Un bianco vestito per Mariale - Romano Scavolini (1972)

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horror1966
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Re: Un bianco vestito per Mariale - Romano Scavolini (1972)

Beitrag von horror1966 »

Un Bianco vestito per Marialé
(Un Bianco vestito per Marialé)
mit Ida Galli, Ivan Rassimov, Luigi Pistilli, Pilar Velázquez, Ezio Marano, Giancarlo Bonuglia, Gianni Dei, Bruno Boschett, Franco Calogero, Gengher Gatti, Edilio Kim, Carla Mancini, Shawn Robinson
Regie: Romano Scavolini
Drehbuch: Remigio Del Grosso / Giuseppe Mangione
Kamera: Romano Scavolini
Musik: Fiorenzo Carpi / Bruno Nicolai
ungeprüft
Italien / 1972

Als Kind muss Marialé gar Schreckliches erleben: Ihr Vater erwischt ihre Mutter inflagranti bei einem außerehelichen Techtelmechtel und reicht darauf per Schusswaffe die Scheidung ein. Jahre später ist aus der traumatisierten kleinen Marialé eine erwachsene Frau geworden. Fast ohne Kontakt zur Außenwelt verbringt sie ihr Leben im düsteren Schloss ihres argwöhnischen Ehemannes. Eines Tages jedoch beschließt Marialé, einige Freunde übers Wochenende einzuladen. Doch als die dekadente Party sich in eine zügellose Orgie verwandelt, geschieht der erste grausame Mord. Und das ist nur der Auftakt zu einem scharlachroten Blutbad von epischer Eleganz...


Schon die Anfangssequenz dieses großartigen Filmes deutet eindeutig darauf hin, das der Zuschauer es mit einem Werk voller Ästhetik und kraftvollen Bildern zu tun bekommt. Gleichzeitig erkennt man nach einer relativ kurzen Zeitspanne, das "Un Bianco vestito per Marialé" von Romano Scavolini nicht zu den ansonsten üblichen Vertretern des italienischen Giallis zu zählen ist, sondern viel eher eine kleine Ausnahmestellung einnimmt. Dies ergibt sich schon allein durch die Erzählweise der hier dargestellten Ereignisse, denn die eigentliche Mordserie die bei dieser Art Film immer im Vordergrund steht, nimmt hier eher eine beiläufige Rolle ein und startet auch erst, nachdem schon gut zwei Drittel der Geschichte erzählt wurden. Zeitlich beginnt das Szenario mit einer in der Vergangenheit angesiedelten Passage, in der einem das grausame Erlebnis der kleinen Mariale näher gebracht wird die hilflos mit ansehen muss, wie ihr Vater zuerst seine Ehefrau und deren Geliebten und danach sich selbst erschießt. Auf diesem traumatischen Erlebnis baut sich dann auch die gesamte Story auf, wobei die wichtigen Zusammenhänge des Ganzen erst mit mit der Zeit immer klarer in den Vordergrund treten. Nun handelt es sich hier nicht um den typischen Giallo, in dem die Suche nach der Identität des Killers und dessen Motivlage im Fokus stehen, denn schon beim durchlesen der Inhaltsangabe kann der geneigte Fan durchaus erkennen, auf welche Lösung das Ganze am Ende hinausläuft, doch dieser Aspekt ist auch längst nicht das Wichtigste in dieser extrem gelungenen Genre-Mixtur.

Bevor sich nämlich die eigentlichen Thriller-Elemente so richtig zu erkennen geben vergeht eine geraume Zeit, in der sich dem Betrachter ein teils bizarres Geschehen präsentiert, das in erster Linie durch seine fantastischen Bilder überzeugt. Der Schauplatz des abgelegenen Schlosses vermittelt einem dabei einen Hauch von Gothic-Flair, das im Zusammenspiel mit einer ausartenden Orgie eine Grundstimmung vermittelt, die man nur schwerlich in Worte fassen kann. Auch die vollkommen verschiedenen Charaktere der anwesenden Gruppe geben einem zunächst einige Rätsel auf, kann man diese doch nur schwerlich einordnen. Obwohl eigentlich alle miteinander bekannt-und scheinbar sogar befreundet sind, kommt es untereinander zu immer stärkeren Spannungen und mit zunehmender Laufzeit kann man regelrecht spüren, das sich innerhalb der Gruppe nahendes Unheil ankündigt. Als dieses dann auch in Erscheinung tritt nehmen die Ereignisse ihren Lauf und es entwickelt sich eine Gewaltspirale, die anscheinend durch nichts mehr aufzuhalten ist. Die zu Beginn noch fröhliche und ausufernde Stimmung weicht dem nackten Entsetzen, als einer nach dem anderen auf brutalste Art und Weise das Zeitliche segnet, bis es am Ende zu einem unvermeidlichen Showdown kommt, der zwar keineswegs überraschend, aber absolut passend einen mehr als stimmigen Gesamteindruck abrundet, der sich mit der Zeit ergeben hat.

Eine ganz große Stärke dieses außergewöhnlichen Genre-Beitrags ist sicherlich der hervorragende Cast, in dem insbesondere Ida Galli und Ivan Rassimov absolut glänzen können. Nun wäre es jedoch ungerecht nur diese beiden grandios agierenden Darsteller zu würdigen, denn die gesamte Darsteller-Riege überzeugt durch sehr viel Spielfreude und Ausdruckskraft, so das man das Schauspiel ganz generell als absolut hervorragend bezeichnen kann. Ein weiteres Plus ist dann ganz eindeutig der brillante Score der Geschichte, denn die musikalische Untermalung von Fiorenzo Carpi und Bruno Nicolai ist eine Labsal für die Ohren und ist in sämtlichen Passagen des Filmes nahezu perfekt ausgewählt, um die jeweiligen Einstellungen hervorzuheben. So ergibt sich dann auch eine brillante Gesamt-Komposition, die "Un Bianco vestito per Marialé" eine Ausnahmestellung im Sub-Genre verleiht und ihn von etlichen anderen Vertretern wohlwollend abhebt. Hauptsächlich verantwortlich ist dafür der aufkommende Bilderrausch in den der Betrachter größtenteils sogartig hinein gezogen wird, denn es ist doch so gut wie unmöglich, sich dessen faszinierender Kraft zu entziehen. Die unglaublich ästhetischen Aufnahmen in Verbindung mit dem herausragenden Schauspiel der Akteure versetzen einen dabei fast schon in einen ekstatischen Zustand, den man erst viel später wieder ablegen kann.

Und so ist "Un Bianco vestito per Marialé" alles andere als ein handelsüblicher Genre-Vertreter, sondern vielmehr ein grandioses Kunstwerk, an dem man sich regelrecht berauschen kann. Die Veröffentlichung von Camera Obscura ist dabei als absolut gelungen zu bezeichnen, liegt diese Filmperle doch in bestechender Bildqualität vor und beinhaltet zudem auch noch absolut lohnenswerte Extras, so das letztendlich ein Gesamtpaket vorliegt, das jedem Liebhaber das Herz im Leibe höher schlagen lässt. Im Gegensatz zu etlichen anderen Genre-Vertretern wird hier ein eher ungewöhnlicher Weg gegangen, was aber keinesfalls als negative Kritik aufzufassen ist, sondern die Ausnahmestellung dieser brillanten Veröffentlichung noch einmal zusätzlich hervorhebt. Romano Scavolini hat hier wirklich ein Fest für Augen und Ohren geschaffen das meiner persönlichen Meinung nach ohne Weiteres als zeitloser Klassiker des Cinema Italiano bezeichnet werden muss und jederzeit zu einer neuerlichen Sichtung einlädt. Einziger kleiner Wermutstropfen ist eventuell der Aspekt, das dieses Werk nur in italienischer Sprache mit deutschen und englischen Untertiteln vorliegt, doch diesen Punkt nimmt man bei der vorhandenen Klasse sehr gern in Kauf.


Fazit:


"Un Bianco vestito per Marialé" erzählt eine Geschichte, die den Zuschauer in einen wahren Rausch der Gefühle versetzt, der durch brillant agierende Darsteller, kräftige Bilder und einen äußerst stimmigen Score noch zusätzlich unterstützt wird. Es ist unmöglich sich der Faszination des Filmes zu entziehen, der sich doch so wohlwollend von anderen Giallis abhebt und ein nahezu perfektes Film-Erlebnis darbietet, das man sich in regelmäßigen Abständen immer wieder gern anschaut.


9/10
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Adalmar
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Re: Un bianco vestito per Mariale - Romano Scavolini (1972)

Beitrag von Adalmar »

Habe die DVD gestern gesehen und bin wieder mal begeistert von der Top-Arbeit von Camera Obscura. Einen zu Unrecht doch eher vergessenen Giallo in einer derart mustergültig brillanten Form auf DVD zu zaubern, verdient aufrichtigen Respekt. Keßler/Stiglegger höre ich mir auch sehr gern an, da sich die zwei gut ergänzen (Keßler kann zu vielen Mitwirkenden Geschichten erzählen und Stiglegger liefert das filmwissenschaftliche Blabla inklusiver einiger Stichworte, die zum Nachdenken anregen: 'Die Masken fallen, wenn die Masken angelegt werden' - sehr gut!) Die Featurette werde ich mir nachher noch angucken. Der Film selbst ist eine Gothic-Giallo-Pracht und schwelgt in fauliger Schönheit. Bei liebgewonnenen Darstellern wie Galli, Rassimov und Pistilli fühlt man sich gleich zu Hause im Giallo-Land und Scavolini veranstaltet mit ihnen eine Psycho-Tour de force mit leicht surrealen Momenten.

Wer Giallos mag und sich diese DVD wegen Abneigung gegen OmU nicht zulegt, bestraft sich selbst. :opa:
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buxtebrawler
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Re: Un bianco vestito per Mariale - Romano Scavolini (1972)

Beitrag von buxtebrawler »

Erscheint voraussichtlich am 20.12.2014 bei Camera Obscura auf Blu-ray:

Bild

Extras:
Featurette „Esoteric and cryptic“* mit Regisseur Romano Scavolini, Audiokommentar mit Christian Keßler und Marcus Stiglegger, Booklet (deutsch/englisch) von Kai Naumann, Deleted Scenes, italienischer und französischer Trailer, Bildergalerie

* mit optionalen dt. und engl. Untertiteln

Bemerkungen:
Italian Genre Cinema Collection No. 11
Auf 1.000 Stk. limitierte Blu-ray-Weltpremiere
Verpackung: DigiPak im Pappschuber

Quelle: http://www.ofdb.de/view.php?page=fassun ... &vid=59481
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
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Arkadin
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Re: Un bianco vestito per Mariale - Romano Scavolini (1972)

Beitrag von Arkadin »

Romano Scavolinis Giallo dürfte selbst in diesem Genre in Punkto Auflösung und Motivation des Killers für Kopfschütteln sorgen. Doch wen interessiert schon Logik? Hier wird diese gegen eine herrlich dichte Stimmung, eine tolle Location und einige hübsch bizarre Einfälle getauscht. Ida Galli, Ivan Rassimov, und Luigi Pistilli sieht man immer wieder gerne und den Ivan hier mal auf der Seite der Guten zu sehen ist auch mal eine gute Idee.
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Re: Un bianco vestito per Mariale - Romano Scavolini (1972)

Beitrag von Kampfgigant »

Den habe ich neulich zusammen mit Paco angeschaut, und er hat mir sehr gut gefallen. Besonders gut war unter anderem die Szene wo der Keller des Schlosses erkundet wird. Die hatte eine sehr stimmungsvolle Atmosphäre.
An dieser Stelle nochmal vielen Dank für die Bluray, welche ich bei der Verlosung in Düsseldorf gewonnen hatte.
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sid.vicious
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Re: Un bianco vestito per Mariale - Romano Scavolini (1972)

Beitrag von sid.vicious »

Originaltitel: Un bianco vestito per Marialé
Regisseur: Romano Scavolini
Kamera: Romano Scavolini
Musik: Fiorenzo Carpi, Bruno Nicolai
Drehbuch: Remigio Del Grosso, Giuseppe Mangione
Darsteller: Ida Galli, Ivan Rassimov, Luigi Pistilli, Pilar Velázquez, Ezio Marano, Giancarlo Bonuglia, Gianni Dei, Bruno Boschetti, Franco Calogero, Gengher Gatti, Edilio Kim, Carla Mancini, Shawn Robinson
un-bianco-vestito-per-mariale-french-movie-poster.jpg
un-bianco-vestito-per-mariale-french-movie-poster.jpg (127.52 KiB) 164 mal betrachtet
Marialé musste als kleines Mädchen mit ansehen, wie ihre Mutter und deren Liebhaber von Marialés Vater erschossen wurden. Diese Gräueltat konnte die mittlerweile erwachsene Frau bis dato nicht verarbeiten. Sie lebt allerdings weiterhin auf dem Landsitz ihrer Kindheit, welcher demgemäß als Rahmung ihres Traumas erhalten bleibt. Dort wird sie von ihrem Ehemann, Paolo, von der Außenwelt isoliert, sodass die junge Frau klammheimlich einige Telegramme aus dem Schloss schmuggelt, um ein paar alte „Freunde“ ins Domizil einzuladen. Die schon bald eintreffenden Gäste werden von Paolo mit einer kolossalen Antipathie empfangen, welche allerdings den Hass, den die Besucherschaft untereinander hegt, mühelos in den Schatten stellt.

„Spirits of Death“ liefert einen Auftakt, der uns postwendend mit dem Grund (oben erwähnter Eifersuchtsmord) für Marialés Traumatisierung vertraut macht, sodass die Vergangenheit schnurstracks thematisiert wird. Somit ist der Boden geebnet und das Fundament für einen außergewöhnlichen und zugleich hochinteressanten italienischen Genrefilm gelegt, der seine folgenden Geschehnisse in ein unheimliches Schloss verlagert und unter anderem (s)eine schaurigschöne Atmosphäre zelebriert, anstatt sich intensiv mit einem (wahrscheinlich von einigen Zuschauern erwarteten) Whodunit-Konzept zu beschäftigen.

Der Hauptcharakter, Marialé, beabsichtigt, so hat es zumindest den ersten Anschein, sich von ihrem Trauma und dem tristen Leben hinter den Schlossmauern abzulenken. Zu diesem Zweck lädt sie ohne das Wissen ihres Ehemanns eine Gruppe von Bekannten (es ist schwierig zu glauben, dass es sich um Freunde handelt) ins Domizil ein. Die Gäste sind einander spinnefeind und es ist jedem einzelnen (Ausnahme: Massimo, auch der Poet genannt) jegliche Schandtat zuzutrauen. Eine einander hassende Personenschar, die sich aus bisher ungeklärten Gründen gemeinsam in einem geschlossenen Terrain aufhält. Eine solche Konstellation verführt natürlich dazu, sie mit den allerbesten Rahmenbedingungen für eine Mordserie im Stile von Agatha Christies „Und dann gabs keines mehr“ zu assoziieren, aber Pustekuchen, denn „Spirits of Death“ besitzt - wie ich bereits andeutete - keine Ambition, um sich ein Whodunit zu erarbeiten, geschweige denn durchzuexerzieren. Da diese Möglichkeit ausscheidet, lässt sich das geschlossene Areal mit seinen obskuren Personen als ein Mikrokosmos des Reichtums umschreiben. Ein Ort der Zusammenkunft scheinbar seelenloser Menschen, die von einem unaufhaltsam voranschreitenden mentalen Niedergang getrieben werden, welcher das ungemütliche Beisammensein als einen Kongress der Dekadenz definiert. Woraus die Fragenkonstellation resultiert, wieso, weshalb und warum eben dieser Personenkreis von Marialé zusammengerufen wurde?

Jedenfalls nicht zum Kaffeekränzchen, obwohl man das dort versprühte Tantengift auch nicht unterschätzen sollte. Marialés Gäste feiern ihr spezielles, ein besonders ausuferndes Fest, das von Fress- und Saufexessen getrieben zu einer Orgie eskaliert. Begleitet von psychedelischen Musikklängen, dessen wuchernde Gitarrensounds an die Akkorde eines Danny Weis erinnern. Eine Komposition, die es in den Gehörgängen rappeln lässt und als Leitwolf eines visuellen Exzess fungiert. Das simultan ablaufende zügellose visuelle Treiben wird einzig von Massimo (unserer Reflektorfigur) negativ aufgefasst, sodass dieser in einen depressiven Strudel gerät, aus dessen Sog er sich nicht befreien kann.

Während der „Festlichkeit“ sind die beteiligten Personen in besonderer Weise kostümiert. Marialé läuft im Kleid ihrer Mutter (das diese während ihrer Ermordung trug, also inklusive des Blutflecks) auf und liefert dem Rezipienten simultan einen makabren Hinweis auf das, was bald folgen könnte. Auch die von Edilio Kim verkörperte Figur, Gustavo, präsentiert sich in einer besonders prägnanten Weise. Diese ohnehin extrem obskure Persönlichkeit ist in ein Kleidchen gehüllt, welches dem von Marilyn Monroe (1954er Ballerina Fotosession) gleicht. Zudem ist Gustavo auf eine diabolische Art geschminkt. Ein Stil den man beispielsweise auf diversen Fotografien von Valeska Gert entdecken kann. Auch die weiteren Gäste zeigen eine Maskerade, die nun wirklich nicht an die Gäste eines fröhlichen Faschingsballs, sondern eher an diabolische Clowns erinnert. Und über die berichtete bereits der großartige Lon Chaney, dass sie „mit ihren bemalten Gesichtern und ihrem starren Lächeln ebenso unheimliche Gestalten wie das Phantom der Oper sind.“

Ich suggeriere diese seltsamen Personen als die Nebendarsteller in einem die Vergangenheit beklagenden Theaterstück, deren Blick (wie von Geisterhand gesteuert) fortwährend auf den eigenen Untergang fokussiert ist. Sie sind Beiwerk sowie Dekoration einer gezielten Kontaktaufnahme mit den zurückliegenden und unauslöschlichen Schrecken der Vergangenheit. Eine anstehende Konfrontation von der man erahnt, dass sie schlussendlich und konsequenterweise nur in einem kollektiven und unausweichlichen Ableben münden kann.

Die Ingredienzien, welche die Rahmung eines solches Schauerstücks fordert, werden von Romano Scavolini vorzüglich bedient. So zum Beispiel eine Szenenbeleuchtung wie sie schöner kaum sein kann. Ein als Schatten an die Wand geworfenes Porträt der Schlossbesucher, die mit Kerzenleuchtern die Treppe in Richtung Keller herabsteigen, lässt die inspizierenden Sehorgane der Zuschauer enthusiastisch funkeln. Darüber hinaus waltet ein plötzlich auftretendes Unwetter, welches seine blitzenden und donnernden Soldaten vor den Gemäuern exerzieren lässt und einhergehend kindliche Ängste aus den tiefsten Winkeln des Inneren hervorkehrt. Ferner erhalten das den Tod prognostizierende Doppelgängermotiv sowie der Blick in den Spiegel ihre Einsätze. Aufgrund dieser Vielfalt fruchtender Faktoren fällt es kaum ins Gewicht, dass der Film nahezu zwei Drittel voranschreitet, bis es zum ersten Mord kommt, welcher gleichzeitig eine Welle von weiteren Todesopfern folgen lässt. Dabei wird nach dem Wie und dem Wer nicht gefragt, die Morde werden vom rezeptionsfähigen Zuschauer angenommen, um schlussendlich einzig das Warum zu erfragen.

„Spirits of Death“ spielt nicht allein wegen seiner hervorragenden Fotografie und Beleuchtung in der Königsklasse des italienischen Genrekinos. Auch seine Narration beschreitet eine durchweg erfolgreiche Marschroute, denn Scavolinis (von einigen Rezipienten vermutlich als absurd und schädigend gedeutetes) Konzept erscheint mir wesentlich schlüssiger als jeder Versuch das Unrehabilitierbare zu rehabilitieren, um in einem vollkommen deplatzierten Happy End zu verkümmern oder schlussendlich gar Mister X als Verantwortlichen aus dem Hut zu zaubern.

Fazit: Scavolini befleckt das unbeschriebene weiße Blatt, das symbolische weiße Kleid, mit Blut und befreit es von diesem Makel, indem er das Gewand in ein (für den Zuschauer nicht sichtbares, aber authentisch spürbares) tiefes Schwarz färbt. Währenddessen zelebriert der Regisseur sein Werk nach dem Shakespeareschem Motto, dass „die ganze Welt Bühne ist und alle Frauen und Männer bloße Spieler sind, die auf- und wieder abgehen“. Und wer dieser Inszenierung zugegen war, wer auf den Theaterrängen saß, angeregt und wohlgeneigt, seine Begeisterung definitiv auch am heutigen Abend zeigt.

Bravissimo!
https://italo-cinema.de/italo-cinema/it ... s-of-death
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