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Unmoralische Geschichten
(Contes immoraux)
mit Lise Danvers, Fabrice Luchini, Charlotte Alexandra, Paloma Picasso, Pascale Christophe, Florence Bellamy, Jacopo Berinizi, Lorenzo Berinizi, Philippe Desboeuf, Nicole Karen, Tomas Hnevsa, Mathieu Rivollier, Robert Capia
Regie: Walerian Borowczyk
Drehbuch: Andre Pieyre de Mandiargues
Kamera: Bernard Daillencourt / Guy Durban / Noel Very / Michel Zolat
Musik: Maurice Leroux
Keine Jugendfreigabe
Frankreich / 1974
Vier Episoden, vier Epochen, vier sexuelle Spielarten: in "Unmoralische Geschcihten", seinem größten Filmerfolg, lässt Walerian Borowczyk seinen erotischen Phantasien freien Lauf. Mit gewohnt fetischistischem Blick für erotische Details erzählt er diesmal Geschichten über Fellatio, die verführerische Anziehungskraft von Gemüse, vom Reiz jungfräulichen Blutes und von inzestuösen Ausschweifungen im Vatikan - vier Episoden, in denen jede Geste, jeder Gegenstand - ein Mund, ein Finger, eine Perle - vor erotischer Aufladung nur so knistern. Eine hinreißend schöne, bös-romantische Orgie erotischer Phantasie. Vier Episoden aus verschiedenen Jahrhunderten mit kunsthistorischem Raffinement in schwarze Poesie verwandelt.
Wenn man "Unmoralische Geschichten" gesehen hat kann man relativ gut nachvollziehen, das dieser Film etliche Jahre auf dem Index gestanden hat. Das in vier Episoden eingeteilte Werk von Walerian Borowczyk (La Bete) vermittelt dem Zuschauer ein äusserst provokantes Szenario sexueller Natur, das insbesondere in der damaligen Zeit seines Erscheinens für großen Wirbel sorgte. Ist schon "La Bete", der übrigens ein Jahr später erschien im Bezug auf die sexuelle Provokation schwerlich zu überbieten, so setzt der vorliegende Film dem Ganzen doch die Krone auf. Nun haben alle vier Episoden ihren ganz besonderen Reiz und alle Geschichten aus verschiedenen Zeitepochen ihre Stärken, doch besonders hervorstechend ist meiner Meinung nach die vierte Folge. Wird hier schon durch die Thematik "Sex im Vatikan" ein heißes Eisen angefasst, so setzt Borowczyk durch die inzestiöse Verbindung zwischen dem Papst und seiner eigenen Tochter noch einmal einen provokanten Höhepunkt in einem Film, der sicherlich nicht jeden Geschmack treffen wird.
Es wird bestimmt nicht wenige Leute geben, die dieses umstrittene Werk als pornographisch angehauchten Schund abtun, obwohl diese Einschätzung diesem künstlerischen Meisterwerk ganz sicher nicht gerecht werden würde. Eher das Gegenteil ist der Fall, denn sämtliche Episoden beinhalten eine ungeheure Ästhetik. Dabei ist eigentlich jede einzelne Szene und jeder Gegenstand eine sexuelle Anspielung, die zudem die Fantasie des Betrachters in Bewegung setzt. Es gibt jede Menge nackte Haut zu sehen und zwischendurch werden auch diverse Geschlechtsorgane ins Bild gesetzt. Dennoch hat der Film rein gar nichts Pornographisches an sich, denn die sexuellen Handlungen sind lediglich angedeutet und werden somit nicht voll gezeigt. Insbesondere dadurch umgibt das gesamte Szenario auch etwas geheimnisvolles und es entfaltet sich ein Gefühl der Entdeckungslust. Hierfür steht vor allem die erste Episode, in der ein junger Mann seiner Cousine durch Fellatio die Gezeiten erklären will. Das hört sich im ersten Moment vielleicht sogar etwas lächerlich an, doch wenn man die Geschichte gesehen hat muss man sich eingestehen, das sie sogar eine Menge Poesie beinhaltet. So verhält es sich allerdings im Prinzip mit allen Geschichten, die einerseits einen einzigen Sinnesrausch bescheren, andererseits aber auch sehr stark polarisieren.
Der geschickteste Schazug des Regisseurs besteht allerdings darin das der Film verhältnismäßig wenig Dialoge beinhaltet, denn lediglich Episode 1 ist etwas dialoglastig ausgefallen. Ansonsten wird eigentlich sehr wenig geredet, wodurch sich erst die ganze Faszination der Ereignisse so richtig entfalten kann. Da wird selbst das Liebesspiel einer jungen Frau zu einem echten Erlebnis, das einzig und allein durch die Ausdruckskraft der vorhandenen Bilder besticht. Vollkommen bewust ist Borowczyk diesen Weg gegangen, um die Sinne des Zuschauers zu schärfen und so keinerlei Ablenkung durch unnütze Worte entstehen zu lassen. Der dabei größtenteils entstehende Sinnesrausch ist schon imposant, man taucht immer tiefer in das Geschehen ein und erliegt der einzigartigen Faszination, die das Gesamtszenario ausstrahlt. Dabei kann man richtiggehend spüren, wie sich der eigene Geist öffnet, um das Gezeigte wie ein Schwamm in sich aufzusaugen. Sicherlich werden jetzt viele Leute anderer Meinung sein, doch man muss sich diesem Meisterwerk an Sinnlichkeit wirklich öffnen, um überhaupt einen Zugang zu den Geschehnissen zu finden, die an Ästhetik und Faszination schwer zu überbieten sind.
Letztendlich kann man nach der Sichtung des Werkes durchaus nachvollziehen, warum dieser Film so lange auf dem Index stand. Selbst in der heutigen Zeit sind die einzelnen Episoden immer noch ungeheuer polarisierend und greifen dabei Themen auf, die noch immer von vielen tabuisiert werden. Auch wenn "Unmoralische Geschichten" sicher nicht jeden Geschmack treffen wird, handelt es sich auf jeden fall um ein künstlerisches Meisterwerk. Ich gebe aber auch gerne zu, das nicht jeder den Zugang zu den hier dargestellten Ereignissen finden wird, die sich jenseits jeglichen Mainstreams ansiedeln und deswegen wohl auch nur einer bestimmten Zielgruppe zugänglich sind.
Fazit:
Einmal mehr hat das Label Bildstörung einen ganz aussergewöhnlichen Film auf den Markt gebracht und damit seine Ausnahmestellung eindrucksvoll untermauert. Wie mittlerweile gewohnt hat man sich auch bei den Extras nicht lumpen lassen, neben einem Audiokommentar ist beispielsweise auch ein Kurzfilm enthalten und selbstverständlich darf auch das obligatorische Booklet nicht fehlen. Und so bekommt man wieder einmal eine perfekte Veröffentlichung beschert, die sich kein Freund provokanter-und aussergewöhnlicher Filme entgehen lassen sollte.
Die DVD:
Vertrieb: Bildstörung
Sprache / Ton: Deutsch / Französisch DD 2.0 Mono
Untertitel: Deutsch
Bild: 1,66:1 (anamorph 16:9)
Laufzeit: 99 Minuten
Extras: Kurzfilm UNE COLLECTION PARTICULIERE (15 Min.), Kurzdokumentation (ca. 20 Min), Audiokommentar von Daniel Bird und David Thompson, Umfangreiches Booklet mit Texten von Daniel Bird und Auszügen aus dem original Presseheft