Das Gesicht im Dunkeln - Riccardo Freda (1969)

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DrDjangoMD
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Re: Das Gesicht im Dunkeln - Riccardo Freda

Beitrag von DrDjangoMD »

Den Film sah ich damals, als ich, als kleiner Junge, von Edgar Wallace Filmen begeistert war und nicht wusste, was ein "Giallo" ist...oder wo Italien liegt. Damals hat er mir auch nicht sonderlich gefallen, ich fand ihn nicht schlecht, aber es war mir dann doch zu sehr "Kinski geht herum - the Movie" (OK, heutzutage würde ich selbst einen Film der wirklich nur daraus besteht, dass Kinski herumgeht, zu schätzen wissen). Seitdem sah ich den Film jedoch nicht mehr, doch heute abend, entdeckte ich dieses Liedchen auf Youtube:

Und es ist so toll, dass ich mir den Film umbedingt wieder ansehen muss :mrgreen:
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Arkadin
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Re: Das Gesicht im Dunkeln - Riccardo Freda

Beitrag von Arkadin »

DrDjangoMD hat geschrieben:Seitdem sah ich den Film jedoch nicht mehr, doch heute abend, entdeckte ich dieses Liedchen auf Youtube:

Und es ist so toll, dass ich mir den Film umbedingt wieder ansehen muss :mrgreen:
Der ganze Soundtrack von der lieben Nora ist absolut fantastisch und ein Muss.
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Adalmar
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Re: Das Gesicht im Dunkeln - Riccardo Freda

Beitrag von Adalmar »

Meine OFDb-Kritik:

"A doppia faccia" von Riccardo Freda wurde in der Reihe der Edgar-Wallace-Verfilmungen der Rialto veröffentlicht. Das prägt die Rezeption des Films hierzulande bis heute - in zwiespältiger Weise: Zum einen wäre der Film ohne die Aufnahme in die Reihe sicher weniger bekannt geworden, zum anderen wäre er aber nicht aufgrund der Erwartungshaltung an die Wallace-Filme - und somit vermutlich günstiger - beurteilt worden. Die Erwartung der deutschen Zuschauer knüpfte sich weniger an die Romane des Krimiautors, sondern an die Standardelemente der Verfilmungen, die längst ein Eigenleben entwickelten hatten, das sich immer weiter von den Buchvorlagen absetzte. Dieses Publikum sah sich vor allem mangels der bekannten und beliebten Standard-Darsteller der Reihe in seinen Wallace-Sehgewohnheiten enttäuscht, was dem Film einen kapitalen Misserfolg an den deutschen Kinokassen bescherte. Wenn sich tatsächlich einmal im Film das Scotland-Yard-Schild dreht und im Vorspann Riccardo Freda zu "Richard Freda" germanisiert wird, wirkt dies schon recht bemüht - dass der letzte Film der Reihe, "Sette orchidee macchiate di rosso" ("Das Rätsel des silbernen Halbmonds") von Umberto Lenzi, schließlich vollends in Italien spielte, ließ das Feigenblatt der Wallace-Gialli fallen und machte der Tradition der Krimireihe endgültig den Garaus. Die Anhänger der typischen Wallace-Krimis aus den frühen und mittleren 60er Jahren veranlasst dies mitunter zu ignoranten Verrissen von Fredas Film sowie der später ebenfalls in die Reihe einbezogenen Gialli "Cosa avete fatto a Solange" ("Das Geheimnis der grünen Stecknadel") von Massimo Dallamano und Lenzis "Sette orchidee", denen nicht nur mangelnde "Wallace-Atmosphäre" vorgeworfen wird, sondern die wegen einzelner Nackt- oder Gewaltszenen mehr oder minder explizit als Sex- oder Splatterfilme verworfen werden. Ein weiteres Problem wurde dem Film in Deutschland durch die Kürzungen mit auf den Weg gegeben, durch die man den Film an vielen Stellen um vermeintlich überflüssige Einstellungen erleichterte, vermeintlich zu lange Sequenzen zurechtstutzte und so besonders den Beginn des Films ein wenig hastig wirken ließ.

Klaus Kinski, neben dem kaum zu sehenden Günter Stoll der einzige aus anderen Wallace-Krimis bekannte Darsteller, ist in diesem Film nicht wie in so vielen Wallace-Filmen als Kleingauner oder armer Irrer, sondern stark aufgewertet in einer Hauptrolle zu sehen. Schon bei der Besetzung des zwei Jahre älteren Wallace-Films "Die blaue Hand" hatte man Kinskis zuvor an triviale Nebenrollen verschwendetes Talent erkannt und ihm eine Hauptrolle gegeben, die er hervorragend ausgefüllt hatte. Bei Fredas Film kam Kinski eine Eigenschaft des noch im Bestehen begriffenen Sub-Genre des Giallo zugute, die sich später immer mehr verfestigen sollte: Die im Gegensatz zum Großteil der Wallace-Krimis stark relativierte Rolle der Polizei, die den Kriminalfällen meist hilflos gegenübersteht und den eigenmächtigen Ermittlungen mehr oder weniger betroffener Privatpersonen hinterherhinkt. So gibt Stoll als Inspektor Steevens von Scotland Yard hier eine Randfigur ab und muss in entscheidenden Szenen die Polizeipräsenz seinem Kollegen Luciano Spadoni in der Rolle des Inspektor Gordon überlassen. Kinski dagegen kann in einer komplexen Hauptrolle als Firmenerbe John Alexander glänzen, dessen Frau in einem mysteriösen Autounfall umgekommen zu sein scheint - bis plötzlich Zeichen für ihr mögliches Überleben zutage treten.

Neben Günter Stoll verstärkt noch Christiane Krüger als leichtes Mädchen Christine die deutsche Schauspielerpräsenz in diesem Film und steuert einiges an in der Reihe bis dahin kaum gewohnter nackter Haut bei, was sicher zur befremdenden Wirkung auf die Zuschauer beitrug. Margaret Lee, Annabella Incontrera und Barbara Nelli als mysteriöse Schönheiten und Sydney Chaplin als schmieriger Firmenchef Mr. Brown ergänzen die Besetzung in sehr ansprechender Weise. Die hochcharismatische, leider etwas unterrepräsentierte Margaret Lee ist als Johns Frau Helen zu sehen, die mit ihrer Freundin Liz eine lesbische Beziehung eingeht - was sicher ebenfalls verunsichernd auf das Wallace-Publikum wirkte, zumal später noch ein Erotikfilmchen eine entscheidende Rolle für die Filmhandlung spielt, das Liebesspiele zweier Frauen zeigt. Zudem fällt auf, dass das Thema Homosexualität in diesem Film nicht explizit dialogisch behandelt und die lesbische Affäre seiner Frau von John recht gelassen zur Kenntnis genommen wird.

Diese Gelassenheit ist jedoch nur ein Aspekt von Kinskis John Alexander als einer der interessantesten Figuren, die die Wallace-Filmreihe (sofern man denn diesen Film dazurechnen möchte) zu bieten hat. Johns äußere Kälte und scheinbare Gleichgültigkeit gegenüber der Außenwelt – besonders gegenüber Christine, die er mit verächtlicher Brutalität behandelt – wird nur wenige Male von Gefühlsausbrüchen abgelöst, in denen er die Liebe zu seiner untreuen Frau bekennt – wie in einer der eindrucksvollsten Szenen des Films, in der er durch die in rauschhaft vorbeistreichenden Bildern gezeigte Barlandschaft Londons vagiert und seine Trauer in Alkohol ertränkt, während er den Tränen nahe scheint. Dass diese Szene in den zwei mir bekannten Schnittfassungen des Films an verschiedenen Stellen auftaucht, ist nicht ganz unverständlich, denn sie zeigt einen seelischen Zustand, der John über die ganze Filmdauer unausgesprochen begleitet. Dass er verdächtigt wird, seine Frau umgebracht zu haben, scheint ihn weniger wegen der möglichen Folgen für ihn selbst als wegen der Idee, dass er seine Frau gehasst habe, an sich zu treffen. Auch in kleinen Details seiner Rolle zeigt Kinski seinen Perfektionismus, Gesten wie sein nervöses Spiel mit einer Zigarette und die abrupten Grobheiten gegenüber Christine und Alice sind lupenrein einstudiert.

Die Szene, in der John die Bars besucht, ist nicht nur wegen ihrer Bilder, sondern vor allem auch wegen ihrer wunderschönen musikalischen Unterlegung bemerkenswert. Nora Orlandis sehnsüchtig-melancholische Filmmusik trägt ganz entscheidend zur Wirkung von Fredas Werk bei. Dabei war die Komponistin auch als Sängerin des berückenden Titelliedes „Non dirmi una bugia“ tätig – für beide Funktionen werden im Vorspann jedoch Pseudonyme genannt. Das Lied taucht zum ersten Mal auf, als John seine Frau mit ihrer Gespielin Liz im Badezimmer ertappt und wird im folgenden noch des öfteren abgespielt werden, wobei er jedes Mal an seine Frau erinnert wird. Auf diese Weise bekommt das Lied eine gliedernde Funktion für die Filmhandlung oder markiert zumindest deren Gliederung. Auch weitere Stücke wie zum Beispiel die beinahe gewalttätig über Akkordbrechungen daherrauschende Klaviermelodie, die wir während des Vorspanns hören, bauen auf der harmonischen Struktur von „Non dirmi una bugia“ auf. Orlandi bedient sich virtuos verschiedener Tasteninstrumente wie des Cembalos und der Hammondorgel, um jedem Stück seine eigene Atmosphäre zu geben. Aggressive Rocktöne fördert sie ebenso zutage wie beunruhigende atonale Klangkulissen. Die Filmmusik ist in ihrer Melancholie und Sensibilität ebenso untypisch für die Wallace-Reihe wie der ganze Film, kann aber wohl zu den besten der Reihe gezählt werden. Nora Orlandi veredelte im übrigen auch Sergio Martinos Edel-Giallo „Lo strano vizio della Signora Wardh“.

Ein großes Thema des Films ist die Verbindung von Erotik und Gewalt. Das wird bildlich in dem Filmchen verdichtet, das zum entscheidenden Indiz für ein mögliches Überleben von Helen wird. Christine spielt hier mit einem Messer an ihrer maskierten Kollegin herum. Der Club, in den sie John mitschleift, wird von Rockern bevölkert, die im Vorbeifahren jungen Frauen die Kleider vom Leib reißen. So erlebt John eine Odyssee in eine Nachtwelt, deren Brutalität ihm aber gar nicht so fremd zu sein scheint, wenn er Christine etwa mit einer abgebrochenen Flasche zu Geständnissen zwingt. Weiterhin spürt Fredas Werk den psychischen Abgründen hinter einer großbürgerlichen Existenz nach, den fatalen Auswirkungen der Langeweile von Menschen, die zu viel besitzen, und ihren möglichen katastrophalen Auswirkungen. Die Narbe am Nacken von Helen dient als Wiedererkennungszeichen, erscheint aber auch als Zeichen für die verborgenen seelischen Wunden einer zu perfekter Repräsentation verpflichteten Edel-Gattin.

Wenngleich die mit offensichtlichen Modellen gestellten Auto- und Zugunfälle des Films sicherlich nicht mehr dem heutigen Stand der Technik entsprechen, kann er dafür mit herrlichen Innenausstattungen beeindrucken, vor allem, was Johns Villa und sein Bürogebäude betrifft. Auch die Ausleuchtung nächtlicher Gassen ist fabelhaft gelungen. Der Film gewinnt auf visueller Ebene viel Dynamik aus den plötzlichen Nahaufnahmen, in denen – wie es für den Giallo typisch werden sollte – Indizien wie Helens Narbe, ihr Ring und ihr Etui auftauchen.

Durch seinen virtuosen Hauptdarsteller, seine in ihren Bann ziehende Filmmusik und kleine gesellschaftsanalytische Akzente kann Riccardo Fredas Früh-Giallo als unterschätztes Werk gelten, dessen Qualitäten in der unpassenden Rolle eines Wallace-Krimis kaum wahrgenommen wurden.
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Prisma
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Re: Das Gesicht im Dunkeln - Riccardo Freda

Beitrag von Prisma »


DAS GESICHT IM DUNKELN / A DOPPIA FACCIA (1969)
mit Klaus Kinski, Christiane Krüger, Sydney Chaplin, Annabella Incontrera, Luciano Spadoni, Günther Stoll, Barbara Nelli
und Margaret Lee
eine Produktion der Rialto Film | Mega Film | Colt Produzioni Cinematografiche | im Constantin Filmverleih
ein Film von Riccardo Freda



»Was weißt du denn von der Gräfin?«
Helen Alexander (Margaret Lee), schwerreiche Erbin der Brown Automobilwerke, verunglückt tödlich mit ihrem Sportwagen. Das Autowrack wird vollkommen ausgebrannt gefunden und man geht zunächst von einem bedauerlichen Unfall aus. Bei den Ermittlungen stoßen Inspektor Stevens (Günther Stoll) und Inspektor Gordon (Luciano Spadoni) auf zahlreiche Ungereimtheiten. Erst vor kurzem hat Helen ihren Mann John (Klaus Kinski) als Universalerben eingesetzt und dieser zeigt sich bei den Ermittlungen alles andere als kooperativ. Außerdem soll es mit der Ehe nicht mehr zum besten gestanden haben, da Helen schon sein geraumer Zeit ein Verhältnis mit der Schauspielerin Liz (Annabella Incontrera) hatte. Als John nach dem Tod seiner Frau von einer Reise zurück kommt, geschieht etwas Seltsames. Er findet in seinem Haus ein ihm unbekanntes Mädchen namens Christine (Christiane Krüger) vor, die ihn mit auf eine Party nimmt, wo Pornofilme vorgeführt werden. John traut seinen Augen nicht, als er in einem der Filme eine verschleierte Frau sieht, die einige unverkennbare Merkmale seiner verstorbenen Frau aufweist. Interessant dabei ist, dass der Streifen erst nach Helens Tod gedreht worden ist. Ist sie tatsächlich noch am leben..?

Bei "Das Gesicht im Dunkeln" handelt es sich bereits um die 29. Edgar-Wallace-Verfilmung der Rialto Film und Riccardo Fredas Beitrag stellt einen Schnitt in der Kontinuität der Serie dar. Aufgrund der mageren Zuschauer-Resonanz von nur 600.000 Besuchern, wurde die Reihe bis auf Weiteres eingestellt. Beim Durchleuchten des schwachen Geschäftsergebnisses kann man mehrere Gründe anführen, doch letztlich stehen wohl der vergleichsweise harte Stilbruch und die teils schlampige Inszenierung hauptsächlich im Vordergrund. Inszenatorisch blieb unter dem italienische Regisseur leider zu viel Potential ungenutzt, was sehr ärgerlich ist, hat man es doch mit einem der eigentlich interessantesten Stoffe des Wallace-Film-Universums zu tun. Aber wie sagt man so schön? Gedreht ist gedreht und man sollte sich lieber auf die positiven Seiten dieser Geschichte konzentrieren und man wird sehen, dass es für den geneigten Zuschauer ein Leichtes sein kann, sich mit diesem Stoff anzufreunden. Komplette Veränderungen offeriert die verlangsamte, aber dennoch sehr intelligente Erzählstruktur, die bis dato im Dunstkreis der Verfilmungen eher beispiellos war.

Klar ist andererseits auch, dass dieser Film nach dem unermüdlich laufenden Vohrer-Fließband in vielerlei Hinsicht quasi wie ein Kulturschock gewirkt haben muss, wenngleich man vollkommen dem Zeitgeist entsprechend inszenierte. Das Fehlen von beispielsweise gebräuchlichem Humor schadet der Produktion zwar keineswegs und hebt den harten, beinahe sterilen Charakter ergiebig hervor, aber der Vorwurf, "Das Gesicht im Dunkeln" habe mit Wallace nichts mehr gemein ist möglicherweise berechtigt, kann aber nach allen Spielereien auch als Kompliment aufgefasst werden, und zwar insofern, dass hier nach allen vorher gegangenen, ergebnislosen Versuchen einer wirklich neuen Richtung ganze Arbeit geleistet wurde. Als End-Sechziger durfte daher eine ordentliche Prise Sex nicht fehlen, der gar nicht so sehr auf spekulativer Basis abgehandelt wurde. Freda bietet Schauwerte, die insgesamt als Mosaiksteinchen der Geschichte angesehen werden müssen und gewiss nicht aus überflüssiger, oder selbstzweckhafter Art mit eingebaut wurden.

Klaus Kinski nahm mit diesem Film, und einer alles ausfüllenden Hauptrolle seinen Abschied von Edgar Wallace. In beinahe 10 Jahren brachte er es auf eine beachtliche Anzahl von 16 Auftritten und gehört somit zu einer der bekanntesten Größen der langjährigen Reihe. Die Anlegung seiner Rolle ist im Endeffekt nicht der ganz große Überraschungs-Coup geworden, da gewisse Feinheiten in der Dramaturgie, der Ausarbeitung, und notwendige Finessen in der Darstellung fehlen. Dieser Eindruck wird zusätzlich durch die wesensfremde Synchronisation und die eher platte Dialog-Arbeit vermittelt, Klaus Kinski wirkt insgesamt nicht so, als lege er einen darstellerischen Kraftakt hin, was wohlgemerkt nicht der Rolle geschuldet ist. Dabei ist die Idee, ihn als zweifelhaften Protagonisten zu präsentieren, ein sinnvoller Einfall angesichts des Verwirrung stiftenden Themas gewesen. Dutzendfach gab er den Wahnsinnigen den Irren, den Mörder oder den Helfershelfer, wieso also sollte er nicht auch hier den Plan gehabt haben, seine Frau zu ermorden?

Es wird zwar versucht, John Alexander erst gar nicht großartig als Sympathieträger in Erscheinung treten zu lassen, aber die Konzentration auf seine Person, und der Eindruck eines Komplotts ist einfach zu groß, als dass man nachhaltige Zweifel haben könnte. Hinzu kommt, dass "Das Gesicht im Dunkeln" erstmalig ungewöhnlich übersichtlich besetzt ist, so dass theoretische Möglichkeiten bei der Täterfindung ausbleiben. Dennoch kann man sich recht gut auf Klaus Kinski einlassen, in vielen Situationen arbeitet er die erforderliche Zerrissenheit gut heraus, auch die impulsiven und anteilnahmslosen Tendenzen eines in die Enge getriebenen Mannes sind nachvollziehbar. Offensichtlich war John nie abgeneigt, diverse Liebschaften zu unterhalten, was ein aufrichtiges Gefühl zu seiner Frau in Frage stellt und besonders in diesen Szenen mit Christiane Krüger und Barbara Nelli wird indirekt angedeutet, dass auch John im Zweifelsfall zu außerordentlichen Mitteln greifen kann. Egal ob Kinski hier schlussendlich Gut oder Böse bedient, es dürfte selbst für Kritiker des Films etwas Nützliches bei dieser Leistung dabei sein.

Die wichtigsten Gastrollen ent- oder bekleiden hier die Damen. Neben Klaus Kinski, um den die komplette Geschichte ausführlich herum konstruiert wurde, fallen die Auftritte daher ziemlich knapp aus. Margaret Lee spielt Helen, die man bereits in ihrer ersten Einstellung quasi in flagranti erwischt, als sie sich von ihrer Freundin Liz im Badezimmer verwöhnen lässt. Natürlich sind diese Szenen, genau wie die des, in kurzen Sequenzen gezeigten Porno-Films, nur brav und gezügelt angedeutet, da man sich schlussendlich ja immer noch in einem echten Edgar Wallace befand. Die kurze Zeit vor Helens Abreise reicht also gerade aus, um die wichtigsten Charakterzüge und Attribute vorzustellen, die für den Verlauf zur Assoziationskette werden. Gezeigt werden daher ihre Narbe, der auffällige Ring und das noble Zigarettenetui, ihr Hund, die Pelze und ihre abweisende Art, John gegenüber, außerdem bekommt man den auffälligen Schlager von Nora Orlandi zu hören, den Helen unentwegt. Dass sie John im Ernstfall als Alleinerben eingesetzt hat, ist eigentlich schwer nachzuvollziehen und die Dialog-Passage unlogisch: »Ich habe selbstverständlich an deine Zukunft gedacht. Ich habe dich als Alleinerben eingesetzt, du wirst sorgenfrei leben können!«

Sinnvoller wäre es gewesen, den Dialog in eine vollkommen andere Richtung aufzubauen und zwar insofern, dass Helen (die ja anfangs mit ihrem Mann glücklich gewesen sein soll, was die Sequenz im Ski-Urlaub, die in der deutschen Version leider entfernt wurde, andeutet) ihren Mann davon unterrichtet, dass er in nächster Zeit als Universalerbe gestrichen werde, da sich die privaten Rahmenbedingungen von Grund auf geändert haben. Interessanterweise spricht Ilse Pagé, die ja bis im Vorgängerfilm noch Miss Finley spielte, und diese Rolle häufiger gab, die Synchronstimme von Lee. Eine angenehme Tatsache, doch leider sind die Gespräche größtenteils flach und wenig ausgefeilt. Margaret Lee verabschiedet sich schnell aus dem Geschehen, doch der Verdacht wird geschürt, dass sie noch am leben ist. So bleibt sie bis zum Finale in Erinnerung und durch diesen recht gelungenen "Melissa"-Effekt, wird eine solide Grundspannung aufgebaut. Es bleibt noch zu erwähnen, dass man die Britin selten so atemberaubend schön gesehen hat.

Der Rest der Crew wird kurz, aber angenehm abgerundet. Christiane Krüger als Christine überzeugt mit ihrer frechen und freizügigen Art, Sydney Chaplin als arrogant und zielstrebig wirkender Geschäftsmann stellt ebenfalls eine Bereicherung dar. Auf der Ermittlerseite fällt die Strategie des vergleichsweise untergeordneten Handelns durch Günther Stoll und Luciano Spadoni auf, die wenig ausführlich abgehandelt wird, wobei Stolls italienischer Kollege deutlichere Akzente als er setzen kann. Annabella Incontrera und Barbara Nelli als sporadische Erscheinungen wirken durchaus angenehm, erfahren allerdings auch keine groß angelegten Entfaltungsmöglichkeiten. Abgesehen von den Crash-Szenen des Rolls-Royce und des Jaguar, sind leider weitere inszenatorische Schlampereien aufzuspüren, auch wenn es sich meistens nur um Kleinigkeiten, oder sogar Belanglosigkeiten handelt, die allerdings zu einem Gesamtbild beitragen. Bei den Szenen des Pferderennens handelt es sich beispielsweise um schlecht einkopiertes Archiv-Material, wobei die Montage insgesamt recht holprig wirkt, hin und wieder werfen Teile des Film-Equipments Schatten, wie etwa Mikrofone, Accessoires fehlen nach dem nächsten Schnitt und vollkommen bezeichnend sind einige Szenen, die urplötzlich von Tageslicht zu Stockdunkel wechseln.

So eilt dem Film sein Ruf, trashy zu sein, immer wieder voraus. Dennoch ist die Bildgestaltung in vielen Bereichen sehr gelungen, edle Dekors und prächtige Farben bestimmen die Szenerie immer wieder. Die Prunkstücke allerdings, steuerte Nora Orlandi mit ihrer überragenden Musik bei, die "Das Gesicht im Dunkeln" von Anfang bis Ende auf überaus stimmige Art und Weise begleitet und prägt. Für die Edgar-Wallace-Reihe waren derartige Kompositionen bis zu diesem Zeitpunkt einfach nur beispiellos und sollten es trotz alternativer Klänge in den letzten beiden Filmen auch bleiben. Als fester Bestandteil der Serie ist Riccardo Fredas Adaption nicht wegzudenken, wenngleich es sich um einen sehr untypischen Beitrag handelt. So wird dieser Film häufig dafür verantwortlich gemacht, dass die Wallace-Reihe durch ihn ihren Todesstoß bekam, allerdings ist dieser Zeitpunkt vermutlich schon eher zu finden. Wie dem auch sei, "Das Gesicht im Dunkeln" kann letztlich von sich behaupten, dass er einer der unkonventionellsten Beiträge geworden ist, der auf seine Weise unheimlich viel Courage, Atmosphäre und eigenwilligen Charakter vermittelt. Trotz einiger Abstriche bei der Inszenierung bleibt also ein Film zurück, der nachhaltig überzeugen kann.
dr. freudstein
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Re: Das Gesicht im Dunkeln - Riccardo Freda

Beitrag von dr. freudstein »

Vielen Dank für das (und andere) tolle Review(s) :thup:

Wirklich geil, da wo ich kaum Worte finde, fällt dir immer eine ganze menge Worte und Eindrücke ein, die den Film wirklich sehr gut reflektieren oder auch einen mir unbekannten Film schmackhaft machen (oder eben auch mal nicht, was sich aber aufgrund gleicher Geschmäcker/Interessen bisher noch nicht ergab).

Schade, das du von der 1000 (Beitragsjubi) noch sehr weit entfernt bist (dann könnte ich da OT-frei loben), aber in puncto Qualität schwimmst du ganz oben mit und ich freue mich jedes Mal auf eine neue Kritik, liest sich wirklich sehr angenehm.

Gleiches gilt natürlich auch für Onkel Adi. Wird Zeit diesen Film mal wieder zu gucken und dann meine spärlichen Eindrücke mit den euren zu vergleichen.

sorry
:offtopic:
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Prisma
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Re: Das Gesicht im Dunkeln - Riccardo Freda

Beitrag von Prisma »

Und ich danke für die Blumen! Habe zur Zeit einen richtigen Wallace-Run. :lol:

"Das Gesicht im Dunkeln" hat bei mir aber auch eine Art Sonderstatus. Als die Wallace-Reihe in den 90ern auf Sat 1 ausgestrahlt wurde, war dieser der einzige, den ich wieder gelöscht hatte, weil er mir überhaupt nicht gefiel, beziehungsweise weil ich ihn als Kind wohl eher nicht verstanden hatte. War ja auch weit entfernt von den obligatorischen Beiträgen die ich gesehen hatte. Bis zur nächsten Wiederholung einige Jahre später, musste ich aber immer wieder an Fredas Beitrag denken und fand es immer mehr schade, dass ich ihn nicht mehr sehen konnte. Die Zweitansicht war daher wie eine kleine Offenbarung und seitdem schätze ich diese Produktion doch sehr.

Er soll ja neben "Der Teufel kam aus Akasava" angeblich der schlechteste Wallace überhaupt sein, allerdings machen sich die wenigsten die Mühe, ihn ein bisschen gezielter zu betrachten und ihn nicht nur auf bestehende Mängel zu reduzieren. Die Story ist wie gesagt interessanter, als dutzende andere zusammen, aber der Hauptknackpunkt bleibt der Stilbruch und die Inszenierung. Ist und bleibt alles Ansichtssache, denn eine Vohrer-Maskerade oder schmerzhafter Humor können die Qualität ebenso drücken. Also...nochmal anschauen! ;)
dr. freudstein hat geschrieben:Schade, das du von der 1000 (Beitragsjubi) noch sehr weit entfernt bist
Da muss ich tatsächlich dran arbeiten, muss meinen kram halt einfach mal posten. ;)
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Salvatore Baccaro
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Re: Das Gesicht im Dunkeln - Riccardo Freda

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Sehr schöne Kritik zu einem Film, den ich, obwohl seit schätzungsweise zehn Jahren nicht mehr gesehen, in bester Erinnerung behalten habe. :thup:
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Prisma
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Re: Das Gesicht im Dunkeln - Riccardo Freda

Beitrag von Prisma »

Danke! Nach so vielen Jahren würde sich eine Sichtung aber sicher nochmal auszahlen! ;)
Ich muss ja nicht der einzige sein, der einen Wallace-Run hat. :lol:
Bin es auch gar nicht gewöhnt, auch mal was Positives zum Film zu hören, das ist in Fan-Kreisen nicht gerade üblich, was ich immer sehr schade finde.
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Salvatore Baccaro
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Re: Das Gesicht im Dunkeln - Riccardo Freda (1969)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Prisma hat geschrieben:Ich muss ja nicht der einzige sein, der einen Wallace-Run hat. :lol:
Würdest Du Dich bereit erklären, etwas zum berühmt-berüchtigten GORILLA VON SOHO zu schreiben? ;) :D
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Prisma
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Re: Das Gesicht im Dunkeln - Riccardo Freda (1969)

Beitrag von Prisma »

Salvatore Baccaro hat geschrieben:Würdest Du Dich bereit erklären, etwas zum berühmt-berüchtigten GORILLA VON SOHO zu schreiben? ;) :D
Na klar! Allerdings wird diese Einschätzung bestimmt einen Tic kritischer als bei "Das Gesicht im Dunkeln" (und allen anderen Filmen) ausfallen. :lol:
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