La stella del cinema - Mario Almirante (1931)

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Salvatore Baccaro
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La stella del cinema - Mario Almirante (1931)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

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Originaltitel: La stella del cinema

Produktionsland: Italien 1931

Regie: Mario Almirante

Darsteller: Grazia del Rio, Elio Steiner, Sandra Ravel, Giuseppe Masi, Fulvio Testi, Nino Marchesini
Pointierter hätten Jean-Luc Godard und Francois Truffaut ihre Oppositionsstellung innerhalb der Nouvelle Vague wohl nicht zum Ausdruck bringen können als in ihren beiden Meta-Filmen LE MÉPRIS (1963) und LA NUIT AMÉRICAINE (1973). Während Godard kein gutes Haar am kommerziellen Kinosystem lässt, Produzenten als machtgeile Monstren darstellt, die noch jedes zarte Knöspchen Kunst zu ersticken wissen, und einfach alles, (allem voran Frauenkörper), als Ware behandeln, kurzum die ökonomischen und sozialen Bedingtheiten der siebten Kunst vor allem aus einer kapitalismuskritischen Perspektive seziert, ist Truffauts Blick auf die Traumfabrik zehn Jahre später nicht bloß wesentlich versöhnlicher, sondern regelrecht romantisch, wenn nicht gar utopisch: An einem Filmset entstehen und vergehen Liebschaften, Freundschaften, Rivalitäten, so unaufgerget, banal und spannungsarm wie im richtigen Leben. Es dürfte klar sein, dass ich zeitlebens Godards düstererer, schonungsloserer, streitbarerer Vision mehr zugeneigt gewesen bin als der offensiven Naivität, in der Truffaut schwelgt, (so wie ich, wie jeder Mitlesende inzwischen wissen wollte, generell mehr Team Godard statt Team Truffaut bin.)

Trotzdem hat mich der nahezu vergessene frühe Tonfilm LA STELLA DEL CINEMA aus dem Jahre 1931 dann doch ziemlich verzückt, - und das obwohl es sich hierbei, zumindest was Stimmung und Tonfall angeht, um eine Art veritablen Vorläufer von Truffauts Märchen aus Tausendundeiner Amerikanischer Nacht handelt: Die gleiche konfliktscheue Zuckersüße beim Blick hinter die Kulissen eines Filmdrehs; die gleiche Heiterkeit beim Ausflug in die Cines-Studios von Rom; die gleichen realitätsfernen Scheuklappen, mit denen Regisseur Mario Almirante uns suggerieren möchte: Beim Filmemachen geht’s im Grunde zu wie bei einer ausgelassenen, jedoch niemals über die Stränge schlagenden Party!

LA STELLA DEL CINEMA ist, obwohl im Filmbuisness angesiedelt und durchaus mit einem dokumentarischen Ansatz gesegnet, der durchaus etwas Proto-Neorealistisches versprüht, zuallererst ein Märchen: Die Verlobten Rosa und Nerio möchten beide auf der Leinwand durchstarten. Auf gut Glück heuern sie bei den Cines-Studios als Statisten an. Mit Rosia meint es das Schicksal indes gnädiger als mit ihrem Liebsten: Während der noch als Statist in der vierten oder fünften Reihe die Hintergrundkulissen irgendwelcher Großproduktionen füllt, wird Rosia vom Regisseur Masi entdeckt, als sie, sich allein wähnend, auf einem Klavier herumklimpert und herzergreifend trällert. Kurzerhand besetzt der Regisseur die junge Frau für die Hauptrolle seines gerade in Produktion befindlichen neusten Streichs, einem Science-Fiction-Musical. Nerio hadert derweil mit sich: Gerne möchte er Rosia ihren Erfolg gönnen, doch darf er überhaupt noch auf ihre Hand hoffen, wo sie sich nun auf dem besten Weg zum Leinwandstar befindet und er immer noch armselige Bühnendekoration? Zu allem Überfluss kommen ihm auch noch Gerüchte zu Ohren, dass Rosia mit Masi eine Liaison unterhalte. Schnell ist der Streit vom Zaun gebrochen; Nerio zieht sich aus dem Kinobetrieb zurück und arbeitet in einer Bank; Rosia dreht schweren Herzens ihren Film zu Ende. Im Finale kommt’s dann aber natürlich zu tränendrüsenankurbelnden Versöhnung: Als Nerio Rosia in der Premierenacht einen Strauß Blumen schickt, fliegt sie ihrem Liebsten sofort in die Arme. Geheiratet kann nun doch werden. Küsschen und Fin.

Allerdings ist diese zugegebenermaßen recht einfältige Fabel lediglich der Aufhänger für die ausgiebigen Streifzüge, die der Film unternimmt, um uns die einzelnen Stationen einer Filmproduktion vorzuführen: Vom Casting geht’s zum Set, weiter zur Maske und in den Kostümraum, nicht zuletzt auch in die Kantine und in den Schneideraum. Dabei ist die Kamera oftmals nicht nur beeindruckend agil – gerade die Plansequenz in der Kantine hat mich einigermaßen beeindruckt –, sondern wir sehen auch etliche seinerzeit populäre (und heute kaum noch erinnerten) Regisseure wie Guido Brigone oder Gennaro Righelli und Schauspieler wie Marcella Albani oder Isa Pola, die sich selbst verkörpern. Große Dramen sucht man freilich vergebens: Vielmehr zeichnet der Film das Treiben in der Filmstadt als liebevolles Chaos, bei dem jede kleine Krise in ein herzhaftes Gelächter mündet. Regisseur Masi ist Rosia gegenüber mehr väterlicher Freund als früher Weinstein-Verschnitt; von Eifersüchteleien oder Missgunst ist kaum ein Hauch zu spüren; in einer Szene, die die Agenda von LA STELLA DEL CINEMA relativ gut zusammenfasst, schauen wir einer Gruppe Regisseure bei ihrem Mittagsschmaus zu, wo sie sich der Reihe nach harmlose Scherze erzählen, und wie die besten Freunde noch über die ausgeleierteste Pointe schmunzeln. Überhaupt dominiert eine rührend infantile Komik: Ein redundanter running gag lässt einen Regieassistenten andauernd während des Drehs einschlummern, worauf er immer nur kurz zu sich kommt, um „Silencio!“ herauszubrüllen; später betrinkt sich ein weiterer Regieassistent derart, dass er wie von Sinnen Herzschmerzschlager zu singen beginnt, und muss von Masis Handlangern einer eiskalten Dusche unterzogen werden, damit er wieder ansprechbar wird; natürlich darf auch eine Szene nicht fehlen, in der sich außerfilmische Realität und innerfilmische Fiktion auf witzige Weise ineinanderflechten: So glaubt Rosia, als sie einen Mann von einem Dach stürzen sieht, es sei ein tödlicher Unfall geschehen, - nur um dann festzustellen, dass sie eine Puppe wiederbeleben wollte und mitten in eine Aufnahme gestürzt ist. Wirklich großartig ausgefallen ist indes das, was wir von Masis Film-im-Film zu sehen bekommen: Der Streifen nennt sich „Venere 1980“ und ist, wie gesagt, ein Weltraummusical, dessen überzeichneten Kulissen für mich ganz eindeutig sowohl den italienischen Futurismus bzw. sich bei diesem ästhetisch bediendende Werke wie Fritz Langs METROPOLIS oder Marcel L’Herbiers L'INHUMAINE parodiert. Für einen Moment zwinkert dann doch auch LA STELLA DEL CINEMA einmal klug mit den Augen.

Eskapismus, Verklärung, Verlogenheit. Ich kann Godard richtig über diesen Film schimpfen hören. Es wundert mich selbst, dass ich in die Tiraden einmal nicht einstimme, sondern ganz entzückt bin von diesem siebzigminütigen Trip in die selbstgeschaffenen Mythen und Mythologien des Kinos.
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