Was vom Tage übrigblieb ...

Euer Filmtagebuch, Kommentare zu Filmen, Reviews

Moderator: jogiwan

Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 2727
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Vier Fäuste gegen Rio (Enzo Barboni, 1984) 6/10

Sonntag. Außentemperatur über 30 Grad. Faules Abliegen auf dem Sofa. Was kann es da besseres als Begleitung geben als einen Spencer/Hill-Klassiker? Flotte Sprüche (die allerdings manchmal etwas müde rüberkommen), lustige Schlägereien (die allerdings manchmal etwas müde rüberkommen), zwei mal zwei sympathische Hauptdarsteller (die gar nicht müde wirken), und irgendwie sind wir mittlerweile tief in den 80ern angekommen und haben das alles schon zig mal gesehen. Aber lustig ist es immer noch …
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 2727
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Virtual desire (Jim Wynorski, 1995) 6/10

Irgendwann muss man ja mal anfangen. Im meinem fortgeschrittenen Alter, und nach ein paar tausend gesehenen Filmen, war dies mein erster Jim Wynorski. Ja ja, so etwas soll es geben! Genauso wie es Menschen gibt die noch nie ein Buch gelesen haben. Oder noch nie Sex hatten. Ich bin also heute quasi entjungfert worden. Und, hat es Spaß gemacht? Ja, definitiv! Werde ich es wieder tun? Ja, unbedingt! Man sagt, ja, dass Filme von Wynorski so schrottig sein sollen. Trash, wie man so munkelt. Es soll um schmutzige Dinge gehen. Um Sex, und der soll auch noch ganz furchtbar schlecht und billig sein. Alle Frauen mit künstlichen Brüsten, und keine Handlung und kein cineastischer Anspruch, keine Spannung, kein Witz, und einfach nur billigmiesundüberhauptganzfurchtbar … Es heißt, dass Wynorski einem Antonioni nicht das Wasser reichen kann. Stimmt das?

Nun ja, ein wenig schon. In VIRTUAL DESIRE geht es um Sex, und das nicht zu knapp. Fast alle Darstellerinnen haben früher oder später Karriere in der Pornobranche gemacht, ein paar Mal habe ich auch tatsächlich gepixelte Ausschnitte gesehen, und die Frauen haben durch die Bank ihre Klamotten eigentlich nur an, damit sie sie möglichst schnell ausziehen können. Und dabei hätte das doch eigentlich ein Krimi sein sollen! Die Frau des Ex-Baseballstars Brad wurde ermordet, und der Inspektor hat nur einen Verdächtigen: Brad. Es zeigt sich, dass Brad seit einiger Zeit in einem Online-Fantasy-Kreis aktiv war, wohl der 1995er-Vorläufer eines Partnerschaftsportals - Es geht darum, dass sich extrem gutaussehende Männer und extrem gutgebaute Frauen treffen und ihre sexuellen Fantasien erfüllen. Halt voll der Realismus, ey. Brad war da wie gesagt recht aktiv, was den Kreis der Verdächtigen schlagartig ausweitet auf, nach Brads Aussage, etwa eine halbe Million Kontakte im Internet …

Bild Bild

Und um genau dieses aktiv sein geht es in VIRTUAL DESIRE. Es geht nicht darum, dass hier ein Krimi inszeniert wird, dessen Spannungskurve der langen Geraden von Monza nicht unähnlich ist. Es geht nicht darum, dass der Inspektor den alten Parka von Schimanski aufträgt, Zigarren raucht, und sich als großer Columbo-Fan entpuppt (und dessen Ermittlungsmethoden versucht zu kopieren, wozu seine Fantasie allerdings nicht ausreicht). Nein, hier geht es, neben der Darstellung von Full Frontal Nudity in einem Maße, wie ich es in amerikanischen Nicht-HC-Filmen nicht für möglich gehalten hätte, einzig und alleine um Eines: Ums Vögeln. Das läuft dann so ab, dass Brad vor dem Computer hockt, eine Liste mit seinen unzähligen Verhältnissen durchläuft, und bei vielen Namen dann Erinnerungen hochkommen. Beth, die sich im Juryraum von O.J. Simpson ausgezogen hat. Sasha, die beobachtet werden wollte und selber beobachten will. Molly, die es erst nach einem Tennismatch besorgt haben will. Wobei, mit Molly kommen wir schon dahin, dass Brad dem Inspektor erzählt was die Damen so alle von ihm wollten. Julie, die erst ein Abendessen und dann den Typen verspeisen will. Eine Frau namens Stranger, die keine Namen und keine Details austauschen will, und es mit Brad in der Natur treibt. Taylor, die sich vor ihm auszieht, und keiner merkt, dass im Hintergrund noch jemand zuschaut. Und natürlich Desire, deren Gesicht Brad nie gesehen hat, und die die einzige ist, von der er mehr haben möchte. Desire wiederum steht bedingungslos auf Brad, und damit hätte sie, genauso wie Stranger, ein Motiv. Die Geschichte der virtuellen Desire erzählt Brad seiner Schwägerin Wendy, während diese nackt im Pool badet … Noch Fragen zur Handlung?

Bild Bild

Bild Bild

Bild Bild

Bild Bild

Keine Frage, klingt gut. Kann man dann also viel Atmosphäre erwarten? Nun ja, leider ist das alles relativ steril gefilmt. Die ganze Atmosphäre wirkt künstlich und hohl, was den sexy Damen und der hervorragend gefilmten Action leider etwas den Drive nimmt, genauso wie die dümmliche Library-Muzak, die meistenteils im Hintergrund dudelt. Nur zu den Stripteases wird die Mucke mal fetziger, was dann die Szenerie meistens auch recht schnell aufwertet. Und da es mehrere Strips hat, die auch teilweise recht sexy sind, fällt die Mistmucke im Rest des Films nur umso mehr auf.

Also ein Softcore-Filmchen auf den, zur der damaligen Zeit bereits reichlich ausgetretenen, Spuren von BASIS INSTINCT? Nicht ganz, denn interessanterweise kommt der fehlende Drive dann durch die, lange Zeit vernachlässigte, Krimihandlung irgendwann dazu, und die letzten 20 Minuten sind, vom Spannungselement her, gar nicht ohne. Die Auflösung mag nicht überraschend sein, aber sie ist gut gemacht, und zu guter Letzt vermeidet VIRTUAL DESIRE vor allem einen Lieblingsfehler neuerer amerikanischer Filme: Er ist zu Ende wenn er zu Ende ist, und nicht 2 Minuten später! Großer Pluspunkt!!

Somit ist der Film sicher kein Anwärter für den anspruchsvollsten Film des Jahres 1995, aber einem Antonioni kann Wynorski auf jeden Fall das Wasser reichen: Ich bin über die gesamte Laufzeit wach geblieben, ich war immer mit voller Aufmerksamkeit dabei, ich hatte Spaß, ich will mehr von diesem Regisseur sehen, und dies möglichst bald … Können Filme von Antonioni alle diese Bedingungen erfüllen? Ich behaupte nein …
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 2727
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Der Herr der Welt (Harry Piel, 1934) 7/10

Roboter am Arbeitsplatz, das ist die Idee des Industriellen Heller, und Bergbauingenieur Baumann hat gleich die passende Vision dazu: Seine Bergleute, die jetzt unter Tage schuften, sollen ersetzt werden durch Maschinen. Schnitt: Kaum ist Baumann aus dem Urlaub zurück im heimischen Stollen, da geschieht schon ein schreckliches Unglück, bei dem viele Kumpels einen schrecklichen Tod sterben. Was Baumann natürlich erst so richtig anspornt.
Gleichzeitig kommt Heller nicht dazu, seine junge Ehe mit der schönen Vilma zu genießen: Vor der Geschäftsreise hatte er Professor Wolf eine Menge Geld gegeben, und der hat sich seit 12 Wochen in seinem Labor verbarrikadiert, Explosionen erzeugt und niemanden an sich herangelassen. Heller präsentiert er jetzt seine Arbeit: Einen Roboter! Eine gigantische Waffe, unbesiegbar, ideal um die Herrschaft über die Welt zu erlangen. Heller ist entsetzt ob dieser Phantasien, und bei der folgenden Auseinandersetzung stirbt er durch die Deltawellen des Roboters.
Als Baumann die frisch gebackene Witwe Vilma kennen und lieben lernt ist er seinem Ziel schon sehr nah: Alle Arbeiter werden durch Roboter ersetzt. Doch der Schock ist groß als Baumann erkennen muss, dass seine Freunde von früher nun arbeitslos geworden sind. Gemeinsam mit Vilma sucht er noch nach einem Ausweg, da grätscht Professor Wolf in das junge Glück: Er will Vilma zwingen, ihm die Heller-Werke zu überschreiben, damit er Roboterwaffen produzieren kann. Was Baumann natürlich nicht akzeptieren kann. Er will Wolf zur Rede stellen. Wolf und seinen tödlichen Roboter …

Bild Bild

In DER HERR DER WELT steckt so unglaublich viel drin, das man gar nicht so recht weiß wo man anfangen soll. Vielleicht am Anfang, bei einem Gespräch zwischen Bergbauingenieur und Unternehmer über den Segen der Technik, was 1934 sehr wohl noch State of the Art war: Technik als Heilsbringer der modernen Welt – heute ein fast undenkbares Sujet. Dann die starken Bilder der einstürzenden Bergbaustollen, die mir wieder einmal klar machen, was für einen tollen Bürojob ich doch habe. Und der kumpelhafte Baumann, der ganz nah bei seinen Arbeitern ist und mit ihnen gemeinsam ins Krankenhaus kommt. Standesdünkel sucht man hier vergebens, alle ziehen am gleichen Strick.
Im Gegensatz zu Heller und seiner Frau Vilma: “Ein halbes Jahr warst Du weg, fast so lange wie wir verheiratet sind.“ Und kaum ist das Frühstück gerichtet, saust er auch schon wieder los, Professor Wolf zur Rede stellen, und Vilma muss ihr einsames Schicksal mit Fassung tragen. Professor Wolf schaut aus wie eine Mischung aus einem unheimlichen Mönch und einem SS-Mann und trägt auch eine entsprechende Diabolik zur Schau. Finster und unheilvoll blickend verkündet er die zukünftige Übernahme der Weltherrschaft durch seine Kampfroboter (die ich in ähnlicher Form in den 70ern tatsächlich in den Spielzeugläden gesehen habe – die Übernahme der Welt durch die japanischen Spielzeugkonzerne war zu der Zeit bereits in vollem Gange …). Nur das Problem der Deltawellen habe er nicht ganz im Griff, ob Heller mit seinem Wissen nicht vielleicht …? Hellers entschiedenes Nein resultiert in einem frühen Tod, und Professor Wolf mutiert zum Dr. No des Vorkriegsfilms.

Derweil lernt Baumann die schöne Vilma kennen und verliebt sich. Bei vorsichtig schmachtenden Blicken und gemeinsamen Schachspielen wäre die Welt in Ordnung, wenn Baumann nicht schon wieder urplötzlich durch die Welt reisen müsste. Wieder ist Vilma traurig, trägt aber Tapferkeit zur Schau, während auf Baumann der bereits erwähnte Schock seines Lebens wartet: Durch den Einsatz der Roboter werden alle seine früheren Freunde arbeitslos! Jetzt müssen sie zwar nicht mehr ihr Leben riskieren, können aber auch nicht mehr ihre Familien ernähren. Das hätte Baumann nicht gedacht, genauso wenig wie den Fakt, dass den Herren aus den oberen Etagen diese Umstände herzlichst schnurz sind. Eine Lösung muss her!
Vilma muss sich derweil den Annäherungen der Anwälte der Heller-Werke erwehren, die das Werk an Professor Wolf übertragen wollen. Nur Vilmas Unterschrift fehlt noch, doch im letzten Moment kommt Baumann durch die Tür und kann diese ruchlose Tat verhindern. Man will Wolf zur Rede stellen, und der zeigt daraufhin sein wahres Gesicht: Der böse und kriegslüsterne Wolf wirft seinen Schafspelz ab, sperrt Baumann ein und bedrängt Vilma.

Das klingt jetzt alles ein wenig leicht lustig, und im Nachhinein wirkt das auch sicher alles so. Ich kann aber versichern, und damit kommen wir zu den starken Seiten des Films, dass dies alles ausgesprochen packend inszeniert ist. Klar, die Spezialeffekte haben nicht das Niveau von heute, sind aber außerordentlich gut gemacht. Und auch wenn der Roboter eher zum Lächeln animiert, wirkt er doch genauso unaufhaltsam wie Professor Wolf es sagt. Seine Amokfahrt in Richtung Tür assoziiert ganz klar die Fahrt durch feindliche Soldaten, die ihn hilflos sterbend nicht aufhalten können. Beeindruckend!
Zu den Spezialeffekten gehören aber zum Beispiel auch die Szenen in der einstürzenden Grube, und die sind wirklich hammerhart. Explodierende Gasleitungen, Feuer, einstürzende Schächte und Gänge – Das geht auch heute noch unter die Haut, allerdings hat Regisseur Harry Piel hier leider den Blick auf die Uhr vergessen, weswegen die Szenen ein klein wenig zu lang geraten sind und an Intensität verlieren. Irgendwann wünscht man sich als Zuschauer leider nur noch, dass das Inferno mal vorbei sein mag. Allerdings werden die Bergleute, die so etwas Schreckliches in der Wirklichkeit erleben müssen, wohl das gleiche denken …

Womit das weite Feld der Interpretation geöffnet werden darf, denn die verschiedenen Aussagen des Films lassen Raum für wildeste Vermutungen über die Intentionen des Regisseurs. Harry Piel, einer der deutschen Superstars der 20er Jahre, war 1933 in die NSDAP eingetreten und wurde auch förderndes Mitglied der SS, unterstütze sie also finanziell. Man kann wohl mit Fug und Recht davon ausgehen, dass Piel entweder ein unglaublicher Opportunist war, oder, wahrscheinlicher, ein überzeugter Nationalsozialist. Und in diesem Zusammenhang sind vor allem die Darstellungen der verschiedenen Gesellschaftsschichten hochinteressant: Die einfachen und sympathischen Arbeiter, der heimatlichen Scholle und der Freundschaft untereinander fest verschworen, auf der einen Seite. Die arroganten Bonzen im Management, die sich nur für Kostenminimierung und Gewinn interessieren, aber nicht für die ehrlichen Jungs unten in den Gruben, auf der anderen Seite. Die Charakterisierung ist einfach und klar, und man hat als Zuschauer keinerlei Probleme eine Identifikationsfigur zu finden, nämlich Bergbauingenieur Baumann, der burschikos und als Hansdampf in allen Gassen, teutonisch und supersympathisch, und mit enormer Street Credibility inszeniert wird. Siegfried Schürenberg wirkt in seiner ersten Hauptrolle (und zweiten Filmrolle überhaupt) trotz eines gelegentlichen Anflugs von Conrad Veidt wie ein verjüngter Hans Albers. Wie Siegfried, der den finsteren Wissenschaftler Alberich im dunklen Kämmerchen besiegt. Wie ein wahrhaft germanischer Recke.

Und überhaupt, der Wissenschaftler. Dieser Professor Wolf, der in seiner schwarzen Kleidung und dem getragen-diabolischen Gestus einem Dr. Mabuse locker das Wasser reichen kann. So ganz verstehe ich diese Rolle nicht: Dass die Nazis den militärisch-industriellen Komplex glorifiziert haben ist nichts Neues (auch wenn der Begriff als solches erst einige Jahre später erfunden wurde), aber Professor Wolf repräsentiert diesen Komplex wie kein anderer. Er hat Allmachtsphantasien, er hat teilweise Möglichkeit diese auch auszuleben – aber er ist definitiv der Böse in diesem Film. Er bietet keinerlei Projektionsfläche, man hat als Zuschauer kein Mitleid, kein Quentchen Sympathie – der Mann ist einfach nur abgrundtief schlecht. Man beachte schon den Namen: Das personifizierte Böse in mystischer Tiergestalt …

Bild Bild

Bild Bild

Interessant an DER HERR DER WELT ist somit, wie der Film es schafft, diese Darstellung einer eigentlich nationalsozialistischen Idealwelt, also Weltherrschaft durch militärische Überlegenheit und sonst nichts, wie diese Idealwelt geschickt als Ausgeburt der Hölle dargestellt wird, während das Gegenstück, die heile Welt mit Frau und Kind und Haus und Hof, als erstrebenswertes Ideal romantisiert wird. Der Schluss des Films, wenn Baumann und Vilma durch eine hochgradig kitschige und künstliche Einfamilienhaus-Welt fahren, in der jeder der früheren Kumpel seinen eigenen Hof mit Selbsternährung hat, der schmerzt schon ziemlich. Das hat mit Realität aber auch gleich gar nichts mehr zu tun. Obwohl: Die offiziell dargebotene NS-Ideologie vom glücklichen Bauern und zufriedenen Arbeiter, der auf dem, unter Einsatz perfekt organisierter Kriegsmaschinerie befreiten, Siedlungsraum sein Leben in den Dienst des Volkes und des Staates stellt, diese Ideologie wird perfekt bedient. Womit beide Seiten der Ideologie in einem spannenden Phantastik-Thriller vereint wären

Was spätestens an dieser Stelle fasziniert ist der Umstand, dass 1934 die filmische Propagandamaschinerie der Nazis noch nicht so großartig lief wie in den späteren Jahren. Goebbels als der zuständige Minister wusste zwar bereits um die Wirkung des Mediums Film, hatte aber noch andere Schwerpunkte in seiner Arbeit. Und trotzdem hat Harry Piel diese Maschinerie so perfekt bedient, als ob die Vorgaben des Propagandaministeriums bereits fertig auf dem Tisch gelegen wären.

Bemerkenswert ist an der Stelle, das ich beim Ansehen nie das Gefühl hatte, dass mir diese unsägliche “Wir sind die Größten“-Botschaft KOLBERG-mäßig um die Ohren gehauen wird. Ganz im Gegenteil, ich meinte immer, dass Piel eigentlich etwas ganz anderes sagen möchte, dass er versucht die nationalsozialistische Grundstimmung umzuformen in etwas grundsätzlich Gutes. Und das ist das eigentlich Perfide: Ich bin ein relativ belesener (glaube ich jedenfalls) Bildungsbürger der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit einem starken Interesse an Geschichte, Politik und Film. Ich behaupte von mir, dass ich Propaganda erkenne wenn ich sie lese oder sehe. Nicht immer, aber immer öfter. Aber wie ist DER HERR DER WELT einem einfachen Menschen der frühen 30er-Jahre erschienen? Wie hat ein Arbeiter oder Angestellter diesen Film im Kino, auf der großen Leinwand, empfunden? Was hat er hinterher gedacht? Mit welcher Stimmung ist er am nächsten Tag in die Arbeit (so er eine hatte)? Hier setzt die eigentliche Hinterfotzigkeit an. Nicht bei offensichtlichen Parteifilmen im Stil von SA-MANN BRAND (bei der Bavaria 1933 entstanden) oder HITLERJUNGE QUEX (ebenfalls 1933 bei der Ufa gedreht), sondern bei Filmen wie eben DER HERR DER WELT oder Luis Trenkers DER REBELL (1932). Felix Moeller trifft den Kern, wenn er schreibt: “Die Zahl der politisch akzentuierten Filme dieser Zeit liegt zwar bei genauerer Analyse höher als gemeinhin unterstellt wird, jedoch nicht als Ergebnis einer neuen Filmpolitik, sondern dank des willfährigen Opportunismus und der deutschnationalen Kontinuität bei Teilen der Filmindustrie“. (1)

Ein interessantes Thema, aber ich schweife ab. Fakt ist, dass DER HERR DER WELT ein spannender Abenteuerfilm ist, der flott voranschreitet, tolle Schauspieler hat, einige sehr packende Actionszenen und gleichzeitig noch einiges zum Nachdenken bietet. Und der mir mit allen gebotenen Reibflächen und Kritikpunkten gut gefallen hat. Sowohl als Spannungsvehikel wie auch als Zeitdokument. Und wie DER HERR DER WELT beim Publikum ankam ist auch überliefert: Der Film wurde bei der Premiere in Berlin im August 1934 ausgelacht und ausgepfiffen …

(1): Felix Moeller: Der Filmminister, Berlin 1998, S. 153 f.

Bild Bild
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 2727
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Nana – Die erotischen Geheimnisse einer Nymphomanin (Dan Wolman, 1983) 7/10

Vielleicht konnten wirklich nur die Italiener solche Filme drehen: Frivol ohne schlüpfrig zu sein, dramatisch aber immer mit einem heiteren Unterton. Und auch wenn das Schicksal des Grafen Muffat traurig anmutet, so weht auch hier ständig diese leichte und fast frühlingshafte Brise durch die Erzählung. Wunderschöne Bilder, verzuckert durch eine elegisch-melancholische Musik von Maestro Morricone, und durch die Bank ansprechende und erstklassige Schauspieler ergeben in Summe anderthalb Stunden erotische Realitätsflucht mit großem Hang zum Wegträumen. Ein Märchen für erwachsene Filmliebhaber.
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 2727
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Son de Mar – Nicht ohne Dich (Bigas Luna, 2001) 5/10

Eigentlich hat SON DE MAR alles, was einen, im allgemeingültigen Sinn, guten Film ausmacht: Liebe, Romantik, Sehnsucht, Sommer in Spanien, niederträchtige Finsterlinge die anderen kein Glück gönnen, idealistische Helden und hingebungsvolle Frauen (von dem wir uns von beidem etwas mehr für unser eigenes Leben wünschen), etwas Sex (aber bloß nicht zu viel), etwas Gefahr (aber bloß nicht zu viel), große Gefühle, und über lange Strecken ein leichtes und fast heiteres Flair. Bloß eine (tödlich wirkende) Frage stellt sich mir nach Ende des Films: Was soll das alles?
Sorry, da war ich wohl einfach nicht die richtige Zielgruppe, glaube ich. Die Mischung aus den oben genannten Zutaten ist wohl ausgewogen und unglaublich schön fotografiert, aber zumindest mich hat das alles relativ unberührt gelassen, was dann in Summe zu einem „nett“ führt. Und das war bestimmt nicht die Absicht …
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 2727
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Extreme Risk (Edward Thomas, 2000) 4/10

Die etwas müde mäandernde Story um einen unsympathischen Geschäftsmann und seine Zwangs-Verbandelung mit der russischen Mafia (was als Inhaltsangabe bereits ausreicht) hat verschiedene beachtenswerte Aspekte: Sie ist stellenweise extrem schön fotografiert, die mitwirkenden Frauen (Tara Fitzgerald, Sadie Frost, Dani Behr) sind unglaublich schön und geben sich alle Mühe, beim (männlichen) Zuschauer für feuchte Gedanken zu sorgen, und Joe Fiennes zeigt in seiner stereotyp angelegten Figur hinreißende Abgründe. Fein sind auch die deutlichen Hommagen an den Italo-Western, die durch ihre sorgfältige Inszenierung ein Lächeln auf das Gesicht des geneigten Genrefans zaubern können.
Aber leider gibt es da auch noch ein paar andere Dinge, und die überwiegen am Ende doch gewaltig: Dass Rhys Ifans in seiner platten Dummheit eine glatte Fehlbesetzung ist. (Ist er das wirklich? Den idiotischen Hedonisten spielt er eigentlich sehr gut, dummerweise ist seine Figur allerdings so dermaßen lebensunfähig und unsympathisch, dass die Bezugsperson für den Zuschauer komplett ausfällt. Nicht gut das …) Dass sehr viele Szenen, vor allem ausnahmslos alle, in denen die russische Mafia auftritt, so hemmungslos bedeutungsschwanger inszeniert sind, und damit gleichzeitig ihre inhaltliche Leere zeigen. Dass die schönen Bilder nicht überdecken können, dass die Geschichte nicht weiß wo sie hin will, und dies zwischen fiebrigem Londoner Nachtleben und düsterer Mafiaherrschaft versucht, mit reichlich nicht gezeigtem Sex aufzufüllen. Dass vor allem im zweiten Drittel diese Orientierungslosigkeit so stark wird, dass das Interesse beim Zuschauer rapide verloren geht. Und das Schlimmste: Dass man sich nach rund 90 Minuten ernsthaft fragt, warum man sich so einen Quatsch antut …

Einen Punkt für die Western-Reminiszenzen, einen für Joe Fiennes, der die 08/15-Charakteristika seiner Rolle erstklassig abspult, und zwei für die wunderschönen Frauen. Wem das reichen mag …?
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 2727
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins (Philip Kaufman, 1988) 7/10

Was dieser Film NICHT ist: Eine buchstabengetreue Literaturverfilmung des (wundervollen) Romans von Milan Kundera. Philip Kaufman denkt gar nicht daran, die verschachtelt erzählte Philosophie der Vorlage sklavisch in einen mühsamen Arthousefilm umzusetzen. Er konzentriert sich stattdessen lieber auf den Geist des Romans, auf seine Aussage, und darauf, die Stimmung wiederzugeben – Die Stimmung des Romans, aber auch die Stimmung in Prag im Frühjahr und Sommer 1968. Was mit einer erstaunlichen Leichtigkeit dazu führt, dass DIE UNERTRÄGLICHE LEICHTIGKEIT DES SEINS ein Film über Gefühle ist. Darüber, Gefühle zu unterdrücken oder sie zuzulassen. Ein Film darüber, zu seinen Gefühlen zu stehen und sie zur Maxime des eigenen Handelns zu machen. Darüber, sich nicht zum Sklaven der Erwartungen anderer zu machen, sondern zu sich und seiner eigenen Haltung zu stehen. Ein Film über das Fortgehen und über das Ankommen. Ein Film über Liebe und Tod, über Hoffnungen, Enttäuschungen und freudige Überraschungen. Über Sex, Zärtlichkeit, und über die Verwechslungsgefahr dieser Dinge. Über Schweine und Hunde. Über Russen und Schweizer. Und vor allem: Ein Film der ganz großen Gefühle. Nichts zum alleine schauen, sondern zum zu zweit genießen und diskutieren. Und zum hinterher voller Lust übereinanderherfallen …
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 2727
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Orgy of the dead (Stephen C. Apostolof, 1965) 6/10

Was für eine wunderbare kleine Perle Erotik-Trash! Nackte Frauen tanzen im Trockeneisnebel auf einem recht gotisch angehauchten Friedhof, huldvoll beäugt vom Herrscher der Finsternis und der Kaiserin der Nacht. Wesentlich mehr passiert eigentlich nicht, außer dass der Wolfsmensch und die Mumie zwei lebendige Menschen bewachen, und sich im Angesicht der Tänzerinnen benehmen wie 10-jährige, wenn sie den Playboy des Vaters entdecken. Ein paar Tänzerinnen sind eher unaufregend, aber einige lassen es, in Anbetracht des Entstehungsjahres, doch einigermaßen krachen und wackeln ordentlich und aufreizend mit den Hüften. Die dadurch entstehende Melange aus unfreiwilliger Komik und schwül-gotischer Erotik, zusammen mit dem künstlich-verderbten Ambiente, schafft eine ganz eigene und reizvolle Stimmung, die, je nach Neigung des Zuschauers, zu heftigen Schmerzens- oder genauso heftigen Lustschreien führt. Mir persönlich hat es gut gefallen, gerade weil die Schauwerte so zurückhaltend präsentiert werden, und der Blutgehalt deutlich unter null ist. Ein Kleinod unabhängiger Filmkunst …

Bild

Bild

Bild

Bild

Bild

Bild

Bild

Bild

Bild

Bild

Bild

Bild
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 2727
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Sierra Charriba (Sam Peckinpah, 1965) 9/10

Was kommt heraus, wenn man die technische Perfektion und die Narration eines US-Westerns mit dem Dreck und dem Härtegrad eines (späten) Italo-Westerns kreuzt? Wenn John Ford DER MANN AUS VIRGINIA inszeniert? SIERRA CHARRIBA! Der Weg eines Mannes durch die Hölle, bis ganz tief unten, wo auch seine wenigen Vertrauten ihn nur noch töten wollen, und er sich selbst längst aufgegeben hat. Der Weg einer Gruppe traditionell kämpfender Soldaten in das Inferno eines Guerillakrieges, dessen Regeln sie nicht verstehen, und den sie nur verlieren können. Und der sie in einen Schlusskampf führt, der in Sachen Brutalität und Gewalt einem, sagen wir BRAVEHEART, in nichts nachsteht. Und der wurde immerhin 30 Jahre später gedreht!
Sierra Charriba räumt mit der Vorstellung der guten alten Edelwestern radikal auf und macht Platz für die Darstellung der modernen Welt (sprich: Kriegsführung, sprich: Gewalt) im Western. Wegweisend, visionär, brutal, gewaltig. Ein Meilenstein der Filmgeschichte, deutlich seiner Zeit voraus. Auch wenn es noch sehr lange dauern wird, bis sich diese Erkenntnis, wenn überhaupt jemals, durchsetzen wird.

Bild
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 2727
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Das Geheimnis der schwarzen Koffer (Werner Klingler, 1962) 7/10

Prinzipiell erstmal eine Aneinanderreihung von Bausteinen aus dem Edgar-Wallace-Krimibaukasten, ist die Story sehr wohl flott und spannend, atmosphärisch erstklassig umgesetzt, mit tollen Schauspielern, und überhaupt macht der Film einfach Laune. Der durchschnittlichen Musik und Chris Howland als Hände-über-dem-Kopf-zusammenschlag-Faktotum stehen Senta Berger und eine erstklassig-düstere Stimmung gegenüber. Passt gut!
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Antworten