Dog Day - Ein Mann rennt um sein Leben - Yves Boisset (1984)

Moderator: jogiwan

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Maulwurf
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Dog Day - Ein Mann rennt um sein Leben - Yves Boisset (1984)

Beitrag von Maulwurf »

Dog Day - Ein Mann rennt um sein Leben
Canicule
Frankreich 1984
Regie: Yves Boisset
Lee Marvin, Miou-Miou, Jean Carmet, Victor Lanoux, David Bennent, Bernadette Lafont, Grace De Capitani, Henri Guybet, Tina Louise, Muni, Jean-Claude Dreyfus, Juliette Mills


Dog Day - Ein Mann rennt um sein Leben.jpg
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Die Männer in den schwarzen Anzügen checken ihre Waffen, stecken sich Handgranaten in die Taschen und steigen in die Autos um einen Geldtransport zu überfallen. Doch das Ganze ist eine gigantische Falle, aus der nur ein einziger Mann mit großem Einsatz einer Menge Blei herauskommt. Dieser Mann, Jimmy Cobb, wird jetzt von einem riesigen Polizeiaufgebot gejagt, doch Cobb ist kein Anfänger. Er kann aus der Stadt entkommen und auf einem Acker das Geld vergraben. In der Nähe ist ein Bauernhof und dort kann er sich weiter orientieren: Essen, vielleicht etwas Schlaf, ein Auto. Cobb ahnt nicht einmal ansatzweise, wie degeneriert und verdorben die Landbewohner sein können, wenn sie 10 Millionen Dollar wittern.

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Beim Verbuddeln der Sore wird Cobb vom geschätzt 10-jährigen Chim beobachtet, der das Geld postwendend aus- und woanders wieder eingräbt. Als nächstes begegnen wir der hochgradig mannstollen Ségolène, die absolut alle Männer nur auf ein einziges Körperteil reduziert. Weiter wären da noch der ständig geile und meistens besoffene Bauer Horaz und sein Bruder Socrates, der eine kleine Werkstätte betreibt, und zu guter Letzt Horaz` Frau Jessica, die Horaz abgrundtief hasst. Sie schlägt Cobb einen Deal vor: Sie versteckt ihn und hilft ihm da rauszukommen, und dafür erledigt Cobb ihren Mann. Allerdings bemerken die anderen Leute auf dem Hof den Fremden ebenfalls recht schnell, und wollen natürlich an die Kohle, notfalls mit Gewalt. Die Polizei wiederum ist im Hubschrauber unterwegs, kreist immer wieder um den Hof, und platziert irgendwann Leutnant Marceau für die Nacht dort, um Wache zu halten. Ségolène jubelt - Ein Mann! Endlich ein neuer Mann!! Aber halt ein Polizist der aus dem Weg geschafft werden muss, damit die anderen sich endlich mit Cobb beschäftigen können.
Chim gibt die Sore derweil im örtlichen Puff aus, und dort arbeitet die Nichte von Socrates, die alles gleich weiter erzählt. Dadurch bekommen die Gangster, die bei ihr Station gemacht haben, Wind von der Sache. Denn aus dem Überfall ist noch einer lebendig rausgekommen, und der will natürlich ebenfalls an das Geld. Genauso wie der Zuhälter der Nichte. Alle sind hinter Jimmy Cobb her. Cobb ist ein verdammt harter Knochen, der bekannt dafür ist, dass er seine Feinde durch einen Schuss in die Kniescheibe unschädlich macht. Aber gegen so eine Übermacht an Bosheit und Abgefeimtheit, da wird auch ein hartgesottener Gangster irgendwann nachdenklich.

„Wir werden reich sein, alle werden uns fürchten, wir werden nur Böses tun. Wir werden so richtige Mistkerle sein.“

Beim Sterben ist jeder der Erste, das ist eine unumstößliche Wahrheit, die in diesem durchgeknallten Gangster-Irrsinn wieder einmal unter Beweis gestellt wird. Und nein, es ist definitiv nicht vorstellbar, was Yves Boisset hier abzieht. Wie schnell der Ton des Films sich wandelt, und was als sehr schneller und ausgesprochen brutaler Gangsterflick beginnt, wandelt sich in Windeseile in eine Groteske, wieder zurück in einen Gangsterflick, eine Groteske … Auch der Western wird immer wieder einmal gestreift, und Jean Carmet und Henri Guybet sorgen durch ihre Besetzung für eine gewisse Anlehnung an die (grotesken?) Klassiker französischer Komödien der 60er- und 70er-Jahre. Die Charaktere offenbaren im Lauf des Films immer mehr und immer tiefere Abgründe, und beweisen bei der Hatz um Geld und Tod eine ausgesprochene Intelligenz. Bauernschläue, gewissermaßen. Der Fokus geht dabei von Jimmy Cobb ganz schnell fort, hin zu Jessica, der Klügsten unter den Protagonisten. Jessica sieht eine Möglichkeit, aus der Scheisse, in der sie steckt, endlich rauszukommen, und zwar ohne das Schwein von Ehemann und ohne den elenden Hof, dafür aber mit einer verdammten Menge Geld. Und Jessica geht buchstäblich über Leichen, um ihr Ziel zu erreichen. Überhaupt wird in DOG DAY sehr viel und sehr schnell gestorben, und fast jeder Tod ist eine kleine Tragödie für sich. Ausgerechnet derjenige, der sich Aniello Dellacroce nennt, also den Namen eines (real existierenden) Unterbosses der Cosa Nostra trägt, ausgerechnet dieser Mann hat zumindest recht gute Chancen, das Ende des Films lebend zu erreichen. Aber sonst?

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Sonst geht alles vor die Hunde. Die einzigen Lebensinhalte sind, so wie es ausschaut, Vögeln, Saufen und Sterben. Cobb, der coole und harte Cobb, der gefürchtete Gangster, muss in der Hölle des degenerierten französischen Backwoods um sein Leben fürchten, als ob er in einem Bandenkrieg mitten in Chicago wäre. Spätestens als Jessica ihm in klaren Worten erklärt, dass er keine Chance hat hier lebend rauszukommen, realisiert er, dass diese Welt härter und erbarmungsloser ist als die seine. Dass Menschen, die andere ins Knie schießen, böse Menschen sind. Dass aber diejenigen Menschen, die andere ins Knie ficken, noch viel böser und hinterhältiger sind.

DOG DAY ist kein Film für positiv in die Zukunft schauende Menschen. Er zieht herab, er deprimiert, und er lässt sperrangelweite Kinnladen ob seines himmelschreienden Unfugs zurück. Was für ein Fest …

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8/10
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Jack Grimaldi
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sid.vicious
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Re: Dog Day - Ein Mann rennt um sein Leben - Yves Boisset (1984)

Beitrag von sid.vicious »

Jau, der ist ganz toll. Vor rund zwei Jahren erstmals - und sogar auf der Riesenleinwand - geschaut. Der Film hat mich von der ersten bis zur letzen Minute gepackt. Einen Monat später ist mir ein weiterer Boisset, VHS-Rip von KOPFJAGD (den gab es zu dem Zeitpunkt noch nicht von Ostalgica), zugespielt worden.
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Maulwurf
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Re: Dog Day - Ein Mann rennt um sein Leben - Yves Boisset (1984)

Beitrag von Maulwurf »

Dass Yves Boisset so unterbewertet wird ist etwas, was ich überhaupt nicht verstehe. Mir ist noch kein einziger Film von ihm untergekommen, der auch nur in die Nähe des Wortes Mittelmaß kommen würde. DOG DAY, KOMMANDO COBRA, EIN BULLE SIEHT ROT, ... Alles brachiale Thriller mit hoher Zufriedenheitsgarantie. Und natürlich der Film aller Filme, die zoologische Sensation, das Krimimeisterwerk der Agentenbiologie: DER MAULWURF :mrgreen:

Von den Arbeiten her bewertet, die ich von ihm bislang kenne, ist Boisset einer der ganz großen Handwerker, der meines Erachtens viel zu wenig Beachtung findet. Demnächst folgt noch die Besprechung zu DAS BLAU DER HÖLLE, auch so ein Film bei dem ich nicht nachvollziehen kann, warum der nicht viel bekannter ist ...
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Jack Grimaldi
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Onkel Joe
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Re: Dog Day - Ein Mann rennt um sein Leben - Yves Boisset (1984)

Beitrag von Onkel Joe »

Boisset lebt noch und irgendwann wenn Kino mal wieder läuft... ist er in Deutschland auf einem Event zu Gast!
:prost:
Wer tanzen will, muss die Musik bezahlen!
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