Ava - Léa Mysius (2017)

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Salvatore Baccaro
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Ava - Léa Mysius (2017)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

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Originaltitel: Ava

Produktionsland: Frankreich 2017

Regie: Léa Mysius

Cast: Noée Abita, Juan Cano, Laure Calamy, Tamara Cano, Daouda Diakhate, Baptiste Archimbaud


Eigentlich wurde der dreizehnjährigen Ava von ihrer alleinerziehenden Mutter der schönste Sommerurlaub ihres Lebens an der französischen Atlantikküste versprochen; stattdessen stürzt sich Avas Mutter von einer flüchtigen Bettaffäre in die nächste, nimmt die Teenagerin fortwährend als Babysitterin für die noch im Säuglingsstadium befindliche Halbschwester in Beschlag, und scheint sich nicht mal besonders für die Diagnose zu interessieren, die Ava von einem Augenarzt knallhart ins Gesicht geschmettert bekommt: Sie leidet an einer irreparablen Krankheit, die sie eher früher als später komplett erblinden lassen wird. Ava freilich bietet all diesen wenig rosigen Umständen die Stirn. Wie sie selbst sagt, ist sie unfähig, in Selbstmitleid zu versinken, - weshalb sie beginnt, sich auf ihr weiteres Leben als Blinde vorzubereiten. Einen schwarzen Hund, der ihr zuvor schon am Strand aufgefallen ist, stibitzt sie kurzerhand seinem ebenfalls jugendlichen Besitzer, und lässt sich von ihm, angetan mit einer Augenbinde, über die belebtesten Küstenabschnitte führen. Es bleibt nicht aus, dass sie auch mit dem Bestohlenen auf Tuchfühlung geht, vor allem, nachdem sie Zeugin geworden ist, wie dieser von einer Gruppe Kerlen auf brutalste Weise zusammengeschlagen wurde. Der siebzehnjährige Juan stammt aus einer Roma-Sippe, mit der er derzeit jedoch keinen Kontakt haben möchte, da diese seine große Liebe Jessica einem anderen Jüngling versprochen hat: Die Typen, die ihm in seiner behelfsmäßigen Unterkunft auflauerten, sind ausgesandte seines Rivalen, der fürchtet, Juan könne ihm Jessica noch kurz vor der Hochzeit wegschnappen. Nach und nach entwickeln Juan und Ava Zutrauen füreinander, was in einer wahrhaft anarchistischen Aktion kulminiert: Angetan nur mit Lendenschürzen und einer grünlichen Kriegsbemalung stürmen sie, bewaffnet mit rostigen Schusswaffen aus Juans Fundus, über den Strand her, und berauben arglose Badegäste. Ein Fall für die Polizei, die längst von Avas Mutter alarmiert wurde, da die Tochter sich seit Tagen nicht mehr zu Hause blicken ließ. Das Pärchen befindet sich zusammen mit Rüde Lupo alsbald auf der Flucht. Bevor man sich vollends aus dem Staub macht, soll aber noch Jessicas Hochzeit gesprengt und einige von Juans Habseligkeiten heimlich aus dem Roma-Camp gerettet werden…

Léa Mysius‘ Zweitlingswerk LES CINQ DIABLES hat mich kürzlich ja in seiner unprätentiösen Hermetik ziemlich verzückt. Umso gespannter war ich, mir ihr vielgelobtes Debüt AVA zu besehen, von dem es ein Standbild – die Titelheldin in DIY-Kriegertracht – einst gar aufs Cover des Braunschweiger Filmfests schaffte und der derzeit gemeinfrei in der ARTE-Mediathek (mit dem ziemlich deplatzierten Untertitel „Plötzlich erwachsen“) feilgeboten wird. In vielen Belangen merkt man AVA, meiner Meinung nach, an, dass Mysius sich hier noch in der Ausprobierphase befindet; in vielen Belangen handelt es sich tatsächlich um einen prototypischen Debüt-Film mit seiner im Kern wenig aufregenden Coming-of-Age-Geschichte, dem pittoresk-mondänen Schauplatz eines Tourismusresorts, den spärlichen Dialogen, den Außenseiter-Protagonisten zwischen Rebellentum und Teenage Sadness, der zurückgenommenen Inszenierung, die über weite Strecken genau dem entspricht, was man gemeinhin als „Arthouse“ labelled. In seinen schlechtesten Moment erinnert AVA mich an einen Rohmer-Film, in dem mehr geschwiegen als geschwatzt wird; in seinen besten Momenten blitzt bereits das in LES CINQ DIABLES vollends explodierende Talent Mysius‘ auf, mit reduzierten Mitteln sacht surreale und schlicht verblüffende Momente zu schaffen: Das Wimmelbild am Anfang, ein Strand voller in der Sonne bratender Touris, und dazwischen, zunächst kaum wahrnehmbar, weil winzig klein in all dem Trubel, ein schwarzer Hund, der etwas zu suchen scheint; die ikonische Sequenz, in der Ava und Juan sich als futuristisch-prähistorische Warriors verkleiden und die Küste unsicher machen; die Alpträume Avas, die mich tatsächlich fast aus dem Fernsehsessel geworfen haben mit ihren lynchesquen Schockbildern voll Blut und amputierten Augen. Newcomerin Noée Abita, die auch in LES CINQ DIABLES eine kleine Rolle bestreitet, dominiert als Ava den gesamten Film, und lässt über ein paar etwas zu arg auf witzig getrimmte Dialoge genauso hinwegsehen wie über das für meinem Geschmack ein wenig zu rührige Finale. Eine Fingerübung, und LES CINQ DIABLES wurde zur ersten geballten Faust, und ich bin gespannt, was für ein Händemeer mich in Mysius‘ drittem Spielfilm erwartet...
Zuletzt geändert von Salvatore Baccaro am Do 22. Sep 2022, 10:20, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Ava - Léa Mysius (2017)

Beitrag von buxtebrawler »

Klingt irgendwie nach meiner Kragenweite. Ist vorgemerkt. Leider ist bei Arte anscheinend nur die untertitelte, nicht aber die deutsch synchronisierte Fassung erhältlich.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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