Auf dem Weg - Denis Imbert (2023)

Moderator: jogiwan

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Salvatore Baccaro
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Auf dem Weg - Denis Imbert (2023)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

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Originaltitel: Sur les chemins noirs

Produktionsland: Frankreich 2023

Regie: Denis Imbert

Cast: Jean Dujarin, Joséphine Japy, Izia Higelin, Anny Duperey, Jonathan Zaccai


In französischsprachigen Ländern scheint der Reiseschriftsteller Sylvain Tesson zu den absoluten Königen der Bestsellerlisten zu gehören. Seit Ende der 90er tritt Tesson medial mit strapaziösen Exkursionen wie beispielsweise einer Motorradfahrt von Paris nach Moskau in Erscheinung, verarbeitet diese Grenzgänge in möglichst unwirtliche und unbewohnte Landstriche stets aber auch literarisch für Bücher mit Titeln wie BEREZINA, LA PANTHÈRE DES NEIGES oder SUR LES CHEMINS NOIRS.

Letzteres erscheint 2016 und stellt, wenn ich den Kritikern glauben darf, Tessons bislang persönlichsten Text dar: Nach einem Sturz schwebt der Romancier in Lebensgefahr, arbeitet sich in der Folge Stück für Stück ins Leben zurück, beschließt, quasi als Krönung seines Heilungsprozesses und trotz körperlicher wie seelischer Blessuren, eine weitere Hardcore-Wanderung in Angriff zu nehmen. Diesmal soll es knapp 1300km quer durch Frankreich gehen, von den Alpen bis zum Ärmelkanal. Auch diese Veröffentlichung schlägt auf dem Buchmarkt ein wie eine Bombe – und wenn etwas vor allem ökonomische Eruptionen verursacht, dann ist das Filmbusiness meist nicht weit, den jeweiligen Verkaufsschlager vor den eigenen Karren zu spannen, sprich, eine Leinwandadaption daraus zu stricken, ob sich der zugrundeliegende Stoff nun für eine Verfilmung eignet oder nicht.

Um genau diese handelt es sich bei dem im März 2023 in die französischen Kinos gelangten SUR LES CHEMINS NOIRS, in dem Regisseur Denis Imbert mit Jean Dujardin als wenig verschleiertem Tesson-Double Jacques Girard die oben beschriebene Wanderung filmisch nachzeichnet – und damit einen der furchtbarsten Filme gedreht hat, die ich in letzter Zeit gesehen habe.

Die Handlung lässt sich wie folgt zusammenfassen: Reiseschriftsteller Jacques lebte Wild Life mit Partys, One-Night-Stands, literweise Alkohol am laufenden Band. Eines Tages stürzt er beim übermütigen Balkonklettern in die Tiefe. Er muss das Gehen neu lernen, sich damit arrangieren, dass sein Körper, wie er selbst sagt, schlagartig um ein halbes Jahrhundert gealtert ist. Kaum auf den Füßen, steht die nächste Wanderung an, diesmal explizit ausgerichtet als Selbstfindungstrip, auf dem unser Held Jacques mit den Dämonen seiner Vergangenheit aufräumen möchte. Was folgt, ist Postkartenlandschaftskitsch, emotionales Klaviergetupfte und Streichergemaunze, vor allem aber permanentes Pseudophilosophieren aus dem Off. Wir erleben quasi in Echtzeit mit, wie Jacques seine Wandereindrücke in schwer verdauliche Prosa à la "die Freiheit ist eine Braut, die man einfangen muss" gießt; es fallen sinnentleerte Begriffe wie Baumobst bei einem Sturm; von Göttern ist die Rede, von Magie, von den großen Fragen der Menschheit, von allem, was dazu angetan ist, bestimmte Gefühle zu triggern, ohne dass dahinter mehr stecken würde als eine hohle Ausrichtung auf den bloßen Effekt.

Beim Wandern begegnet Jacques diversen Menschen: Einem Jüngling, der seinen Vater bei einem Unfall verloren hat; einem greisen Bauer, der auf den Tod wartet; eine Milchbäuerin; seine eigene Schwester, die mit Blasen an den Füßen ein Stück mitwandert; einen alten Gefährten, der eigentlich in Sibirien lebt. Jacques liest Thoreau, schläft unter freiem Himmel, sieht dabei aber immer gleich gestriegelt aus. Große Katastrophen bleiben aus – (wenn man von den ungenießbaren Kalendersprüchen aus dem Off absieht) –, selbst in den Rückblenden, die uns bruchstückweise über Jacques‘ früheres Leben aufklären: Im Paralleluniversum, in dem der Film spielt, scheint man als Reiseschriftsteller das Dasein eines Rockstars zu zelebieren, mit Groupies, die nach der Autogrammstunde mit einem ins Bett steigen, mit teuren Zigarren und teuren Spirituosen, mit Exzessen in Luxusappartements – alles Dinge, von denen der Jacques der Gegenwart sich lossagt, der die alkohol- und spermafeuchten Matratzen gegen eine Nacht in der Benediktinerarbeit eintauscht, und sich gerne in plakativer Zivilisationskritik übt, die zu ihren Feindbildern die Bildschirme von Laptops und Smartphone, über denen man ganz und gar das "wahre Leben" vergessen habe. Am Ende erreicht Jacques dann endlich das Meer, bricht in Tränen aus – und das Spektakel endet abrupt, als habe jemand den Filmstreifen durchschnitten.

Um Godard zu zitieren: Ende der Geschichte, Ende des Kinos. Denn SUR LES CHEMINS NOIRS kommt mir wirklich vor wie ein Endzeitfilm. Er erzählt nichts, er zeigt nichts – wohl niemals ist mir ein Film so egal gewesen wie dieser. Die Figuren, allen voran Jacques, sind maximal uninteressant, verfügen über keinerlei Facetten, die mich irgendwie für sie einnehmen, für ihr Schicksal interessieren würde, biographische Hintergründe, individuelle Eigenheiten bleiben weitgehend unerwähnt, und wenn, dann bloß kursorisch. Das mag zwar vielleicht einem beabsichtigten Realismus geschuldet sein, indem man Jacques‘ Wanderung eben nicht mit skurrilen Charakteren, überraschenden Wendungen, brenzligen Abenteuern vollstopft – andererseits macht genau diese Entscheidung SUR LES CHEMINS NOIRS aber zu einem Film, der im Grunde von der ersten bis letzten Minuten im gleichen einschläfernden Tempo vor sich hin mäandert, und bei dem ich immer pausenlos fragte, für welches Publikum das Ganze denn nun eigentlich intendiert gewesen sein soll.

Hauptschuld daran ist sicher auch die komplett generische Inszenierung. Ein Film ohne komplexe Story kann überzeugen, wenn er sich auf seine genuin kinematographische Eigenschaften besinnt – man denke an all die Exponenten des sogenannten „Slow Cinema“ wie Carlos Reygadas, Michelangelo Frammartino oder Helena Wittmann, bei denen es ebenfalls nicht darum geht, dass die Geschichten, die sie erzählen (oder skizzieren), epische Ausmaße besitzen, bei denen vielmehr die Art und Weise, wie diese Geschichten erzählt werden (oder eben auch nicht), im Vordergrund stehen. Von einer verblüffenden Montage, einer beeindruckenden Kameraarbeit, sprachlos machenden Plansequenzen kann bei SUR LES CHEMINS NOIRS freilich keine Rede sein. Der Film wirkt ästhetisch wie ein seelenloses Industrieprodukt, realisiert so konventionell wie möglich. Es ist schon erstaunlich, wie es ein Film, der hauptsächlich in der Natur spielt, fertigbringt, diese Natur höchstens in zwei, drei nachhaltigen Bildern überhaupt einzufangen. Die Landschaft bleibt bloße Staffage, im Vordergrund steht Jacques mit seinen Befindlichkeiten und seinen kitschig-altklugen Tagebucheinträgen. In einer Szene besteigt er mit seinem sibirischen Kompagnon einen Berg, und beide zeigen sich zutiefst berührt von der Landschaft, die sie von dort oben erblicken – während die Kamera gefühlte Minuten auf den Gesichtern der beiden Männer verweilt, das, was diese erblickt, erst später und dann auch nur kurz zeigt.

Ansonsten wünscht man sich, dass Jacques doch endlich einmal seine Klappe halten würde, so sehr sind die immerhin 95 Minuten mit Phrasendreschereien, mit Poesiealbumweisheiten, mit oftmals unfreiwillig komisch oder nachgerade dadaistischen Stilblüten zugekleistert. Es fällt schwer, sich ein Lachen zu verkneifen, wenn man bedenkt, dass diese Satzungetüme Jacques zu Starruhm und zu massenweise Sex mit jüngeren Frauen verholfen haben sollen. Apropos Literatur: Die Szene, in der Jacques dann auch noch „Walden“ von Henry David Thoreau auspackt, und einem zeitweiligen Begleiter gegenüber als Lieblingslektüre anpreist, war die einzige, die mich tatsächlich zum Kichern animierte. Dass man im Jahre 2023 noch Thoreau bemüht, um eine Figur als Naturburschen zu konnotieren, hätte ich mir echt nicht träumen lassen – zumal ja inzwischen allgemein bekannt ist, dass der angeblich Waldeinsiedler Thoreau mitnichten irgendwo in der Wildnis gehaust hat, sondern auf dem Grundstück seiner Eltern mit fußläufig zu erreichender Zivilisation gleich um die Ecke. Eigentlich passt das aber auch zu einem Film, der zwar verbal fortwährend die Natur anpreist, sogar mitten in ihr angesiedelt ist, jedoch a) niemals ansprechende Bilder für diese Natur findet, und b) auch überhaupt nicht an einer Auseinandersetzung zwischen Mensch und Natur interessiert zu sein scheint. In Studiokulissen gedreht, die die Natur bloß simulieren, wäre SUR LES CHEMINS NOIRS, glaube ich, kein fundamental anderer Film geworden.

Kurzum: SUR LES CHEMINS NOIRS ist Kino zum Abgewöhnen, ein Nicht-Film, wenn es jemals einen gab, eine audiovisuelle Verweigerung, die wirkt, als ob es den Machern einzig und allein darum gegangen sei, durch den werbewirksamen Namen Tesson den einen oder anderen Euro abzuschöpfen. Ich habe schon lange nicht mehr einem Zehner so sehr nachgertrauert wie dem, den ich gestern für ein Kinoticket aus meiner Geldbörse nestelte. Hätte ich ihn doch lieber aufgespart und Goldjunge Godzilla zum Fraß vorgeworfen, mau...
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jogiwan
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Re: Auf dem Weg - Denis Imbert (2023)

Beitrag von jogiwan »

ich finde es faszinierend, wie nachfolgendes Fazit von Filmstarts.de auf fast schon "traumschöne" Weise deinen Verriss mühelos bestätigt:
filmstarts.de hat geschrieben: Fazit: Mit „Auf dem Weg“ kommt der großartige Jean Dujardin als Verlorener, der sich wiederfinden möchte, in einem kraftvollen Drama ins Kino, das von traumschönen, manchmal meditativen Bildern lebt, die sich im Gedächtnis eingraben. Einfach immer weitergehen! So könnte die Essenz dieser Geschichte lauten, die mit sanftem Optimismus und poetischer Lakonie von der reinigenden Macht des Gehens erzählt.
:kicher:
it´s fun to stay at the YMCA!!!



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fritzcarraldo
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Re: Auf dem Weg - Denis Imbert (2023)

Beitrag von fritzcarraldo »

@Salvatore. Ich hatte doch nun eindringlich gewarnt. :mrgreen:
Aber danke, dass Du noch mehr ins Detail gegangen bist.
Wenn ich so einen Quark in der Sneak sehe, dann sehe ich es als meine Aufgabe an, Warnungen auszusprechen. :kicher:
Daher schrieb ich damals schon:
fritzcarraldo hat geschrieben: Di 14. Nov 2023, 07:56 (247)

Über den Berg.
Auf dem Weg
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2917864 (1).jpg (347.61 KiB) 177 mal betrachtet
Schauburg Bremen. Sneak Preview.
"Nach einer wilden Partynacht stürzt der Schriftsteller und Abenteurer Pierre (Jean Dujardin) betrunken von einem Balkon und verletzt sich dabei schwer. Kaum aus dem Koma erwacht, beschließt er, gegen den Rat seiner Ärzte und Familie, Frankreich zu Fuß zu durchqueren."
Quelle: https://www.x-verleih.de/filme/auf-dem-weg/
Dieser Film erfüllt genau alle Klischees, die ich mit dem Ich-geh-mal-los-Selbstfindungsgenre verbinde. Ein over the top lebender Alki-Mitfünfziger mit 25jähriger Freundin in der Midlife Crisis fällt besoffen vom Balkon und will sich beim durch die Natur latschen selbst wieder finden. Fehlte nur noch, dass er den Jakobsweg nimmt.
Wäre das noch nicht genug, ist er auch noch Reiseschriftsteller und man hört im voice over sein gesprochenes Geschreibsel, welches wohl sehr gehaltvoll sein soll, aber entweder keinen Sinn ergibt oder sogar bei einer Kalenderspruchagentur abgelehnt werden würde. Aber solche Filme kommen offensichtlich gut an. Bei der üblichen Sneakbewertung gab es viele Einser.
Ich zückte das allererste mal eine glatte sechs.
"Das ist nicht möglich!"
"Aber notwendig!"

(Interstellar)

"J&B straight and a Corona!"
(Patrick Bateman, American Psycho)

https://www.latenight-der-fussball-talk.de
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