Marquis - Henri Xhonneux (1989)

Moderator: jogiwan

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horror1966
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Marquis - Henri Xhonneux (1989)

Beitrag von horror1966 »

Marquis

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Marquis de Sade
(Marquis)
mit Francois Marthouret, Valerie Kling, Michel Robin, Isabelle Wolfe, Vicky Messica, Nathalie Juvet, Rene Lebrun, Bob Morel, Roger Crouzet, Willem Holtrop, Eric De Sarria, Peter Fischer, Henri Rubinstein, Hans Mauli, Jaques Bouanisch
Regie: Henri Xhonneux
Drehbuch: Roland Topor / Henri Xhonneux
Kamera: Etienne Fauduet
Musik: Reinhardt Wagner
FSK 16
Belgien / Frankreich / 1989

Am Vorabend der französischen Revolution: der Marquis, ein ausgesprochen eloquenter Cocker Spaniel, sitzt wegen unerhörter Entweihung eines Kruzifixes in der Bastille ein. Sein einziger Freund - und zugleich schärfster Kritiker seines Schreibstils - ist das eigene sprechende Sexualorgan namens Colin. Die beiden Vertreiben sich die Zeit mit Gesprächen über Kunst, Literatur, Politik und sexuelle Freiheit - und doch dreht sich alles immer nur um die Frage: Wer hört auf wen? Als eines Tages die junge schwangere Kuh Justine in die Nachbarzelle gesperrt wird sieht sich der Marquis plötzlich als Spielball einer politischen Verschwörung, deren Spur bis an den königlichen Hof führt. Von nun an stehen beider Köpfe auf dem Spiel...


"Marquis" ist die dritte Veröffentlichung des Independent Labels Bildstörung, das sich ja auf die Veröffentlichung ganz spezieller und aussergewöhnlicher Filme speziellisiert hat, wobei vorliegendes Werk sicherlich nicht nur aussergewöhnlich, sondern in seiner Machart schon ziemlich einzigartig sein dürfte. Thematisch ist die Geschichte an die pornographischen Schriften des Marquis de Sade angelehnt, wobei die Inszenierung wohl absolut einzigartig erscheinen dürfte. Agieren hier doch reale Schauspieler in aufwendig gestalteten Tiermasken, was für manche Zuschauer eventuell etwas gewöhnungsbedürftig erscheinen dürfte. Das kann man aber ganz generell über den gesamten Film sagen, der vollkommen abseits jeglichen Mainstreams angesiedelt ist und so wohl eher nur einer recht kleinen Zielgruppe seine Genialität offenbart.

Was Regisseur Henri Xhonneux hier in Zusammenarbeit mit Drehbuchautor Roland Topor geschaffen hat, gleicht einer bizzaren Fabel, die voller Gesellschaftssatire und sexueller Anspielungen daherkommt und dem Zuschauer so ein sexuell-frivoles Film-Erlebnis der ganz besonderen Art beschert. Hinzu kommen einige surrealistische Elemente, in denen die Tiere als Knetfigur-Animationen erscheinen, was die aussergewöhnliche Inszenierung noch einmal zusätzlich hervorhebt und als perfekte Ergänzung angesehen werden kann. So bekommt man ein insgesamt visuell berauschendes Szenario geboten, wie man es in dieser Form ganz sicher noch nicht gesehen hat und das insbesondere durch seinen bissigen Humor und die verschiedensten Tier-Figuren in Erinnerung bleibt. So wird beispielsweise der Marquis als Hund dargestellt, der sich fast ganzzeitig mit seinem eigenen Geschlechtsorgan unterhält, das auf den Namen Colin hört, oder ein Gefängniswärter wird als homosexuelle Ratte dargestellt, deren größter Wunsch es ist, vom Marquis sexuell befriedigt zu werden. Ansonsten sind aber auch noch Hähne oder Kühe mit von der Partie, so das man durchaus behaupten kann, das es sich hier um ein tierisches Film-Vergnügen handelt.

Allein schon vom künstlerischen Aspekt her handelt es sich bei diesem Film um ein kleines Meisterwerk und man kann lediglich erahnen, wiviel Arbeit nur in den aufwendig gestalteten Masken steckt, unter denen sich die Schauspieler befinden. Leider kann man über deren schauspielerische Leistung nicht viel sagen, da man ja die echten Gesichter und die damit verbundene Mimik nicht zu Gesicht bekommt, jedoch fällt das auch nicht sonderlich schwer ins Gewicht, da ansonsten soviel brillante Kunst geboten wird, das man über dieses kleine Manko durchaus hinwegsehen kann. Eine weitere große Stärke von "Marquis sind ganz sicher die äusserst frivol-witzigen Dialoge, die phasenweise auch mit einem enorm hohen Satire-Anteil versehen sind und somit als ein absolutes Highlight angesehen werden können. Und so kommt man insgesamt gesehen zu der Erkenntnis, das man sich der unglaublichen Faszination dieses einzigartigen Films nur schwerlich entziehen kann, vielmehr genießt man jede einzelne Passage des Geschehens und ist sichtlich beeindruckt von einer Inszenierung, die man in dieser Form noch nicht gesehen hat.

Das der Film jeden Geschmack treffen wird, wage ich jedoch zu bezweifeln, da es sich um eine extrem aussergewöhnliches Stück Film handelt, dessen Genialität sich ganz bestimmt nicht Jedem erschließt. Man muss hier schon ein recht ausgeprägtes Faible für das ganz Besondere haben, um dieses Werk auch in vollen Zügen genießen zu können. Wer jedoch eine Vorliebe für qualitativ hochwertige Filme hegt, die rein gar nichts mit dem üblichen Einheitsbrei zu tun haben, der kommt an diesem Werk ganz einfach nicht vorbei und sollte sich diesen wirklich einzigartigen Film-Spaß unbedingt anschauen.

Wie man es von Bildstörung ja von Anfang an gewohnt ist, hat sich das label auch bei den vorhandenen Extras wieder einmal nicht lumpen lassen und eine Bonus-DVD mit jeder Menge Bonusmaterial beigefügt. So findet man beispielsweise ein Making Of, Interviews, Nicht verwendete Szenen, Paralleles Behind the Scenes und ein schickes Booklet mit Liner Notes. Bleibt letztendlich nur festzuhalten, das es sich auch hier wieder um eine erstklassige und hochwertige Veröffentlichung aus dem Hause Bildstörung handelt, die in keiner gutsortierten Sammlung fehlen sollte.


Fazit:


"Marquis" ist wohl einer der mit Abstand aussergewöhnlichsten Filme, die man je zu Gesicht bekommen hat. Auch, wenn man sich stellenweise an einen Puppenfilm erinnert fühlt, sollte man nicht vergessen, das hier reale Schauspieler agieren, deren Gesicht lediglich unter fantastisch gestalteten Tiermasken verbergen. Das gesamte Geschehen strotzt nur so vor Satire, Witz und frivolen Anspielungen, die dem Zuschauer auch so manchen Schmunzler entlocken. Und so kann man wohl ohne jede Übertreibung festhalten, das es sich hier um ein visuell berauschendes Stück Film handelt, an dem jeder Liebhaber des Einzigartigen seine helle Freude haben dürfte.


Die DVD:

Vertrieb: Bildstörung
Sprache / Ton: Deutsch / Französisch / Stereo
Untertitel: Deutsch
Bild: 1:1,66 (16:9)
Laufzeit: 79 Minuten
Extras: Paralleles Behind the Scenes, Making Of, Interviews, Nicht verwendete Szenen, Booklet mit Liner Notes


8/10
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buxtebrawler
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Re: Marquis

Beitrag von buxtebrawler »

Der französische Film „Marquis“ von Henri Xhonneux und Roland Topor aus dem Jahre 1989 macht aus der Not, Auszüge aus dem Leben und Schaffen des berüchtigten „Porno-Philosophen“ Marquis de Sade auf die Leinwand zu bringen, ohne zu trocken oder, als anderes Extrem, pornographisch zu werden, eine Tugend, indem er seinen Protagonisten Tiermasken aufsetzt und ihn dadurch wie eine Art Puppentheater wirken lässt. Der Marquis wird zum Hund und seine Zeitgenossen zu Kamelen, Schweinen, Pferden, Ratten, Gockeln etc., zudem hält er gerne Zwiegespräche mit seinem erigierten Penis (natürlich kein echter). Das klingt nicht nur seltsam, sondern ist es auch – aber es funktioniert! „Marquis“ wurde zu einer satirischen, frivolen, mitunter schwarzen Komödie, die de Sades Zeit der Gefangenschaft in der Bastille kurz vor Ausbruch der französischen Zeit nachzeichnet und voller Seitenhiebe auf die Doppelmoral der damaligen Oberschicht steckt und tatsächlich eine ebenso unterhaltsame wie informative Annäherung den Charakter des Marquis ermöglicht. Die Qualität der Masken fiel sehr hoch aus, so dass es Freude macht, sie sprechen und mimen zu sehen. Die Kulissen der Bastille wurden mit Liebe zum Detail umgesetzt, billig wirkt hier nichts. Ähnlich wie in einer Fabel wurden die Tiermasken passend zu den ihnen zugeschriebenen Charaktereigenschaften für die unterschiedlichen Protagonisten gewählt. Trotz einiger abseitiger „Sexszenen“, z.B. treibt es der Marquis mit einer Gefängnismauer und schiebt jemandem eine Languste in den Hintern, driftet die Handlung nie zu sehr ins Albern-Pubertäre ab, sondern bewahrt sich ein gewisses Niveau, das ausreichend Raum lässt für Marquis’ philosophische und nihilistische Überlegungen sowie seine inneren Konflikte lässt. Dass sein Penis dabei als Gesprächspartner dient, verhindert Monologe und symbolisiert Sexualtrieb und Genusssucht auf der einen und Vernunft und Selbstdisziplin auf der anderen Seite. Manch Szene, z.B. aus Marquis’ zitierten Geschichten, werden mithilfe von Knetfiguren inszeniert, was den bizarren Effekt des Films verstärkt. „Marquis de Sade“ ist eine kurzweilige Geschichtsstunde, deren außergewöhnliches Konzept aufgeht und gut unterhält – sozusagen eine Art „Sesamstraße“ für Erwachsene. Schade, dass sowohl Xhonneux als auch Topor so früh verstorben sind.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Marquis

Beitrag von untot »

Geniales Filmchen, macht wirklich Spaß, das Männer Zwiesprache mit ihrem besten Stück halten soll ja gar nicht so selten sein! :twisted:
Man beachte auch, wo das Gehirn sitzt! :mrgreen:
Kann den Film bedenkenlos empfehlen! :thup:

7/10
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jogiwan
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Re: Marquis - Henri Xhonneux (1989)

Beitrag von jogiwan »

Auch ein Film, wie man ihn nicht alle Tage zu Gesicht bekommt und der sich auch als ziemlich einzigartig und außergewöhnlich präsentiert. Die Geschichten von Marquis de Sade als Puppenfilm für Erwachsene, der auch thematisch kaum etwas auslässt und dabei dennoch nicht pornografisch ist. Regisseur Henri Xhonneux verpasst seinen Darstellern Tiermasken, nutzt Animatronics und Stop-Motion-Effekte und vermischt alles zu einem völlig skurrilen Spektakel, bei dem man aus dem Staunen nicht herauskommt. Der Marquis hält in seiner Kerkerzelle Zwiesprache mit seinem besten Stück und bringt seine Gedanken zu Papier, während er mitten in einer Verschwörung landet. Dabei geht es um Lust und Schmerz, um dunkle Machenschaften, Verschwörungen und dem Fleisch, das hier immer willig und schwach ist. Eigentlich alles völlig jenseitig in Zeiten politischer Korrektheit und neuer Verklemmtheit und dennoch zu jeder Sekunde schwer unterhaltsam und erfrischend unverklemmt. Ein Film für Cineasten und Ferkel und Leutchen wie mich, die beides in sich vereinen.
it´s fun to stay at the YMCA!!!



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buxtebrawler
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Re: Marquis - Henri Xhonneux (1989)

Beitrag von buxtebrawler »

jogiwan hat geschrieben: Do 24. Jun 2021, 06:58 Ein Film für Cineasten und Ferkel und Leutchen wie mich, die beides in sich vereinen.
:pig: :D
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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