Was vom Tage übrigblieb ...

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Moderator: jogiwan

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Maulwurf
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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

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Man on a string (André De Toth, 1959) 7/10

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Der Geheimdienst der Vereinigten Staaten von Amerika, der hier witzigerweise CBI genannt wird, hat den Filmstudiobesitzer und gebürtigen Russen Boris Mitrov im Verdacht, ein Spion zu sein. Er wird überwacht und es stellt sich heraus, dass er seit Jahren mit dem Botschafter der Sowjetunion Colonel Kubelov zusammenarbeitet. Da gerade eine Aktion des CBI (was für ein dämlicher Name) in der Schweiz furchtbar schiefgegangen ist, wird Mitrov auserkoren, der neue Mann für die Beendigung dieser Aktion zu sein: Die Agenten Avery und Sanford wollen Mitrov nach Moskau schicken, um ihn dort im Kreml als Maulwurf zu installieren. Im Gegenzug darf er am Leben bleiben – Spionage war halt schon immer ein lebensgefährliches Geschäft. Das alles klingt schon ziemlich verrückt, aber der Film versichert uns gleich mehrfach, dass in der Realität dieser Plan mit diesem Mann nicht nur existierte, sondern auch erfolgreich durchgezogen wurde …

GEHEIMAKTE M hat so einige Aspekte, die ihn zu etwas ganz Besonderem machen. Da wäre etwa der Umstand, dass der Film on Location in Los Angeles, New York, Berlin und Moskau(!) gedreht wurde. Die zeitgenössischen Bilder aus Berlin kennt man vielleicht noch aus Billy Wilders ein Jahr später entstandenem EINS, ZWEI, DREI, wobei Regisseur De Toth und sein (Berliner) Kameramann Albert Benitz (u.a. DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE, DES TEUFELS GENERAL, BERGE IN FLAMMEN)ein Händchen dafür zeigen, die Ruinen der Stadt sehr eindrucksvoll und passend zur Story einzusetzen. Aber Moskau? Kameramann war ein gewisser Pierre Poincarde, dessen einziger Film dies zu sein scheint. Seine Kamera schwenkt wie in einem Dokumentarfilm über die Menschen und die Häuser, durch die Metro und wieder über die Menschen, während dabei Ernest Borgnine mit seiner weichen Stimme die Ängste und Zweifel schildert, die ihn während seines nicht ganz freiwilligen Aufenthalts quälten. Ein wahrlich beeindruckender Filmmoment, der einen schwebenden Angstzustand perfekt illustriert!

Dann ist da der Umstand, dass, wahrscheinlich durch den Dreh in Berlin, auch einige deutsche Schauspieler zu sehen sind. Susanne Körber-Harlan, die Tochter von Veit Harlan, hat nun keine große Rolle abbekommen, aber Friedrich Joloff spielt eine sehr wichtige Nebenrolle als sowjetischer Geheimdienstgeneral Chapayev, und Eva Pflug beeindruckt als eiskalte Bürokratin im Auftrage des Sozialismus Tanja Rosnova. Der MSS-Mann Grünwald wird von Holger Hagen gegeben, der bis in die späten 80er hinein vielmals im deutschen Fernsehen unterwegs war, und Reinhold Paschs Filmkarriere hatte bereits in der Stummfilmzeit begonnen und erreichte im Dritten Reich Höhepunkte wie DER KAISER VON KALIFORNIEN oder CARL PETERS. Zeit seines Lebens ein Nebendarsteller, aber immer gut beschäftigt.

Der wesentliche Punkt aber, der GEHEIMAKTE M aus der Masse heraushebt, ist seine Haltung gegenüber dem Kommunismus. Etwa ab der Mitte der 50er-Jahre ging in den USA die Ära des McCarthy-ismus zu Ende, aber die Angst vor allem was anders denkt, und vor allem was nicht mit den ehernen Gesetzen des Kapitalismus zu tun hat, diese Angst ist bis heute tief in der amerikanischen Gesellschaft verankert. Und diese Angst hat ab den späten 40ern bis zu den späten 50er-Jahren für eine Reihe stereotyper Krimis und Agentenfilme gesorgt, in denen mutige FBI-Männer den roten Teufeln zeigen wo der Hammer hängt, und deren Narration auf Dauer eher für Langeweile sorgte. GEHEIMAKTE M ist anders! Zwar beginnt er wie so viele dieser Filme damit, dass die USA von kommunistischen Agenten unterwandert seien, und der glorreiche Geheimdienst CBI (lach) dank des Einsatzes fortschrittlichster Technik dieser Gefahr jederzeit Herr werden kann, aber gleichzeitig weigert sich De Toth, seine Hauptfigur Mitrov als jemanden Bösen darzustellen. Ein freundlicher und jovialer Mann, der für sein Filmstudio lebt, den aus der Sowjetunion zurückgekehrten alten Vater hegt und pflegt, und davon träumt, seine noch im Reich des Bösen befindlichen Brüder wieder in die Arme schließen zu können. Ein Umstand, der ihn zu Colonel Kubelov bringt und damit in den Untergang. Denn die CBI (muhaha) zwangsrekrutiert Mitrov im Kampf gegen das linke Pack, und diese Rekrutierung ist bereits ein Affront für jeden Gerechtigkeitsliebhaber. Die beiden Agenten machen es sich in der Hotelsuite Mitrovs gemütlich fordern ihn auf seine Geschichte zu erzählen, und unterbrechen ihn auf das Rüdeste bei fast jedem Wort. Mitrov kann keinen einzigen Satz zu Ende bringen; die beiden Agenten wenden kaltlächelnd autokratische Verhörmethoden ein, um Mitrov unter Druck zu setzen und ihn an die Leine zu nehmen. Fortan ist er der MAN ON A STRING aus dem Originaltitel - Ferngesteuert von kalten Bürokraten, und selbst sein bester Freund und Kollege Avery entpuppt sich als Doppelagent – Die bittere Enttäuschung Mitrovs über diese Enthüllung schmerzt ihn sichtlich und ist ein Tiefschlag mit der amoralischen Keule, und dass Avery billigste Tricks anwendet um Mitrov wieder auf seine Seite zu bekommen macht die Sache nur noch schlimmer*.

Der Zuschauer hat tiefes Mitleid mit Mitrov, und seine Odyssee durch Berlin und Ost-Berlin bis nach Moskau wird durch diese Sympathie zu einer düsteren und traurigen Reise in die Finsternis einer enttäuschten Seele. Trotzdem Mitrov nie den Mut verliert und seine Rolle als Doppelagent perfekt spielt, sind wir immer auf seiner Seite, mit ihm als Humanisten und gegen den amerikanischen Staat, der sich solcher Methoden bedient. Der sowjetische General Chapayev ist dann zwar spürbar einer von den Bösen, aber der Zuschauer schwankt bemerkenswert zwischen Sympathie und Antipathie – Soll man Chapayev nun lieben oder hassen? Sein Auftrag heißt ganz klar Vernichtung, aber sein Lächeln scheint so echt zu sein. Eine Glanzleistung nicht nur Friedrich Joloffs sondern auch des weltmännischen Regisseurs André De Toth, dem (politische) Schuldzuweisungen vollkommen fremd waren.
Die einzigen wirklich Bösen sind die Eheleute Benson – Amerikanische Millionäre und Kommunisten! Die nicht weiter beleuchtet werden, aber allein den Umstand, dass ein amerikanischer Millionär im Jahr 1959 als etwas Verderbtes und Böses dargestellt wird, muss man sich erstmal auf der Zunge zergehen lassen. Genauso wie die Tatsache, dass der Kommunismus hier nicht per sé in Bausch und Bogen verteufelt wird, sondern als nicht völlig unsympathischer Gegenentwurf zum Kapitalismus gezeigt wird; als politisches System das eben auch seine Existenzberechtigung hat, und mit dem bedauerlichen Auswuchs, dass Menschen wie Rosnova oder Colonel Kubelov das System zu etwas menschenunwürdigem transformieren, analog zu den Bensons, die das gleiche mit dem Kapitalismus machen. Das westliche Wirtschaftssystem ist hier nicht automatisch das allein Seligmachende, und allein bereits dies sorgt dafür, dass GEHEIMAKTE M sich sehr abwechslungsreich und interessant anfühlt.

Und auf der filmischen Seite? Nach einem etwas zerfahrenen und furchtbar dialoglastigen Anfang kommt spätestens mit der Reise nach Berlin viel Schwung in die Handlung, ab dem Übergang nach Ost-Berlin wird die Erzählung dann wie erwähnt düster und eindrucksvoll. In Moskau regieren die ruhigen, fast möchte man sagen depressiven, Töne, bevor es zurück in Ost-Berlin zu einem nervenzerfetzenden (ich meine das ernst!) Showdown kommt. Knubbelgesicht Ernest Borgnine gibt Boris Mitrov viel Tiefe und lässt den Zuschauer an seinem Seelenleben teilhaben. Er nimmt ihn mit auf dieser Reise in die Dunkelheit und wieder zurück, und seinem Können (und der Genialität des Regisseurs) verdanke ich ein filmisches Erlebnis, das diese Reise nach leichten Startschwierigkeiten wirklich lohnt. Als Film ausgesprochen sehenswert, und als Zeitdokument eines Gegenentwurfs fast ein kleines Juwel.

* In diesem Zusammenhang ist die weitere „Karriere“ des Avery-Darstellers Kerwin Matthews als originell zu bezeichnen: Spielt er hier noch den Agenten der CBI (Ichkriegmichnichtein), wird er dann ab 1963 für zwei Filme als Agent O.S.S. 117 in der französischen Erfolgsserie einen Agenten des OSS spielen, der Vorgängerorganisation der CIA die bis 1945 bestand, und zwar in einer Rolle mit französischem Namen in amerikanischen Diensten. Erst 1968 darf er in ZUCKER FÜR DEN MÖRDER dann auch endlich mal tatsächlich für die CIA (tataa) zugange sein.
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Jack Grimaldi
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Maulwurf
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Beitrag von Maulwurf »

Scream queen hot tub party (Fred Olen Ray & Jim Wynorski, 1991) 6/10

Irgendwo in den Tiefen des Internets begraben.jpg
Irgendwo in den Tiefen des Internets begraben.jpg (7.4 KiB) 82 mal betrachtet

Brinke Stevens. Monique Gabrielle. Kelli Maroney. Michelle Bauer. Roxanne Kernohan. Einige der größten Scream Queens der Filmgeschichte treffen sich in einem einsamen Haus, um dort auf Einladung eines gewissen Grafen Orlok einem Seminar beizuwohnen, in dem gelehrt werden soll wie ein guter Horrorfilm gedreht wird. Doch das Haus ist leer und irgendwie unheimlich. Also bestellt man sich, damit es nicht langweilig ist, ein Ouija-Board per Home Delivery Service. Wie praktisch, dass die passende Unterwäsche auch gleich mitgeliefert wird! Anschließend setzt man sich in die Badewanne und tauscht Erinnerungen an gedrehte Filme aus, an Dusch- und Mordszenen, und erklärt die Do‘s and Don´t‘s einer Scream Queen: Scream Queen Rule no 1: No screaming unless you get paid for it. Scream Queen Rule no. 2: Don´t think!

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Für solche Filme ist der Begriff Guilty Pleasure erfunden worden: Michelle Bauer redet unzusammenhängendes Zeugs, und als Roxanne Kernohan fragt was sie da redet, verweist die erstere auf das Drehbuch wo genau das so drinsteht, was sie durch Vorzeigen der Regieanweisung auch gleich belegen kann. Aber zumindest weiß die Kernohan, warum sie alle Ouija spielen: Das ist ein fieser Trick der Produzenten, damit sie sich alle ausziehen! Woraufhin die Damenrunde energisch abwinkt – Das täten sie ja niiiiiie tun ...

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Später im Jacuzzi werden dann Ausschnitte aus alten Filmen gezeigt. CRITTERS 2, SORORITY HOUSE MASSACRE II, EVIL TOONS, TOWER OF TERROR, TRANSYLVANIA TWIST, NIGHT OF THE COMET, THE SLUMBER PARTY MASSACRE und natürlich HOLLYWOOD CHAINSAW HOOKERS werden unter zwei wesentlichen Gesichtspunkten präsentiert: Titten und Blut. Selbst wenn man die Filme schon kennt hat man hier eine Menge Spaß, weil der ganze Quatsch von wegen Handlung und Hohlköpfe einfach weggelassen, und sich auf das konzentriert wird was wichtig ist: (Viele) Möpse und (weniger) Gore.

Entsprechend endet der Film damit, dass die Mädels, die bis dahin züchtig im Bikini in der Plantschzone saßen, feststellen, dass sie keine Seifenstreifen(!) bekommen möchten und sich erstmal alle ausziehen und einseifen. Was zu einer längeren und quietschfidelen Szene aus NIGHTMARE SISTERS führt, wo fast die gleichen Mädels die gleichen Dinge tun. Dazwischen gibt es Linnea Quigelys Tanz mit zwei Kettensägen, Brinke Stevens klärt darüber auf wie man sich als Scream Queen möglichst effektiv duscht, und mittendrin wird noch mal das Drehbuch gezückt um nachzuschauen, was jetzt eigentlich als nächstes passieren soll. Kelli Maroney schmiert sich mit Öl ein um dann im Muskelstudio zu pumpen, und ganz besonders fein ist auch das Mittelding aus einem Geschlechtsverkehr und einem Kettensägebedienungskurs, den Brinke Stevens hält, wobei sie darüber aufklärt, warum man Kettensägen möglichst immer nackt bedienen sollte – Damit sich nämlich keine Kleidungsstücke darin verfangen können. Auch den passenden Schutz vor Krankheit und Tod kann sie gleich präsentieren …

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Ich sag ja, ein Guilty Pleasure. Wer Handlung und /oder Anspruch erwartet ist hier völlig fehl am Platz. Aber einigen Spaß, sehr viel nackte Haut und ein klein wenig Gemetzel kann ich dem geneigten Zuschauer auf jeden Fall versprechen. Und bei einer Laufzeit von 71 Minuten kann man eigentlich auch nicht viel verkehrt machen, oder?

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Maulwurf
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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Arabella, black angel (Stelvio Massi, 1989) 6/10

Irgendwo in den Tiefen des Internets begraben.jpg
Irgendwo in den Tiefen des Internets begraben.jpg (7.4 KiB) 75 mal betrachtet

Arabella geht gerne an die dunklen und verruchten Orte. Dorthin, wo Männer in Leder es mit Frauen in Lack treiben, wo Masken getragen werden, und Schmerz zur Sinnlichkeit gehört. Eigentlich hätte Arabella dies gar nicht nötig, denn sie ist mit einem jungen und gutaussehenden Erfolgsschriftsteller verheiratet und lebt im Luxus. Allerdings sitzt ihr Göttergatte Francesco Veronese seit einem Unfall im Rollstuhl, und da geht dann halt nicht mehr alles so wie es sollte. Doch hinter Arabella und ihren geheimen Besuchen wird ohne ihr Wissen aufgeräumt – Jeder Callboy wird am nächsten Tag nackt und im Geschlechtsbereich brutal verstümmelt aufgefunden. Ein Fotograf, der den Besuch Arabellas in einem Freudenhaus auf Film bannte, wird ebenfalls entmannt. Ein unheimlicher Mörder geht um, der Männer mit der Schere grausam zerstückelt, und die Polizistin, die das ganze untersuchen soll, trägt das Geheimnis mit sich, dass ihr Vater vor vielen Jahren genau die gleichen Morde beging. Ist der Vater zurückgekehrt? Oder bahnen sich in der Inspettrice Gina vielleicht die Triebe ihres Vaters ihren Weg? Und warum betreffen die Morde nur das Umfeld von Arabella? Finden die Morde in Wirklichkeit vielleicht gar nicht statt, sondern existieren nur in der Fantasie des Thrillerautors Francesco Veronese, der gerade seinen neuen Erfolgsroman vorbereitet?

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Ein interessantes Spannungsfeld zwischen Realität und Erzählung. Arabella und Francesco unterhalten sich über seinen neuen Roman, in dem ein Mörder umgeht und Männer verstümmelt. Und just dieser Mörder ist in Rom gerade massakrierend unterwegs. Klar, das kennt man natürlich aus Dario Argentos TENEBRAE, und bei einem Sexploiter aus dem Jahr 1989 darf bitte auch keiner erwarten, dass diese hohe Messlatte durchbrochen wird. Prinzipiell reden wir hier schon von einem kleinen und billigen Filmchen aus einer Zeit, in der das Zeigen nackter Frauen wichtiger war als eine gut durchdachte und innovative Storyline.

Aber innerhalb dieser Parameter funktioniert ARABELLA erstaulich gut. Stelvio Massi holt aus dem niedrigen Budget sehr viel heraus, seine Schauspieler sind größtenteils wirklich gut dabei (wobei die „genossene“ US-Synchro leider, wie so oft, einen guten Teil der Atmosphäre vernichtet), und gerade in Sachen Stimmung zeigt sich, dass Massi eben doch ein alter Hase im Geschäft ist. Mehrmals ist wirklich nicht klar, ob die Morde tatsächlich passieren oder nicht vielleicht doch nur im Gespräch zwischen Arabella und Francesca visualisiert werden. Die Sexszenen sind zwar im zeitgemäß kühlen Neon-Stil der 80er gehalten, haben aber durch Licht und Musik doch einiges an Charme und Intensität, vor allem das Freudenhaus zu Beginn und der Jungensstrich am Ende sind sehr atmosphärisch eingefangen. Die Subhandlung um die Familiengeschichte der Inspettrice und ihrer hinterhältigen Lesbenfreundin streut ein paar unterhaltsame mögliche Spuren aus und schlendert ansonsten durch die Geschichte der Gialli, zeigt heitere Szenen aus dunklen Parks und von einsamen Menschen, und leistet sich den unerhörten narrativen Luxus, dass der Mörder dieses Mal eben keine Frauen penetriert sondern stattdessen Männer kastriert. Tatsächlich ist die Figur der Inspettrice Gina Fowler einer der wenigen echten Schwachpunkte der Story. Die attraktive Polizistin, die ihre Weiblichkeit hinter einer überdimensionalen Brille verstecken muss und erotisch-tödliche Alpträume hat, kommt einfach gar zu weinerlich rüber um ernsthaft für Akzente sorgen zu können. Dadurch bleibt der Fokus auf Arabella, obwohl die Geschichte sich zeitweise fast komplett auf Gina verlagert. Ein Missverhältnis, welches dem Film stellenweise durchaus schadet.

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Denn gerade Arabella mit ihrem Hang zum Abenteuer mit ungezogenen Männern bietet viel Reibefläche, und der damalige Erotik-Superstar Tinì Cansino gibt auch gerne alles was die Rolle von ihr verlangt, inklusive eines sehr erotischen Tease-Strips, bei dem sie sich ausgesprochen gekonnt anzieht. Die Kamera scheut sich auch nicht, einen Penis kurz durch das Bild zu schwengeln, wodurch halt doch viel Stimmung aufgebaut wird. Gerade die Männer sind durchaus attraktiv – Keine behaarten Schnäuzermonster wie noch ein Jahrzehnt zuvor, sondern knackige Lustknaben, bei denen Arabellas Geilheit absolut nachvollziehbar wird.

ARABELLA mag sicher kein großer Wurf sein, aber er unterhält mit einer knuffigen Story, viel nackter Haut, und ein paar Überraschungen die zugegeben viele Kilometer gegen den Wind zu erahnen sind. Evelyn Stewart ist IMMER eine sichere Bank, der Inspektor Scognamillo scheint der Blutsbruder von Schimanskis Hänschen zu sein, und von Rena Niehaus tät man auch gerne mehr sehen. Insgesamt solide Unterhaltung die nicht funkelt und leuchtet, aber, wenn man seine Erwartungen entsprechend niedrig ansetzt, einen anständigen Fernsehabend garantiert. Einen Gedanken möchte ich aber doch in die Runde werfen: Wenn der Autounfall geschah, während Arabella ihrem Süßen gerade einen geblasen hat, was mag dann im Augenblick des Aufpralls passiert sein? Hat Arabella dann im Schock reflexartig die Zähne zusammengebissen…?

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karlAbundzu
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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von karlAbundzu »

Maulwurf hat geschrieben: So 24. Mär 2024, 06:04 Einen Gedanken möchte ich aber doch in die Runde werfen: Wenn der Autounfall geschah, während Arabella ihrem Süßen gerade einen geblasen hat, was mag dann im Augenblick des Aufpralls passiert sein? Hat Arabella dann im Schock reflexartig die Zähne zusammengebissen…?
Das kann man bei: Garp und wie er die Welt sah (John Irving/ George Roy Hill) nachlesen und -sehen. Lohnt beides.
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
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Maulwurf
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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

karlAbundzu hat geschrieben: So 24. Mär 2024, 07:58
Maulwurf hat geschrieben: So 24. Mär 2024, 06:04 Einen Gedanken möchte ich aber doch in die Runde werfen: Wenn der Autounfall geschah, während Arabella ihrem Süßen gerade einen geblasen hat, was mag dann im Augenblick des Aufpralls passiert sein? Hat Arabella dann im Schock reflexartig die Zähne zusammengebissen…?
Das kann man bei: Garp und wie er die Welt sah (John Irving/ George Roy Hill) nachlesen und -sehen. Lohnt beides.
Vielen Dank für den Tipp! :thup:
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Maulwurf
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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Frankenstein (James Whale, 1931) 7/10

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Was soll man über so einen Film schreiben? Einen Film, der schon hunderte Male in allen Bestandteilen und bis ins Detail auseinandergenommen, analysiert, zerkaut und wieder zusammengesetzt wurde. Dessen Handlung und Bilder längst zu Bestandteilen der Popkultur wurden, und von dem so unendlich viele Nachfolger, Remakes und Neuauflagen gedreht wurden, wie immer man sie nun auch nennen mag.

Drei Dinge fallen mir zu solch einem Film ein: Großartig, genial, und wundervoll!

Großartig: Das dämonisch-übertriebene Spiel Colin Clives als Henry Frankenstein, der sich an genau den richtigen Stellen zurückhält um nicht ins Overacting zu verfallen, und der damit die Blaupause eines halbwahnsinnigen Wissenschaftlers gibt, der zwischen seinen grausamen Versuchen, seinem Ehrgeiz und der Liebe zu einer Frau schier zerrissen wird, während er mit blutunterlaufenen Augen „Meine Arbeit! Meine Experimente …!“ stammelt.
Genial: Boris Karloff, der das „Monster“ mit so viel Gefühl und Zärtlichkeit ausstattet, dass wir ab dem ersten Moment Mitleid mit ihm haben. Die geschundene Seele im grotesken Körper erkennen können, und ihm insgeheim die Daumen drücken, dass er seinen irrsinnig erscheinenden Schöpfer irgendwann an die Wand nagelt und mit Elsa Lanchester in den siebten Himmel fliehen kann. Ach nee, die kam ja erst einen Film später … Aber die Leistung Karloffs, die Kreatur als zutiefst menschliches Wesen darzustellen, kann gar nicht hoch genug gewertet werden, gibt sein Schauspiel dem „Monster“ und damit dem Film doch erst die Seele.
Wundervoll: Die bizarren Kulissen des Wachturms, die direkt aus den Berliner Expressionismus-Studios nach Hollywood importiert werden, die mit Perspektiven non-euklidischer Geometrie spielen und damit ein sehr nachhaltiges Gefühl einer verschobenen Realität modellieren. Auf der anderen Seite dann der liebevoll dargestellte Ort Goldstadt mit seinen trink- und tanzbegeisterten Bewohnern, ganz offensichtlich nach einer süddeutschen Stadt einer romantisierten Zeit erschaffen, und, wenn man mal ehrlich ist, ein Ort zum richtig Wohlfühlen ist. Gemütliches Flair, freundliche Bewohner, ein kauziger alter Baron, gutes Wetter, ein nettes Monster in der Nachbarschaft …

Auch wenn mich FRANKENSTEIN dieses Mal nicht so richtig packen konnte (was an persönlichen Gründen liegt, nicht am Film), ist er zu Recht einer DER Klassiker des Horrorfilms. In 70 Minuten eine komplette Geschichte spannend zu erzählen, den Grundstein für Karloffs Karriere zu legen, ikonische Bilder zu erschaffen und atmosphärisch und narrativ einen Höhepunkt nach dem anderen zu erzeugen, das wird nicht vielen Genrefilmen in den kommenden 90 Jahren gelingen. FRANKENSTEIN ist für alle, die gotische Stimmung über blutiges Geschmodder stellen, eine Wucht an Film, den man gewissenlos in schöner Regelmäßigkeit in den Player schieben kann. Im Kino dürfte der Streifen dann allerdings noch ein paar Ecken stärker wirken, da bin ich mir sicher …
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Maulwurf
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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Der Unsichtbare (Leigh Whannell, 2020) 7/10

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Ein in der Filmgeschichte beliebtes und oft verfilmtes Sujet: Der Mann der sich unsichtbar machen kann, und entweder allmählich seinen Verstand verliert und zum Amoklauf tendiert, oder unerkannt gegen Ungerechtigkeiten vorgeht. Ich muss gestehen, dass ich außer der 1975’er Serie mit David McCallum keine einzige der Verfilmungen bisher kenne, und damit an die (Neu-)Verfilmung von 2020 sehr unvorbelastet herangehen konnte. Womit jetzt also auch kein Vergleich zwischen einem Schwarzweiß-Klassiker und einem modernem Effektspektakel zu erwarten ist, genauso wenig wie zwischen einem gewalttätigen Hollywood-Produkt (was ich von dem 2000-er Film HOLLOW MAN mit Kevin Bacon bislang gelesen habe) und einem atmosphärischen Psychothriller.

Denn um genau solch einen handelt es sich hier: Cecilia macht sich in der Nacht auf und davon und kehrt ihrem widerlichen Mann den Rücken. Der lässt dies, ganz der manipulative Kontrollfreak der er ist, nicht auf sich sitzen – und bringt sich um. Cecilia allerdings hat schon kurze Zeit danach das Gefühl, dass in ihrer Umgebung etwas ist. Richtiger: Jemand. Dass sich ein unsichtbarer Gast in ihrer Nähe aufhält, der ihr nachts die Decke wegzieht, ein blutverschmiertes Pillendöschen auf das Waschbecken stellt, oder die Tochter ihres Freundes ohrfeigt. Bloß, wer würde Cecilia glauben, dass ihr offiziell als tot erklärter Mann sich unsichtbar an ihrem eigenen Leben zu schaffen macht? Würde das im wirklichen Leben überhaupt jemand glauben? Eben …

Regisseur und Drehbuchautor Leigh Whannell hat mit der Produktion der SAW- und der INSIDIOUS-Filme mutmaßlich eine Menge Kohle auf sein Konto bekommen, und dieses Geld scheint er hier nun in ein groß budgetiertes Effektspektakel zu stecken. Stimmt das? Ist DER UNSICHTBARE wirklich nur das Prestigeprodukt eines Produzenten der denkt, dass er die Sache mit dem Regiestuhl besser kann? Das mittlerweile übliche CGI-Gewitter, dessen einzige Existenzberechtigung die Präsentation des derzeit machbaren am Computer ist? Ich war positiv überrascht, dass dem nicht so ist! Im Gegenteil baut vor allem die erste Stunde sehr gezielt und gleichzeitig langsam Atmosphäre und Spannung auf, erzeugt die Kamera gerade durch statische Einstellungen ungeheuren Druck, und dürfen die Darsteller zeigen, dass in ihnen mehr als nur das übliche Sie-muss-schreien-und-er-zieht-die-Waffe-Gehampel steckt. Diese erste Stunde hat praktisch keine Musik am Leib, und manipuliert den Zuschauer nur durch den überaus cleveren Einsatz der Kamera so weit, das er schnell beginnt sich nicht mehr wohl zu fühlen in seiner Haut. Der zwei Jahre vorher entstandene UPGRADE schimmert da ganz deutlich durch: Ein Mensch, der Zwiesprache hält mit etwas, was andere nicht sehen, was aber sehr wohl physisch vorhanden und brandgefährlich ist.

Leider schwenkt die zweite Stunde dann doch wieder in das gewohnte Blockbuster-Fahrwasser moderner Produktionen. Die Action nimmt proportional zur Laufzeit zu, die Effekte werden immer mehr, und der Schluss ist durchaus vorhersehbar, wenngleich ich dem Film sehr hoch anrechne, dass der Showdown einen etwas anderen Verlauf nimmt als ursprünglich gedacht. Und obwohl man fairerweise zugeben muss, dass diese zweite Stunde, auch wenn sie deutlich konventioneller und effekt-iver daherkommt als der Beginn, hochgradig spannend ist und die hauchdünne Story erstklassig mit Action übertünchen kann. Eine Stunde erstklassiges Psychokino der ganz feinen Art, welche den ganzen Film in trockene Tücher bringt, und eine Stunde actiongeladenes Spannungskino – Kann da noch was schief gehen? Nö …
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Cell 2455, death row (Fred F. Sears, 1955) 7/10

Noir Archive 2.jpg
Noir Archive 2.jpg (18.18 KiB) 37 mal betrachtet

Whit war sein Leben lang einer von den ganz Harten. Autodiebstahl, Jugendgang, Einbruch, Besserungsanstalt unter verschärften Bedingungen wegen permanenten Widerstandes, kleinere Überfälle, San Quentin, Ausbruch, Folsom, Bewährung, große Überfälle auf andere Gangster, und nun sitzt er wieder in San Quentin, dieses Mal aber in der Todeszelle. Seit 7 Jahren hockt Whit da, studiert Jura, und hat es schon ein paar Mal geschafft, den Tag seiner Hinrichtung nach hinten zu verschieben. Doch dieses Mal scheint es endgültig zu sein. Whit denkt an sein Leben zurück und fragt sich, wieso er dort ist wo er ist. Am Ende einer Abwärtsspirale, einer gewalttätigen Einbahnstraße in Richtung Tod.

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Whit hat keinen Vornamen, seine Sprüche sind so hart wie seine Fäuste, seine Freundin nennt er ausschließlich Doll (ihren richtigen Namen erfahren wir nie), und schon sehr früh sind ihm Argumente aus Blei wichtiger als alles andere. Die Schlägereien sind hart und knackig inszeniert, die Sprache ist roh und dreckig, und seine Straftaten schnell und schmutzig. Die Verfolgungsjagden stehen den italienischen Poliziotti der 70er-Jahre in nichts nach, und der Tod von ein paar ihn verfolgenden Ganoven oder gar irgendwelchen Polizisten ist für Whit absolut kein Grund sich Gedanken zu machen. Whit und seine Freunde sind harte Gangster, so richtig harte. Nicht die weichgewaschenen Typen, die man sonst so in den Hollywood-Streifen sieht, sondern echt üble Typen, die nur ein Gesetz kennen: Sich selbst.

Das Erschreckende dabei ist nicht nur die dargestellte Brutalität, sondern vor allem auch die Zeit in welcher der Film spielt. Nicht etwa die 50er-Jahre werden hier thematisiert, mit dem so oft gesehenen „Schaut wie schlecht die Jugend heutzutage ist“-Sermon, und damit die klassische Zeit der Noir-Filme mit ihren kaputten und zerstörten Helden der Nachkriegszeit. Stattdessen spielt vor allem die eindrucksvolle und sehr gewalttätige erste Hälfte in den 30er-Jahren, einer Zeit, in der die erfolgreichen Filme Hollywoods das Gangstertum gerne auch mal vermeintlich heroisierten, wogegen sich ja der Hays-Code ab 1934 dann ernsthaft wehrte. Die Jugend und der Beginn der Gangsterzeit Whits sind das große Thema, und dies wird mit eben sehr nachdrücklicher Gewalt geschildert. Die Zeit in der Besserungsanstalt, die in erster Linie aus Zwangsarbeit und Einzelhaft besteht. Die Überfälle auf die kleinen Geschäftsleute, und das Einsitzen in San Quentin. Der kurze Fluchtversuch und die Strafe in Folsom. Die Gefängniszeit selber wird dabei eher ausgeblendet, wichtiger ist die Person Whit an sich. Dieses übersteigerte Selbstbewusstsein, diese nach außen getragene Aggressivität, diese Großspurigkeit - Made it Ma, top of the world. Ich weiß, das ist ein anderer Film, aber die Attitüde ist die gleiche. Aus dem juvenilen Rowdy wird mit erschreckender Geschwindigkeit ein ernstzunehmender Gangster, der vor nichts und niemandem halt macht, und Autoritäten und sogenannte Respektspersonen hasst wie die Pest, gleich ob es sich um einen Polizisten oder einen großen Gangster handelt. Sie alle sind nur Staffage für einen, der sein Leben mit Lichthupe und Dauerblinker auf der Überholspur lebt.

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Damit ist TODESZELLE 2455 im Kern reines und nach vorne preschendes Actionkino, das ohne Rücksicht auf Verluste pure Unterhaltung bietet. Auch wenn das letzte Drittel mit der Gerichtsverhandlung verhaltener daherkommt, so ist auch dieser Teil immer noch flüssig und schnell erzählt und spannend genug, um keine Sekunde zu langweilen. Ein packender und schneller Actioner ohne Rücksicht auf Verluste. Große Empfehlung!
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Jack Grimaldi
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Der fremde Sohn (Clint Eastwood, 2008) 7/10

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Los Angeles, 1928. Die alleinerziehende Mutter Christine Collins (Angelina Jolie) verabschiedet sich morgens von ihrem Sohn Walter und geht zur Arbeit. Am Abend ist der Neunjährige spurlos verschwunden. Fünf verzweifelte Monate später bringt ihr die Polizei einen Jungen, doch Christine ist überzeugt: das ist nicht ihr geliebter Walter! Die Behörden tun alles, um Christine zum Schweigen zu bringen, aber die kämpft unbeirrt weiter. Ihre Suche nach der Wahrheit bringt einen Sumpf aus Korruption und Lügen ans Licht, erschüttert die Öffentlichkeit und verändert L.A. für immer... (Quelle: https://www.videobuster.de/dvd-bluray- ... remde-sohn)

Ein wahrlich erschütterndes Drama ist es, das Clint Eastwood hier auf Zelluloid gebannt hat, und was sich hinter diesen doch relativ nüchternen Worten zeigt hat das Zeug, beim Zuschauer tatsächlich schieres Entsetzen zu erzeugen. Vor allem die erste Stunde ist ein bitterböses und tieftrauriges Drama um eine alleinerziehende Mutter in einer Zeit, in der alleinerziehende Mütter Freiwild für jeden dahergelaufenen Deppen waren, und der von einer komplett inkompetenten und dabei extrem selbstbewussten Polizei immer wieder erklärt wird, dass sie als Mutter überhaupt nichts taugt. Einer Polizei, die, mit den Worten des Presbyterianer-Predigers Briegleb, korrupt und kriminell auftritt, und die die Stadt Los Angeles tatsächlich fest in einem Würgegriff aus Angst, Terror und Einschüchterung hält.

So weit, so gut und traurig. Nach einer Stunde schafft Eastwood dann aber das Kunststück, dieses reine Drama zu einer sehr düsteren und bitteren Mordgeschichte werden zu lassen, um dann abschließend zwei Gerichtsverhandlungen parallel zu zeigen, ohne sich dabei aber von seiner ursprünglichen Geschichte zu entfernen. Die Verknüpfung dieser drei Genres zu einem stimmigen Ganzen, die gleichzeitig erzählten Verhandlungen sowie die Verbindung der beiden grundlegenden Geschichten, einmal um den verschwundenen und wieder aufgetauchten Jungen, und dann um die Wineville-Chicken-Morde (Wineville Chicken Coop Morde – Wikipedia), gelingt dank einer sensiblen Regie und der erstklassigen Darsteller scheinbar wie von selbst. Kein Bruch in der Spannung, keine abgehackte Erzählung, keine Details die plötzlich fragwürdig erscheinen. Na gut, davon hat es dann abschließend doch das ein oder andere, was aber der erstklassigen Erzählung keinen Abbruch tut. DER FREMDE SOHN ist empfindsames Kino wie aus den goldenen Zeiten Hollywoods, und hat problemlos das Zeug, Eltern die Tränen in die Augen zu treiben. Und Filmfans mit Hang zu älteren Filmen und/oder guten Geschichten Tränen der Rührung.

Der Fall der Christine Collins ist wahr, und auch wenn viele Einzelheiten des Films der Dramaturgie geschuldet sind, so ist der Ablauf doch grundlegend so passiert wie dargestellt. Was das Grauen noch steigert, und für alle die denken, dass die heutigen Zeiten besser wären, möchte ich die Gelegenheit nutzen, auf den Fall des Gustl Mollath hinzuweisen, dessen Schicksal mir bei der Sichtung immer wieder in den Sinn kam, und auf dessen schreckliche Erlebnisse man gar nicht oft genug verweisen kann …
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
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Maulwurf
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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Shining Sex (Jess Franco, 1977) 7/10

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Shining Sex.jpg (17.9 KiB) 20 mal betrachtet

Nach ihrem Auftritt wird die Tänzerin Cynthia von einem Paar gebeten, mitzukommen in die Wohnung. Dort gibt es zwar den erwarteten Sex, aber etwas anders als gedacht: Die Frau, Alpha, ist eine Außerirdische, die das Wesen der Menschen erforschen möchte, und mit ihren Kräften den Mann Andros unter Kontrolle hält. Allerdings wissen ein paar wenige Menschen um die Existenz von Alpha, und diese sollen nun getötet werden. Das auserwählte Werkzeug dazu heißt: Cynthia …

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Beim Anschauen musste ich öfters an GEMIDOS DE PLACER denken. Diese Mischung aus flirrender Erotik und unterschwellig böser Atmosphäre, die haben beide Filme gemeinsam. Im Ernst, ich habe selten dermaßen erotisch aufgeladene Szenen gesehen, die durch den Einsatz von Musik und Geräusch in ihr absolutes Gegenteil verkehrt wurden. Die konterkariert und zu etwas Bösem transformiert wurden, ohne dabei aber die Erotik zu verlieren! Lina Romay ist eine Sex-Göttin vor dem Herrn, und wenn die Kamera sie wieder und wieder liebkost kocht der Bildschirm. Vor allem wenn Lina gegen Ende mit Goldstaub bedeckt ist, glitzert und blinkt, und aussieht wie die leibhaftige Sünde. Die Musik von Daniel J. White gefällt sich dazu oft in leichten Disharmonien, was eben diesen erwähnten Effekt auslöst: Der Zuschauer möchte den Anblick von Lina genießen, die Musik flößt ihm aber ein Unbehagen ein. Oder der Wind weht im Hintergrund wie in einem Western. Ihr wisst schon, dieses Heulen und Fauchen des Wüstenwindes, welches die Tumbleweeds durch die Ödnis weht. Dieses Geräusch als einziger Hintergrund zu einer eindringlich dargebotenen Sexszene ist … in hohem Maße befremdlich. In MEINE NÄCHTE MIT MAUDE gibt es eine analoge Szene, wenn eine schöne Frau mehrere Männer gleichzeitig befriedigt, während auf der Tonspur dissonante Geräusche zu hören sind, fast wie Industrial klingend. Eine geradezu transgressive Erfahrung …

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Und damit ist der Film eigentlich auch schon beschrieben: Lina hat Sex mit Evelyne Scott, Lina hat Sex mit Monica Swinn, Lina hat Sex mit Ramon Ardid, Lina hat Sex mit Olivier Mathot. Lina wird als Göttin der Nacht gefilmt: So freizügig wie in ROLLS ROYCE BABY, so erotisch wie in DAS BILDNIS DER DORIANA GRAY, und so unheilvoll wie in ENTFESSELTE BEGIERDE. Eine fleischgewordene Männerphantasie, die nach Verführung schreit, nach Hingabe bis zum Tod. Auch wenn mann sich das so, wie in diesem Film, wahrscheinlich nicht vorgestellt hat. Die Kamera ist immer nah bei Lina, und der Zuschauer kann sich einfach fallen lassen. Hineinsinken lassen in diese süßlich-vergiftete Stimmung aus Sex und Gedankenkontrolle. Aus Hingebung und unfreiwilliger Unterwerfung. Ein Zauber umgibt den Film wie ein dunkler Mantel, und auch wenn es einige Einstellungen gibt die deutlich zu lang geworden sind, so beherrscht doch insgesamt eine erotisch-morbide Atmosphäre die Szenerie. Dies, und die wunderschöne und begehrenswerte Lina Romay.

Traum-Haft …

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Eine Anmerkung zu den Screenshots: Die sind entstanden bei der Erstsichtung 2019, als nur ein Rip aus dem Internet vorlag. Seltsamerweise habe ich von der Severin-BD nie Screenshots gezogen, und derzeit ist das technisch leider nicht möglich. Dass die BD erstklassig aussieht erklärt sich hoffentlich von selbst ...
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