Trhauma - Gianni Martucci

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Salvatore Baccaro
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Trhauma - Gianni Martucci

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Originaltitel: Trhauma

Herstellungsland: Italien

Entstehungsjahr: 1980

Regie: Gianni Martucci

Darsteller: Gaetano Russo, Domitilla Cavazza, Roberto Posse, Timothy Wood, Franco Diogene, Per Holgher, Silvia Mauri, Anna Maria Chiatante, Gina Mancinelli

Einer der wenigen Filme, die ich mir in den letzten Wochen außerhalb meiner ultimativen Zulawski-Huldigung besehen habe, und der einzige, der neben dem Oeuvre meines liebsten Regisseurs ansatzweise bestehen konnte, ist nach dem großartigen (!) I FRATI ROSSI das zweite Werk des vollkommen unbekannten Gianni Martucci, der sowieso, vertraut man den Angaben in den einschlägigen Internet-Filmdatenbanken, "nur" viermal im Dienste des italienischen B-Movie-Kinos tätig war: abgesehen von dem oben schon erwähnten Spätwerk von 1988 (dessen dt. Titel SEXORGIEN DER ROTEN MÖNCHE ich genauso verehre wie das, was sich dahinter verbirgt: eine grausam dröge, sinnbefreite Ansammlung von Versatzstücken, die man aus Hitchcocks REBECCA kennt, typischem Italo-Horror-Surrealismus a la Spät-Fulci und einer schläfrigen Atmosphäre, die selbst D'Amato zuweilen in seine Schranken zu weisen versteht), drehte er scheinbar nur noch eine Sex-Komödie mit Karin Schubert (1976) und ein verheißungsvoll klingendes Drama namens HEROIN (1978), beide nun, nachdem ich den vorliegenden TRHAUMA (der wirklich so geschrieben wird!) besah, ganz oben auf meiner sicherlich achthundert Titel starken Liste der bald zu beschaffenden cineastischen Spezereien.

Nun, was soll ich sagen, um meine Begeisterung in Worte zu fassen? TRHAUMA verkörpert all das, was ich am italienischen B-Kino so liebe. Er ist ein Flickenteppich, eine unfreiwillige Verbeugung vor dem automatischen Schreiben der Surrealisten, indem er Bilder, die nicht zwangsläufig zusammengehören, aneinandertackert, der Versuch, einen spannenden Giallo/Slasher zu drehen, der am Unvermögen, dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen, scheitert, und stattdessen eine fast schon postmoderne Genre-Durchleuchtung bietet, in der wir bis zum Skelett eines typischen solchen Machwerks zu blicken imstande sind, da TRHAUMA schlicht alles Beiwerk fehlt, er ein Film ist, der sich allein über seine Genre-Regeln definiert, und sonst an Plot und Inhalt nichts zu bieten hat, das den wissenden Zuschauer irgendwie davon ablenken könnte. Zum größten Teil ist das freilich alles unglaublich trashig, teilweise jagt eine bekloppte Szene die nächste, nichtsdestotrotz komme ich nicht umhin, TRHAUMA eine durchaus künstlerische Note zuzusprechen. Die finde ich zum einen in der eigenwilligen, extravaganten Bildsprache, die der Film zwar nicht konsequent durchhält, und die bezeichnenderweise meist in Szenen auftritt, die für die "Handlung" (hust) nun wirklich gar nichts zur Sache tun, reine Lückenfüller sind, dennoch staunte ich nicht schlecht, einige wirklich ästhetische Bildkompositionen zu erspähen, recht unheimliche Waldszenen, famose Schnitte an unerwarteten Stellen und vor allem einen inflationären und wirklich ausgezeichneten Handkamera-Einsatz, der ständig POV-Shots vorgaukelt, wo eigentlich gar keine sind. Ja, von seiner technischen Seite macht TRHAUMA dann, wenn er sich nicht darauf verlässt, amerikanische Muster zu kopieren, meiner Meinung nach, einiges her: die Atmosphäre vereint die traumwandlerische Stimmung, wie sie später I FRATI ROSSI dominiert, mit viel Gotischem, was TRHAUMA schlussendlich weniger international, d.h. nach amerikanischen Vorbildern (HALLOWEEN, FRIDAY THE 13TH) gestrickt, wirken lässt als man zunächst meinen könnte.

Die Story verbeugt sich indes freilich vor Werken genannter Stilrichtung - sofern man im Falle von TRHAUMA überhaupt von einer Story reden möchte. Da ist ein abgelegenes Landhaus in Waldeinsamkeit. Da ist eine bunte Mischung unsympathischer Herren und Damen (wer sind die? was tun die da? zumindest Signore Martucci verrät es uns nicht: von Charakterzeichnung kann keine Rede sein, eher sind das hastige, trunkene Bleistiftkritzeleien eines unaufmerksamen Kindes), die ein amüsantes Wochenende dort verbringen wollen. Da ist ein ominöser Killer, dessen Identität uns der Film früh verrät, halbblind, humpelnd, katzenenthauptend, und dazu übergehend, ein Castmitglied nach dem andern vom Leben in den Tod zu befördern. Bald, wir kennen das, verbarrikadieren sich unsre "Helden" im Hause, die Autoreifen sind zerstochen, die Telefonleitung ist gekappt etc. etc. Allein daran gemessen: *schnarch*, zumal die Protagonisten denen in RÜCKKEHR DER ZOMBIES oder PATRICK LEBT! in nun gar nichts nachstehen, d.h. völlig farblos oder/und völlig indiskutapel in ihrem peinlichen Verhalten sind, etwas, das man auch von so mancher Filmszene behaupten kann. Einige Beispiele?
Eine der Damen, kurz zuvor nur knapp dem Killer entkommen, und nun in Schockstarre bettlägrig, wird von einem der Kerle besucht, der, auf der Abschussliste eines unheimlichen Mörders stehend, keine bessere Idee hat, als sie mit Photos zu erpressen, die sie beim lesbischen Liebesspiel mit einem bereits gemeuchelten Mädchen zeigen. Sollte sie ihm nicht einen bestimmten Betrag aushändigen, würde er die Bilder ihrem Ehegatten vorweisen, den sie vor Beginn der Unterhaltung erst mal Wasserholen geschickt hat. Obwohl daher klar ist, dass der Mann jede Sekunde zurückkommen kann, zerreißt die Dame die Photos kurzerhand wütend und verstreut sie im halben Zimmer. Kein Wunder, dass die Fetzen ihrem Gatten, als er gleich darauf wieder eintritt, als allererstes ins Auge fallen, was unsre Heroine unverständlicherweise recht überrascht...
Eins der Mädchen ist seit dem frühen Morgen spurlos verschwunden. Mitten in der Nacht kommt unsre Rasselbande auf den glorreichen Einfall, sie im Wald suchen zu gehen, der groß und dunkel ist, ausgestattet mit nur zwei Taschenlampen, worauf sie sich zusätzlich trennen und völlig ziellos durchs Unterholz stapfen...
Ganz zu schweigen von unnachvollziehbaren Aktionen wie einem Vergewaltigungsversuch aus dem Nichts oder dem Grande Finale, das jeder Beschreibung spottet, und so abrupt daherkommt, dass es einen förmlich an den Haaren aus dem Film heauszerrt.

Alleinstellungsmerkmal von TRHAUMA ist für mich indes Martuccis Umgang mit der Tonspur, die er zu avantgardistischen Experimenten nutzt, bei denen sich meine Ohren vor Entzücken weiteten. Dass er eine Spannungsmelodie, die nahezu eins zu eins von Spielbergs JAWS-Thema abgekupfert ist, pausenlos selbst in Szenen einsetzt, in denen gar nichts Schlimmes oder Packendes passiert, mag man noch als Versuch rechnen, den Film fiebriger darzustellen als er eigentlich ist. Wenn indes in Nachtszenen überlautes Krähengeschrei von der Tonspur ertönt, wenn im Vorspann unvermittelt und unpassend ein grausiger Disco-Song dröhnt, der die mühsam in der vorhergehenden Szene aufgebaute Stimmung gnadenlos sabotiert, wenn bei einer Kampfszene zwischen Hund und Mensch dem Tier aus dem Off ein wahrer Orkan aus Wolfsgeknurr und -geheul ins Maul gelegt wird, kann ich nicht anders als TRHAUMA, ob das von den Machern nun beabsichtigt war oder nicht, in eine Linie mit dezidiert tonexperimentellen Bestrebungen der eigentlichen Avantgarde (siehe: Rollin, Godard, Jodorwosky, Robbe-Grillet) stellen. Wahnsinn!
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Nello Pazzafini
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Re: Trhauma - Gianni Martucci

Beitrag von Nello Pazzafini »

sehr schön gesagt Salvatore! Der Film kann schon was, absolut :D

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"Ein Grab im K-Gebiet wünscht dir Dein Ugo"
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