Peter Hoff - Polizeiruf 110: Filme, Fälle, Fakten

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buxtebrawler
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Peter Hoff - Polizeiruf 110: Filme, Fälle, Fakten

Beitrag von buxtebrawler »

Peter Hoff – Polizeiruf 110: Filme, Fälle, Fakten

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ISBN: 978-3360009586

Don’t hassel the Hoff

An dieser Stelle einmal keine Buchrezension oder -kritik, sondern die Vorstellung eines Buchs, an das ich auf der Suche nach bestimmten Informationen geraten bin und es lediglich in Auszügen gelesen habe. Diese haben mich jedoch derart überzeugt, dass es eine Sünde wäre, das Buch hier unerwähnt zu lassen.

Der 2003 verstorbene Autor Peter Hoff war Theaterdramaturg und Fernsehautor, Mitarbeiter im Verband der Film- und Fernsehschaffenden der DDR, Medienwissenschaftler und Verfasser u.a. von tausenden Fernsehkritiken sowie Büchern wie z.B. „Fernsehen als Kunst“ – und eben diesem 2001 im Verlag Das Neue Berlin erschienenen, rund 260-seitigen Standardwerks zur 1971 als Konkurrenz zum „Tatort“ etablierten DDR-Fernsehkrimireihe. Der mittelgroße Schmöker kommt im festen Einband und scheint mir eine überarbeitete, erweiterte Neuauflage des anscheinend bereits 1996 veröffentlichten „Das große Buch zum Polizeiruf 110: 1946-1996“ zu sein.

Mit offiziellem ARD-Aufkleber „Das Erste – Das Buch zur Reihe“ geadelt, handelt es sich um kein Serienlexikon oder Episodenführer zur auch nach dem Anschluss des DDR-Gebiets an die Bundesrepublik weiter und nun gesamtdeutsch existierenden Reihe im eigentlichen Sinne. Hoff unternimmt zunächst einen Streifzug durch die Historie des deutschen TV-Krimi-Genres hüben wie drüben und glänzt bereits in dieser Einleitung mit ebenso profundem wie breitem Fachwissen. Damit ist gewährleistet, dass der „Polizeiruf 110“ nicht isoliert als vermeintlich einzigartiges Phänomen betrachtet, sondern in einen dynamischen Entwicklungen unterliegenden und Vorbilder, Antipoden und Epigonen hervorbringenden Unterhaltungsapparat eingeordnet wird. Dabei findet auch immer wieder der BRD-„Tatort“ Erwähnung, dessen Gemeinsamkeiten und Unterschiede beleuchtet werden.

Im Hauptteil des Buchs werden in einer Art Zeitstrahl am unteren Seitenrand alle Episoden bis inkl. Nr. 231, der Folge zum 30. Jubiläum der Reihe, mit Titel, Stabangaben, Erstausstrahlungsdatum und Zuschauerbeteiligung versehen, während der wohlstrukturierte Fließtext chronologisch nicht auf alle, aber auf eine Vielzahl der Episoden eingeht. Dabei begnügt sich Hoff nicht mit Inhaltsangaben, vielmehr setzt er sie in einen Kontext mit jeweiligen politischen Rahmenbedingungen und Begleiterscheinungen, gesellschaftlichen Entwicklungen und institutionellen Produktionsbedingungen. Er analysiert Aussagen und Subtexte, geht auf die Regisseurinnen und Regisseure, Schauspielerinnen und Schauspieler sowie gestalterische wie narratologische Merkmale und Besonderheiten ein und weiß Geschichten, Anekdoten und Drehnotizen zu berichten, sodass es seinen Abhandlungen beileibe nicht an Hintergrundinformationen mangelt. Eingeschoben werden einzelne Kapitel, die gezielt die jeweiligen Ermittlerinnen und Ermittler sowie die sie verkörpernden Schauspielerinnen und Schauspieler charakterisieren. Diverse Schwarzweißfotos lockern die leidenschaftlich, versiert und mit viel Verve verfassten Texte auf. Ein Personen- und Episodenregister runden den Band ab.

Besonders spannend ist neben dem Beginn der Serie bzw. den Entwicklungen, die zu ihrer Produktion geführt haben, natürlich die Wendezeit und die Zäsur, die mit der „Abwicklung“ des DDR-Fernsehens folgte. Da ich vornehmlich diese beiden Bereiche rezipiert habe, kann ich hier guten Gewissens konstatieren, dass Hoff diese Perioden klug analysiert und ohne jede Form politischer Parteinahme zu deuten versteht. Hoffs Ausführungen helfen, den „Polizeiruf 110“ als viel über seine jeweilige Entstehungszeit verratendes Zeitdokument zu begreifen. So geht allgemeinverständliche, für die Materie begeisternde Film- und Fernsehwissenschaft! Insofern sei „Polizeiruf 110: Filme, Fälle, Fakten“ nicht nur Fans jener Krimireihe ans Herz gelegt, sondern generell allen, die sich für deutsche TV-Krimis, die deutsche Fernsehlandschaft zu Zeiten des Kalten Kriegs im Allgemeinen oder spannende Einblicke in eine der erfolgreichsten und beliebtesten DDR-TV-Produktionen interessieren. Die wenigen von mir entdeckten Tippfehler, die dem Korrektorat durchgerutscht sind, seien einer Erstauflage verziehen.

Der „Polizeiruf 110“ hat in den letzten Jahren kontinuierlich wieder an Beliebtheit gewonnen und diverse qualitative Höhepunkte beispielsweise mit dem Rostocker Erzählstrang um das Duo Bukow/König erreicht. Sie feiert dieser Tage ihr 50. Jubiläum, das mit einer beeindruckenden Hallenser Spezialepisode gefeiert wurde. Allein: Dieses Buch ist hoffnungslos vergriffen, zurzeit antiquarisch lediglich für dreistellige Beträge zu bekommen. Das mir vorliegende Exemplar musste ich mir aus der Leipziger Universitätsbibliothek fernleihen und nun wieder abgeben. Eine Neuauflage ist nicht in Sicht. Das ist ebenso beschämend wie die Tatsache, dass es in den alten Bundesländern nicht zum Standardbestand einer jeden medienwissenschaftlichen Uni-Bibliothek gehört. 50 Jahre „Polizeiruf 110“, mehr als 30 davon im vereinten Deutschland – und noch immer gibt es so viel zu tun…
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Diese Filme sind züchisch krank!
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