Der Rabe - Henri-Georges Clouzot (1943)

Moderator: jogiwan

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buxtebrawler
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Der Rabe - Henri-Georges Clouzot (1943)

Beitrag von buxtebrawler »

Le_Corbeau.jpg
Le_Corbeau.jpg (214.41 KiB) 95 mal betrachtet

Originaltitel: Le corbeau

Herstellungsland: Frankreich / 1943

Regie: Henri-Georges Clouzot

Darsteller(innen): Pierre Fresnay, Ginette Leclerc, Micheline Francey, Pierre Larquey, Héléna Manson, Sylvie, Liliane Maigné u. A.
In einer französischen Kleinstadt beginnt ein anonymer Verleumder, Schmähbriefe zu verschicken. Sie sind mit "Le Corbeau" ("Der Rabe") und dem Bild eines Raben unterzeichnet. Niemand ist vor den Verleumdungen sicher. Weder der Arzt Rémy Germain (Pierre Fresnay), der beschuldigt wird, heimlich Abtreibungen vorzunehmen, noch die junge Laura (Micheline Francey), die Frau des ältlichen Dr. Vorzet (Pierre Larquey). Ihr wird ein Verhältnis mit Germain vorgeworfen. Ihre Schwester, die unbeliebte und frustrierte Krankenpflegerin Marie (Héléna Manson), wird von vielen Dorfbewohnern verdächtigt, die Briefe zu schreiben. Aber steckt nicht doch vielleicht jemand ganz anderes dahinter...?
Quelle: www.ofdb.de

Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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buxtebrawler
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Re: Der Rabe - Henri-Georges Clouzot (1943)

Beitrag von buxtebrawler »

„Ich zeige Ihnen einen exzellenten Wundbrand!“

Die zweite Arbeit des französischen Regisseurs Henri-Georges Clouzot in den 1940ern ist nach „Der Mörder wohnt in Nr. 21“ das Kriminaldrama „Der Rabe“ aus dem Jahre 1943, dessen Drehbuch Clouzot zusammen mit Henri Chavance verfasste.

„Ich weiß es nicht. Ich weiß nichts mehr.“

Mehrere Bewohnerinnen und Bewohner einer französischen Kleinstadt sehen sich anonymen Verleumdungen in Form von Schmähbriefen ausgesetzt, stets mit „Le Corbeau“ unterzeichnet. So wird der Mediziner Rémy Germain (Pierre Fresnay, „Der Mann, der zuviel wußte“) beschuldigt, illegale Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Der jungen Frau Laura (Micheline Francey, „Das Geheimnis der blauen Limousine“) wird ein außereheliches Verhältnis vorgeworfen. Schon bald ist kaum eine bekanntere Person mehr davor sicher, in den Dreck gezogen zu werden. Man verdächtigt sich gegenseitig; unter anderem gerät Lauras Schwester Marie (Héléna Manson, „Das unheimliche Haus“) in Verdacht, die Briefeschreiberin zu sein. Doch Germain trägt tatsächlich ein Geheimnis mit sich herum…

Clouzots Portrait eines sozial dysfunktionalen Kleinstadtgefüges entstand während der Zeit der Besatzung Frankreichs durch Nazideutschland und kann als bissiger Kommentar auf das verängstigte und untereinander unsolidarische Verhalten der französischen Gesellschaft während dieser schweren Zeit verstanden werden. Die Nazis missbrauchten „Der Rabe“ gar als antifranzösischen Propagandafilm, was Clouzots Reputation nach Kriegsende zusätzlich schadete. Seine Landsmänner sahen sich durch den Film verunglimpft, verhängten ein Arbeitsverbot gegen Clouzot und steckten Hauptdarsteller Pierre Fresnay für einige Woche hinter Gitter. Bereits 1947 jedoch wurde Clouzot rehabilitiert und der Film vom Publikum selbstkritisch reflektiert, was ihn zu einem Kassenerfolg werden ließ und ihm positive Kritiken einbrachte.

Im Stile eines Film noir zeichnet Clouzot – trotz des Verzichts auf einige noir-typische Elemente, allen voran ein urbanes Ambiente – das Bild einer Gesellschaft, in der denunziatorische Briefe einer Einzelperson genügen, um nachhaltig Missgunst und Zwietracht zu säen und die Menschen dazu zu treiben, sich gegenseitig zu zerfleischen. Die Saat geht auf, denn irgendetwas bleibt immer hängen, was „Der Rabe“ auch zu einer Fallstudie über die Brisanz übler Nachrede und Denunziantentums macht. Die Wurzel allen Übels scheint sich in den Menschen selbst zu befinden, die sich wie die Ärzte in Zynismus üben, regelrecht übergriffig um Zuwendung buhlen, wie es Denise (Ginette Leclerc, „Louise“) gegenüber Germain tut, und es generell an gegenseitiger Wertschätzung und Respekt mangeln lassen. Damit weist „Der Rabe“ starke gesellschaftssatirische Züge auf, die Clouzot schwer vom deutschen Expressionismus beeinflusst inszeniert. Die Dialoglastigkeit gereicht seinem Film nicht zum Nachteil.

Im Speziellen erinnert „Der Rabe“ an bis heute aktuelle, unsägliche Hetzkampagnen gegen Abtreibungen durchführende Ärztinnen und Ärzte, Clouzots Film hat aber ganz generell leider kaum an Aktualität eingebüßt. Nicht nur deshalb ist „Der Rabe“ unbedingt sehenswert – ein ebenso düsteres wie erhellendes Juwel europäischer Filmkunst der 1940er.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Maulwurf
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Re: Der Rabe - Henri-Georges Clouzot (1943)

Beitrag von Maulwurf »

Das klingt ganz nach meinem Geschmack. Vielen Dank für den Tipp! :verbeug:

In diesem thematischen Zusammenhang muss ich unbedingt eine Empfehlung für Claude Berris URANUS von 1990 loswerden, wo zugeschaut werden kann, wie eine Kleinstadtbevölkerung nach dem Abzug der Nazis das gegenseitige Zerfleischen weiterbetreibt ...
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
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Adalmar
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Re: Der Rabe - Henri-Georges Clouzot (1943)

Beitrag von Adalmar »

Unbedingt sehenswert. Sicher einer der stärksten Clouzots neben Lohn der Angst und Die Teuflischen. Die Anklänge an den deutschen Expressionismus sind mir auch aufgefallen.
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