Orgien der Lust - Jean Luret (1977)

Moderator: jogiwan

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CamperVan.Helsing
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Orgien der Lust - Jean Luret (1977)

Beitrag von CamperVan.Helsing »

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F 1977

OT: Couples en chaleur

R: Jean Luret (als Sam Corey)

D: Charlie Schreiner, Catherine Castel, Brigitte Lahaie

Tief in der französischen Provinz formieren sich drei junge Männer zur "Lino Jazz Band" und haben das Ziel vor Augen, mit ihrer Musik den ganz grossen Durchbruch zu erlangen. Um es zu schaffen, begeben sie sich gemeinsam mit ihren Freundinnen auf den Weg nach Paris und geniessen das Musikerleben in vollen Zügen. Groovige Jamsessions und wilde Sexorgien bestimmen den Alltag. Die Frauen verwöhnen nicht nur die Musiker, sondern auch die Manager oder auch sich selbst. In Paris angekommen, wird im Tonstudio gerockt und im Hotelzimmer die Groupies vernascht...
Unter der Regie des späteren Dokumentarfilmers Jean Luret entstand eine der seltensten französischen Hardcore-Produktionen der 70er Jahre. Erleben Sie Genre-Ikone Brigitte Lahaie in einer ihrer frühesten Rollen und staunen Sie über ein deutsches Synchronfeuerwerk, welches bisher als verschollen galt. Das Leben ist eine Party und dieser Film der Beweis dafür! (Backcover)


Erst mal ein Mysterium vorweg: In den Credits taucht Richard Lemieuvre auf, der gefühlt in jeder französischen Produktion jener Zeit dabei war. Aber nicht in dieser! Warum er also einen Credit im (deutschen) Vorspann erhält, bleibt vollkommen im Dunkeln.

OK, fangen wir an: Zunächst ruht sich das Musikertrio mitsamt drei Groupies (Catherine Castel, Elisabeth Buré und Ellen Earl) auf dem großzügigen Anwesen von Linos Tante aus, wo man sich die Zeit mit "Bäumchen, wechsel dich"-Spielchen vertreibt. Gelegentlich greift man auch auf der Wiese zu den Musikinstrumenten und verblüfft den Zuschauer, wenn zwei akustische Gitarren zu sehen sind, die zu hörende Musik aber eindeutig auf elektrischen Instrumenten gespielt wurde. Dafür scheint diese Fake-Probe den Männern aber wirklich Spaß gemacht zu haben, vor allem Charlie Schreiner am Schlagzeug freut sich 'nen Ast, mal mit etwas anderem herumspielen zu dürfen.

Linos Tante (zumindest in der DF, im O-Ton wurde sie mit "Mère", also Mutter, bezeichnet) muss sich eines aufdringlichen Maklers erwehren, der für einen reichen Kunden ihr Haus kaufen möchte. Dabei stößt er allerdings auf Granit. Als er jedoch die Band spielen sieht und hört, bietet er ihnen nicht nur einen Rat ("Ihr müsst nach Paris gehen"), sondern sich selbst auch gleich als Manager an.

Schnitt und Mysterium Nr. 2: Man kommt in Paris an und ihrem Transporter entsteigen nur noch drei Personen: Lino, Drummer Charlie und La Castel. Warum der dritte Mann und zwei der Mädels fehlen, bleibt vollkommen unklar. Ihre Abwesenheit wird nicht einmal erwähnt (auch die deleted scenes im Bonusmaterial helfen hier nicht weiter). Das größte Loch in einem P-Film bietet halt allgemein die Story...

Dies bietet freilich auch die Möglichkeit, die Gitarrenhändlerin Brigitte Lahaie als Einwechselspielerin in den Einsatz zu schicken. Nachdem sie zwei Gitarren präsentiert hat, kommt sie gleich mit ins Aufnahmestudio, um der Band zu lauschen. Und da im Studio noch zwei Ladies abhängen, die die Musikanten und ihre Begleiterinnen gleich mal zu einer Party einladen, kann der Film mit jener Fete auf gleich auf die Zielgerade abbiegen.

Tja, selten mag der Film ja gewesen sein, aber mit einem verschollenen Meisterwerk hat man es nun gewiss nicht zu tun. Wenn eine Fliege ein paar Sekunden auf dem Körper von Elisabeth Buré krabbelt, bevor sie davonfliegt, hätte Stanley Kubrick die Szene gewiss nicht drin gelassen. Und die Schiebetür des geparkten Transporters mitten in der Pariser Innenstadt einfach offen zu lassen, spricht sicher für ein riesiges Vertrauen in die Menschenmassen, die daran vorbeilatschen. Andere Inkonsistenzen wurden bereits erwähnt.

Brigitte Lahaie, hier noch brünett und am Anfang ihrer Karriere, hat hier nur eine Nebenrolle, was vielleicht ihre Fans enttäuschen könnte. Sehr viel interessanter ist hier die Mitwirkung von Catherine Castel (of Jean Rollin Fame), die hier vollsten Körpereinsatz zeigt und eine Saugwirkung, der sich die Männer nicht entziehen können.

Die deutsche Synchro beinhaltet mal wieder massenweise gnadenlose Zoten auf dem Off, wenn auch nicht so unerträglich, wie ich auf einiger Zeit beim "Mike Hunter"-Label erlebt habe. Der Vergleich der ersten Viertelstunde zeigt, dass im französischen Original sehr viel gesprochen wird, was für mich sehr viel relaxter wirkt. Da treffen offenbar zwei unterschiedliche Kulturen aufeinander: Franzosen erfreuen sich am gemeinschaftlichen Miteinander, ob nun zu zweit oder zu dritt oder...; in Deutschland war Alois Brummer offenbar der Meinung, der Zuschauer des Jahres 1977 brauche vulgäres Dauergelaber, um die Dinge in die Hand zu nehmen. Auch wenn ich durchaus lachen musste, wenn man den "Schwanz auf Lunge nehmen" soll, finde ich die französische Auffassung sympathischer...
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The less I know
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& carved in stone
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