Amuck - Silvio Amadio (1972)

Bava, Argento, Martino & Co.: Schwarze Handschuhe, Skalpelle & Thrills

Moderator: jogiwan

Benutzeravatar
sergio petroni
Beiträge: 8045
Registriert: Sa 2. Feb 2013, 20:31
Wohnort: im Schwarzen Wald

Re: Amuck - Silvio Amadio (1972)

Beitrag von sergio petroni »

Greta (Barbara Bouchet) hat eine Stelle als Sekretärin des Schriftstellers Richard Stuart
(Farley Granger) angenommen. Auf dessen nur per Schiff zu erreichendem luxuriösen
Anwesen bei Venedig wird Greta von Stuarts Ehefrau Eleanora (Rosalba Neri) begrüßt.
Auf dem abgelegenen Grundstück tummelt isch auch noch der hünenhafte und leicht
debile Fischer Rocco sowie der Hausdiener Giovanni (Umberto Raho).
Greta geht es nicht um die Stelle bei Stuart, sie ist auf der Suche nach ihrer
Lebensgefährtin Sally (Patrizia Viotti), die zuletzt ebenfalls bei Stuart arbeitete
und seit einem halben Jahr spurlos verschwunden ist. Diesem Fall geht auch
Kommissar Antonelli (Nino Segurini) nach, der versucht, mit Greta Kontakt zu knüpfen.
Die Stuarts führen eine offene Ehe und auch ansonsten bleibt der verschrobene
Villenalltag Greta ein Rätsel. Dann versuchen nacheinander Eleanora und Richard Greta zu
verführen. Alles nur ein Vertuschungsmanöver, um die Wahrheit über Sallys Verschwinden
zu verschleiern?

In der Fassung von Camera Obscura ist der Film ja nicht wiederzuerkennen! Wer "Amuck"
auch nur ein bißchen etwas abgewinnen kann, steht demzufolge schon fast unter Kaufzwang.
Die recht leicht zu durchschauende Handlung mit den paar mehr oder weniger überraschenden
Twists steht hier wahrlich nicht im Vordergrund. Hier trifft das Bonmot "Style over Substance" zu.
Unter Silvio Amadios Regie und unter Begleitung des traumhaften Scores von Teo Usuelli
bieten die Darsteller ein elegantes Spektakel, in dem man sich als Giallo-Liebhaber
geradezu genüßlich versinken lassen kann. Für den männlichen Zuschauer bieten
die beiden leicht exhibitionistisch veranlagten Granaten Bouchet und Neri ein
zusätzliches Schmankerl. Ich kam voll auf meine Kosten!

Im Bonusmaterial bekommen wir Interviews mit der Bouchet, der Neri und dem Sohn
Amadios geboten, die allesamt sehr informativ sind. Der Sohn gibt sehr interessante
Einblicke in das Schaffen seines Vaters. Die zwei Damen erinnern sich an den Film
und ihr erstes Aufeinandertreffen.
Während hingegen Bouchet Amadio als sanften und angenehmen Zeitgenossen beschreibt,
erinnert sich Neri an ihn als eine recht unangenehme Person. Genau so verhält es sich
mit beider Einschätzungen zu Farley Granger. Sehr interessant!
Auch das Booklet von Marcel Barion ist gelungen und vergleicht "Amuck" mit
Hitchcocks "Cocktail für eine Leiche".
7/10
DrDjangoMD hat geschrieben:„Wohl steht das Haus gezimmert und gefügt, doch ach – es wankt der Grund auf dem wir bauten.“
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 38557
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: Amuck - Silvio Amadio (1972)

Beitrag von buxtebrawler »

„Ich fühle mich in diesem Haus so allein!“

Der italienische Genre-Regisseur Silvio Amadio, vornehmlich für seine Erotikfilme mit „Miss Teenage“ Gloria Guida Mitte der 1970er bekannt, drehte mit „Amuck!“ alias „Haus der tödlichen Sünden“ im Jahre 1972 einen frühen Erotik-Giallo, zu dessen Ensemble er sowohl Barbara Bouchet („Die rote Dame“) und Rosalba Neri („Sklaven ihrer Triebe“) als auch den Hitchcock-Mimen Farley Granger („Cocktail für eine Leiche“) zählen konnte.

„Und so fürchte ich mich davor, diese Welt der perversen Freuden zu verlieren, die mich umhüllt wie das Netz einer Spinne.“

Die Londonerin Greta (Barbara Bouchet) ist inkognito auf der Suche nach ihrer seit einem halben Jahr verschwundenen Lebensgefährtin Sally (Patrizia Viotti, „Sexuelle Gelüste triebhafter Mädchen“) und tritt aus diesem Grunde eine Stelle als Sekretärin beim Schriftsteller Richard Stuart (Farley Granger) an, Sallys ehemaligem, auf einer Insel in der Umgebung Venedigs opulent residierendem Arbeitgeber. Der vermögende, exzentrische Kunstkenner lebt mit seiner Frau Eleonora (Rosalba Neri) in offener Ehe, mit Fischer Rocco (Petar Martinovitch, „Lady Frankenstein“) und Diener Giovanni (Umberto Raho, „Das Geständnis“) beschäftigt er zwei weitere Angestellte. Greta verdächtigt Stuart des Mords, zu anschaulich erscheint ihr sein jüngstes Werk. Doch der ebenfalls ermittelnde Kommissar Antonelli (Nino Segurini, „Nackt jeden Abend“) zweifelt an dieser Geschichte, zumal es keinerlei Beweise gibt. Während Greta nach diesen forscht, erliegt sie mehr und mehr den erotischen Obsessionen der Stuarts…

„Ich habe beschlossen, einen Giallo-Roman zu schreiben." - "Du machst Witze! Ein Autor deines Kalibers...“

Amadios „Haus der tödlichen Sünden“ kommt mit nur wenigen Morden und Gewaltspitzen und ohne schwarze Handschuhe aus, verfügt aber über diverse andere Ingredienzien klassischer Gialli wie die Verortung in einer dekadenten Oberschicht, die auf eigene Faust ermittelnde und selbst in Gefahr geratene Protagonistin aus dem Ausland und die in schwelgerischen Bildern präsentierten internationalen Schauplätze. Bereits der Vorspann ist unterlegt mit Bildern der Bootsfahrt Gretas durch Venedig und zur pittoresken Insel, auf die es sie verschlägt. Teo Usuellis einnehmend luftige musikalische Untermalung versetzt dabei in entsprechende Stimmung. Greta liest den Brief ihrer verschwundenen Freundin, während die Kamera Venedigs Kulisse poetisch im Wasser spiegeln lässt. Sie bezieht das opulente Anwesen ihres neuen Arbeitgebers, trifft jedoch zunächst auf Fischer – und Spanner – Rocco, vor dem sie fürchterlich erschrickt. Dass er harmlos sei, muss sie zunächst ebenso hinnehmen wie das Filmpublikum diesen False Scare.

„Jeder muss sterben!“ – „Vor allem die Mittelmäßigen.“

Eleonora kümmert sich daraufhin äußerst liebevoll um Greta – Bühne frei für Rosalba Neri, die sich in eine anregende Lesben-Softsex-Szene mit der Bouchet stürzt. Amadio hält den Erotikfaktor weiter hoch: Später wird Greta zu einer freizügigen Feier im Haus eingeladen, wo man sich gemeinsam einen bizarren Rotkäppchen-Porno ansieht. Doch im Anschluss folgen plötzlich Privataufnahmen, die Sally zeigen… Richard macht sich verdächtig, als er Greta darüber in Kenntnis setzt, einen Giallo-Roman über das perfekte Verbrechen verfassen zu wollen und ihr damit indirekt zu drohen scheint. Schnell schaltet Amadio jedoch wieder auf Softsex um und kredenzt eine Zeitlupenszene, in der sich nackt unterm Wasserfall vergnügt wird – und die Gretas Fantasie entspringt.

Spannung und etwas Grusel kommen zum Zuge, wenn Greta in einer minutenlangen dialoglosen Szene in den Kellergewölben des Gebäudes herumschnüffeln darf und ihr Richard anschließend eine Schauergeschichte aufs Tonband diktiert, mit der er suggeriert, was mit Sally geschehen sein könnte. Als Amadio Richards Mär visualisiert, wird jedoch naiverweise davon ausgegangen, Fische würden eine Leiche komplett verspeisen… Apropos Fisch: Eine grausame Tiersnuff-Szene führt zum Punktabzug für diesen Film. Pfui! Fischer Rocco versucht sich daraufhin auch Greta zu angeln. Eines Abends geht Mysteriöses vor sich: Eleonora, angeblich übersinnlich begabt, scheint nach Art eines Mediums Kontakt zu Greta aufzunehmen und zu erfahren, dass diese bald sterben müsse. Daraufhin gräbt Richard Greta an, denn wer weiß, wie lange er dazu noch Gelegenheit hat…

Bei der Entenjagd im Schilf wird’s für Greta gefährlich: Sie droht im Morast zu versinken, kann aber vom hinzugeeilten Kommissar gerettet werden. Mit dieser spannend inszenierten Sequenz gewinnt der bis dahin etwas arg langsam erzählte Film erstmals an Schmiss. Greta hielt das für ein Mordkomplott und berichtet dem Kommissar von Richards Tonbandaufnahme, die sich leider als bereits gelöscht herausstellt. Ein neues Tonband, das Amadio sich ebenfalls nicht zu visualisieren nehmen lässt, scheint aber die Motive zu erläutern. Als Richard Greta erneut angräbt, erzählt er ihr endlich, was wirklich mit Sally geschehen ist – in Form einer aus dem Off kommentierten Rückblende (Achtung, ab jetzt massive Spoiler!): Eleonora und Sally wollten Rocco verführen, Sally strippte vor ihm und machte plötzlich den sterbenden Schwan, als Eleonora sich zuerst mit Rocco vergnügte. Sally verging jegliche Lust, doch Rocco versuchte, sie zu vergewaltigen und erwürgte sie schließlich. Ist der Mörder also weder der Yuppie noch der Gärtner und schon gar nicht der beinahe stumme, stoische Diener, sondern der Prolet? Die Handlung verwirrt, man misstraut ihr.

Plötzlich lässt Amadio ein Klischee-Unwetter wie im Horrorfilm toben, währenddessen Greta endlich Richard ranlässt, nicht unbemerkt von Eleonora. Die Leiche wird in einem Weiher unweit des Stuart’schen Anwesens gefunden, Richard reist für drei Tage nach London. Am Bahnhof versucht Greta, den Kommissar von Richards Unschuld zu überzeugen. Man ahnt, dass Amadio noch eine Wendung in der Hinterhand hat. Und so wird plötzlich der Diener erschlagen. Eleonora bestellt Greta ins Wohnzimmer, wo sie mit Rocco wartet. Der überraschende Twist: Mit ihr soll dasselbe geschehen wie mit Sally! Doch das Drehbuch setzt noch einen drauf: Auch Richard ist anwesend und will Greta abmurksen, weil sie zu viel weiß. Doch da spielt Rocco nicht mit: Der Sklave erhebt sich über seine Herren!

Für dieses sich in guter alter Giallo-Manier mehrmals überschlagende Finale hat sich das Durchhalten definitiv gelohnt. Die gelungenen Erotikszenen und generell überdurchschnittlich ästhetisierte Optik können nur bedingt von den Dramaturgie- und Timing-Schwächen ablenken. Mehr blutige Morde o.ä. hätte es jedoch gar nicht gebraucht; hat man sich erst einmal auf den Film einlassen können, weiß diese Mischung aus Mystery-Krimi, Psycho-Thriller und Erotik-Drama gut zu munden, zumal hier ein handverlesenes Ensemble aufeinandertrifft. Über die leicht nach Klassenkampfthematik anpolitisiert schmeckende Pointe darf, wer möchte, gern noch ein bisschen sinnieren. Ich fühlte mich ein wenig an „Sklaven ihrer Triebe“ erinnert, und zwar auf angenehme Weise. Wer von einem Giallo weder permanente Hochspannung noch Slasher-ähnliche Metzeleinlagen erwartet, sondern stattdessen die anmutige Freizügigkeit großer ‘70er-Jahre-Genrefilm-Ikoninnen zu schätzen weiß, ist mit „Haus der tödlichen Sünden“ gut beraten.

6 von 10 geheimnisvollen Briefen für dieses Kleinod.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
Paco
Beiträge: 661
Registriert: Mo 10. Okt 2011, 08:07

Re: Amuck - Silvio Amadio (1972)

Beitrag von Paco »

Tolles Review, lieber Buxti :thup:

Ich mag den FIlm auch sehr - trotz und ein bisschen auch gerade wegen seiner Schwächen !
Benutzeravatar
Lobbykiller
Beiträge: 2734
Registriert: Fr 26. Feb 2010, 05:46
Wohnort: Diggeragua

Re: Amuck - Silvio Amadio (1972)

Beitrag von Lobbykiller »

Haus der tödlichen Sünden aka Amuck (ITA 1972) R: Silvio Amadio
-> Version: OmU. Barbara Bouchet trifft Rosalba Neri zu Klängen von Teo Usuelli, dessen grooviger Score 2020 erstmal auch als Vinyl auf Beat Records erschien. Das Stück "Piacere Sequence" hat es sogar in THE BIG LEBOWSKI geschafft, ist hier aber besser aufgehoben, bei besagter Lesben Sequenz. Der Film selbst ist spannend, stylisch und psychedelisch, bekommt aber Abzug wegen einer ekligen Aalploitation Sequenz. Ein ziemlicher Sequenzer also. :D
(4,5/5)
Score Dust: Soundtrack Grooves, Library Funk & Rare Breaks Worldwide
Score Dust Facebook Site
Score Dust Group
Score Dust Tweets
Benutzeravatar
CamperVan.Helsing
Beiträge: 10768
Registriert: Sa 26. Dez 2009, 12:40

Re: Amuck - Silvio Amadio (1972)

Beitrag von CamperVan.Helsing »

Christian Keßler hat geschrieben:Für Szenen wie Barbaras und Rosalbas Zusammenkuft sind Blu-Rays erfunden worden!
Und in der Tat kommt man glücklicherweise nicht herum, festzustellen, wie sehr der Film durch

a) diese Szene an sich,

b) diese exquisite Qualität

dazugewinnt, wie der Vergleich mit diesem abgeranzten Trailer deutlich zeigt




Für Barbara und Rosalba würd' ich Amok laufen Amuck kaufen! :nick:
The more I see
The less I know
About all the things I thought were wrong or right
& carved in stone
Benutzeravatar
McBrewer
Beiträge: 3826
Registriert: Do 24. Dez 2009, 20:29
Wohnort: VORHARZHÖLLE
Kontaktdaten:

Re: Amuck - Silvio Amadio (1972)

Beitrag von McBrewer »

Der hübsche Alla ricerca del piacere aka AMUCK! ist bisher immer irgendwie an mir vorbei gegangen, obwohl ich den Titel schon öfters gelesen hatte.
Dank meines lieben Musikerkollegen konnte ich aber auch diese Lücke schließen & bin begeistert. Amuck! ich ein stylischer, farbenfroher Krimi, mit einige Sleaze Anleihen, ohne dafür in die Richtung "Danach-brauche-ich-eine-Dusche" abzurutschen.
Frau Bouchet und Frau Neri behalten da das Niveau schön oben, obwohl es ja auch herrlich Jugendfrei zur Sache geht und schon einmal der "Böse Wolf" dem "Rotkäppchen" hinterher steigt :pfeif:
Da wirkt dann die genüssliche Zerlegung eines unbetäubten armen Aals fast schon als störendes Element, dessen Sinn mich hier so gar nicht erschließt (wir sind ja auch schließlich nicht im Dschungel Neuguinea oder anderwo).
Dieses Manko soll mir den aber ansonst tollen Filmen nicht trüben.
Die Disc von Camera Obscura gehören da wirklich in jede Sammlung :thup:
Bild
Benutzeravatar
karlAbundzu
Beiträge: 8906
Registriert: Fr 2. Nov 2012, 20:28
Kontaktdaten:

Re: Amuck - Silvio Amadio (1972)

Beitrag von karlAbundzu »

Engl Fassung Blu
Eine Frau möchte raus bekommen, was mit ihrer Freundin passierte und nimmt ihren Job als Privatsekretärin eines Schriftstellers in Venedig an. Sie gerät in die Kreise und Fänge eines dekadenten Paares, welches sich über der Gesellschaft sieht.
Ein Sex Giallo von Silvio Amadio. Der jetzt eher wert auf die Schauwerte legt. Die hauptsächlich von Rosalba Neri und Barbara Bouchet eingebracht werden. Der Thriller Anteil wird weitest gehend vernachlässigt und auch die Darstellung der Dekadenz ist eher im mittleren Rahmen. Dafür gibt es einen wunderbaren sleazigen Soundtrack von Teo Usuelli i easy listening Vibe. Und viel 70er Style.
Mich hat er gut unterhalten.
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
Antworten