Bestialità (Peter Skerl, 1976) 7/10

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Dies war einmal ein Schloss. Es gehörte der Familie Richelieu, sie waren reich und glücklich. Sie hatten ein Mädchen, anmutig und schön. Und sie hatten einen Hund. Einen Zuchthund. Er war so schön, dass Madame mit ihm ficken wollte.
Und dann?
Dann brannte das Schloss. Die Richelieus verschwanden mit ihrer Tochter. Und das ist alles was bekannt ist
Und der Hund?
Der Hund … Der Hund …
Der Hund ist wieder da. Er begleitet die junge Jeanine, und manchmal auch den alten Fischer Ugo. Jeanine und der Hund haben die Eigenschaft, urplötzlich aufzutauchen, und wenn man kurz woanders hin geschaut hat, genauso urplötzlich wieder zu verschwinden. Dem Ehepaar Paul und Yvette geht das so – Gelegentlich begegnen die beiden dem Mädchen und dem Hund, aber eigentlich könnten die beiden auch ein Trugbild sein, so wie es der wunderliche Prediger, der immer wieder überraschend auftaucht, ausdrückt. Paul ist eigentlich Architekt und soll ein Tourismusprojekt auf dieser sonnendurchglühten Insel vorbereiten. Seine Frau begleitet ihn dabei, langweilt sich aber auf der Insel mindestens genauso wie in ihrer kinderlosen Ehe. Die kleine Gruppe vergnügungssüchtiger Nachbarn, die zu den unmöglichsten Zeiten auftaucht und Partys feiert, welche im Lauf der Zeit immer mehr zu Orgien werden, sind auch keine wirkliche Abwechslung. Doch dann freundet sich das Paar mit Jeanine an, was aber dem Hund gar nicht gefällt. Und Ugo auch nicht …
Und am Ende bleiben viele Fragen offen. Wer Ugo ist. In welcher Beziehung er zu Jeanine und dem Hund steht. Was Jeanine wirklich bewegt hat. Ob die Geschichte des merkwürdigen Privatdetektivs wahr sein könnte? Regisseur Peter Skerl weigert sich, diese Fragen zu beantworten, und erzeugt stattdessen lieber eine intensive und flirrende Stimmung unter der heißen Sonne des Mittelmeers. Sex und Mystery könnte man das nennen - wenn diese Begriffe nicht so viel Aufregung versprechen würden. Denn das Tempo des Films bleibt nach einem furiosen und skandalösen Auftakt langsam, aber intensiv. Wir begleiten Paul und Yvette durch die unendlich langweilige Hölle (Richtiger: Einöde) ihrer Ehe, und besonders Yvette erzeugt unser Mitleid, da sie Paul eigentlich immer noch liebt und fortwährend um seine Aufmerksamkeit buhlt, dabei aber völlig unbeachtet bleibt. Sie ist eine Frau im besten Alter, wie man so sagt, und die Zeichen des nahenden Alters sind nicht zu übersehen. Eine Frau, die niemals ihren Herzenswunsch eines Kindes erfüllt bekam, und darüber frustriert wurde. Die sich die Orgien ihrer dekadenten Nachbarn anschaut und angewidert ist von deren Geldgier, der Geilheit auf Sex mit wem gerade auch immer, und dem zügellosen Verhalten der Neureichen, für die die Welt ein einziger Selbstbedienungsladen ist. Yvette ist anders, und als sie die Möglichkeit hat Jeanine genauer kennenzulernen öffnet sich in ihr eine Tür. Plötzlich hat Yvette das Kind, welches sie sich immer gewünscht hat, und umsorgt es mit aller Liebe. Umso größer ist der Schock als Yvette mitansehen muss, was Paul mit Jeanine macht …
Ja, BESTIALITÀ ist kein Film für den gemütlichen Familiennachmittag. Der hier gezeigte Sex, obwohl es nicht wirklich viel davon hat, kann durchaus zu sofortigem Abschalten veranlassen. Oder zu langen Diskussionen (unter dem Motto
Was schaust Du Dir denn für einen Scheiß an?). Dabei ist der Film aber nie exploitativ-reißerisch, und der Sex ist nicht wirklich selbstzweckhaft. Eher wird eine ganz eigene, eine träumerische Atmosphäre aufgebaut, die auf Erotik genauso fußt wie auf nicht gestellten Fragen. Und auf Antworten zu Fragen, die keiner kennt. Paul Muller kommentiert den Film in passenden und unpassenden Momenten als Pilger der in Sachen des Geistes unterwegs ist, leistet auch mal erste Hilfe wenn Paul von Ugo zusammengeschlagen wurde, und trägt so wesentlich zu dieser abwartenden und entspannt-aufgeladenen Stimmung bei.
Entspannt-aufgeladene Stimmung? Ja, denn eigentlich passiert nicht viel, und im Wesentlichen schauen wir nur einem älteren Ehepaar dabei zu, wie es sich den Alltag gegenseitig unerträglich macht. Skerl schafft dabei aber das Kunststück, eine Grundspannung zu erhalten – Der Zuschauer möchte wissen was als nächstes passiert, will wissen wann der Hund wieder auftaucht, ist gespannt darauf, ob Yvette, der unsere ganze Sympathie gehört, vielleicht ein kleines bisschen glücklicher werden kann. In der Hitze der Sommersonne scheint nichts unmöglich, und sowohl das plötzliche Erscheinen Ugos wie auch das des Pilgers sorgt jedes Mal für eine kleine Umdrehung an der Spannungsschraube, ohne dass dabei irgendwelche Auswirkungen im Sinne von Schocks oder Gewalt zu sehen sind. BESTIALITÀ wirkt wie ein Traum, die einzelnen Szenen scheinen sich in ihrer Unwirklichkeit oftmals wie Phantasien eines Kranken zu entspinnen, der in fiebrigen Schüben nicht mehr zwischen Hier und Dort unterscheiden kann. Hier die entspannte und gleichzeitig aufreizende Erotik eines Dreiergespanns, dort die tödliche Bedrohung durch einen Dobermann.
BESTIALITÀ kann diesen Spagat zwischen Erholung und seltsamer Erscheinung, zwischen sexuell aufgeladener Stimmung und meditativem Urlaubsflair, sehr gut ausloten, und überzeugt damit auf ganzer Linie. Es ist halt kein Film für ein Publikum, das es gewohnt ist alles vorgekaut und erklärt zu bekommen. Als aufgeschlossener Zuschauer aber beendet man diesen Film zwar mit vielen offenen Fragen, dafür aber auch mit viel Ruhe in der Seele.