Was vom Tage übrigblieb ...

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Maulwurf
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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

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The lineup (Don Siegel, 1958) 8/10

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Ein toter Taxifahrer und ein toter Polizist bringen Lieutenant Guthrie und Inspektor Quine auf die Spur eines Drogenschmugglersyndikats, das sich unbescholtener Fernost-Touristen bedient, um unverschnittenes Heroin, versteckt in harmlosen Mitbringseln, ins Land zu bringen. Doch außer einem einzigen Reisenden haben die beiden aufrechten Cops keine Spur. Sie wissen nicht, dass zwei Killer in der Stadt unterwegs sind, die die Ware von drei weiteren Touristen einsammeln und ihrem Auftraggeber übergeben sollen. Ein Matrose, ein Antiquitätensammler und eine Frau mit Kind gilt es, um ihre Einkäufe mehr oder weniger unauffällig zu erleichtern. Der Matrose will bei der Übergabe des Stoffs unangemessen reich werden, und der Diener des Antiquitätensammlers weigert sich die Kostbarkeiten herzugeben. Es bleiben Tote zurück, und die wiederum weisen die Spur für die Polizei. Doch da ist noch die Frau mit ihrer Tochter, die sich bei dem etwas aus dem Ruder gelaufenen Job plötzlich als Geisel des pathologischen Dancer und seines, die letzten Worte von Sterbenden sammelnden, Partners Julian wiederfindet.

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Schöne Bilder aus dem San Francisco des Jahres 1958, nicht uninteressant das Ganze, aber eben doch Hausmannskost. So könnte man im ersten Augenblick meinen, wenn die kernigen Gesetzesvertreter dienstbeflissen ihren Job machen, nicht beirrt durch irgendwelche privaten Tändeleien, und fleißig Klinken putzen und Verdächtige suchen. Doch der Regisseur heißt Don Siegel, und der eine Killer wird von Eli Wallach gegeben. In dem Augenblick, in dem die Killer die Stadt betreten, ist Schluss mit lustig. Die Polizei tritt kaum noch auf, und wenn doch, bemerkt der Zuschauer erst, wie langweilig dieses tradierte Schema mittlerweile geworden ist. Stattdessen übernehmen Dancer und Julian die Hauptrollen, und wir begleiten nicht mehr die Cops, sondern die psychopathischen Killer, deren eigenes Leben an der erfolgreichen Durchführung des Jobs hängt.

Don Siegel ist bekannt für seine erstklassigen Action-, und hier vor allem für seine hervorragenden Polizeifilme. DER HENKER IST UNTERWEGS ist dafür ein weiteres erstklassiges Beispiel und gleichzeitig eine Variation in Noir. An sich ist der Film ein Ableger der TV-Serie TÄTER UNBEKANNT, die zwischen 1954 und 1960 in 6 Staffeln echte Fälle der Polizei von San Francisco nachstellte (und sich dabei von einer Radioserie der frühen 50er inspirieren ließ). Die Hauptrolle war mit Warner Anderson in der Hauptrolle des Detective Lieutenant Ben Guthrie im Film genauso besetzt wie in der Serie, beides wurde On Location in den Straßen von San Francisco gedreht, und beide Male unterstützte die Polizei die Dreharbeiten (was am Ende jeder Folge gewürdigt wurde, genauso wie auch im Film). Der Unterschied allerdings macht die Musik: Anstatt sich auf ein weiteres der unzähligen mehr oder weniger biederen Polizeidramen der ausgehenden 50er-Jahre zu beschränken, in dem die Polizei in Gestalt von zwei knorrigen älteren Detectives ermittelt, die Sonne scheint, und ab und zu auch noch ein Off-Kommentator die Zusammenhänge und Szenenwechsel erklärt, konzentriert sich Siegel auf die wesentlich interessanten Charaktere der beiden Gangster, Julian und Dancer.

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Robert Keith als Julian ist dabei der ältere der beiden Hitmen, der dem etwas jüngeren Dancer die Tricks und Kniffe beibringt, die einem das Überleben als Killer sichern. Dancer ist der Ausführende mit der Knarre, der dem erfahreneren Julian die letzten Worte der Sterbenden zurückbringt, die dieser dann geflissentlich in ein kleines Büchlein schreibt. Nun ja, jeder hat so seine Hobbys …
Dancer selber ist auch kein wirklicher Anfänger, aber gegenüber Julian hat er einen Vorteil, wenn man dies denn so nennen mag: Er ist hochgradig pathologisch und neigt zur hemmungslosen Gewalt. Wie gesagt, die beiden deutlich interessanteren Charaktere, und Siegel begleitet sie bis zum bitteren Ende. Nicht mehr die Cops sind die Hauptfiguren, die allen und jeden verdächtigen, dabei aber doch eigentlich ganz patente Kerle sind, die auf einer Reise durch das Zwielicht der Kriminalität über die Fallstricke und den Dreck geradezu zu schweben scheinen, sondern stattdessen schauen wir zwei vollkommen irren Gangstern dabei zu, wie sie harmlose Durchschnittsbürger um Mitbringsel und Leben bringen, und das heiter-offene San Francisco zu einem Ort des Todes machen, während sie über englische Sprache philosophieren und den gewaltsamen Tod genauso alltäglich diskutieren wie das Wetter.

Und mit genau diesem Kniff hebt sich DER HENKER IST UNTERWEGS aus der Masse heraus. Damit, mit dem geschickten Einsatz von Kamera und Musik, vor allem aber auch mit einem überraschend brutalen Finale und einem erbarmungslosen Ende. Neben all der Dutzendware, die in den späten 50er-Jahren auf die Kinoleinwände losgelassen wurde, gab es eben auch ein paar wenige Juwelen, die man oft (wenn auch nicht immer) an den Regisseuren und an den Schauspielern festmachen kann. In diesem Fall ist es die Kombination aus Don Siegel und Eli Wallach, die überdurchschnittliche Qualität mit extrem hohem Unterhaltungspotential garantiert. Großer Tipp für Krimifreunde und für alle wie mich, die den klassischen Begriff des Noirs mit den späten 50er-Jahren normalerweise so gar nicht in Übereinstimmung bringen!! Und gleichzeitig eine spannende Reise in die Geschichte des Kriminalthrillers, denn mit Julian und Dancer werden Gangstertypen kreiert, die in Little Caesar und Tommy Judo ihren Ursprung haben und in all den Irren, die heute die Leinwände bevölkern, weiterleben. Großes und aufregendes Gangster-Kino!

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Jack Grimaldi
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Maulwurf
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Die Zeitbombe (Michael O’Herlihy, 1980) 5/10

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Steve Donegan macht mit seiner Familie Urlaub in Irland, als ein Flugzeug explodiert und genau auf das Haus stürzt, in dem sich Frau und Kinder befinden. Eine Punktlandung, gewissermaßen. Nach dem Schmerz über den Verlust kommt der Wunsch nach Rache – Donegan ermittelt, dass auf das Flugzeug ein Anschlag verübt wurde mit dem Ziel, einen Chemiker an Bord aus dem Weg zu räumen. Der örtliche Inspektor Maloney legt Donegan nicht wirklich Steine in den Weg, weiß er doch, dass dieser als Privatperson Möglichkeiten hat, die einem Polizisten nicht gut zu Gesicht stehen. Und so wendet sich Donegan zuerst einmal an den Rechtsanwalt Brewster, der die Firma Fenway vertritt, für den dieser Chemiker arbeitete. Über Brewster lernt er auch die Journalistin Leighton kennen, die ganz erstaunliche Kenntnisse über die Konkurrenz von Fenway hat, nämlich das Unternehmenskonglomerat Instead, geführt von einem einzigen Mann, dem zwielichtigen Gray Harrison Hunt. Und der wiederum geht für sein Ziel, so viel Macht wie nur irgend möglich zu besitzen, jederzeit auch über Leichen. Der Ex-Green Barrett und Vietnamveteran Steve Donegan aber auch, wenngleich Inspektor Maloney da beide Augen schon ziemlich fest zudrücken muss …

Wie Lockerbie, nur viele viele Ecken kleiner. Das TV-Format von Lockerbie gewissermaßen, wenn das Budget nicht einmal für die Darstellung einer Explosion ausreicht, geschweige denn um das KO-Schlagen eines Bösewichts zu zeigen. Man stelle sich vor: Der Zuschauer hört ein Flugzeug, und sieht dazu Rod Taylor der seine Gesichtsmuskulatur verzieht. Schnitt auf die Haushälterin im Haus, im Hintergrund hört man einen leichten Knall. Schnitt auf das Flugzeug, welches Rauchschwaden hinter sich herzieht und immer tiefer fliegt, bis es außer Sicht hinter(!) einen Hügel fliegt, dann erfolgt eine Explosion. Die Gesichtsverzerrungen Taylors nehmen Cronenberg‘sche Ausmaße an (Stichwort Body-Horror), dann rennt er zu dramatischer Musik los und kommt zu seinem (vollkommen unzerstörten) Auto und einer Mauer, hinter der Flammen aus Fensteröffnungen schlagen. Um zu erklären was passiert ist, wird kurz (aber wirklich nur sehr kurz) ein unzerstörtes Flugzeugleitwerk eingeblendet …

Das klingt jetzt böse, ist aber nicht so gemeint. Für DIE ZEITBOMBE muss der Zuschauer halt einfach bereit sein, Zusammenhänge, logische Abhängigkeiten oder gar sinnvolle Aktionen beiseite zu stellen und sich auf die etwas einfallslosen Bilder der irischen Landschaft zu konzentrieren. Oder auf das hübsche Gesicht von Joanna Pettet. Geschichte, Action oder gar unerwartete Twists sind hier (mit einer Ausnahme) vollkommen fehl am Platz, die Narration läuft so vorhersehbar ab wie das Vorrücken eines Sekundenzeigers. Und die eine Ausnahme ist ein etwas skurriler Ausflug nach Korsika, wo wir Donegans skurrilen Vater kennen- und dessen Verbindungen zum korsisch-skurrilen Untergrund schätzen lernen. Doch das ist nur eine kurze (und skurrile!) Episode, danach geht es wieder nach Irland, wo die Handlung genau das macht was man von ihr erwartet.

DIE ZEITBOMBE ist ein TV-Film, und das sieht man ihm in absolut jeder Sekunde an. Die Darsteller sind vertraut, reißen sich aber kein Bein aus (außer den Gummimuskeln in Rod Taylors Gesicht), die Kameraeinstellungen haben gelegentliche Höhenflüge, sind aber an sich kreuzbieder, und die Musik ist aus der tiefsten Mottenkiste amerikanischer Serienunterhaltung gekramt worden. Unter diesen Aspekten ist der Film insgesamt dann aber doch noch recht ordentlich geworden, und es ist durchaus möglich, dass der Streifen vor mittlerweile 40 Jahren im irischen Fernsehen recht rockig rüberkam. Aber heute ist das alles nicht mehr als eine ordentlich anzuschauende Fußnote. Die britische Fernsehserie DIE PROFIS, die in ebendieser Zeit über die angelsächsischen Fernseher flimmerte, zeigte mit erheblich mehr Rumms im Gedärm, was man mit Attentätern alles anstellen kann, wenn man genügend Wut im Bauch und Feuerkraft in der Hand hat, und darum könnte ich mir auch ohne weiteres vorstellen, dass DIE ZEITBOMBE bereits damals etwas müde wirkte.

Nette Unterhaltung für zwischendurch, aber nichts was man unbedingt gesehen haben muss. Aber auf der anderen Seite ist es ausgesprochen angenehm, mal einen irischen Film gesehen zu haben, in dem die IRA kein einziges Mal auch nur erwähnt wird …
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Maulwurf
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The November Man (Roger Donaldson, 2014) 6/10

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Der kommende Mann auf dem russischen Präsidentenstuhl heißt Arkady Federov, doch niemand weiß, dass er damals, im zweiten Tschetschenienkrieg, entsetzliche Verbrechen begangen hat. Und dass er zu dieser Zeit zwei Jahre lang ein 15-jähriges Mädchen als Sexsklavin gehalten hat. Jetzt, kurz vor seinem bürgerlichen Triumph, ist Arkady Federov am Aufräumen – Jede Verbindung in die Vergangenheit muss getilgt werden, und dabei trifft es auch die Frau des einstigen Top-Agenten Peter Devereaux, die als Maulwurf an Federovs Seite installiert war. Devereaux stellt sich selbst wieder in Dienst und geht auf die Pirsch nach dem Mörder seiner Frau, der sich zu seinem Erstaunen sehr schnell als sein einstiger Schüler David Mason entpuppt. Doch parallel gibt es da etwas, was Federovs Absichten auf das hohe politische Amt durchkreuzen kann. Einen Namen, den Devereauxs Frau kannte und weitergegeben hat: Mira Filipova, das Waisenmädchen und damalige Sexspielzeug von Federov, die noch lebt, die untergetaucht ist, und nach der jetzt alle jagen. Vorneweg eine russische Killerin, welche die Spuren in die Vergangenheit löschen soll, und gleich dahinter die CIA, die Federov das Handwerk legen will. Und natürlich Devereaux, der lernen muss, dass in der CIA jemand sitzt, der an Federov unter Umständen ganz eigene Interessen haben könnte, und der Mila Filipova nicht lebend zurücklassen will. Unter keinen Umständen.

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Im September 1999 wurden in Moskau unter mysteriösen Umständen zwei Hochhäuser gesprengt. Über 300 Menschen kamen ums Leben, und dieses schreckliche Ereignis diente dann als Begründung für den zweiten Tschetschenienkrieg in den Jahren 1999 bis 2009. Heute, mehr als 20 Jahre danach, geht man davon aus, dass in Wahrheit der russische Präsident Wladimir Putin hinter diesem Anschlag steckte. THE NOVEMBER MAN bietet allerdings noch eine ganz andere Variante an, und die sorgt in Agentenkreisen dann für gewaltigen Rumor. OK, einen Innovationspreis bekommt das Drehbuch dann trotzdem nicht, denn dass die ziemlich genaue Hälfte der CIA-Mitarbeiter böse Absichten hat, und die andere Hälfte nichts anderes zu tun hat als der ersten Hälfte das Handwerk zu legen, das weiß der geneigte Action-Fan ja schon lange. Und dass es in erster Linie einzelgängerischen Agenten immer wieder gelingt diese Bösewichte kaltzustellen, das ist auch nichts Neues.

Aber im Film ist oft der Weg das Ziel, und dieser Weg ist hier, wie in so vielen anderen Actionern der letzten 20 Jahre, mit Schießereien, Explosionen und Handlungstwists am laufenden Band garniert. Im Prinzip also nichts anders als das, was alle anderen generischen Actionfilme seit spätestens dem Jahr 2000 ganz genauso gemacht haben: Fehlende innere Logik wird mit Geballer und Gewumms und ach so exotischen europäischen Schauplätzen übertüncht, und vernünftige Stories oder gar zusammenhängende Abläufe werden als störend empfunden. Soweit nichts Neues, aber was NOVEMBER MAN dann doch noch über den Durchschnitt hebt sind zum einen die in diesem Genre unverbrauchten Hauptdarsteller: Wenn Pierce Brosnan seinen James Bond so gegeben hätte wie er hier den Devereaux spielt, wäre ihm erheblich mehr Rückhalt in der Fanszene gewiss gewesen. Ein mürrischer und brutaler Klotz mit dem Charme eines Holzfußbodens, der deutlich auf den Spuren des frühen Sean Connery wandelt, und mit seinen grauen Schläfen und dem Hang zum massiven Körperbau tatsächlich einen Hauch von Realismus in das abgehobene Spektakel bringt. Und es ist auch einmal schön anzusehen, dass auch der Held so eines Films nicht davor zurückschreckt, unbeteiligte Dritte vom Leben in Richtung Tod zu befördern, um zu seinem Ziel zu kommen. Charmant ist in diesem Zusammenhang auch die Anspielung auf den Anti-Helden in Alfred Hitchcocks TOPAS, der ebenfalls Devereaux hieß, ist der NOVEMBER-Devereaux doch schließlich nur durch sein Pech im Leben sowie durch die Herausstellung in der Hauptrolle der Held – Die Sympathien gehören eher anderen Darstellern. Olga Kurylenko an Brosnans Seite und Luke Bracey als das Teilzeit-Gegenüber David Mason zum Beispiel, die beide sehr überzeugend wirken, genauso wie die vielen Nebendarsteller aus den Balkanländern, die erfrischend und engagiert aufspielen.

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Auch überzeugend sind die Handlungsschauplätze. Moskau kennt man, aber Belgrad? Ich hätte nicht gedacht, dass die Stadt so schön ist! Einzig, dass die Belgrader sich kaum wundern, wenn Männer (oder Frauen) mit großkalibrigen Wummen durch die Stadt rennen, erscheint etwas seltsam. Aber da betreten wir dann schon wieder das Reich des 08/15-Actioners mit seinem vorgegebenen Schema aus Daueraction, wenigen Verschnaufmomenten, und vielen vielen Explosionen. Trotzdem, NOVEMBER MAN hat mich entweder auf dem richtigen Fuß erwischt, oder er hat tatsächlich Qualitäten, denn er zieht stark nach vorne und macht, bei aller Vorhersehbarkeit, durchaus eine Menge Spaß. Der weitestgehende Verzicht auf markige Oneliner schafft viel Grimmigkeit, was der sonnigen Urlaubsstimmung in Belgrad dann angenehm gegenübersteht und irgendwie eine recht wohlwollende Meinung erzeugt.

NOVEMBER MAN ist sicher kein Film, an den ich in zwei Tagen noch denken werde (höchstens vielleicht wegen der Szene, in der Miras Eltern in einer Rückblende erschossen werden, und die nur ein paar Tage nach dem Massaker in Burtscha in der Ukraine viel Eindruck hinterlassen hat). Aber er unterhält für 107 Minuten, und da gibt es ja nun wirklich schlechtere Gründe, sich einen Film anzuschauen, oder?

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Maulwurf
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À pleine bouche (Jean-Claude Roy, 1976) 6/10

Irgendwo in den Tiefen des Internets begraben.jpg
Irgendwo in den Tiefen des Internets begraben.jpg (7.4 KiB) 363 mal betrachtet

Alain kommt von einer Reise zurück zu seiner geliebten Frau Lise – und findet diese in den Armen eines anderen Mannes. Sie redet von Freiheit und Ausprobieren, er redet von Scheidung und verlässt sie. Auf der Fahrt ins Nirgendwo begegnet er einem Anhalterpärchen, dass sich in Liebesdingen vollkommen frei bewegt: Auf der Rückbank seines Autos bläst sie ihrem Freund einen, und beide fragen an, ob sie bei ihm nicht auch mal soll. Noch hat Alain Hemmungen, aber in der Nacht, als er die beiden beim Sex beobachtet, lässt er sich dann doch mal auf einen Dreier ein. Zusammen fährt man zu Freunden, Marie und Patrick, wo dem freien und völlig eifersuchtslosen Sexus gefrönt wird. Zu zweit, zu dritt, zu viert, zu fünft … Alain stellt fest, dass er Lise unrecht getan hat, und dass er sie immer noch liebt. Auf der Suche nach Lise begegnet er der unersättlichen Ariane, die ihn wiederum zu dem Liebhaber von Lise führen kann, was dann zu einem sehr akrobatischen Dreier führt. Dadurch kommen Mann und Liebhaber sich (gedanklich!) näher, und der Lover bringt Alain zu Lise. Die wiederum freut sich, dass Alain sich neuen Gedanken gegenüber aufgeschlossen zeigt, und gemeinsam fährt man zu Marie und Patrick, wo sich dann letzten Endes alle miteinander vergnügen.

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Und so entspannt wie sich das liest, so schaut es sich auch. Es gibt bis auf den kurzen Ehestreit zu Beginn keine Konflikte und keine bösen Menschen. Die Sonne scheint, alle sind nackt und vögeln lustvoll wen immer sie gerade vor sich haben, genießen das gute Leben, essen, trinken und ficken miteinander, und am Ende setzt sich Ariane nackt auf den Tisch und initiiert eine lustvolle Orgie. Allein schon diese Bilder, wenn die Darsteller unter freiem Himmel am Tisch sitzen, essen und trinken, ein Mädchen sich auszieht, und alle voller Lust und Liebe übereinander herfallen, allein schon diese Bilder transportieren so ein unglaublich leichtes Lebensgefühl, dass man im Jahre 2024, zwischen Steuererhöhung und Krieg in der Ukraine, zwischen AFD und Klimawandel, unglaubliche Sehnsucht nach anderen Zeiten bekommt. Nach einem Sommer mit guten Freunden, und nach einem Leben mit Idealen, die solche Dinge wie Eifersucht oder Neid (oder gar globale Probleme) völlig ausschließen. Eine hippieske Sommer-Fantasie, das ist MIT VOLLEM MUND, und verdammt noch mal, das Zuschauen macht Spaß! Die Menschen sind schön, und selbst die Männer haben haarlose Knackärsche und sind ansehnlich. Jeder hat Lust, alle können fast unbegrenzt, und es herrscht Liebe unter den Menschen.

Ist das denn etwas Schlechtes? MIT VOLLEM MUND ist schlicht und ergreifend schön anzuschauen und macht enorm Lust. Ob der Film pärchentauglich ist? Gut möglich, der männliche Teil der Fantasie wird niemals überbetont, und die Damen gehen nie unbefriedigt davon. Zudem lernen wir hier einige wirklich wilde Stellungen kennen, die aber allesamt sehr sexy aussehen, und niemals demütigend oder übergreifend wirken. Eine warme Empfehlung für Stunden, in denen man an der heutigen Welt verzweifeln möchte …

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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Ich will Dich, Giulia (Andrea Barzini, 1986) 4/10

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Der Möchtegern-Schriftsteller Emilio begegnet in einem Theater Giulia. „Begegnet“ soll heißen, dass er sie sieht. Dass er ihre Augen sieht. Ihre Ausstrahlung. Dass er ihr hinterherläuft. Oder sie vor ihm her, das weiß man nicht so genau. Und dass sie sich im Fundus des Theaters treffen und heißen Sex miteinander haben. Doch Emilio denkt in seiner spießbürgerlichen Beschränktheit, dass er Giulia liebt, und dass diese ihn wieder liebt. Dass Giulia vielleicht einfach nur einen Fick haben wollte, das kommt ihm nicht in den Sinn, so etwas gibt es in seiner Welt nicht. Seine Welt, das ist ein erstarrtes Museum als Haus, das er sich mit seiner ältlichen Schwester Amalia teilt, und ein ungeliebter Job in einem Verlag als so eine Art Lektor. Gerade soll er das Buch des Rockstars Stefano Bemberg mit diesem gemeinsam zu etwas umfunktionieren, das sich gut verkaufen wird. Die Arbeit mit dem von sich restlos überzeugten Stefano ist mühsam, und dass Stefano sich in Amalia verknallt macht die Sache nicht einfacher. Amalia sieht sich endlich einmal als Frau bestätigt und versucht, aus ihrem verkarsteten und einsamen Leben auszubrechen. Stefano hat seinen Spaß, Amalia ebenfalls, und Giulia macht das was sie immer macht: Modeaufnahmen, Partys, Sex. Nur Emilio steht irgendwie allen immer im Weg. Und am meisten sich selbst …

GIULIA ist in erster Linie kein Serena Grandi-Film, und das Problem, das ich bei diesem Film habe, ist sehr einfach zu beschreiben: Stefano ist ein typischer Mann, der denkt, dass einmal Sex gleichbedeutend ist mit dem Anspruch auf das komplette Leben der Frau. Und Giulia ist eine Frau die Spaß haben will, die alles einmal ausprobieren möchte, und deren Lebensziel Party heißt, und zwar mit allen Konsequenzen. Der Sex mit Emilio scheint wohl ziemlich gut zu sein, sie kommt irgendwie so gar nicht wirklich von ihm los, aber da er als ausgesprochene Spaßbremse durch das Leben läuft, und sehr erfolgreich versucht, auch seiner direkten Umgebung den Spaß zu rauben, ist es nach meinem Dafürhalten nicht wirklich klar, was Giulia eigentlich von Emilio will. Klar, er sieht in ihr mehr als nur das lustige It-Girl, was ihr selbstredend schmeichelt, aber der Umstand, dass sie ihn nicht schnurstracks aus ihrem Leben entfernt, ist irgendwie … unglaubwürdig.

Und so müssen wir zähe 88 Minuten zuschauen, wie der völlig vertrocknete Emilio nicht nur Giulia terrorisiert, sondern Stefano versucht den Erfolg des Buches auszureden, seine eigene Schwester an sich bindet sowie deren zaghafte Ausbruchsversuche unterdrückt. Emilio nervt einfach, und irgendwann im Lauf des Films ist auch Giulia genervt und stellt ihn auf die Probe – Drogen, ein junger Mann und eine Menge Lust zwischen ihren Beinen sind das Mittel der Wahl, und die Konsequenz aus diesem spannenden Versuch, Emilio vor die Wahl Spießig oder flippig zu stellen, münden fast in einem Drama. Genauso wie Amalias Leben zu einem Drama wird, und Emilio das macht, was er die ganze Zeit macht: Ihm fehlen die Worte, morgen werden wir darüber reden, seine Augen sind ungläubig und schreckgeweitet, und eigentlich sehnt er sich wieder in sein Museum zurück in dem er haust.

GIULIA ist kein Serena Grandi-Film, und sonderlich viel Erotik hat es trotz der zeigefreudigen und attraktiven Hauptdarstellerin tatsächlich nicht. Regisseur Andrea Barzini schafft es, die vielen Sexszenen durch die Bank alle zu versaubeuteln und zu etwas klinisch-langweiligem umzugestalten, und dass die kitschige Musik dann noch die möglicherweise letzten vorhandenen Reste von Erotik vollkleistert macht es auch nicht besser. Aber GIUILA ist eben auch kein Serena Grandi-Film, sondern die Erzählung eines Mannes, der am Leben und an Dingen wie Spaß und Freude ganz einfach scheitert und seine Umgebung in dieses Scheitern miteinbezieht. Ich persönlich fand den Film enervierend und langweilig, was zu einem guten Teil an Emilio lag (und nicht etwa an dem Darsteller, das möchte ich festhalten! Der macht seine Sache nämlich wirklich gut.). Das mögen andere anders sehen, ich jedenfalls habe vom Flirt mit der Vorspultaste Hornhaut am Finger bekommen. Der Flirt mit Serena Grandi hätte mir besser gefallen …
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Frühstück mit dem Tod (Franz Antel, 1964) 6/10

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Irgendwo in den Tiefen des Internets begraben.jpg (7.4 KiB) 338 mal betrachtet

Staatsanwalt Talbot schickt den überführten Bankräuber und Mörder Conley auf den elektrischen Stuhl, obwohl ihm das streng genommen gegen die eigene Überzeugung geht. Aber auch wenn Conleys Ehefrau Beth verzweifelt um 30 Tage Aufschub bittet, Talbot sind die Hände gebunden – Und eine Stunde nach der Hinrichtung wird der tote Gangster Madigan gefunden mit einem Bekennerschreiben, dass er selber die Bank überfallen hat und Conley unschuldig war. Für Talbot stürzt eine Welt ein, und er stellt seinen Posten zu Disposition. Sein Freund und Kollege Hal Young wird nun Staatsanwalt, und Talbot verzieht sich mit einer jungen Dame ins Privatleben, die sich als sein frisch aufgefundenes Mündel Vicky Paul entpuppt. Doch plötzlich zeigen alle mit dem Finger auf ihn: Beth Conley wird ermordet, und Talbot als letzter Besucher ist der Hauptverdächtige. Madigan wurde von einer kleinen Brünetten begleitet die jetzt verschwunden ist, und deren Beschreibung bemerkenswert auf Vicky Paul passt. Talbots Frau zieht ihre Scheidung zurück um Talbot mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, und weist ihn darauf hin, dass sein Freund und Kollege Young ihn schon immer gehasst hat und jetzt mutmaßlich versucht, Talbot ans Messer zu liefern. Die Schlinge zieht sich allmählich immer enger um den ehemaligen Staatsanwalt, und die Versuche, seine Unschuld zu beweisen, gehen zunehmend ins Leere.

Die Romanvorlage von Day Keene kenne ich nicht, aber andere Romane des Autos habe ich gelesen, und dazu gibt es eigentlich nur einen Begriff: Pulp. Billige, einfach geschriebene, kleine Krimis für die Bahnhofsbuchhandlung und die Ramschkiste des Antiquariats, mit vielen Toten und ernsthaft angedeuteten Sexszenen im Gepäck. FRÜHSTÜCK MIT DEM TOD macht da als Film keine Ausnahme: Praktisch ab der ersten Minute drückt Regisseur Franz Antel das Gaspedal durch und nimmt es nur ein paar mal leicht zurück, um den Männchen und den Weibchen die Gelegenheit zu geben, sich andeutungsweise miteinander zu verlustieren. Eine Tänzerin darf dann auch entsprechend mal kurz oben ohne durch die Szenerie tanzen, aber ansonsten heißt das Motto Vollgas Vollgas Vollgas. Wolfgang Preiss als Ted Talbot brettert durch den verworrenen Plot und gibt den jugendlich-aggressiven Fuchsberger aus den Wallace-Filmen, als wolle er seine 54 Jahre Lebenszeit alle auf einen Schlag zurückholen. Sogar eine Prügelei mit Ady Berber übersteht er problemlos, inklusive dass er Ivan Desny über seine Schulter wirft, nur 20 Filmminuten nach einem Schulterdurchschuss. Ady Berber im Übrigen spielt hier einen Ernie und wird von Gerd Duwner synchronisiert. Wer den Witz findet darf gerne lang und laut lachen …

Nein, ernst nehmen darf man FRÜHSTÜCK MIT DEM TOD auf gar keinen Fall. Und einen Krimi im Format und in der Qualität eines Edgar Wallace noch viel weniger. Dafür wird eine Menge geschossen, geschrien und geprügelt, und wenn dem Drehbuch gerade mal gar nichts mehr einfällt ragt schnurstracks ein Gewehrlauf ins Bild, Chris Howland muss versuchen Texaner-Witze zu erzählen, oder Dieter Eppler macht als Lieutenant Keller Verdächtige zur Sau. Texaner-Witze? Lieutenant? Ja, FRÜHSTÜCK MIT DEM TOD spielt in Amerika! Die Polizei ist auch mal mit einem Ford Taunus unterwegs, Beth Conley wohnt in einer Reihenhaussiedlung die so typisch 50er-Jahre Vorstadt Deutschland ist wie man es sich nur vorstellen kann, und die Einrichtungen kommen direkt aus dem örtlichen Kaufhof. Aber im Hintergrund hängt ein Bild von Lyndon B. Johnson, und Wolfgang Preiss darf einen frühsechziger Straßenkreuzer fahren. Was leider die Stimmung ein wenig verwässert - Mit einem britischen Aufhänger hätte der Film wahrscheinlich eher punkten können.

Aber möglicherweise wollte man sich von den Konkurrenzprodukten der Rialto abheben, und hat deswegen auch auf andere Stars als die ewig gleichen Fuchsberger/Dor/Peters/usw. gesetzt, die aber oft zu den dargestellten Rollen nicht so recht passen mögen. Wolfgang Preiss ist für seinen Actionpart einfach ein klein wenig zu alt, und Sonja Ziemann, so schön sie anzuschauen ist, passt nicht zur schnieken Rechtsanwältin. Charakter und Rolle decken sich nicht, genauso wenig wie der Hard Boiled-Cop zu Dieter Eppler passt …

FRÜHSTÜCK MIT DEM TOD geht gehörig nach vorne los und rennt dabei alles nieder was man gegebenenfalls als Kritik anbringen könnte. Der Film ist schnell und laut, dabei musikalisch perfekt unterlegt von Gert Wilden, dessen Score genauso durch die Decke geht wie die Handlung. Keine Sternstunde des deutschen Nachkriegskinos, aber putzige Unterhaltung mit Sex and Crime. Eben Pulp …
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Woman Hell Song (Mamoru Watanabe, 1970) 5/10

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Die weibliche Yakuza Okayo ist schon ein harter Knochen – Ein Leben als Verbrecherin und immer unterwegs sein, das ist in einer männerorientierten Gesellschaft wie dem Japan des beginnenden 20. Jahrhunderts kein Zuckerschlecken. Aber das Schicksal, das ihr der Inspektor Honda zumutet, dehnt Okayos Leidensfähigkeit bis zum Gehtnichtmehr aus: Er gibt sie in die Hand von Vipern-Ginji, der sie gemeinsam mit seinem Sidekick in einer dunklen Höhle so lange vergewaltigen will bis er keine Lust mehr hat, und sie dann endlich tötet. Aber ein geheimnisvoller Mann betritt die Höhle, befreit Okayo und tötet Vipern-Ginji. Vermeintlich, denn Ginji hat überlebt und sinnt auf Rache. Drei Jahre später kommt Okayo in einen Ort, wo Honda mittlerweile der Leiter einer Spinnerei ist, und in seiner Freizeit junge Mädchen vergewaltigt und abrichtet. Er scheint für Okayos Rache ein unerreichbares Opfer zu sein, aber der geheimnisvolle Mann, der Okayo vor drei Jahren rettete, ist nun auch wieder da. Wenngleich seine Motive nicht diejenigen sind, die so ein Retter im Allgemeinen hat …

Ich schaue mir WOMAN HELL SONG an. Ich bewundere die zum Teil sehr schöne Schwarzweiß-Fotografie, die sich in der Schattengebung an den klassischen Jidai geki-Filmen vor allem der 60er-Jahre orientiert, und wunderbare Bilder von Landschaften genauso verschwenderisch daherschenkt wie Aufnahmen von Menschen. Ich verliere mich in der wenig vorhandenen Musik, die so auch problemlos von einem Gianni Ferrio kommen könnte, und bereits beim Intro die kommende Tragödie ankündigt. Melancholische Gitarrenklänge leiten in eine Geschichte hinein, die unter anderen Vorzeichen vielleicht sogar ein Italo-Western sein könnte. Die Musik jedenfalls sagt es so. Und ich ergötze mich an der exploitativen Charakterisierung der Figuren: Keiner ist hier einfach nur gut oder schlecht, nein. Wenn ein Charakter schlecht ist, wie zum Beispiel der Vipern-Ginji, dann ist das ein richtig verkommenes Subjekt. Einer, der seine Mutter verkaufen würde, wenn er einen Vorteil davon hätte, und dabei noch dreckig lachen würde. Anders Okayo, die uns als Yakuza verkauft wird, zumindest aber als heimatlose Herumstreunerin ohne größere moralische Vorbehalte, und die im Lauf des Films zunehmend zur positiven Gestalt gemacht wird, da können weder das Würfelspiel noch die Sexszenen etwas dran ändern. Okayo wird auch oft Benten genannt, wegen der entsprechenden Tätowierung auf ihrem Rücken. Benten ist im japanischen Buddhismus eine Gottheit, die Beschützerin der Geishas, Tänzer und Musikanten, verbunden mit Musik, der Kunst und der Weisheit. Und ein Mensch mit dieser Göttin auf dem Rücken kann doch schließlich nicht schlecht sein, oder?

Also ist alles gut. Schöne Bilder, verständliche Charaktere, feine Musik, und die vielen guten Kritiken im Netz bestätigen das ja auch alles. Bloß, das packt mich persönlich alles so gar nicht! Das Schicksal Okayos und ihrer kurzzeitigen Freundin geht mir mit zunehmender Laufzeit irgendwo vorbei, die Metamorphose zur toughen Schwertkämpferin, die ganz alleine unter den Schergen Hondas aufräumt, ist nur bedingt überzeugend, und die zentralen Szenen des Films empfinde ich als so dermaßen unangenehm wie schon lange nichts mehr. Tatsache ist, dass die Vergewaltigung Okayos durch Ginji den Zuschauer schon sehr schmerzt, die sexuelle Erniedrigung des jungen Mädchens durch Honda aber tiefschwarz und bitter ist und fast körperlich weh tut. Szenen, die mich sicher noch länger verfolgen werden, und die in ihrer Intensität kaum auszuhalten sind. Derbes, zupackendes Genrekino also, und das sollte doch zumindest das Exploitation-Ferkel in mir ansprechen. Aber Pustekuchen, stattdessen ziehen die hübschen Szenerien vorbei, die die schrecklichen Dinge so ansprechend bebildern, ziehen die Protagonisten vorbei, und nichts von der Handlung oder den Bildern schafft es, Gefühle zu erzeugen. Beim Zuschauer Emotionen hochkochen zu lassen. Dass man aufstehen und den Schurken schlimme Verwünschungen hinterherschreien möchte …

WOMAN HELL SONG ist düster, brutal, schmutzig und verkommen. Aber er berührt zumindest mich nicht, und so schade dies auch ist, der Film lässt mich kalt. Schade …
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Jack Grimaldi
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Maulwurf
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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Seconds (John Frankenheimer, 1966) 8/10

Irgendwo in den Tiefen des Internets begraben.jpg
Irgendwo in den Tiefen des Internets begraben.jpg (7.4 KiB) 317 mal betrachtet

Sein Leben noch einmal leben. Eine neue Chance bekommen und neu anfangen. Ein neues Gesicht, ein neuer Weg, neue Möglichkeiten. Wer träumt nicht davon, trotz allem Wohlstand und Glück das man hat, die falschen Entscheidungen rückgängig machen zu können? Und ich rede vielleicht gar nicht mal von den großen Dummheiten, von denen auch, klar, aber ich rede auch von den kleinen Abzweigungen, die man hier und dort genommen hat, und die sich als Unfug erwiesen hatten. Und dabei so große Auswirkungen haben konnten. Nicht im Büro zu sitzen sondern künstlerisch tätig sein zu können. Nicht den desinteressierten Partner an der Seite, sondern die aufregende und wilde Jugendliebe. Nicht das öde Vorstadthäuschen, das irgendwann beim Erreichen der Rente vielleicht mal abbezahlt sein wird, sondern ein Leben im Camper und mit viel Freiheit um die Nase. Oder auch genau umgekehrt …

Arthur Hamilton wird diese Chance gegeben. Sein Leben als leitender Angestellter einer Bank, mit einer langweiligen Frau an der Seite und in einem langweiligen Haus in der Vorstadt, ist in Starre und Ödnis untergegangen. Was ist mit den Träumen aus der Jugend geschehen? Arthur wäre gerne Tennisprofi geworden. Oder Kunstmaler. Jetzt kann er dies alles rückgängig machen! Arthur Hamilton wird sterben, und an seiner Stelle wird Antiochus Wilson das Leben betreten. Er wird gut aussehen. Er wird in Malibu am Strand leben und malen können. Er wird ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit führen können.
Aber wie alle Menschen damals und heute und immer ist Antiochus Wilson mit dem Sein unzufrieden. Die Gegenwart und das Interesse der wilden und aufregenden Nora Marcus, die seine Geister weckt und ihn an das Leben heranführt, führen dazu, dass er im Kreise der Nachbarn Dinge sagt, die besser nicht gesagt werden sollen. Denn die Firma, die Arthur Hamilton hat sterben lassen, bevorzugt es, ihre Geschäfte in aller Stille durchzuführen. Ohne das Gerede eines betrunkenen Malers …

Man stelle sich vor, man könne sich ein neues Gesicht machen lassen, und mit diesem neuen Gesicht dann das Leben führen, von dem man als Jugendlicher geträumt hat. Musik, Sport, Kunst, oder vielleicht auch einfach nur eine Kneipe führen und interessante Menschen kennenlernen. Ich weiß nicht mehr was ich als Kind werden wollte, aber das hier war es sicher nicht. Was für ein Traum. Oder könnte dies nicht auch ganz schnell ein Alptraum werden? Antiochus Wilson merkt sehr schnell, dass er in seinen Entscheidungen nur bedingt „frei“ ist, ein Butler ist an seiner Seite und wacht über alle seine Aktivitäten. Und ist die attraktive Nachbarin Nora wirklich nur zufällig seine Nachbarin? Durch seine eigene, allzu menschliche, Unzufriedenheit gerät Antiochus Wilson irgendwann in einen Alptraum, aus dem es kein Entkommen mehr gibt. Entfremdet er sich einem Paradies, dass möglicherweise von vornherein nicht seines war …

In den 60er-Jahren gab es immer wieder Filme, die mangels besserer Ideen unter dem Oberbegriff Paranoia einsortiert werden können, da sie sich ansonsten jeglicher Kategorisierung verweigern. BOTSCHAFTER DER ANGST oder DIE 27. ETAGE sind solche Filme, aber auch DER MANN, DER ZWEIMAL LEBTE fällt darunter. Immer geht es um Männer, die fremdgesteuert werden oder zumindest das Gefühl haben als ob. Männer, die in eine Situation geraten, die sie nicht beherrschen können, und in der sie Marionetten einer anderen, fremden und geheimnisvollen, Macht sind. Antiochus Wilson hätte die Möglichkeit, gut und unauffällig überwacht ein einzigartiges Leben zu leben, von dem Otto Normalverbraucher zu jeder Zeit nur träumen kann. Aber seine eigene Sturheit und sein Wunsch nach Unabhängigkeit sind zu stark, und er manövriert sich in seinen eigenen Untergang hinein. Ein Gefühl, dass Mitte der 60er-Jahre sicher von vielen, vor allem jüngeren Menschen, so empfunden wurde: In einer Zeit zu leben, in der man selber fremdgesteuert auf eine Katastrophe zugeht, ohne diese wirklich abwenden zu können …

Insofern ist DER MANN, DER ZWEIMAL LEBTE nicht nur ein guter und intensiver Thriller, sondern tatsächlich auch das Bild einer Generation, die sich selber verloren glaubte. Möglicherweise ist dies auch der Grund für die Bacchanalien, zu denen Nora Antiochus verführt, und in denen er erstmals seine Zurückhaltung und Scheu, ja eigentlich seine ganze Spießigkeit, und damit auch das gesamte alte Leben, hinter sich lässt und zu einer Art geistigen Freiheit kommt. Zu einer Lebensweise, die damals gerade begann populär zu werden (bzw., je nach Weltbild, als Beginn des Untergangs galt), nämlich einer Verweigerungshaltung gegenüber den übergeordneten Stellen und der Priorisierung der eigenen Lust in Verbindung mit der Freiheit anderer Menschen. Oder anders ausgedrückt: Party statt Hamsterrad. Dass Antiochus diese gewonnene Lebenseinstellung dann aber auch gegen sein neues Leben wendet, die zwangsläufig immer zu ziehenden Grenzen nicht berücksichtigt, das war so in der Wiedergeburt des Arthur Hamilton sicher nicht vorgesehen.

Vielleicht mag das Ende ein wenig arg pessimistisch sein, vielleicht sind nicht alle Szenen wirklich gut erzählt und wirken manchmal etwas kryptisch, aber im Gesamtbild überzeugt DER MANN, DER ZWEIMAL LEBTE auf ganzer Linie. Ein ernster und dunkler Rock Hudson voller Selbstzweifel, eine sehr erotisch aufgeladene Salome Jens, und eine fast mystische Atmosphäre, changierend zwischen schlimmster Bürokratie und absolut freiem Leben. Beeindruckend und auf eine ganz unbestimmte Art intensiv. Auf jeden Fall aber ein Film, der Gedanken im Kopf des Zuschauers lostritt …
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Maulwurf
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Beitrag von Maulwurf »

Schwarze Aphrodite (Pavlos Filippou, 1977) 5/10

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Willkommen in den Abgründen des europäischen Trashs: Der Boss will wissen, wer in seiner Agententruppe der Verräter ist. Also wird unter dem Decknamen Schwarze Aphrodite ein Unternehmen gestartet, bei dem eine Waffenübergabe auf einem Schiff verhindert werden soll, und Agentin Tamara, die hier die Befehle gibt, hat gleichzeitig den Verräter zu entlarven.

Schauen wir doch mal: Der Film beginnt in der ungeschnittenen Fassung mit einem, für die Handlung vollkommen unerheblichen, Militärputsch eines offensichtlich anderen Films. Dann treffen sich der Boss und Tamara und vögeln. Wir lernen Steve kennen, der die Journalistin Edwige vögelt. Ein Auto fliegt in die Luft, und dann stößt Tamara auch endlich zu der Gruppe Agenten, zu denen selbstverständlich auch Steve gehört, und vögelt mit Steve. Es geht per Zug nach Griechenland. Im Zug vögelt Tamara mit einem Archäologen, und der erste aus der Gruppe stirbt. Spätestens in Athen lernen wir Julie kennen, die die lesbische Freundin von Edwige ist, und eine Wanze in Steves Telefon anbringt. Dadurch erfährt die Gegenseite wichtige Informationen und der nächste aus der kleinen Gruppe segnet das Zeitliche. Tamara vögelt derweil weiterhin mit Steve. Soll ich noch weitermachen? OK: Durch eine Information von Julie geht es nun auf eine kleine griechische Insel, wo die Bösen sich als Fischer tarnen. Der versoffene Rick will Edwige vögeln, und der Dicke aus der Gruppe will Julie an die Wäsche und fesselt sie dafür an ein Wagenrad. Tamara vögelt derweil weiterhin mit Steve …

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Alles klar? Fein, dann fassen wir zusammen: Eine Gruppe Männer, eine schöne Frau, noch eine schöne Frau und eine dritte schöne Frau reisen nach Griechenland um zu vögeln. Und nebenher wird ab und zu gestorben. Gegen Ende des Films erinnert sich der Regisseur daran, dass dies ja ein Agentenfilm sein soll, und inszeniert eine etwas skurril anmutende Verfolgungsjagd, an deren Ende die ikonische Ajita Wilson im Leopardentanga und in hohen Lederstiefeln mit einer Pumpgun am Strand steht und Justitia spielt. Eine wahrliche aufregende Szene!!
Aufregend ist auch die komplett nackte Julie am Wagenrad; Haris Tryfonas, der Darsteller des Steve, hat eine Ausstrahlung wie ein englischer Rockmusiker aus den 70ern; Telly Savalas Szene dürften in rund 2 Minuten abgedreht worden sein; und überhaupt ist hier außer den nackten Frauen weniges richtig aufregend. Die reichlich vorhandenen Sexszenen sind zumindest in dieser ungeschnittenen(?) Fassung durch die Bank Softcore, wobei der Gerechtigkeit halber hinzugefügt werden muss, dass viele dieser Szenen hübsch gefilmt sind und durchaus eine gewisse sleazige 70er-Jahre-Billig-Erotik versprühen. Was allerdings auch an den attraktiven Darstellern liegen könnte …

Nein, wirklich großes Kino geht entschieden anders. Die Agentenhandlung ist kompletter Kokolores und dient eigentlich nur dazu, die verschiedenen Sexszenen miteinander zu verbandeln. Wobei, der Tod des Dicken am Strand hat dann schon wieder etwas. Was besonders Dümmliches. Oder Schwachsinniges. Wer keinen Hang zu billigstem Euro-Trash hat, der wird diese Adjektive ganz schnell wiederfinden und nach ein paar Minuten entsetzt ausschalten. Alle anderen, diejenigen mit der gewissen Liebe zum cineastischen Voll-Quatsch, können in den Urlaubsbildern von Griechenland, den nackten Brüsten von Ajita Wilson und dem hohen Tempo des Films durchaus ihren Spaß haben.

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Beitrag von Maulwurf »

Im Netz der Spinne (Lee Tamahori, 2001) 6/10

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Den Polizeipsychologen Alex Cross kennen wir ja bereits aus …DENN ZUM KÜSSEN SIND SIE DA (und dass der Charakter in SIEBEN Somerset hieß ist wahrscheinlich damit zu erklären, dass er nach den dortigen Ereignissen seinen Namen geändert und eine neue Identität angenommen hat …). Und daher wissen wir auch, dass der Mann einfach immer eine gute Figur macht, gleich ob beim psychologisch raffinierten Verhör, bei der körperlich anstrengenden Verfolgungsjagd oder mit gezückter Kanone beim Showdown mit dem Mörder. Alex Superman Cross weiß alles, kann alles, und damit der Charakter nicht so langweilig wird, lässt man ihn zu Beginn des Films einen persönlichen Tiefschlag erleiden und daraufhin gequält gucken, auf dass er ein klein wenig menschlicher wird. Wobei sich mir der von ihm angesprochene Fehler innerhalb des Teasers nicht erschließt – Die Polizeiaktion ist einfach Scheiße gelaufen, ohne dass man dies jemandem ans Hemd heften könnte …

Aber egal, Alex Cross muss dieses Mal den Entführer einer Diplomatentochter suchen, gemeinsam mit der FBI-Agentin Jezzie Flannigan und im Einvernehmen mit dem Special Agent MacArthur. Das Mädchen wird also gekidnappt, und der Entführer bezieht Cross in seine Handlungen mit ein, damit der Film ins Rollen kommt – Ansonsten hätte Cross in der Handlung schließlich keinerlei Existenzberechtigung. Cross ist ein As am Computer und denkt schneller als das gesamte versammelte FBI, weswegen sie der Identität des Bösewichts recht schnell auf die Schliche kommen, aber das Mädchen ist halt immer noch irgendwo da draußen, und auch wenn der Schurke den ein oder anderen Fehler macht, so sind Polizei und FBI doch immer einen Schritt hinterher.

Typisches Hollywood-Popcornkino der Neuzeit also, mit genügend SIEBEN im Kielwasser um nicht zu langweilen, dabei aber nicht so düster und deutlich dümmer als …DENN ZUM KÜSSEN SIND SIE DA. Durch den ständigen Ortswechsel und das hohe Tempo kommt man auch nicht zum Nachdenken, denn irgendwann, spätestens nach der Sichtung, fällt auf, dass sowohl die völlig zweckfreie Handlung wie auch die permanent idiotischen Zufälle die einzigen Dinge sind die den Film zusammenhalten. Dies, und der sympathische Morgan Freeman, denn alles andere ist generisches Einerlei vom Reißbrett. Und zu dieser Schlussfolgerung passt sogar, dass man sich am Ende trotzdem gut unterhalten fühlt und 107 spannende Minuten wie im Flug herumgegangen sind.

Kein Film, den man in der Sammlung stehen haben muss, aber für einen vergnüglichen Abend auf Netflix taugt der Flick allemal …
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