Lou - Abenteuer auf Samtpfoten - Guillaume Maidatchevsky (2023)

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Salvatore Baccaro
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Lou - Abenteuer auf Samtpfoten - Guillaume Maidatchevsky (2023)

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Originaltitel: Mon chat et moi, la grande aventure de Rroû

Produktionsland: Frankreich/Schweiz 2023

Regie: Guillaume Maidatchevsky

Cast: Capucine Sainson-Fabresse, Corinne Masiero, Lucie Laurent, Juliette Gillis, Nicolas Casar-Umbdenstock


MON CHAT ET MOI, LA GRANDE AVENTURE DE RROU dürfte der ausschweifendste Titel eines Films sein, die ich in letzter Zeit gesehen habe. Hierzulande taufte man die französisch-schweizerische Produktion etwas geschmeidiger in LOU – ABENTEUER AUF SAMTPFOTEN um – wobei sich freilich auch der Namen des titelgebenden Kätzchens änderte, wohl weil man in Deutschland nicht viel mit dem lautmalerischen Wörtchen „Rroû“ anfangen kann, das man in Frankreich für das Schnurren von Miezen verwendet. Total pragmatisch wiederum ging die angloamerikanische Titelschmiede zu Werke: A CAT’S LIFE ist ebenso kurz und griffig wie übrigens auch die literarische Vorlage des Films, einem Kinderbuch des ansonsten vorrangig für seine Berichte aus den Schützengräben des Ersten Weltkriegs bekannten Schriftstellers Maurice Genevoix, das 1931 schlicht RROU betitelt erschien.

Hält man sich nicht länger dabei auf, wie der Film heißt, und schaut man hinter seine Fassade, erhält man ein auf die Zielgruppe ab 6 Jahren zugeschnittene Mixtur aus Tierdoku und Coming-of-Age-Drama, das weitgehend ohne Überraschungen auskommt: Nahezu prototypisch werden die Erlebnisse – oder, wie die Filmtitel implizieren: die Abenteuer – unserer beiden Heldinnen parallelisiert. Auf der menschlichen Seite haben wir die zehnjährige Clémence, (ausgesprochen putzig verkörpert von Jungschauspielerin Capucine Sainson-Fabresse), die mit ihren Eltern in einer Pariser Stadtwohnung aufwächst, und über deren bislang behütetes Leben sich nunmehr allmählich die Schatten der drohenden Scheidung von Mama und Papa legen; auf der animalischen Seite erwartet uns Stubentiger Rroû (oder im Deutschen eben: Lou), der zu Beginn gar nicht in einer Stube tigert, sondern zusammen mit seinen Geschwistern von der streunenden Mutterkatze in einem Dachboden zur Welt gebracht, und dann, als die Mama bei der Rattenjagd in den Tod stürzt, von Clémence – zunächst gegen den Widerstand der Erziehungsberichtigen – adoptiert wird.

Zunächst erzählt der Film dementsprechend von einem Domestizierungsprozess: Kätzchen Rroû muss lernen, sich an den menschlichen Alltag anzupassen; es soll stubenrein werden, nicht die gesamte Wohnung verwüsten, wenn die Menschen gerade arbeiten oder in der Schule sind, nicht jede offenstehende Tür nutzen, um in die Freiheit zu entwischen. Nach und nach akzeptiert das vierbeinige Fellknäuel freilich Clémence als neue Autoritätsfigur und die beiden werden nicht nur innige Freundinnen, die Katze hilft dem Mädchen vor allem auch in schlaflosen Nächten, wenn sie die Eltern nebenan streiten hört, als Trostspenderin, in deren Pelz sie sich weinend vergraben kann.

Der Wind dreht sich, als ein Urlaub in den Vogesen ansteht, wo die Eltern ein Ferienhäuschen unterhalten. Diesmal jedoch führt ein trauriger Anlass zu dem Ausflug: Clémence soll mit ihrer Mutter ein paar Tage auf dem Land verbringen, während der Vater die Zeit nutzt, um zu Hause seine Sachen aus der gemeinsamen Wohnung zu räumen. Rroû wiederum gefällt die Natur derart, dass es die Katze nicht lange in der Hütte hält: Sie läuft davon, trifft andere Tiere, von denen nur die wenigsten ihr freundlich gesonnen sind, ihr vielmehr, wie eine hungrige Eule, nach dem Leben trachten, gerät mehrfach in Lebensgefahr, verliert schließlich aber das gesellschaftliche Korsett, das ihr von Clémence übergestülpt worden ist, verwildert regelrecht, wird zu einer Wildkatze.

Gemäß einer harmoniesüchtigen Dialektik löst sich der Konflikt zwischen Domestizierung und Renaturierung letztlich aber natürlich weitgehend problemlos auf: Bis der Abspann sich entrollt, sind sowohl Clèmence wie Rroû nicht nur physisch, sondern vor allem auch seelisch herangereift, und haben vor allem in Madeleine, einer schrulligen älteren Dame, die allein mit ihrem Hund mitten im Wald lebt, und deshalb gemeinhin als „Hexe“ verschrien ist, eine neue Freundin gefunden. Bis sich der Abspann entrollt, sind wir wiederum von zahllosen Sequenzen verwöhnt worden, in denen wir einfach nur minutenlang dem Alltag von Rroû und ihren Geschwistern zu Beginn auf dem Dachboden zuschauen dürfen, in denen wir Rroû bei ihren Erkundungstouren in der Wildnis begleiten dürfen, in denen die menschlichen Protagonisten, kurz gesagt, weitgehend hinter das Zelebrieren von Flora und vor allem Fauna zurücktreten. Für Katzenfans ist der Film dabei ein voller Genuss – auch wenn der überkandidelte Soundtrack, was aber auch nicht überrascht, größtenteils kaum zu ertragen dabei ist, wie er die an sich hübschen, wenn auch vielleicht etwas werbeprospektartigen, sprich, glattgeschleckten Bilder förmlich mit ohrenbetäubenden Orchesterklängen zukleistert.

Interessant fand ich zudem, dass RROU einige eher düstere Passagen beinhaltet, wenn Clémence zum Beispiel auf der Suche nach Rroû auf ein Wildschwein trifft, das sie über den Haufen zu rennen versucht, und nur durch das Eingreifen von Madeleine und ihrer Schießbüchse daran gehindert werden kann, oder die man als Darstellung der Schattenseiten einer autoritären Erziehung lesen kann, wenn Clémence auf Anraten ihrer Mutter ihr Kätzchen dadurch bestraft, dass es die einmal mehr ausgebüxte Rroû abends, als sie an ihrem Fenster kratzend um Einlass in die warme Stube bittet, einfach ignoriert, obwohl es ihr selbst sichtlich das Herz bricht.

Ein eher zustimmendes Miau! von meiner Seite für diesen im besten Sinne harmlosen Streifen…
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