffeetrinken und fällt ganz schön mit der Tür ins Haus. Der Film charakterisiert Travis hierbei zunächst vorsichtig als eine Art jenen Typs Mann, der für seine Frau töten würde, ihr aber als „zu nett“ gilt. Dass er definitiv einen größeren Hau weg hat, zeigt sich, als er mit ihr ins Kino geht – ins Pornokino, wohlgemerkt… Dieser Moment ist naturgemäß nicht 100%ig frei von Komik, wurde aber ohne jeden Anflug von Humor inszeniert und hat etwas Beunruhigendes – zeigt es doch, dass er sich und seine Umwelt zumindest in Teilbereichen ganz grundsätzlich anders wahrnimmt als andere. Dass Betsy ihn daraufhin nicht wiedersehen will, überrascht wenig.

„Du denkst zu viel, das ist ungesund!“

Betsys Kontaktabbruch macht etwas mit Travis. Er besorgt sich Waffen, trainiert, setzt sein Medikament ab, übt mit der Waffe vorm Spiegel und macht sich eine ordentliche Frisur: jenen charakteristischen Irokesenschnitt. Sein erstes Todesopfer in seinem kurzsichtigen Wahn, auf den Straßen „aufräumen“ zu müssen, ist ein bewaffneter Räuber. Es erwischt also keinen Sympathieträger, sondern jemanden, der selbst andere mit dem Tode bedroht. Doch sieht Travis nur diesen bewaffneten Dieb, nicht aber das große Ganze, nicht die sozialen Umstände, die gesellschaftlichen Ursachen und die Rolle der Politik dabei – und er fragt auch gar nicht erst danach, sondern hält sich für einen Secret-Service-Mann.

„Ich bin Gottes einsamster Mann.“

Die 13-jährige Jodie Foster bekommt dann ihren berüchtigten Auftritt als Kind-Prostituierte Iris, die gegenüber Travis den Schein zu wahren versucht, sie täte das alles gern und freiwillig – was natürlich Quatsch ist. Und dann ist da noch Präsidentschaftskandidat Palantine („Ein wahrer Held“), auf den Travis ein Attentat plant. Auf eine blutige, ultrabrutale Schießerei im Finale folgen betont langsame Kamerafahrten über die Toten und ein Epilog, in dem Travis für Iris‘ Eltern zum Held geworden ist – und sogar ein Wiedersehen mit Betsy. Travis' Heldenverklärung dürfte sich auch für unbedarftere Zuschauerinnen und Zuschauer seltsam anfühlen, denn Travis ist sicherlich vieles, aber kein Held, im Gegenteil: Er ist ein Antiheld Film-noir’scher Prägung in diesem Neo-noir-Film, eine menschliche Zeitbombe, die hochgegangen ist. Jemand, der Selbstjustiz übt und es zwar nicht grundsätzlich auf die Falschen abgesehen hat, dessen Gewalteruptionen aber weniger einem sozialen Gewissen als vielmehr einer abgestumpften, kaputten Psyche entspringen. Travis Verhalten ist das Produkt sozialer Entfremdung.

„Ab heute beginnt die totale Mobilmachung!“

Doch der Film arbeitet Travis‘ Trauma nicht auf – so wenig, wie er dazu in der Lage ist, so sehr verweigert sich dem auch der Film. Scorsese erklärt nichts, sondern konzentriert sich auf eine spannende und wenig vorhersehbare Inszenierung. Deshalb ist „Taxi Driver“ einerseits gewissermaßen ein Psychogramm, andererseits aber auch nicht. In jedem Falle ist er einer der besten, weil differenziertesten und ambivalentesten Selbstjustizstreifen, der in erster Linie ein persönliches Drama ist. Mehr noch: „Taxi Driver“ ist einer der definitiven New-York-Filme. Und eine Warnung. Vor Menschen wie Travis Bickle. Vor den Umständen, die solche Menschen erst hervorbringen. Und nicht zuletzt an amoralische Verbrecher und die Politik.

Travis Bickle wurde seiner derangierten Psyche und seines fragwürdigen Frauenbilds zum Trotz zu einer Art Outlaw-Ikone und als allgegenwärtige Warnung (weniger als tatsächlich vollumfängliche Identifikationsfigur) in subkulturellen Kreisen gern vor sich hergetragen, was letztlich auch mit De Niros intensiver schauspielerischer Leistung zusammenhängen dürfte. Travis erwies sich dabei als zeitlose Figur, deren gesellschaftspolitischer Hintergrund – hier Vietnam und Watergate – sich wandelt, aber doch immer wieder aufs Neue Gefahr läuft, Typen wie ihn zu produzieren. Kaum verwunderlich, dass „Taxi Driver“ seinerzeit polarisierte und hitzig diskutiert wurde.

Aber er bedeutete auch den Durchbruch für Jodie Foster, Robert De Niro und Martin Scorsese und sahnte zurecht zahlreiche Preise ab. Komponist Bernard Herrmann veredelte den Film kurz vor seinem Tod mit einer film-noiresken Lounge-Musik voller warmer Saxophonklänge, es sollte seine letzte Arbeit werden. Interessanterweise war auch Steven Spielberg als Editor an „Taxi Driver“ beteiligt, was der Abspann jedoch verschweigt. Regisseur Scorsese ließ sich den einen oder anderen Cameo nicht nehmen und findet sich als Travis‘ Fahrgast, dem seine Frau Hörner aufgesetzt hat, ebenso wie als Passant im Film wieder.

„Geschenkt.“
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 38701
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

Bild
The Video Dead

„Was soll ich denn mit einem Fernseher? Ich habe noch nie ferngesehen!“

Die Horrorkomödie „The Video Dead” alias „Zombie – Bloody Demons“ ist B-Schauspieler Robert Scotts („Snake Eater“) einzige Regiearbeit, eine US-Direct-to-Video-Produktion aus dem Jahre 1987.

Schriftsteller Henry Jordan (Michael St. Michaels, „Ninja Academy“) bekommt eine Holzkiste zugestellt, bezahlt vom Absender. Sie enthält einen Fernseher, über den er sich sehr wundert. Noch verwunderlicher indes ist es, dass unter Blitzeffekten Zombies aus dem Spielfilm „Zombie Blood Nightmare“ der Flimmerkiste entsteigen und in der Realität umherschlurfen. Und töten. Der arme Mr. Jordan wird getötet aufgefunden. Drei Monate später beziehen die Geschwister Zoe (Roxanna Augesen) und Jeff (Rocky Duvall) das Haus, ihre Eltern weilen noch im Ausland und wollen später nachkommen. Es dauert nicht lang, bis auch Zoe und Jeff dem Fernseher mit seinen Zombies ausgesetzt sind und das fiktionale Grauen blutige Realität wird…

„Das war der Video-Tod!“

Jeff kommt angeschlurft, als sei er selbst ein Zombie – ein netter Filmgag in einem ansonsten eher mit einem fragwürdigen Humor gespeisten Film. Ich rekapituliere einmal die Handlung, zum Fazit geht’s im letzten Absatz: Wir erfahren, dass Zoe Aerobic (!) studieren möchte (hach, die ‘80er…). Jeff zieht sich sein T-Shirt aus, wenn er die Tür öffnen geht, was schlicht ein sehr offensichtlicher Anschlussfehler ist. Der Grund für seinen Gang zur Tür ist ein Typ namens Joshua Daniels (Sam David McClelland, „Der letzte seines Stammes“), der die Glotze zurückhaben will – es habe sich um eine Fehllieferung gehandelt. Natürlich knallt Jeff ihm die Tür vor der Nase zu. Aus eben jenem Gerät spricht eine Frau mit dem gern mal einen durchziehenden Jeff. Er lernt Nachbarin April (Victoria Bastel, „Bad Lieutenan“) kennen, deren ihr anvertrauter Hund Chocolate in den Wald läuft und dort auf einen Zombie trifft. Als Jeff und April ihn finden, ist er bereits tot.

„The Video Dead“ ist nun zu einem debilen Teenie-Horrorfilm geworden. Eine blonde Möchtegern-Sexbombe aus der Glotze besucht Jeff, zieht sich aus und wirft sich ihm an den Hals – Ist dann aber schnell zurück in Glotze und wird dort von einem Mann umgebracht, der auch mit Jeff sabbelt: dem „Müllmann“ (Cliff Watts). Er warnt Jeff vor den Zombies und gibt ihm Anweisungen zum sicheren Verwahren der Glotze. Statt entsprechend zu handeln, entsorgt Jeff daraufhin sein Gras, denn er hält die Geschehnisse für drogeninduzierte Halluzinationen. Doch die Zombies töten auch Aprils Vater (Garrett Dressler) und Haushälterin Maria (Libby Russler), einer bekommt vorher noch ein Bügeleisen in' Kopp. Eine etwas betagtere Dame namens Betty wird in einer Waschmaschine um ihr Leben gebracht – wie auch immer... Anschließend geht’s ihrem Mann an den Kragen. Joshua schaut daraufhin noch einmal vorbei und diesmal schenkt man ihm Gehör. Sein toller Plan sei seinerzeit gewesen, die angeblich unzerstörbare Glotze einfach an irgendwen zu verschicken. Nun aber wolle er die Sache beenden. April putzt sich derweil die Zähne blutig und Zoe träumt, dass eine Zombie ihre Hand aufisst.

Jeff und Joshua begeben sich nun im Wald auf Untotenjagd, bändigen einen Zombie mit Pfeil und Bogen relativ simpel und zersägen ihn, womit der Film seine erste wirkliche Splatter-Szene erhält. Im Zombiegekröse finden sich possierliche kleine Ratten. Im weiteren Verlauf kommt man auf die grandiose Idee, Jeff als Köder einzusetzen, und ich kann nicht mehr ganz folgen: Man vertreibt die Zombies, aber nur, um anschließend das Gewehr aufzuladen und sie erneut suchen zu gehen…? Kein Wunder, dass die beiden diesen groben Unfug nicht überleben, während man auf gegnerischer Seite sogar im zersägten Zustand noch aktiv ist. Zoe ist nun das Final Girl, versucht, keine Angst zu zeigen und – eine weitere großartige Idee – die ungebetenen Gäste gastfreundlich zu behandeln. Doch siehe da: Das funktioniert! Der Film vermittelt seinem Publikum damit, dass man mit Freundlichkeit mehr erreicht als mit Gewalt. Wie schön! In den Keller gelockt und eingesperrt, zerfleischen sich die Zombies gegenseitig und gelangen irgendwie in den Fernseher zurück. Epilog: Endlich sind die Eltern da. Zoe ist paralysiert. Ihre Eltern bringen ihr den Fernseher mit...

Robert Scotts Film spielt sich auf Amateurniveau ab, hat eine entsprechende deutsche Pornosynchro abbekommen und steckt voller Fehler, bekloppten Dialogen („Wieso nennst du einen Pudel ,Tier'?") und Dümmlichkeiten. Jeff hat nur ein T-Shirt und offenbar nicht wesentlich mehr Gehirnzellen. Dafür sind die Zombiemasken ganz nett geraten, hierin wurde mutmaßlich der meiste Aufwand investiert. Auffallend ist, dass ständig jemand in diesem Film pennt. „The Video Dead“ ist eine weitestgehend misslungene Persiflage auf den damals von Sittenwächterinnen und -wächtern in Anti-Genrefilm-Kampagnen kolportierten „Video-Tod“, der gern eine smart augenzwinkernde, selbstironische Angelegenheit wäre, sich dabei aber ziemlich aufs Fressbrett legt. Einen Punkt gibt’s für die „Horrorgestalten kriechen aus dem Fernseher“-Idee, die hier einige Jahre vor „The Ring“ realisiert wurde. Auch das Artwork zum Film ist ausgesprochen ansehnlich. Schade, dass der Film selbst dann so ein billiger Rohrkrepierer geworden ist. Für derartigen Amateuer-Quark bin ich allerdings auch einfach nicht der richtige Adressat (und schaue lieber „Evil Ed“), in dieser Hinsicht offenere Freunde des Videotods können ja mal einen Blick riskieren…
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 38701
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

Bild
New York, New York

„New York ist glücklich, die Vereinigten Staaten sind glücklich und die Welt hat endlich Frieden!“

Nach seinem Erfolg mit „Taxi Driver“ schlug sich US-Ausnahmeregisseur Martin Scorseses gewonnene künstlerische Freiheit in seinem 1977 veröffentlichten Film-noir-Musical „New York, New York“ nieder, für das eine Hommage ans klassische, heitere Musical-Kino der 1940er und -50er Jahre mit neo-noireskem New-Hollywood-Film eine Symbiose einging. Sie wurde Scorseses nach „Boxcar Bertha“ zweiter Film ohne seinen ursprünglichen Stammmimen Harvey Keitel, jedoch ein weiterer mit seinem neuen Lieblingsschauspieler Robert De Niro („Taxi Driver“) in der männlichen Hauptrolle. Die weibliche bekleidete niemand Geringeres als Liza Minnelli („Cabaret“), womit der Film perfekt besetzt wurde.

„Ich bin kein Gentleman!“

Trubel auf dem Times Square: Der Zweite Weltkrieg ist vorüber, ein euphorischer Reporter kommentiert das bunte Treiben auf den Straßen. Ein Auszug aus einem Radio-Interview ruft in Erinnerung, dass auch Musiker seinerzeit die US-Truppen unterstützt hatten. Scorsese zeigt daraufhin eine ausgelassene Siegesfeier der Soldaten mit einem Jazzorchester und führt Saxophonist Jimmy (Robert De Niro) in die Handlung ein. Er blitzt bei den Frauen ab und wird bei Francine (Liza Minnelli) von der Truppenbetreuung sehr aufdringlich, woraus schöne Screwball-Dialoge entstehen. Francine begleitet Jimmy zu einem Vorspiel, obwohl er ein rotzfrecher Hallodri und Aufschneider ist. Als er eigentlich schon abgelehnt wurde, beginnt Francine zu singen, worauf er mit seinem Saxophon einsteigt – und engagiert wird! Zum Feiern geht’s gemeinsam auf Kneipentour, in deren Anschluss heiße Küsse ausgetauscht werden. Jimmy checkt dreist im selben Hotel wie Francine ein, macht dann aber doch einen Rückzieher. Die beiden machen es sich ein bisschen kompliziert.

„So süß, wie sie singt, so ist sie auch.“

Francine tritt schließlich allein auf, Jimmy macht sie ausfindig. Gemeinsam geht man zusammen mit einem ganzen Orchester auf Tour. Er drängt sie zur Blitzhochzeit. Als Orchesterleiter Frankie (Georgie Auld) hinschmeißt, tritt Jimmy in dessen Fußstapfen. Eigentlich hätte der Film an diesem Punkt mit einem Happy End abschließen können und es wäre in Ordnung gewesen. Es machte Spaß, sich diese Entwicklung anzusehen, die Atmosphäre war anheimelnd und die Stimmung gut. Scorsese jedoch geht weiter, verlässt die heile Musical-Traumwelt und schafft Konflikte:

Seine Verpflichtung als Bandleiter kehrt Jimmys negative Eigenschaften hervor, er wird anstrengend und bestimmend, herrschsüchtig und autoritär. Francine hingegen wird von ihm schwanger. Ungeachtet dessen möchte er weitertouren, Francine jedoch zurück nach New York. Mit einer Ersatzsängerin läuft’s dann bei Weitem nicht so gut wie mit Francine hinterm Mikro. Jimmy steigt in eine sich ausschließlich aus schwarzen Musikerinnen und Musikern zusammensetzende Band ein, womit Francine aufgrund ihrer Schwangerschaft hadert. Dafür wird sie von der Plattenfirma Decca Records unter Vertrag genommen, wovon Jimmy wiederum wenig begeistert ist. Ein erbitterter Streit aufgrund von Zukunftsängsten und gekränkter Eitelkeit entbrennt. Schließlich gebiert sie das gemeinsame Kind und nennt es sogar Jimmy – doch der erwachsene (?) Jimmy verlässt sie, noch während sie im Krankenhaus liegt, ohne seinen Lendenspross auch nur eines Blickes zu würdigen. Er lässt sie tatsächlich mir nichts, dir nichts mit dem Nachwuchs sitzen.

„Happy ending in a Broadway show...“

Gleichwohl ist Francine ohne Jimmy gar nicht so schlecht dran: Sie macht Karriere als Sängerin, Scorsese lässt sie mehrere Stücke nacheinander in ausgedehnter Musicalform aufführen. Sie avanciert gar zum Superstar, über den die Kino-Wochenshow berichtet. Jimmys Komposition „New York, New York“ schießt aber ebenfalls auf Platz 1 der Charts.

Nun sind Musikfilme sicherlich nicht das Erste, das man für gewöhnlich mit Martin Scorsese in Verbindung bringt – obwohl er mehrere schuf. Dieser war der erste. Der überlange Film groovt sich auf ein angenehmes Erzähltempo ein und kehrt – neben aller ehrlichen Begeisterung für die Musik, die mit viel Jazzgequietsche einhergeht – in der zweiten Hälfte heraus, was er in der ersten bereits mit der Figureneinführung angedeutet hatte: welch verantwortungsloser, eitler und letztlich egoistischer Typ Mann Jimmy ist. Darüber hinaus ist „New York, New York“ ein antirassistisches Statement über die verbindende, hautfarbenübergreifende Kraft der Musik. In seinem letzten Drittel ist der Film fast ausschließlich ein Musical und endet nach seinen intimen Einblicken ins damalige Musikerinnen- und Musikerleben mit einer urban-melancholischen Schlusseinstellung. „New York, New York“ ist opulent ausgestattet, was bis zu an Kubrick erinnernde, artifizielle Bildsymmetrien reicht.

Es wirkt, als habe Scorsese bewusst zwei Menschen mit ganz irdischen Problemen in eine Kunstwelt hineingeworfen, um sie darin zu beobachten. Dazu passt, dass er Minnelli und De Niro viel improvisieren ließ. Letzterer lernte eigens für diesen Film das Saxophonspiel. Mit dem von Francine gesungenen, titelgebenden „New York, New York“, das weit über diesen Film hinaus (insbesondere in Frank Sinatras Interpretation) Popularität erlangte, erhielt die Stadt ihre Hymne – wofür Scorsese also mitverantwortlich zeichnet. In seiner gewagten Synthese aus fröhlichem Musical und New-Hollywood-Realismus wirkt der Film jedoch etwas überambitioniert, was vielleicht zum kommerziellen Misserfolg an der Kinokasse führte. In künstlerischer Hinsicht aber ist „New York, New York“ mehr als nur einen Blick wert – und sei es nur, um zu sehen, wie der in Little Italy aufgewachsene Scorsese einmal mehr eindrucksvoll illustriert, wie sehr ein ausgeprägter Machismo dem privaten Glück im Wege steht.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 38701
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

Bild
Train to Busan

Störungen im Betriebsablauf

„Es gab nur ein winziges Leck dort in der Biotech-Firma – kein Grund zur Sorge.“

Mit „Train to Busan“ erschuf der südkoreanische Regisseur Yeon Sang-ho im Jahre 2016 den ersten Teil einer modernen, in seinem Heimatland überaus erfolgreichen Zombiefilm-Trilogie, der kurz darauf das Prequel „Seoul Station“ folgte. Im Gegensatz zu „Seoul Station“ und allen vorausgegangenen Filmen Sang-hos ist „Train to Busan“ kein Animations-, sondern ein Realfilm. Mit „Train to Busan“ lief nicht nur erstmals ein Zombiefilm bei den Filmfestspielen in Cannes, sondern wurde dem Subgenre auch mit Nachdruck neues Leben eingehaucht. Im Jahre 2020 folgte die Fortsetzung „Peninsula“, erneut als Realfilm.

„Das ist ja wieder mal ein echter Scheißtag!“

Nachdem ein Leck in einer Chemiefabrik aufgetreten ist, werden zigfach Menschen mit einem Erreger infiziert, der aus ihnen tollwütige Bestien macht, deren Bisse die Infektion übertragen. Für so eine Zombie-Epidemie hat Fondsmanager Seok-woo (Gong Yoo, „The Suspect“) eigentlich keine Zeit, denn für gewöhnlich hat sein Beruf Vorrang vor allem anderen. Ausgerechnet jetzt aber hat seine Tochter Soo-an (Kim Su-an, „Hide and Seek – Kein Entkommen“) Geburtstag, weshalb er mit ihr im Zug nach Busan sitzt, um der Kleinen den Wunsch zu erfüllen, ihre Mutter zu besuchen, von der er getrennt lebt. Soo-an wirft ihm vor, sich immer nur um sich selbst zu kümmern, statt für sie da zu sein, und tatsächlich hat er eigentlich so gar keine Lust auf diese Bahnfahrt. Diese wird jedoch zu einer ganz besonderen, denn nachdem ein Infizierter zugestiegen ist, breitet sich die Epidemie mit rasender Geschwindigkeit aus und beginnt ein verzweifelter Überlebenskampf…

Für die Zuschauerinnen und Zuschauer fängt alles mit einem überfahrenen Reh an, das unbemerkt wieder zum Leben erwacht – Zombi statt Bambi, der bereits ein Stück weit vorwegnimmt, was der schöne Spannungsaufbau mit zunächst nur kurzen, flüchtigen Eindrücken und rätselhaften Ereignissen andeutet. Regisseur Sang-ho erhöht das Tempo jedoch bald exponentiell, plötzlich geht alles ganz schnell: Was sich angebahnt hatte, bricht sich im Zug bahn (man verzeihe mir diese Wortspiele). Untermalt, ergänzt und eingeordnet werden die Ereignisse von immer mal wieder eingeblendeten TV-Nachrichten und Nachrichtensprechern aus dem Off. Ein Beispiel für die narrative Rasanz, mit der sich nicht nur die Protagonistinnen und Protagonisten, sondern auch das Publikum auf Änderungen einstellen müssen: Die Ansteuerung einer Bahnstation wird erst lautstark gefordert, doch als man feststellt, dass auch diese bereits fest in Zombiehand ist, gilt der noch saubere Teil des Zugs plötzlich als sicher. Sukzessive, aber in schöner Regelmäßigkeit werden Hoffnungen beschnitten, Lösungsmöglichkeiten entkernt und schwinden die Überlebenschancen. Dass sich lange Zeit alle Geschehnisse in einem fahrenden Zug abspielen, erhöht das gefühlte Tempo noch einmal – zumal die Zombies hier eindeutig der modernen Variante zuzurechnen sind, die sehr gut zu Fuß ist, statt unter der Leichenstarre zu ächzen.

Ist der Zug nun eine Falle oder doch eher letztes Refugium? Außerhalb des Zugs zerlegt sich Südkorea jedenfalls gerade amtlich und als statt rettender Militärs eine zombifizierte Armee auf die Reisenden wartet, ist das ein echter Schock. Generell wurde „Train to Busan“, ohne großartig in Gesplatter und Gekröse auszuarten, mit einiger herber Action und ebensolchen Schreckmomenten angereichert, die die in manch Horrorfilmen üblichen Jumpscares auf die Plätze verweisen. Die Ereignisse überschlagen sich und die wenigen Überlebenden müssen lernen, die Zombies auszutricksen – u.a. mittels moderner Kommunikationsmittel, was „Train to Busan“ endgültig in der Gegenwart verankert. Dumm nur, dass die Überlebenden auch zusammenarbeiten müssen, aber den Mikrokosmos eines Sozialgefüges mit allen Vor-, aber eben auch Nachteilen abbilden, was für einen kräftigen sozialkritischen Unterbau des Films sorgt, der wohl ganz in Romeros Sinne gewesen wäre. Zudem sieht sich der parasitäre Fondsmanager Seok-woo gezwungen, sich im Zuge der Apokalypse charakterlich weiterzuentwickeln, womit der Film seine persönliche Ebene erhält – die jedoch dazu beiträgt, dass es zuweilen etwas arg melodramatisch und rührselig (verstärkt durch sentimentalisierende Zeitlupen) zugeht.

Nichtsdestotrotz ist „Train to Busan“ eine intensive, nervenaufreibende Zombiefilmerfahrung und ein hervorragender Horroractioner, der mitreißend geschauspielert und toll bebildert wurde und im Subtext neben den Gefahren durch chemische Umweltverschmutzung vor allem Lebenseinstellungen zwischen Altru- und Egoismus verhandelt.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 38701
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

Tatort: Kein Kinderspiel

„Is dis ä Kreuz mit de Kinder heutzutag‘!“

Fall Nummer 10 des schwäbischen Kriminalhauptkommissars Lutz (Werner Schumacher) entpuppt sich als Kriminaldrama, das innerhalb einer dysfunktionalen Familie angesiedelt wurde. Wie fast alle Lutz-Episoden der öffentlich-rechtlichen Krimireihe wurde auch dieser „Tatort“ von Regisseur Theo Mezger inszeniert, der ein Drehbuch Peter Scheiblers vorliegen hatte. „Kein Kinderspiel“ wurde am 13. Januar 1980 erstausgestrahlt, ist demnach noch im Jahre 1979 entstanden.

„Ich befürchte immer das Schlimmste und meistens trifft es ja auch ein.“

Die zehnjährige Stefanie Wolf (Julia Hainzl) lebt mit ihrem Vater Rainer (Karl-Heinz von Hassel, der spätere „Tatort“-Kommissar Brinkmann) und ihrer Stiefmutter Roswitha (Angelika Bender, „Die Halde“) zusammen, hat aber den Tod ihrer leiblichen Mutter nie verkraftet. Sie schlägt aus der Art, was sich in problematischem Sozialverhalten, Schulschwänzen und Herumtreiberei ausdrückt. Roswitha lehnt sie als neue Mutterfigur ab, was deshalb delikat ist, weil Rainer Wolf sie vornehmlich geheiratet hat, damit sie eben diese Rolle ausfüllt. Als Stefanie eines Tages verschwindet, verständigt Rainer Wolf am Abend die Polizei. Diese schaltet eine Vermisstenmeldung im Rundfunk, in deren Folge Stadtstreicher Manfred Aulich (Werner Schulze-Erdel, „Tatort: Schlussverkauf“) verhaftet wird, der in dringendem Tatverdacht steht, weil er Stefanies Schulranzen mit sich führt. Doch er behauptet, das Mädchen gar nicht zu kennen und den Ranzen auf einer Müllkippe gefunden zu haben. Kurz darauf wird Stefanies Leichnam gefunden. Die Ermittlungen Kommissar Lutz‘ und seines Assistenten Wagner (Frank Strecker) fördern zwei weitere verdächtige Personen zutage…

Dieser in Heilbronn spielende „Tatort“ beginnt wie ein Kinderfilm, da er sich zunächst auf Stefanie fokussiert. Diese ist ein aufgewecktes, freches Kind, von dessen familiären Problemen man erst nach und nach erfährt. Aus Abenteuerlust springt sie bei einem Müllwagen auf und fährt ein Stück mit, was einige Aufregung in der Innenstadt verursacht und wobei der Fahrer des Wagens auf sie aufmerksam wird. Als nach ihrem Verschwinden einmal mehr der spätere Fernsehmoderator Werner Schulze-Erdel auf der Bildfläche erscheint, kratzt dieser in seiner Rolle als Verdächtiger am Overacting, bekommt aber bald zwei weitere Tatverdächtige zur Seite gestellt, zu denen auch der Müllwerker zählt. Daraus bezieht diese Episode zum einen ihre (leidliche) Spannung, zum anderen nutzt sie diesen Umstand aber auch, um falsche Verdächtigungen – insbesondere in einem derart pikanten Fall – zu problematisieren.

Eine erste Wendung ist die Frage, ob es sich statt um Mord möglicherweise um einen Suizid des Mädchens gehandelt haben könnte. Und eine weitere Wendung folgt etwas später, was sich jedoch aufregender liest, als es ist, denn „Kein Kinderspiel“ ist unheimlich langatmig erzählt. Nach diversen Einblicken in Stefanies Familie, insbesondere tiefergehende Erkenntnisse das Leben ihrer Stiefmutter betreffend, bietet ein Tagebucheintrag Stefanies Aufschluss – womit dieser Fall auf etwas arg simple Weise gelöst wird. Werner Schumacher als Kommissar Lutz bemüht sich diesmal, etwas weniger unterkühlt, dafür einfühlsam zu wirken. Das klappt eher mittelprächtig, Lutz bleibt eine recht distanzierte Kommissarsfigur. Noch unterkühlter wirkt indes tatsächlich die medikamentenabhängige Stiefmutter Roswitha, die von Angelika Bender insofern gut gespielt wird, als sie einem tatsächlich latent narkotisiert erscheint.

Schade nur, dass dieser ganze „Tatort“ mit seinen mehreren vielversprechenden Ansätzen wie auf Morphium wirkt und daher nicht wirklich für einen spannenden Krimiabend geeignet ist – zumal die schwäbische Erwachsenenwelt, die nach Stefanies Verschwinden den Fall dominiert, unfreiwillig trist und bedrückt erscheint – sodass sich fast die Frage stellt, weshalb man hier überhaupt erwachsen werden wollte…
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 38701
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

Tatort: Donuts

„Wenn er zu Menschen so nett gewesen wäre wie zu Motoren, hätt‘ er auch ‘ne Frau gehabt…“

Unter der Regie Sebastian Kos, der mit „Donuts“ bereits seinen sechsten „Tatort“ inszenierte, verschlägt es das Bremer Ermittlerinnen-Duo Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer) und Linda Selb (Luise Wolfram) nach Bremerhaven. Die Mischung aus Krimi und Familien-/Beziehungsdrama wurde von Ko zusammen mit Mathias Schnelting geschrieben und am 2. April 2023 erstausgestrahlt.

„Die Heimat umarmt mich wie ein böser Tiger…“

Im Bremerhavener Autoumschlaghafen wird die Leiche des Bereichsleiters gefunden, Mörder und Motiv sind unbekannt. Die Bremer Kommissarinnen Liv Moormann und Linda Selb nehmen die Ermittlungen auf und müssen sich wohl oder übel mit den örtlichen Kollegen arrangieren, wobei sich Selb alsbald zu einem Termin nach Brüssel verabschiedet. Dafür stößt der Bremerhavener Kollege Robert Petersen (Patrick Güldenberg, „Sonnenallee“) dazu, der Moormann bei ihren Ermittlungen konstruktiv zu unterstützen versucht. Sie kennt ihn ebenso noch von früher wie eine verdächtige junge Frau (Luisa Böse – wat’n Name!), die der örtlichen Auto-Tuning-Szene angehört und mit einem der Neffen des Toten, dem vorbestraften Autoschrauber Gheorghe (Adrian But), liiert ist: Es handelt sich um ihre Halbschwester Marie…

Ein blutiger Leichenfund in Bremerhaven, die Polizei ermittelt an einem für Bremer „Tatort“-Verhältnisse ungewöhnlichen Ort. Parallel dazu zeigt Ko die Neffen Gheorghe und Oleg (Jonas Halbfas) des Toten, von denen Oleg das Down-Syndrom hat, aber liebevoll von seinem knasttränentätowierten Bruder umsorgt wird. Dies ist ein erster Hinweis darauf, dass dieser vorbestrafte, drahtige junge Autonarr doch eigentlich so verkehrt gar nicht sein kann. Zusammen mit Marie halten sie sich gern in ihrer Werkstatt auf, denn für neue, schnelle Autos interessieren sich alle drei – und „leihen“ sich nachts gern mal unbemerkt das eine oder andere Modell aus, um es „probezufahren“, worum sich eine kleine Szene gebildet hat. Diese fährt gern mal den titelgebenden „Donut“, also einen Kreis mit quietschenden Reifen. Auto-Poser-Klischees von sich in Innenstädten an den Ampeln waghalsige, gemeingefährliche Rennen liefernde Idioten werden dabei interessanterweise eher ausgespart, während die Kamera sich um die Ästhetisierung der Fahrzeuge bemüht. Relativ früh wird eine (ob des Sujets auf der Hand liegende) Verfolgungsjagd in die Handlung integriert.

Zum Rätsel um den Mörder und dessen Motiv gesellt sich bald die Frage, ob Moormann ihre Halbschwester schützt. Wurde in den vorausgegangenen Episoden Moormanns soziale Herkunft aus der Unterschicht bereits angesprochen und thematisiert, geht man diesbezüglich hier in die Vollen: Nicht nur ihre Halbschwester, auch ihre Mutter (Angelika Richter, „Stromberg“), eine offenbar alkoholkranke Frau, der es schwerfällt, Verantwortung zu übernehmen, lernt man kennen. Das muss man in so einem Krimi nicht mögen, scheint aber fester Bestandteil des aktuellen Bremer „Tatort“-Zweigs zu sein und ist aufgrund des Schauspiels aller Beteiligten nicht schlecht gemacht – wenngleich es zwischenzeitlich angesichts schnelle Autos fahrender Jugendlicher und einer feiernden und vögelnden Mutter auf der einen und der genervten, angestrengten Liv auf der anderen Seite unfreiwillig so aussieht, als hätten die einen Spaß und seien die anderen eben bei den Bullen. Tatsächlich werden diese nicht sonderlich sympathisch dargestellt: Das Kompetenzgerangel in Bremerhaven nervt nicht nur Moormann, die sich daraufhin gerademacht.

Diversität wird hier großgeschrieben, was im Falle Olegs gut funktioniert, im Falle Petersens aber sehr erzwungen wirkt: Dass er homosexuell ist, erfährt man, als der schlimmste Arschlochbulle Bremerhavens ihn beschimpft und spielt ansonsten keine Rolle. Ein Dialog für die Checkliste? Über solche Details lange nachzudenken bleibt aber keine Zeit, denn eine ebenso überraschende wie krasse Wendung hat einen weiteren Toten zur Folge. Dies verleiht diesem „Tatort“ weiteren Sprengstoff, spitzt ihn weiter zu, hätte es für den eigentlichen Fall aber nicht gebraucht. Dieser war ohnehin weitgehend in den Hintergrund gerückt und fand (Achtung, Spoiler!) seine Auflösung im Industriespionagebereich statt unter kleinkriminellen Autofreaks, für die dieser „Tatort“ seine Sympathie nicht verhehlt. Zumindest kurzzeitig mit fabrikneuen Bonzenkarren seinen Spaß zu haben ist schließlich auch eine Art von Klassenkampf. Die melancholischen Momente gegen Ende wissen zu gefallen, wenngleich „Donuts“ unterm Strich mit seiner Krimi/Drama-Melange, die auf eine persönliche Ermittlerinnen-Ebene zugeschnitten wurde, eine reichlich unwahrscheinliche Geschichte erzählt – dies jedoch mit einigem Stilwillen, (geschmacklich fragwürdigem) modernem Hip-Hop und überzeugenden schauspielerischen Leistungen. Da verzeiht man es auch, dass zunächst ein PS-Action-Thriller angetäuscht wird, der „Donuts“ nun wiederum wirklich nicht ist.

Einen Gruß lässt übrigens Mads Andersen (Dar Salim) da, der sich kurz per Video mit Selb aus deren Auto meldet. Ein Hinweis auf eine Rückkehr zum Bremer „Tatort“-Zweig?
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 38701
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

Tatort: Schussfahrt

Szenen einer Ehe

„Ich kann’s Ihnen erklären…“

Mit der 1970er-Dekade neigte sich auch der Essener „Tatort“-Zweig seinem Ende entgegen: Der von Wolfgang Staudte („Die Mörder sind unter uns“) nach einem Drehbuch Peter Hemmers inszenierte Fall „Schussfahrt“ ist der neunzehnte und somit vorletzte der Essener Kriminalkommissare Heinz Haferkamp (Hansjörg Felmy) und Willy Kreutzer (Willy Semmelrogge). Es ist die fünfte von insgesamt sieben Regiearbeiten Staudtes für die öffentlich-rechtliche Krimireihe. „Schussfahrt“ wurde im Mai und Juni 1979 gedreht und am 1. Juni 1980 – also rund ein Jahr später – erstausgestrahlt.

„Kennen Sie Herrn Zehle?“ – „Ich kenn‘ mich kaum selber…“

Der 47-jährige Manager Kurt Wiedemann (Heinz Baumann, „Das Spukschloss im Spessart“) hadert seit dem Konkurs seines Arbeitgebers nicht nur mit Arbeitslosigkeit und erfolgloser Suche nach einer neuen Anstellung, sondern auch damit, dass seine jüngere Frau Karin (Doris Kunstmann, „7 Tote in den Augen der Katze“) ihm durch eine Affäre mit Christian Zehle (Volkert Kraeft, „Die Buddenbrooks“) regelmäßig Hörner aufsetzt. Karin glaubt, ihr Mann wisse nichts davon, doch dieser plant längst, seinen Nebenbuhler um die Ecke zu bringen. Hierfür geht er derart gerissen vor, dass er glaubt, niemand – nicht einmal seine Frau – könne ihm auf die Schliche kommen: Er suggeriert durchaus glaubwürdig, dass sich Zehle zusammen mit einem Komplizen am Tresor der Wiedemanns zu schaffen gemacht und er ihn dabei ertappt und in Notwehr erschossen habe, während der Komplize (den es nie gab) entkommen konnte. Dass er durch den vermeintlichen Einbruchdiebstahl auch ein hübsches Sümmchen von der Versicherung kassiert, kommt Kurt dabei mehr als gelegen. Doch Kommissar Haferkamps Ermittlungen bringen in Zehles arbeitslosem Kumpel Herbert Rull (Burkhard Driest, „Steiner – Das Eiserne Kreuz“) tatsächlich einen möglichen Komplizen hervor. Dieser verschlagene Tunichtgut durchschaut bald darauf den Mörder und versucht, selbst Kapital aus dem Mord zu schlagen: Er erpresst Kurt Wiedemann…

„Die schicken uns von einer Kneipe in die andere…“

Die 1970er gehen zu Ende und die erste Hälfte des Jahrzehnts scheint länger zurückzuliegen, als es tatsächlich der Fall ist. Arbeitslosigkeit ergreift nicht nur Menschen vom Kaliber Herbert Rull, sondern auch die hier von Kurt Wiedemann verkörperte Mittelschicht. „Freie Liebe“ bzw. das, was man darunter verstand, ist wieder verpönt, der Rückzug ins Private wurde angetreten – wenn es sein muss mit Gewalt. In seiner Melange aus klassischem Krimi, Thriller-Anleihen und Ehedrama setzt Staudte Schauspielerin Doris Kunstmann sehr attraktiv in Szene und lässt sie zunächst auf die Mordkonstruktion ihres Mannes hereinfallen, gesteht ihr im weiteren Verlauf jedoch eine Entwicklung zu, die sie keineswegs als eindimensionale naive Blondine dastehen lässt.

„Du scheinheiliger Lügner!“

Nachdem das „Tatort“-Publikum Zeuge all dessen wurde, Täter und Motiv also von vornherein kennt, verbringt Kommissar Haferkamp harmonische Zeit mit seiner Ex-Frau Ingrid (Karin Eickelbaum), was wie ein Gegenentwurf zur kaputten Ehe der Wiedemanns wirkt. Anschließend ermittelt er vor Ort und verhört zusammen mit Kreutzer den herrlich verkaterten vermeintlichen Komplizen Rull. Dieser fällt aus allen Wolken, als er von Christians Tod erfährt, lässt sich aber bald darauf von seiner Bauernschläue, gepaart mit krimineller Energie und einem eher ungesunden Drang nach inoffiziellen „Schmerzensgeldzahlungen“ leiten. Interessanterweise gerät auch Karin Wiedemann kurzzeitig in den Kreis der Verdächtigen, woraus jedoch Haferkamps erster großer Ermittlungserfolg innerhalb dieser Episode resultiert: Er ahnt alsbald, welche Art Verhältnis Karin zum Toten pflegte, was zum Schlüsselmoment für die Lösung des dennoch nicht trivialen Falls gerät.

„Wenn wir uns ‘n bisschen Mühe geben, wird vielleicht alles wieder gut!“

Die jüngste Entwicklung nimmt Karin zum Anlass für den Versuch einer offenen Aussprache, doch Kurt bleibt konsequent in seiner Rolle. Um der Handlung mehr Schärfe zu verleihen und ihr Eskalationspotenzial weiter auszuschöpfen, muss trotz der ersten Ermittlungserfolge eine weitere Person ihr Leben lassen. „Schussfahrt“ avanciert zum Duell zwischen zwei ähnlich intelligenten Gegnern auf Augenhöhe, in dessen Zuge Haferkamp seinerseits in die Trickkiste greift. Gegen Ende resultiert eine Kfz-Verfolgungsjagd daraus, die jedoch wie der ganze Fall unspektakulär und mit viel Respekt für die Beteiligten inszeniert wurde – und endet. Dies bedeutet indes nicht, dass es nicht befriedigend wäre, zuzusehen, wie hier ein vermeintlich perfekter Mord nach und nach dekonstruiert wird. Staudte-typische soziale Kommentare finden sich dabei zwischen den Zeilen, wobei der erschreckende Umstand, dass seinerzeit ein 47-Jähriger als zu alt für den Arbeitsmarkt galt, durchaus laut ausgesprochen wird.

„Wer ist denn hier das größere Schwein?“

Im Gegensatz zum vorausgegangenen Fall weist dieser vorletzte Haferkamp-„Tatort“ keinerlei Abnutzungserscheinungen auf, nur Kreutzer wirkt vielleicht noch etwas grummeliger als sonst. Auch ohne viel Spektakel ist „Schussfahrt“ ein gelungener, niveauvoll und sauber inszenierter Beitrag, der zu gleichen Teilen von persönlichem Drama und smarter Ermittlungsarbeit getragen wird und ein aus genannten Gründen sehenswertes Zeitdokument darstellt. Lediglich der rote Hering, den Ingrid anfänglich im Dialog mit ihrem Ex-Mann auswirft, hat sich mir nicht erschlossen. Wahrscheinlich sollte er das auch gar nicht.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 38701
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

Beitrag von buxtebrawler »

Tatort: Verborgen

„Wir können niemandem in diesem Land trauen!“

Mit der Episode „Verborgen“ feierte Wotan Wilke Möhring in seiner Rolle als Hamburger BKA-Ermittler Thorsten Falke sein zehnjähriges „Tatort“-Jubiläum. Ich gratuliere! Damit kommt er auf bereits 18 Einsätze, für Falkes Kollegin Julia Grosz (Franziska Weisz) sind es derer zwölf. Ganz neu dabei ist hingegen Regisseurin Neelesha Barthel („Marry Me! Aber bitte auf Indisch“), die mit der Inszenierung des Drehbuchs Julia Draches und Sophia Ayissi Nsegues innerhalb der öffentlich-rechtlichen Krimireihe debütiert. Gedreht wurde der Film bereits im ausklingenden Jahr 2021, am 10. Juni 2022 wurde das Ergebnis auf dem Internationalen Filmfest Emden-Norderney erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Die TV-Erstausstrahlung musste bis zum 16. April 2023 warten.

„Du bist kein Deutscher!“

Die Eheleute Jon (Alois Moyo, „Tatort: Verbrannt“) Hope Makoni (Sheri Hagen, „Deutschlandspiel“) suchen verzweifelt nach ihrem 17-jährigen Sohn Noah, haben jedoch Skrupel, die Polizei einzuschalten, da sich die Schwarzafrikaner illegal in Deutschland aufhalten. Gegen den Widerstand seiner Frau sucht Jon schließlich dennoch die Polizei auf. Die aufgrund des Todes eines Flüchtlings im Palettenkasten eines Lkws in Hannover ermittelnden BKA-Leute Falke und Grosz nehmen sich Jons Ersuchen an und tauchen damit in ein ihnen bisher wenig bekanntes Milieu ein, in dem sich die Hoffnung auf ein besseres Leben und die Angst, von den Behörden entdeckt und drangsaliert zu werden, die Waage halten, Geschäftemacherinnen und Geschäftemacher vom illegalen Aufenthaltsstatus dieser Menschen profitieren – und die Polizei keinen allzu guten Leumund besitzt…

„Sie sind ‘n Bulle – das sieht man!“

Einmal mehr beweist der BKA-Hamburg-Zweig des „Tatort“ sein soziales Gewissen, indem er die Probleme marginalisierter Gruppen aufgreift und ihnen damit massenwirksam Gehör verschafft. Flüchtlinge fliehen aus besagtem Lkw, der Fahrer ist überrascht – und einer bleibt leblos daliegend zurück. Als Falke und Grosz hinzustoßen, ist der Fahrer verschwunden. Parallel wird der Handlungsstrang um die Makonis etabliert, die ihren Sohn suchen – womit die Frage aufgeworfen wird, ob es sich beim toten Jungen um eben jenen handelt. Dass Jon, bevor er zur Polizei ging, in einer Gastronomieküche nach seinem Sohn fragte, ist die erste von mehreren Stationen in diesem „Tatort“, in denen Arbeitgeber(innen) von der Schwarzarbeit der „Illegalen“ profitieren (was so deutlich indes nie ausgesprochen wird). Die Dialoge sind zum Teil untertitelt, was dem ohnehin in weiten Teilen realistisch anmutenden Fall weitere Authentizität verleiht.

„Wir sind unsichtbar!“

„Verborgen“ ist mehr ein Sozialdrama denn ein klassischer Krimi, das ein Gespür für die Sorgen, Probleme und Hoffnungen seiner Klientel erfolgreich entwickelt und vermittelt. Ein Teil dieser Sorgen mündet verständlicherweise in Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen, das auch Falke und Grosz entgegenschlägt und sich insbesondere im Verhalten Hope Makonis äußert, die die Zusammenarbeit ihres Mannes mit der Polizei überaus kritisch beäugt. Natürlich ist – so viel sei verraten – der Tote nicht der gesuchte Sohn, das wäre zu einfach gewesen. Jedoch ist im letzten Drittel ein weiteres Todesopfer zu beklagen. Regisseurin Barthel erzählt diesen Fall sensibel, was derart weit reicht, dass sie sich davor scheut, jemanden zu verurteilen – weder die Flüchtlinge noch Schleuser(innen) oder per se Schwarzarbeiter(innen) beschäftigende Unternehmer(innen). Offenbar möchte man mit „Verborgen“ nicht moralisieren, sondern sensibilisieren und Fragen aufwerfen.

Dieses hehre Unterfangen gelingt grundsätzlich, wenngleich der Krimianteil ein wenig seltsam in den Hintergrund gerückt wirkt und auf dramaturgischer Ebene einiges – zu viel – an Struktur und Tempo verlorengeht. Während einer Verfolgung („Verfolgungsjagd“ wäre übertrieben) klingt die eingesetzte Musik nach dem „Stranger Things“-Score, wobei es sich um ein eher unfreiwilliges Zitat handeln dürfte. Ansonsten hält man sich mit Reminiszenzen ans andere deutsche Migrantendramen zurück und emanzipiert sich ein gutes Stück weit von ihnen, indem diverse mittlerweile als Klischees geltende Topoi unbedient bleiben. Was jedoch bleibt, ist die Verbindung von Migration und gefährlicher Knochenarbeit, die innerhalb der Reihe schon früh aufgegriffen wurde.

Ein Film also über die mitunter tödlichen Herausforderungen, die mit der gezeigten Art illegalen Aufenthalts in Deutschland einhergehen. Doch auch, wenn ich so etwas in meinen TV-Krimi-Besprechungen nicht oft erwähne und natürlich medienkompetent genug bin, fiktionale bzw. fiktionalisierte Stoffe von der Realität zu unterscheiden: Vielleicht wäre es sinnvoller gewesen, diesen Themenkomplex außerhalb des „Tatort“-Sujets zu verarbeiten, denn anders als hier herbeifabuliert kann es mit Sicherheit keinem „Illegalen“ empfohlen werden, sich hilfesuchend an die Polizei zu wenden – so sehr Falke auch in Aussicht stellt, sich für Duldungen einzusetzen. Dass dessen jeweilige Gegenüber darauf pfeifen, ist zwar ein starkes Statement – angesichts der Realität wäre eine ausdrückliche Warnung vor der Polizei aber vermutlich angebrachter gewesen.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Antworten